VwGH 98/15/0084

VwGH98/15/008420.6.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des PP in W, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger, DDr. Heinz Mück, Dr. Peter Wagner, Dr. Walter Müller und Dr. Wolfgang Graziani-Weiss, Rechtsanwälte in Linz, Kroatengasse 7, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 20. April 1998, Zl. RV/023-07/07/98, betreffend Haftung für Abgabenschulden, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §198;
BAO §224 Abs1;
BAO §248;
BAO §254;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
BAO §198;
BAO §224 Abs1;
BAO §248;
BAO §254;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 4.565 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wurde gemäß § 9 Abs. 1 und § 80 Abs. 1 BAO als Geschäftsführer der PPU-GmbH (im Folgenden nur: GmbH) mit Bescheid vom 10. September 1997 zur Haftung für einzeln aufgezählte Abgabenschuldigkeiten dieser Gesellschaft der Jahre 1988 bis 1995 im Gesamtausmaß von rund 350.000 S herangezogen.

In der dagegen erhobenen Berufung vom 23. September 1997 wurde ausgeführt, der Vorwurf, die haftungsgegenständlichen Abgaben hätten auf Grund einer schuldhaften Pflichtverletzung des Geschäftsführers nicht eingebracht werden können, gehe insofern ins Leere, als die Abgabenschuldigkeiten nicht im Rahmen des laufenden Geschäftsbetriebes entstanden seien, sondern "erst durch die Betriebsprüfung". Die im Rahmen der Betriebsprüfung durchgeführten Kontrollbesuche bei Kunden hätten dazu geführt, dass wesentliche Kunden der GmbH das Vertrauen entzogen hätten und somit die Geschäftstätigkeit erheblich geschädigt worden sei. Auf Grund dieser Betriebsprüfung befinde sich die GmbH nunmehr im Stadium des Geschäftsstillstandes, der nach Prüfung in eine Liquidation übergeleitet werden solle. Das dem Beschwerdeführer unterstellte schuldhafte Verhalten sei "in keinster Weise" gegeben.

In einem Schreiben vom 9. Oktober 1997 hielt das Finanzamt dem Beschwerdeführer vor, die Einbringung der Abgabenschulden sei vergeblich versucht worden. Der Beschwerdeführer möge insbesondere bekannt geben, welche Möglichkeiten bestünden, die Abgaben bei der Gesellschaft selbst einzubringen (besitze die GmbH pfändbares Vermögen, wenn ja, welches?). Weiters wurde der Beschwerdeführer gefragt, was ihn gehindert habe, für die Entrichtung der Abgaben der Gesellschaft aus deren Vermögen und laufenden Einnahmen zu sorgen.

In dem Antwortschreiben vom 5. November 1997 teilte der Beschwerdeführer mit, dass eine atypische Beteiligung an der A GmbH bestehe, die werthaltig sei, weil diese GmbH bereits positive Ergebnisse ausweise. Die Abgabenschuldigkeiten, deren Höhe für ihn nicht nachvollziehbar sei, resultierten nicht aus dem laufenden Geschäftsbetrieb. Sie seien erst im Nachhinein durch die Betriebsprüfung entstanden "und die Gesellschaft da schon erheblich geschädigt worden ist". Falls aus der atypisch stillen Beteiligung Erträge fließen sollten, bestehe die Bereitschaft, diese dem Finanzamt zu zedieren.

In der Berufungsvorentscheidung vom 5. Dezember 1997 wies das Finanzamt darauf hin, dass die Berufungsbegründung ins Leere gehe. Die Erhebungen des Finanzamtes, die der Beschwerdeführer als die Geschäftstätigkeit erheblich schädigend bezeichnet habe, womit der Beschwerdeführer offenbar sagen wolle, die Behörde sei wegen ihrer Erhebungen selbst schuld, dass die Abgaben nicht eingebracht werden könnten, seien gesetzlich vorgesehen. Der größte Teil der im Haftungsbescheid angeführten Abgaben sei wesentlich vor den durchgeführten Erhebungen (im September 1994) entstanden und auch fällig geworden. Der Beschwerdeführer habe nicht dargestellt, weshalb er nicht dafür habe Sorge tragen können, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet habe. Der Vorhalt vom 9. Oktober 1997 sei inhaltlich nicht beantwortet worden. Auf Grund dieser Umstände dürfe das Finanzamt eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen.

Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz vom 6. Jänner 1998 vertrat der Beschwerdeführer neuerlich die Meinung, es liege keine schuldhafte Pflichtverletzung vor, weil die "per Haftungsbescheid eingeforderten Beträge ausschließlich aus Betriebsprüfung resultieren und nicht aus dem laufenden Geschäftsbetrieb". Die Zahlung der geforderten Beträge sei betriebswirtschaftlich nicht mehr möglich, weil die Gesellschaft erhebliche Umsatzeinbußen gehabt habe und sich zwischenzeitlich in Liquidation befände.

