VwGH 98/15/0148

VwGH98/15/014822.9.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des AK in F, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch, Dr. Klaus Kollmann, Dr. Günter Folk, Dr. Werner Stegmüller und Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwälte in Graz, Reitschulgasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 11. August 1998, Zl. RV-112.97/1-10/98, betreffend Haftung für Abgabenschulden, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 4.565 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Das Finanzamt nahm den Beschwerdeführer mit Haftungsbescheid vom 22. Mai 1997 als Haftungspflichtigen nach § 9 i.V. m. § 80 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der V-GmbH in der Höhe von 321.578,28 S in Anspruch (Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 1994 und 1995), weil diese Abgaben nicht in voller Höhe entrichtet worden seien und der Primärschuldnerin auf Grund der in der Zwischenzeit eingetretenen Insolvenz die nötigen Mittel dafür fehlten.

Über das Vermögen der Primärschuldnerin (die V-GmbH), deren einer der beiden Geschäftsführer der Beschwerdeführer war (zum Beschwerdeverfahren des zweiten Geschäftsführers siehe das unter Zl. 98/15/0147 am heutigen Tag ergangene Erkenntnis), war nach der Aktenlage mit Beschluss des Landesgerichtes Graz vom 10. Jänner 1996 der Konkurs eröffnet worden. Die im Konkurs angemeldeten Abgabenforderungen bezüglich Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag betrugen

680.229 S, worauf die Konkursquote von 5,45 % (37.072 S) entrichtet wurde. Es verblieb somit ein nicht entrichteter Anteil von

643.156 S. Die Hälfte davon (321.578 S) entspricht dem vorgeschriebenen Haftungsbetrag.

In der Berufung vom 24. Juni 1996 wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Haftungsbescheides nicht vorliegen würden. Die V-GmbH habe die Konkurseröffnung über ihr Vermögen nur auf Grund einer längerfristigen Zahlungsunfähigkeit beantragt. Die V-GmbH habe lediglich zwei in Deutschland ansässige Kunden gehabt, bei denen es im Laufe der Zeit immer wieder zu Zahlungsrückständen gekommen sei, die aber "nach massiven Interventionen der Geschäftsführung" ursprünglich regelmäßig zumindest soweit abgedeckt worden seien, dass laufende Zahlungen großteils beglichen werden konnten. Gegen diese Kunden würden noch immer Forderungen in der Höhe von rund 14 Millionen S aushaften, die der Masseverwalter im Konkursverfahren nicht entsprechend betrieben habe. Auf Grund des mittlerweile aufgehobenen Konkurses sei die V-GmbH nicht in der Lage gewesen, diese Forderungen einbringlich zu machen. Es wäre allerdings der Finanzbehörde ohne weiteres möglich gewesen, diese Forderungen nach bereits erfolgter Konkursaufhebung zu pfänden und einzuziehen (als Beweis werden Akten des LG Graz und des LG München, drei Zeugen und die Einvernahme des Beschwerdeführers genannt). Der Beschwerdeführer habe mit den jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln sämtliche Gläubiger gleichmäßig befriedigt. Die Finanzbehörde sei nicht benachteiligt worden. Weiters seien die vorgeschriebenen Abgaben unrichtig festgesetzt worden.

Das Finanzamt hielt dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 27. Juni 1997 vor, dass durch die Erlassung eines Haftungsbescheides nach § 202 BAO auch eine abgabenfestsetzende Wirkung eingetreten sei. Da gegen den Haftungsbescheid Berufung erhoben worden sei, sei bekannt zu geben, inwieweit die im Haftungsbescheid ausgewiesenen Beträge, die auf den Meldungen des Haftungspflichtigen beruhten, unrichtig seien.

In der Vorhaltsbeantwortung vom 5. August 1997 erkannte der Beschwerdeführer die im Haftungsbescheid ausgewiesenen Beträge der Höhe nach an. Die Bekämpfung des Haftungsbescheides dem Grunde nach werde aber ausdrücklich aufrecht erhalten, weil es den Finanzbehörden möglich gewesen wäre, bestehende Forderungen nach bereits erfolgter Konkursaufhebung zu pfänden und einzuziehen. Außerdem seien sämtliche Gläubiger, einschließlich die Finanzbehörde, gleichmäßig befriedigt worden. Es werde beantragt, die dazu angebotenen Beweise aufzunehmen.

