VwGH 99/01/0332

VwGH99/01/033222.3.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der N A in B, geboren am 4. September 1975, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Februar 1999, Zl. 204.753/0-XII/36/98, betreffend u.a. Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem ersten, die Abweisung des Asylantrages betreffenden Spruchteil wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Bundesrepublik Jugoslawien, die am 9. Juli 1998 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl. Zu ihren Fluchtgründen am 27. Juli 1998 niederschriftlich befragt, gab sie im Wesentlichen Folgendes an:

Sie habe ihre Heimat auf Grund des dort herrschenden Kriegszustandes verlassen. Am 30. Juni 1998 hätten ihr Angehörige der LDK gesagt, dass sie das Dorf (Smrekovnica), in dem sie seit sieben Jahren bei ihrem Schwager gelebt habe, im Hinblick auf die Bürgerkriegssituation verlassen müsse. Im Übrigen wolle sie sich im Ausland einer ärztlichen Behandlung unterziehen, da sie seit 1992, als sie mit Tränengas in Berührung gekommen sei, unter Augenentzündungen leide.

Mit Bescheid vom 3. August 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Jugoslawien gemäß § 8 AsylG für zulässig.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, sie habe ihre Augenverletzung im Jahr 1992 dadurch erlitten, dass Männer in Kampfanzügen eine Tränengasbombe in einen geschlossenen Raum geworfen hätten, in dem sich die Beschwerdeführerin zusammen mit anderen Albanern aufgehalten habe. Auf Grund einiger ähnlicher Vorkommnisse müsse daraus geschlossen werden, dass es sich bei den Tätern um Serben gehandelt habe, deren Aktionen von den serbischen Behörden geduldet bzw. veranlasst worden seien. Unter den Folgen der damaligen Verletzung leide sie noch heute. Ihr Heimatort sei ohne jegliche militärische Notwendigkeit von serbischen Verbänden angegriffen worden. Unmittelbar nach Verlassen des Dorfes hätten die Serben den Ort mit Granaten und Gewehren beschossen, obwohl sich noch Menschen darin befunden hätten. Der Zweck der militärischen Aktion habe nur darin bestanden, ethnische Albaner zu vertreiben, zu verletzen oder zu töten und den Flüchtlingen die Lebensgrundlage zu entziehen.

Die belangte Behörde führte eine mündliche Verhandlung durch, in der die Beschwerdeführerin ergänzend vorbrachte, sie habe im März oder April 1998 in Mitrovica an einer Protestdemonstration der Kosovo-Albaner teilgenommen, in der die Befreiung des Landes und insbesondere der Schulen gefordert worden sei. Die Beschwerdeführerin sei von Polizeikräften geschlagen worden, doch habe die Teilnahme an der Demonstration keine "politische Konsequenzen" gehabt. Nach Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen für Augenheilkunde wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 10. Februar 1999 gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I 1997/76 - AsylG, ab und sprach aus, dass gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Fremdengesetz 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien nicht zulässig sei (Spruchpunkte 1. und 2.) und der Beschwerdeführerin gemäß § 15 Abs. 1 bis 3 AsylG eine befristete Aufenthaltsgenehmigung bis 5. Februar 2000 erteilt werde (Spruchpunkt 3.). Die belangte Behörde befasste sich im angefochtenen Bescheid ausführlich mit der aktuellen Situation im Kosovo und kam dabei zum Schluss, die Zerstörung von Häusern und Eigentum durch Regierungstruppen und Spezialpolizisten habe im Gefolge des "Holbrooke/Milosevic-Abkommens" vom 13. Oktober 1998 weitestgehend aufgehört. Es sei zwar im Jänner 1999 wiederum zu einer Zunahme der Kampfhandlungen gekommen und seien im Dorf Racak ca. 25 km südlich von Pristina 45 Albaner von serbischen Sicherheitskräften getötet worden, wobei nach bisher vorliegenden Ermittlungsergebnissen davon auszugehen sei, dass die Getöteten nicht an Kampfhandlungen beteiligt gewesen, sondern ermordet worden seien. Auch sei es Ende Jänner 1999 zu Kämpfen in der Umgebung von Mitrovica und zur Verstärkung von Einheiten der jugoslawischen Armee in verschiedenen Teilen des Kosovo gekommen. Ein Übergreifen der Kämpfe bzw. Polizeiaktionen auf den gesamten Kosovo könne bisher jedoch nicht festgestellt werden. Die belangte Behörde gehe daher davon aus, dass lediglich bestimmte Gruppen von Personen, zu denen die Beschwerdeführerin nicht gehöre, in hohem Maße von Verfolgungshandlungen bedroht seien. Die in der schriftlichen Stellungnahme der Beschwerdeführerin erwähnte Ermordung von 45 Kosovo-Albanern im Dorf Racak deute zwar darauf hin, dass die Gewalttaten der serbischen Polizei- und Militäreinheiten gegen die kosovo-albanische Bevölkerung wieder im Zunehmen begriffen seien, doch lasse sich daraus eine erhebliche Gefahr der asylrelevanten Verfolgung durch die serbischen Behörden für sämtliche Kosovo-Albaner im gesamten Landesgebiet nicht ableiten. In rechtlicher Hinsicht zog die belangte Behörde den Schluss, die in der Berufung behauptete Gruppenverfolgung aller Kosovo-Albaner liege nicht vor. Auch habe die Beschwerdeführerin keine individuell-konkrete Verfolgung - die von ihr angeführten Ereignisse hätten sich bereits längere Zeit vor ihrer Ausreise ereignet - dargetan. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Bundesrepublik Jugoslawien sei jedoch deshalb nicht zulässig, weil die Beschwerdeführerin an einer chronischen Lidkanten- und Bindehautentzündung, die eine dauernde medizinische Betreuung erfordere, leide. Diese Behandlung erscheine im Hinblick auf die für Albaner im Kosovo bestehenden Verhältnisse, insbesondere den fehlenden Zugang zu staatlichen Gesundheitseinrichtungen, in ihrem Heimatstaat derzeit nicht gewährleistet.