Mit dem angefochtenen Bescheid schränkte die belangte Behörde zwar den Haftungsbetrag auf 341.200 S ein, gab der Berufung jedoch ansonsten keine Folge. Die Begründung der Haftung - so die belangte Behörde in ihrer Bescheidbegründung - setze voraus, dass die rückständigen Abgaben bei der Abgabenschuldnerin (der GmbH) selbst uneinbringlich seien. Eine Feststellung über die wirtschaftlichen Verhältnisse der GmbH vom 3. April 1998 habe ergeben, dass der Grundbesitz der GmbH, nämlich das Gebäude auf fremden Grund und Boden, mit Pfandrechten in Höhe von mehr als 9,8 Mil. S belastet sei. Der Wert des Gebäudes betrage nach der Bilanz des Jahres 1993 rund 4,9 Mil. S. Aktuelle Bilanzen lägen nicht vor. Der Beschwerdeführer habe im Rahmen der Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse der GmbH vom 3. April 1998 auf die Bilanz aus dem Jahr 1993 hingewiesen und sei zu keinen ausführlichen Auskünften bereit gewesen. An weiterem Anlagevermögen seien lediglich Büroschränke und eine Schreibmaschine vorhanden, die jedoch als nicht verwertbar zu bezeichnen seien. Bezüglich der atypischen stillen Beteiligung in der Höhe von 11 Mil. S sei auf das Vermögensverzeichnis nach § 31 a AbgEO vom 9. März 1998 zu verweisen, wonach diese Beteiligung gekündigt worden und zumindest in nächster Zukunft kein Geldfluss zu erwarten sei. Daraus ergebe sich, dass die haftungsgegenständlichen Abgaben bei der GmbH uneinbringlich seien. Unbestritten sei, dass der Beschwerdeführer in dem in Rede stehenden Zeitraum Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Der Vertreter habe darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden dürfe. Der Geschäftsführer hafte für nicht eingebrachte Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung stünden, hiezu nicht ausreichten, es sei denn, er weise nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet habe. Zu den abgabenrechtlichen Pflichten gehöre neben der Verpflichtung zur Sorge für die Entrichtung der Abgaben auch die Offenlegungs- und Wahrheitspflicht. Wie sich aus dem Betriebsprüfungsbericht vom 3. Februar 1995 bezüglich der Jahre 1984 bis 1991 entnehmen lasse, seien grobe Buchführungsmängel festgestellt worden. Bei derart schwer wiegenden Verstößen gegen Buchführungs- und Aufzeichnungsvorschriften könne sich jedenfalls aus dem Blickwinkel der §§ 9 Abs 1 und 80 Abs 1 BAO der Zeitpunkt, zu dem die diesen Feststellungen entsprechenden Abgabennachforderungen zu entrichten waren, nicht erst auf Grund der Bescheide ergeben, die diese Nachforderungen festsetzten. Der Zeitpunkt, ab dem zu beurteilen sei, ob die Gesellschaft die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mitteln gehabt habe, richte sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären. Bei Abgaben, die die GmbH selbst zu berechnen und abzuführen habe, sei maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären (das betreffe im gegenständlichen Fall die Umsatzsteuer und die Kapitalertragsteuer), während bei Körperschaftsteuervorauszahlungen die gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkte und bei bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben (hier: Pfändungsgebühr und Barauslagenersatz, Verspätungszuschlag) grundsätzlich die erstmalige Abgabenfestsetzung entscheidend sei. Ein Säumniszuschlag teile hinsichtlich der Fälligkeit das Schicksal der Stammabgabe. Es wäre Sache des Beschwerdeführers gewesen, eine ziffernmäßig konkrete Behauptung, die die Feststellung allenfalls liquider Mittel für die (aliquote) Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zugelassen hätte, aufzustellen. Einen solchen Liquiditätsstatus habe der Beschwerdeführer nicht vorgelegt. Aus dem Vorbringen, dass die Zahlung der haftungsgegenständlichen Abgaben nicht mehr möglich sei, weil die Gesellschaft erhebliche Umsatzeinbußen erlitten habe und sich zwischenzeitlich in Liquidation befinde, gehe nicht einmal hervor, dass die GmbH im Zeitpunkt der Erlassung der Abgabenbescheide völlig vermögenslos gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei daher zu Recht zur Haftung herangezogen worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist eine Heranziehung des Geschäftsführers zur Haftung für Abgabenrückstände auch dann zulässig, wenn Bescheide, die die Grundlage für den Haftungsbescheid bilden, noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind, weil u.a. nach § 254 BAO auch durch Einbringung einer Berufung die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise Einbringung einer Abgabe nicht aufgehalten wird (vgl. beispielsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. September 1988, 86/14/0095, sowie Ritz2, BAO-Kommentar, Tz 3 zu § 254). Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit von dem Primärschuldner vorgeschriebenen Abgaben sind nicht im Haftungsverfahren, sondern durch eine - dem Haftenden durch § 248 BAO ermöglichte - Berufung gegen den Abgabenbescheid geltend zu machen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Dezember 1999, 96/15/0104). Soweit die Beschwerde mit Ausführungen zu fehlenden Buchführungsmängeln die Abgabenfestsetzung offenbar selbst bekämpfen will, geht dies schon deshalb ins Leere.