In der abweisenden Berufungsvorentscheidung vom 6. November 1997 hielt das Finanzamt fest, dass die im Haftungsbescheid ausgewiesenen Beträge der Höhe nach anerkannt worden seien. Zur Behauptung, es wäre "den Finanzbehörden ohne weiteres möglich gewesen, bestehende Forderungen nach bereits erfolgter Konkursaufhebung zu pfänden und einzuziehen", wies das Finanzamt auf ein Telefongespräch mit Mag. D. aus der Kanzlei des steuerlichen Vertreters des Beschwerdeführers vom 2. September 1997 hin, in dem die Uneinbringlichkeit dieser Forderungen ("amtsbekannt bzw. lt. Auskunft des Steuerberaters Walter P.") besprochen worden sei. Aus diesem Grund hätten die Forderungen auch im Konkursverfahren nicht betrieben bzw. verwertet werden können. Die Geschäftsführer seien den Verpflichtungen (§§ 82 und 78 Abs. 3 EStG) zur ordnungsgemäßen Entrichtung der Lohnabgaben nicht nachgekommen, weshalb durch die in der Zwischenzeit eingetretene Insolvenz der V-GmbH diese Abgaben uneinbringlich geworden seien.

Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz vom 10. Dezember 1997 wurde geltend gemacht, dass im letzten Kalendervierteljahr 1995 und im gesamten Jahr 1996 keine Zahlungen an Dienstnehmer erfolgt seien.

Mit Beschluss vom 17. Februar 1998 wurde die V-GmbH im Firmenbuch wegen Vermögenslosigkeit amtswegig gelöscht.

In einem Vorhalt vom 26. Mai 1998 ersuchte die belangte Behörde den Beschwerdeführer zur Berufungsbehauptung der gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Gläubiger geeignete Unterlagen vorzulegen. In Beantwortung dieses Vorhaltes legte der Beschwerdeführer am 29. Juni 1998 eine Aufstellung vor, in welcher die einzelnen Verbindlichkeiten und die darauf geleisteten Zahlungen für das Jahr 1995 aufgelistet seien. Für das Jahr 1994 lägen keine entsprechenden Unterlagen mehr vor. Der Urkunde könne entnommen werden, dass die Forderungen des Finanzamtes zumindest gleich befriedigt worden seien wie die Forderungen der übrigen Gläubiger.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 11. August 1998 schränkte die belangte Behörde den Haftungsbetrag auf 256.053 S ein, gab der Berufung jedoch ansonsten keine Folge. Voraussetzung für die Haftung nach § 9 BAO seien eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit. Aus der vorgelegten Aufstellung der im Jahr 1995 erfolgten Zahlungen gehe hervor, dass die Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt in der Zeit von August bis November 1995 nahezu auf die dreifache Höhe angestiegen seien, während sich die übrigen Verbindlichkeiten lediglich knapp verdoppelt hätten. Auch im Zeitraum Jänner bis November 1995 seien die Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt gestiegen, während die übrigen Verbindlichkeiten gesunken seien. Von einer gleichmäßigen Behandlung sämtlicher Gläubiger könne daher nicht gesprochen werden. Entgegen den Einwendungen im Berufungsverfahren, wonach im letzten Kalendervierteljahr 1995 und im gesamten Jahr 1996 keine Zahlungen an Dienstnehmer erfolgt seien, ergebe sich aus der im Berufungsverfahren vorgelegten Aufstellung der Zahlungen 1995, dass in der Zeit von August bis November 1995 Zahlungen an die Dienstnehmer geleistet worden seien. Für Lohnabgaben hinsichtlich der Zeiträume ab Dezember 1995 sei der Beschwerdeführer nicht zur Haftung herangezogen worden. Aus dem Arbeitgeberakt sei allerdings ersichtlich, dass im Zeitraum vom 1. Jänner 1995 bis 30. November 1995 an Lohnsteuer 74.446 S, an DB 50.642 S und an DZ 5.962 S zu viel angemeldet worden seien. Diese Beträge verminderten die der Haftung zu Grunde zu legenden Abgaben von 643.156 S auf 512.106 S (50 % davon = 256.053 S). Zur Behauptung, die V-GmbH habe Forderungen in der Höhe von mehreren Millionen S, sei in der Berufungsvorentscheidung auf die Uneinbringlichkeit dieser Forderungen hingewiesen worden. Der Beschwerdeführer habe gegenteilige Beweise nicht erbracht. Auf die amtswegige Löschung der V-GmbH wegen Vermögenslosigkeit sei in diesem Zusammenhang hinzuweisen. Weiters seien Abgabenschulden Bringschulden, weshalb es keine Mitwirkung der Abgabenbehörde an der Entrichtung (Eintreibung) von Außenständen des Abgabepflichtigen zum Zwecke der Abgabenentrichtung gebe.

In der Beschwerde erachtet sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid insofern in seinen Rechten verletzt, als er zur Haftung für Abgabenverbindlichkeiten herangezogen und verpflichtet wird, einen Betrag von 256.053 S zu bezahlen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen.

Die Stellung des Beschwerdeführers als - auch für die Abgabenentrichtung verantwortlicher - Vertreter i.S.d. § 80 BAO ist im Beschwerdefall unbestritten. Der Beschwerdeführer bestreitet allerdings die Uneinbringlichkeit der Abgabenschulden, wobei er neuerlich unter der Rüge einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften Forderungen der V-GmbH gegenüber in München ansässigen Firmen in der Höhe von rund 14 Millionen S ins Spiel bringt. Bei der Aufnahme der beantragten Beweise hätte sich ergeben, dass diese Forderungen "mit entsprechendem Nachdruck" in Deutschland hätten einbringlich gemacht werden können.

Zu diesem Vorbringen ist festzuhalten, dass es der Behörde nur zumutbar ist, auf ein im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides zur Befriedigung der Gläubiger verwertbares Vermögen zu greifen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Jänner 2000, 97/15/0191). Forderungen, die nur "mit einem entsprechenden Nachdruck" einbringlich gemacht werden können, zählen grundsätzlich nicht zu einem derart verwertbaren Vermögen. Dass die Forderungen an ausländische Unternehmen im Konkursverfahren vom Masseverwalter nicht einbringlich gemacht werden konnten, ist unbestritten (die V-GmbH wurde mittlerweile auch wegen Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht). Inwieweit der Masseverwalter diese Forderungen "nicht entsprechend betrieben" habe, führt der Beschwerdeführer nicht bestimmt aus. Auch dem in der Berufung vom 24. Juni 1996 im Zusammenhang mit der Behauptung, es wäre der Finanzbehörde ohne weiteres möglich gewesen, die Forderungen nach bereits erfolgter Konkursaufhebung zu pfänden und einzuziehen, gestellten Beweisantrag ist nicht zu entnehmen, welcher konkrete Sachverhalt in Bezug auf diese Einbringungsmöglichkeit durch die Beweisaufnahme hätte bekundet werden sollen. Dazu kommt, dass das Finanzamt in der Berufungsvorentscheidung auf eine mit der Steuerberatungskanzlei besprochene Uneinbringlichkeit der Forderungen hingewiesen und ihrer Beurteilung zugrunde gelegt hat. Obwohl einer Berufungsvorentscheidung Vorhaltscharakter zukommt, hat der Beschwerdeführer der vom Finanzamt angenommenen Uneinbringlichkeit im Antrag auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz nicht widersprochen. Auch aus diesem Grund war die belangte Behörde nicht gehalten, weitere Feststellungen zur Einbringlichkeit zu treffen oder diesbezüglich Beweise aufzunehmen. Wenn in der Beschwerde erstmals auch der Aussagewert der Berufungsvorentscheidung in Bezug auf die darin enthaltenen Annahmen zur Uneinbringlichkeit (bzw. das Telefongespräch) relativiert wird, unterliegt dies im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dem Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG).

Zur Frage der in der Berufung behaupteten gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Gläubiger hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer im Vorhalt vom 26. Mai 1998 aufgefordert, geeignete Unterlagen vorzulegen. Auf Grund der daraufhin vom Beschwerdeführer - ohnedies nur - für das Jahr 1995 beigebrachten Aufstellung gelangte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zur Feststellung, dass wegen der zu Lasten des Finanzamtes unterschiedlichen Entwicklung der Verbindlichkeiten von einer gleichmäßigen Behandlung sämtlicher Gläubiger keine Rede sein könne. Damit musste die belangte Behörde aus diesem Titel keine Haftungseinschränkung vornehmen (vgl. z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. April 1994, 97/15/0035, vom 27. Mai 1998, 95/13/0170, und vom 25. Jänner 2000, 96/14/0080). In der Beschwerde werden die Feststellungen im angefochtenen Bescheid über die nicht gleichmäßige Behandlung sämtlicher Gläubiger nicht konkret bekämpft. Warum die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung "offensichtlich" tatsächlich nur von außen geleistete Zahlungen berücksichtigt hätte, ohne auf interne Umbuchungen (Umsatzsteuerguthaben) Bedacht zu nehmen, stellt die Beschwerde nicht nachvollziehbar dar und ergibt sich dafür nach der Aktenlage auch kein Anhaltspunkt. Der Beschwerdeführer trägt vor, dass sich aus einem Parallelverfahren gemäß § 67 ASVG ergebe, dass im Zeitraum der im Konkurs angemeldeten Lohnabgaben August bis November 1995 die fälligen Verbindlichkeiten durchschnittlich mit 48,9 % befriedigt worden seien. Aus "in diesem Verfahren" vorgelegten Urkunden ergebe sich, dass auch für die anderen gegenständlichen Zeiträume im Schnitt Zahlungen in diesem Ausmaß geleistet worden seien. Der Beschwerdeführer behauptet nun aber selbst nicht, diese Unterlagen oder den der Beschwerde angeschlossenen Bescheid der Gebietskrankenkasse vom 13. Oktober 1997 auch im finanzbehördlichen Verfahren vorgelegt zu haben. Damit ist aus diesem Vorbringen - und der daraus abgeleiteten Überlegung, es hätte im konkreten Fall "somit höchstens von einer 50%igen Unterdeckung ausgegangen werden" können - schon unter dem Gesichtspunkt des bereits oben erwähnten Neuerungsverbotes für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen.

Die Beschwerde zeigt daher insgesamt keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 22. September 2000

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