Die Beschwerde richtet sich ihrem gesamten Inhalt nach - trotz der Erklärung auch Spruchpunkt 2 anzufechten - ausschließlich gegen Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid nach der Sachlage bei seiner Erlassung zu prüfen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bei behaupteter Zerstörung des Heimatdorfes eines albanisch-stämmigen Asylwerbers aus dem Kosovo bereits im Erkenntnis vom 21. April 1999, Zl. 98/01/0566, (auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird) ausgesprochen, in einer solchen Situation könne asylrelevante Verfolgung aller Angehörigen der albanischen Volksgruppe im betreffenden Gebiet des Kosovo mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vorliegen.

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt erkannt, er sehe es insbesondere auf Grund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen habe. Diese Auseinandersetzungen gingen auch mit vermehrten Übergriffen, insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Es ist gleichfalls allgemein bekannt, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo, sondern zunächst im Wesentlichen auf das Gebiet Zentralkosovo (Region Drenica bzw. "Drenica-Dreieck", wobei sich die Vorfälle von Srbica und Logovac bis Klina ausgedehnt haben) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decani und Dakovica erstreckten, wobei eine gebietsmäßige Ausdehnung der Kampfhandlungen im September 1998 in Richtung Nordosten (Podujevo, Kosovska Mitrovica und Vucitrn sowie Richtung Suva Reka) erfolgte. Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid zwar auf diese Vorfälle eingegangen, meinte jedoch, im Gefolge des "Holbrooke/Milosevic-Übereinkommens" vom 13. Oktober 1998 habe sich die Situation im Kosovo soweit beruhigt, dass von einer Gruppenverfolgung der Kosovo-Albaner nicht mehr auszugehen sei. Es sei zwar im Jänner 1999 wiederum zu einer Zunahme der Kampfhandlungen und auch zu erneuten Kämpfen in der Umgebung von Mitrovica sowie zu einer Verstärkung von Einheiten des jugoslawischen Armee in verschiedenen Teilen des Kosovo gekommen, ein asylrelevantes Übergreifen der Kämpfe bzw. Polizeiaktionen auf den gesamten Kosovo könne darin jedoch nicht erblickt werden. Damit hat sie die Rechtslage verkannt.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 16. September 1999, Zl. 99/01/0129, ausgesprochen hat, ist die Situation, selbst wenn zwischenzeitig eine Änderung eingetreten wäre, seit dem "Massaker von Racak", verübt am 15. Jänner 1999 an Dutzenden albanischen Zivilpersonen, zumindest der Lage vor Ende September 1998 gleichzuhalten. Die Beschwerdeführerin stammt nach ihren als glaubwürdig erachteten Angaben aus einem Ort, der von den genannten Vorfällen betroffen war. Eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende, asylrelevante Verfolgung hätte die Beschwerdeführerin nach den obigen Ausführungen somit nur dann nicht zu befürchten gehabt, wenn eine derartige Verfolgung bei ihr auf Grund besonderer Umstände ausgeschlossen werden könnte (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 98/01/0378). Im Zeitpunkt der Bescheiderlassung war daher - anders als die belangte Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde legte - eine Gefährdung nicht nur für bestimmte Personengruppen gegeben.

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Spruchpunkt 1. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Von der Abhaltung einer Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 22. März 2000

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte