VwGH 98/08/0306

VwGH98/08/030626.1.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des M in L, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 15, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 5. Mai 1998, Zl. 4/1288/Nr. 0284/98-11, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 10 und § 38 AlVG, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1 idF 1993/502;
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1 idF 1993/502;
AlVG 1977 §9 Abs1;
VwRallg;
AlVG 1977 §10 Abs1 idF 1993/502;
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1 idF 1993/502;
AlVG 1977 §9 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem 1939 geborenen, seit 1979 arbeitslosen und im Bezug von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung stehenden Beschwerdeführer wurde am 26. November 1997 von der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Niederschrift über die Weigerung der Teilnahme an einer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bzw. Vereitelung einer solchen aufgenommen. Darin wurde Folgendes festgehalten:

"Mir wurde am 10/97 der Auftrag erteilt, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bei BF. Linz, beginnend ab 17.11.1997 teilzunehmen, da meine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt nicht ausreichen. Trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 10 AlVG (Verlust des Anspruches für die Dauer der Weigerung mindestens aber für die der Weigerung folgenden sechs oder acht Wochen) bin ich nicht bereit, an der Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, weil ... .

Gründe: Genaue Stellungnahme siehe beiliegendes Schreiben vom 26.11.1997."

Der Niederschrift ist das Schreiben des Beschwerdeführers vom 26. November 1997 an die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice angeschlossen. Darin führte der Beschwerdeführer wörtlich aus:

"Entgegen Ihrer einleitenden Behauptung teile ich Ihnen mit, dass ich der Einladung zur Kurseröffnung 'Neue Chance' am 17.11.97 nachgekommen bin. Dabei hat das Trainer-Team den 30-wöchigen Kurs wie folgt vorgestellt:

1.) Anfangsphase zum gegenseitigen Kennenlernen, Kurserwartungen, Kursregeln, Kreativitätstage und persönliche Standortbestimmung betreffend Kenntnisse, Fähigkeiten, Stärken, Erfahrungen.

2.) Projektphase mit Vorbereitung und Planung, Töpfern und Holzarbeiten in irgendwelchen Werkstätten.

3.) Perspektivenphase

a) beruflicher Art wie Arbeitssuche, Üben von Bewerbungsschreiben,

b) persönlicher Art, wie Möglichkeiten zur Schuldenbereinigung, Bewältigung von Beziehungskrisen, Kindererziehung.

4.) Abschlussphase und Extras wie Radfahren und Schwimmen.

Dazu meine Stellungnahme:

Zu Pkt. 1.:

Durch meine schulische Ausbildung, berufliche Tätigkeit und bei selbstkritischer Betrachtung sind mir meine Kenntnisse, Fähigkeiten, Stärken und Erfahrungen bestens bekannt.

Zu Pkt. 2.:

Zum Töpfern und Schnitzen bin ich nicht geeignet.

Zu Pkt. 3.:

Mit 58 Jahren und einer ununterbrochenen 18-jährigen ! Arbeitslosigkeit nach einer fristlosen Entlassung gibt es keine Perspektiven mehr.

Zu Pkt. 4.:

Die Freizeitgestaltung behalte ich mir selbst vor.

Die abschließende Beurteilung des 'Kurses' ergibt keinerlei zusätzliche oder bessere Qualifikation als Grundlage einer 'Neuen Chance', eher liegt ein billiger und plumper Trick des AMS vor, Langzeitarbeitslose aus der Notstandshilfe zu drängen und die Statistik zu schönen.

Trotz allem stehe ich der Idee, durch gezielte Kursmaßnahmen dem Arbeitslosen bessere Berufsaussichten zu geben, positiv gegenüber, wenn die Schulung auf die persönlichen Verhältnisse und Bedürfnisse des Einzelnen, wie bisherige Ausbildung und berufliche Tätigkeit abgestimmt ist.

Nur unter diesen Voraussetzungen würde ich mich Ihren Schulungsmaßnahmen unterwerfen."

Aus einem der Niederschrift angeschlossenen Textausdruck ergibt sich, dass der Beschwerdeführer am 17. November zwar zur Kurseröffnung erschienen, er aber während einer Pause ohne Angabe von Gründen verschwunden sei.

Daraufhin sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice mit Bescheid vom 22. Dezember 1997 aus, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 i. V.m. § 10 AlVG für die Zeit vom 17. November bis 28. Dezember 1997 verloren habe; Nachsicht werde nicht erteilt.

In der Begründung ist nach Wiedergabe der im Spruch genannten Gesetzesstellen zu lesen, nach Ansicht des Arbeitsmarktservice habe der Beschwerdeführer die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt vereitelt.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin führte er - soweit für die Erledigung des Beschwerdeverfahrens von Bedeutung - aus, der bekämpfte Bescheid enthalte nur Scheinbegründungen und es habe das AMS ihm nicht die Möglichkeit zur Stellungnahme geboten. Der im 59 Lebensjahr stehende Beschwerdeführer habe eine spezifische Ausbildung genossen und habe eine Tätigkeit in der Sparte Eisenhüttenwesen ausgeübt. Zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt wäre nur eine sofort an die Beendigung des früheren Arbeitsverhältnisses anschließende Umschulung zielführend gewesen. Das Arbeitsmarktservice habe ihm in seiner 18-jährigen ununterbrochenen Arbeitslosigkeit weder eine adäquate Stelle noch eine Möglichkeit für eine Umschulung angeboten. Der von ihm zu besuchende 30 Wochen dauernde Kurs stelle lediglich eine psychosoziale Hilfestellung dar, erfülle aber nicht die Voraussetzungen einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Im Falle einer Stellungnahme hätte die Behörde weiters davon ausgehen müssen, dass dem Beschwerdeführer beim erstmaligen Besuch des Kurses auf Grund der für ihn unerträglichen psychischen Belastung übel geworden sei, er habe stechende Kopfschmerzen und Herzrasen bekommen. Er sei derzeit aus seiner psychischen Verfassung nicht in der Lage, selbst wenn er wollte, den Kurs zu besuchen, ohne massive negative körperliche Reaktionen zu erleiden. Ein weiterer Besuch sei ihm daher unzumutbar gewesen.

Aus dem Bescheid gehe nicht hervor, warum kein berücksichtigungswürdiger Fall vorliege. Für das Vorliegen eines solchen Falles werde ins Treffen geführt, dass das Lebensalter des Beschwerdeführers bereits höher als das durchschnittliche Pensionseintrittsalter sei, er an einem angegriffenen psychischen Zustand leide und schließlich auch das Versagen der Arbeitsmarktverwaltung.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung nicht statt und bestätigte den bekämpften Bescheid aus seinen zutreffenden Gründen. In der Begründung dieses Bescheides wurde zunächst das Verwaltungsgeschehen umfassend wiedergegeben und sodann die anzuwendenden Gesetzesstellen zitiert. Anschließend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe im Zuge der mit ihm aufgenommenen Niederschrift bzw. in seiner Stellungnahme vom 26. November 1997 keine Umstände angeführt, die die Zumutbarkeit im Sinne des § 9 Abs. 2 AlVG bezweifeln ließen. Erst im Zuge der Berufung habe er angegeben, dass ihm beim erstmaligen Besuch des Kurses auf Grund der für ihn unerträglichen psychischen Belastung übel geworden sei, er stechende Kopfschmerzen und Herzrasen bekommen hätte und er aus diesem Grunde nicht in der Lage sein würde, den Kurs zu besuchen, ohne massive negative körperliche Reaktionen zu erleiden, weshalb ihm ein weiterer Besuch unzumutbar gewesen sei.

Im Rahmen des Berufungsverfahrens sei dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt worden, bereits vorliegende Gutachten vorzulegen, aus denen sich ergebe, dass ihm eine Teilnahme aus den von ihm angeführten gesundheitlichen Gründen unzumutbar sei, weil er deshalb auch schon früher behandelt worden sei bzw. sich im Zuge der Kurszuweisung nach dem Verlassen der Maßnahme sich in Behandlung begeben habe. Der Beschwerdeführer habe jedoch keinen derartigen ärztlichen Nachweis vorgelegt, weshalb davon auszugehen sei, dass ihm die Kursteilnahme durchaus zumutbar gewesen sei. Die Gesundheit des Beschwerdeführers sei durch die Teilnahme an dem Kurs weder in physischer noch in psychischer Hinsicht nachweislich gefährdet gewesen. Es stehe lediglich seine Behauptung im Raum, dass ihm beim erstmaligen Besuch des Kurses auf Grund der für ihn unerträglichen psychischen Belastung übel geworden sei und er stechende Kopfschmerzen und Herzrasen bekommen hätte. Diese Symptome seien sonst nur sporadisch in gewissen Belastungssituationen beim Beschwerdeführer aufgetreten, hätten ihn allerdings nie veranlasst, einen Arzt aufzusuchen, geschweige denn ein Gutachten erstellen zu lassen. Die belangte Behörde schließe aus dem Umstand, dass sich der Beschwerdeführer im Anschluss an die von ihm behaupteten aufgetretenen Erscheinungen nicht in ärztliche Behandlung begeben habe, dass er dadurch nicht soweit physisch oder psychisch beeinträchtigt worden wäre, dass er trotzdem weiterhin der Maßnahme nicht folgen hätte können. Die Behörde vertrete daher die Ansicht, dass es sich bei den vom Beschwerdeführer vorgebrachten gesundheitlichen Einschränkungen um reine Schutzbehauptungen handle, die sein Verhalten rechtlich begründbar erscheinen lassen sollten. Es sei auch festzustellen, dass im Zuge einer Wiedereingliederungsmaßnahme von den durch diese durchführenden Fachkräften auch auf plötzlich auftretende gesundheitliche Erscheinungen reagiert werden könne. Die Maßnahme sei nämlich gerade zu dem Zweck eingerichtet, um eventuelle Schwierigkeiten der Teilnehmer aufzuklären und möglicherweise zu bereinigen zu helfen, damit ein Neubeginn in der Arbeitswelt erleichtert bzw. überhaupt ermöglicht werde. Die Behörde erachte das kommentarlose Verlassen der angeordneten Maßnahmen jedenfalls als Vereitelung, weil dem Beschwerdeführer entgegen seinen Behauptungen die weitere Teilnahme auch aus gesundheitlichen Gründen - zumindest bis zur endgültigen ärztlichen Abklärung - jedenfalls zumutbar gewesen sei.

Die vom Beschwerdeführer im Punkt 3 seiner Berufung angeführten Umstände würden nicht den vom § 10 Abs. 2 AlVG angesprochenen berücksichtigungswürdigen Fälle entsprechen, weil darin z.B. von der Aufnahme einer anderen Beschäftigung gesprochen werde und die vom Beschwerdeführer angeführten Gründe diesem Fall nicht gleichzuhalten seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Arbeitswillig ist nach § 9 Abs. 1 AlVG unter anderem, wer bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Wenn der Arbeitslose ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, verliert er gemäß § 10 Abs. 1 AlVG für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes ist gemäß § 10 Abs. 2 AlVG in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z.B. Aufnahme einer anderen Beschäftigung, ganz oder teilweise nachzusehen.

Gemäß § 38 AlVG sind diese Bestimmungen auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 6. Mai 1997, 95/08/0339, und vom 16. September 1997, 96/08/0308) steht es nicht im freien Belieben des Arbeitsmarktservice, einem Arbeitslosen (auch einem Langzeitarbeitslosen) entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln oder ihn zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme zuzuweisen. Eine solche Zuweisung kann sich insbesondere auch nicht auf die vom Arbeitslosen (auch wiederholt) an den Tag gelegte Arbeitsunwilligkeit, eine ihm durch das Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, stützen. Für eine solche Maßnahme ist vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind. Das Arbeitsmarktservice hat diese Voraussetzung zu ermitteln und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis zu bringen. Von einer den Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld nach sich ziehenden ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an einer ihm zugewiesenen Maßnahme teilzunehmen, kann demgemäß nur dann gesprochen werden, wenn diese Zuweisung sich konkret auf eine solche Maßnahme bezieht und in objektiver Kenntnis des Inhaltes und der Zumutbarkeit sowie Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolgt. Die Zuweisung zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme bedarf somit des Nachweises, dass der Arbeitslose ohne diese Wiedereingliederungsmaßnahme nicht in der Lage ist, einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erlangen, und trifft überdies das Arbeitsmarktservice die Pflicht, den Arbeitslosen über die Rechtsfolgen einer Weigerung, an einer solchen Maßnahme teilzunehmen, zu belehren.

Weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass vor Zuweisung des Beschwerdeführers zur gegenständlichen Maßnahme ein diesbezügliches Ermittlungsverfahren und entsprechende Belehrungen im Anschluss an ein solches Verfahren stattgefunden haben.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 26. Jänner 2000

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