VwGH 98/01/0268

VwGH98/01/02687.9.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des M, geboren am 1. Mai 1974, vertreten durch Dr. Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Fallmerayerstraße 10, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 30. April 1998, Zl. Ia-11.145/19-1998, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §32;
AVG §33 Abs4;
AVG §37;
B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1;
StbG 1985 §11;
StbG 1985 §20 Abs1;
StbG 1985 §20 Abs2;
AVG §32;
AVG §33 Abs4;
AVG §37;
B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1;
StbG 1985 §11;
StbG 1985 §20 Abs1;
StbG 1985 §20 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 30. April 1998 wies die Tiroler Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers vom 27. Jänner 1995 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 11 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG) ab. In der Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer, welcher türkischer Staatsangehöriger sei, seit 1984 seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen in Österreich habe, seit 1994 in Innsbruck wohnhaft und als Fliesenleger beschäftigt sei, sei mit folgenden "negativen Vorkommnissen" belastet, nämlich

1. er habe am 21. November 1994 nachmittags seinen PKW entgegen dem Gebotszeichen "Vorgeschriebene Fahrtrichtung nach rechts" nach links gelenkt, was den Tatbestand des § 52b Z 15 StVO 1960 verwirkliche und mit einer Geldstrafe in Höhe von S 600,-- geahndet worden sei,

2. er solle am 25. September 1994 jemandem einen Faustschlag versetzt haben, doch sei das Verfahren gemäß § 90 StPO eingestellt worden, da die durchgeführten Erhebungen erbracht hätten, der Beschwerdeführer habe sich zur Tatzeit nicht am Tatbegehungsort aufgehalten,

3. er habe am 27. Oktober 1995 seinen PKW in nicht ordnungsgemäßem Zustand in Betrieb genommen (beschädigtes Blinkerglas, Nichtfunktionieren des Fahrtrichtungsanzeigers, Kennzeichentafel und Bremsleuchten seien nicht in Ordnung gewesen, sowie Nichtmitführen des Führerscheines), wofür er gemäß den §§ 102 Abs. 1 KFG 1967, 102 Abs. 1 i.V.m. 47 Abs. 7 KFG 1967, 102 Abs. 1 KFG i.V.m. 18 KFG i.V.m. 14 KDV i.V.m. 20 Abs. 4 KFG 1967, 102 Abs. 5 lit. a KFG 1967 mit einer Geldstrafe in Höhe von S 1.210,-- bestraft worden sei,

4. er habe am 21. Jänner 1996 im Zusammenwirken mit anderen zwei Personen Faustschläge sowie Fusstritte versetzt und diese dadurch am Körper verletzt, doch sei die Anzeige gemäß § 90 Abs. 1 StPO zurückgelegt worden, sowie

5. er habe am 15. Dezember 1996 nachts seinen PKW in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand trotz des Gebotszeichens "Vorgeschriebene Fahrtrichtung nach rechts" nach links gelenkt, wofür er gemäß § 5 Abs. 1 i.V.m. § 52 Z 15 StVO 1960 zu einer Geldstrafe in Höhe von S 11.550,-- verurteilt worden sei.

Obzwar den beiden Verwaltungsübertretungen vom 21. November 1994 und vom 27. Oktober 1995 ein eher geringer Unrechtsgehalt zukomme und diese Vorkommnisse bereits fast vier bzw. drei Jahre zurücklägen, die beiden Strafverfahren gemäß § 90 StPO beendet worden seien und trotz der unter Pkt. 5 genannten Verwaltungsübertretung von einer Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG nicht gesprochen werden könne, käme man bei einer Beurteilung des Sachverhaltes nach § 11 StbG zu einem anderen Ergebnis. Es sei davon auszugehen, dass für die Verleihung kein Umstand spreche, nämlich weder das Allgemeinwohl noch das öffentliche Interesse noch das Verhalten der Partei. Letzteres spreche gegen die Verleihung, denn es sei im Sinne der Persönlichkeitsbeurteilung des Verleihungswerbers als schwer wiegend und verwerflich zu werten, dass dieser zwei Jahre nach Beantragung der Staatsbürgerschaft wegen einer Übertretung gemäß § 5 Abs. 1 StVO 1960, welche ein ganz besonderes "Gefahrenmoment" darstelle, bestraft worden sei. Diese Verhaltensweise lasse die negative Einstellung des Verleihungswerbers und sein mangelndes Verantwortungsbewusstsein zum Ausdruck kommen, es könne daher auf sein künftiges Wohlverhalten noch nicht geschlossen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer am 27. Jänner 1995 einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gestellt hat. Auf diesen Antrag bezieht sich der angefochtene Bescheid. Im Verwaltungsakt erliegt weiters ein Entwurf eines Bescheides vom 19. Juni 1995, mit dem die Tiroler Landesregierung gemäß § 20 StbG dem Beschwerdeführer die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zunächst für den Fall zusichert, dass er binnen zwei Jahren aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausscheidet. Auf dem Bescheidentwurf findet sich auch der Stempel "versendet 19. Juni 1995". Angeschlossen ist diesem Bescheidentwurf ein Rückschein, aus dem sich ergibt, dass der Bescheid dem Beschwerdeführer am 22. Juni 1995 zugestellt worden ist. Schließlich erliegt im Verwaltungsakt eine in türkischer Sprache gehaltene Urkunde vom 4. März 1996 einschließlich einer deutschen Übersetzung, in der davon die Rede ist, dass nach Erhalt einer Bestätigung über den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft der "o.a. Person" (dem Beschwerdeführer) eine Bestätigung über die Entlassung aus dem türkischen Staatsverband ausgehändigt würde. Ein Widerruf der Zusicherung der österreichischen Staatsbürgerschaft kann dem Verwaltungsakt nicht entnommen werden.

Mit hg. Schreiben vom 24. Mai 2000 wurden sowohl die belangte Behörde als auch der Beschwerdeführer aufgefordert, zu den oben wiedergegebenen Umständen Stellung zu nehmen und sich insbesondere auch dazu zu äußern, ob ein Widerruf der Zusicherung der Verleihung stattgefunden habe.

Mit Note vom 7. Juni 2000 nahm die belangte Behörde zum Vorhalt des Verwaltungsgerichtshofes Stellung. Nach Einlangen der Urkunde vom 14. März 1996 in türkischer Sprache samt Übersetzung bei der belangten Behörde am 10. Mai 1996, aus der sich ergebe, dass dem Beschwerdeführer von der türkischen Republik die Genehmigung erteilt worden sei, aus dem türkischen Staatsverband auszuscheiden und die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen, habe die belangte Behörde noch ergänzende und abschließende Erhebungen eingeleitet. Diese hätten "negative Vorkommnisse" hervorgebracht, die nach Erlassen des Zusicherungsbescheides vom 19. Juni 1995 entstanden seien. (Die belangte Behörde gibt dazu die oben in der Begründung des angefochtenen Bescheides unter Pkt. 3 bis 5 angegebenen "negativen Vorkommnisse" wieder.) Infolge der Ermittlungen, die nach Vorlage der türkischen Urkunde, die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen zu dürfen (10. Mai 1996), noch zeitaufwändige Erhebungen erforderlich gemacht hätten, und der Wahrung des Parteiengehörs sei ein Widerruf des Zusicherungsbescheides nicht mehr möglich gewesen. Der Zusicherungsbescheid vom 19. Juni 1995, der laut Rückschein am 22. Juni 1995 zugestellt worden sei und dessen Gültigkeit sich auf zwei Jahre beschränkt habe, sei mit Ablauf des 22. Juni 1997 "gegenstandslos geworden".

Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2000 nahm auch der Beschwerdeführer zum hg. Vorhalt Stellung. Er habe nach Erhalt des Zusicherungsbescheides, diesem Bescheid entsprechend, beim türkischen Generalkonsulat in Salzburg das Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband beantragt, woraufhin das Innenministerium der türkischen Republik die Genehmigung zum Ausscheiden aus dem türkischen Staatsverband samt deutscher Übersetzung am 5. März 1996 ausgestellt habe, welche der Beschwerdeführer sodann am 10. Mai 1996 beim zuständigen Sachbearbeiter der belangten Behörde persönlich überreicht habe. Ein Widerruf der Zusicherung sei dem Beschwerdeführer nicht zugestellt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist das StbG i.d.F. vor der Novelle BGBl. I Nr. 124/1998 maßgeblich.

§ 20 StbG lautete:

"§ 20. (1) Einem Fremden ist die Verleihung der Staatsbürgerschaft (Erstreckung der Verleihung) zunächst für den Fall zuzusichern, dass er binnen zwei Jahren das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates nachweist, wenn

1. er weder staatenlos noch Flüchtling im Sinne der Konvention vom 28. Juli 1951, BGBl. Nr. 55/1955, oder des Protokolls, BGBl. Nr. 78/1974, über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ist,

2. weder § 10 Abs. 4 noch die §§ 16 Abs. 2 oder 17 Abs. 4 Anwendung finden und

3. ihm durch die Zusicherung das Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ermöglicht wird oder erleichtert werden könnte.

(2) Die Zusicherung ist zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft (Erstreckung der Verleihung) erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt."

Im Lichte der vorgelegten Verwaltungsakten sowie der oben wiedergegebenen Stellungnahmen der belangten Behörde und des Beschwerdeführers geht der Verwaltungsgerichtshof im Folgenden davon aus, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 19. Juni 1995 gemäß § 20 StbG die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zunächst für den Fall zugesichert hat, dass er binnen zwei Jahren aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausscheidet. Der Verwaltungsgerichtshof legt im Folgenden seiner rechtlichen Beurteilung - wie auch die Parteien - weiters zu Grunde, dass der Beschwerdeführer den im § 20 Abs. 1 StbG vorgesehenen Nachweis erbracht hat.

Auf der Grundlage dieses Sachverhaltes erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig.

Durch die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft hat der Beschwerdeführer einen nur durch sein Ausscheiden aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates innerhalb von zwei Jahren bedingten Rechtsanspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft erworben (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. April 1986, Zl. 86/01/0026). Zwar trifft es zu, dass der Zusicherungsbescheid ohne weiteres mit Ablauf der zweijährigen Frist zum Nachweis des Ausscheidens außer Kraft tritt, wenn innerhalb dieser Frist der Nachweis des Ausscheidens nicht erbracht wird (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1999, Zl. 98/01/0485), im vorliegenden Fall ist dieser Nachweis jedoch, wie auch die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme einräumt, fristgerecht erbracht worden. Wieso sie dennoch zur Auffassung gelangen konnte, der Zusicherungsbescheid sei infolge Zeitablaufes gegenstandslos geworden, ist unerfindlich.

Im Zeitpunkt der Erlassung des Zusicherungsbescheides hatte der Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Indem sie dem Beschwerdeführer die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zusicherte, hat die belangte Behörde demnach das Fehlen von Verleihungshindernissen bejaht und implizit von dem ihr in § 11 StbG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht (vgl. dazu Goldemund/Ringhofer/Theuer, Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht (1969), 118).

Im vorliegenden Fall ist ein Widerruf der Zusicherung, wie die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme ausdrücklich hervorhebt, vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht erfolgt. Die belangte Behörde verneint auch im angefochtenen Bescheid nicht etwa das Vorliegen der zwingenden Verleihungsvoraussetzungen (hier: des § 10 Abs. 1 StbG; nur deren Wegfall hätte gemäß § 20 Abs. 2 StbG einen Widerruf der Zusicherung ermöglicht

(vgl. Goldemund/Ringhofer/Theuer, a.a.O., 119; Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II (1990), 272)), sie macht vielmehr auf Grund der von ihr angeführten, nach der Zusicherung eingetretenen, für den Beschwerdeführer nachteiligen Umstände von ihrem Ermessen neuerlich, und zwar abweichend vom Zusicherungsbescheid zu Lasten des Beschwerdeführers, Gebrauch. Zu dieser erneuten Ermessensübung war sie jedoch wegen des, wie oben dargelegt, noch immer aufrechten Zusicherungsbescheides nicht ermächtigt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 7. September 2000

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