Werden Abgaben nicht entrichtet, ist es Aufgabe des Geschäftsführers darzutun, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die angefallenen Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf. Hat der Geschäftsführer schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit war (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 1997, 96/13/0079)

Der Beschwerdeführer rügt u.a., es sei ihm "nie ein Vorhalt bezüglich der Uneinbringlichkeit der Abgabenschuld bei der Gesellschaft selbst gemacht" worden. Bei diesem Vorbringen übersieht der Beschwerdeführer, dass die Abgabenbehörde erster Instanz vor allem im Vorhalt vom 9. Oktober 1997 den Beschwerdeführer über die Einbringungsmöglichkeiten der Abgabenschulden bei der GmbH befragte (pfändbares Vermögen möge bekannt gegeben werden). In der Vorhaltsbeantwortung vom 5. November 1997 wurde nur unkonkretisiert auf eine - in der Beschwerde ohnedies nicht weiter angesprochene - atypische stille Beteiligung hingewiesen. Auch im Antrag auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz erfolgten keine weiteren Angaben. Wenn der Beschwerdeführer nunmehr in der Beschwerde insbesondere darauf verweist, die Abgabenschuld hätte ohne weiteres durch die Verwertung eines - angeblich - unbelasteten Superädifikates einbringlich gemacht werden können (es wäre dem Beschwerdeführer "ein Leichtes gewesen, dies aufzuklären"), kann er schon wegen des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbotes keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzeigen. Ob, wie die belangte Behörde in der Gegenschrift ausführt, die Angaben über die Befriedigungsmöglichkeiten aus einem Superädifikat ohnehin unzutreffend seien, kann daher dahingestellt bleiben. Inwieweit in der Beschwerde behauptete Fehler in der "Wertgegenüberstellung" im angefochtenen Bescheid die von der belangten Behörde angenommene Uneinbringlichkeit der Abgaben widerlegen könnten, macht die Beschwerde nicht deutlich; auch hier ist im Übrigen auf die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers im Abgabenverfahren zu verweisen.

Auch zur Frage der schuldhaften Pflichtverletzung wurde dem Beschwerdeführer im Verfahren mehrmals Gelegenheit geboten, seinen Standpunkt darzustellen. Zu Recht hat bereits das Finanzamt den Beschwerdeführer in der Berufungsvorentscheidung darauf aufmerksam gemacht, dass sich aus den Behauptungen in der Berufung keine Schuldlosigkeit des Beschwerdeführers an dem Entstehen der Abgabenrückstände ableiten lasse. Trotzdem hat der Beschwerdeführer in seinem Antrag auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Verneinung der schuldhaften Pflichtverletzung

Der Beschwerdeführer hat im oben wiedergegebenen Verwaltungsverfahren auch nicht etwa dahingehend argumentiert, eine Verantwortung oder Rechtfertigung zur Haftungsinanspruchnahme sei ihm deshalb nicht möglich, weil Aktenunterlagen beschlagnahmt gewesen seien (in der offenbar in der Beschwerde angesprochenen "Niederschrift" im Zusammenhang mit einer Erhebung des Vermögensstatus der GmbH am 9. März 1998 wird nur zur fehlenden Beantwortung des Fragebogens zum aktuellen Vermögen der GmbH darauf hingewiesen, dies sei ohne Bilanz nicht feststellbar). Der Beschwerdeführer hat nach der Aktenlage auch keinen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Wenn in der Beschwerde die mangelnde Mitwirkung am Verfahren nunmehr - erstmals - damit zu erklären versucht wird, dass dem Beschwerdeführer die Einsicht in die Akten verwehrt gewesen sei, kann der Beschwerdeführer daraus wegen des erwähnten Neuerungsverbotes ebenfalls nichts für sich gewinnen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. Juni 2000

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte