VwGH 96/21/0032

VwGH96/21/003227.1.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des P in Linz, geboren am 1. Oktober 1978, vertreten durch Dr. Hermann Fromherz, Dr. Friedrich Fromherz und Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Rechtsanwälte in 4010 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 18. Juli 1995, Zl. St 225/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
EMRK Art3;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer, ein liberianischer Staatsangehöriger, in seinem Heimatland gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer, der in seinem Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung auf seine Aussage im Asylverfahren verwiesen habe, habe als Asylgrund angeführt, dass er Liberia wegen der dort herrschenden Bürgerkriegswirrnisse verlassen hätte. Diesem Vorbringen könne nicht entnommen werden, dass er in seinem Heimatland Gefahr liefe, dort - von Staats wegen - einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Ebensowenig sei aus diesem Vorbringen zu ersehen, dass sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Ansichten bedroht sei. Wenn auch die menschenrechtliche Situation in seinem Heimatland wegen der Bürgerkriegsereignisse nicht der eines westlichen Staates entspreche und aufs Schärfste zu verurteilen sei, entspreche es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine Bürgerkriegssituation für sich allein noch keine Flüchtlingseigenschaft indiziere. Die Bestimmung des § 37 FrG habe nicht die Aufgabe, vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolten und sonstigen Unruhen hervorgingen. Eine darüber hinausgehende Bedrohung habe er selbst nicht behauptet. Die in seinem Heimatland stattfindenden Auseinandersetzungen hätten alle Bewohner seines Heimatstaates in gleicher Weise zu erdulden, so dass die dadurch bedingten Benachteiligungen als keine gegen ihn gerichtete individuelle Verfolgung zu werten seien. Sein Vorbringen in der Berufung erschöpfe sich in der Darstellung verschiedener Berichte (wenn auch namhafter Organisationen) und Entscheidungen anderer Behörden, und lasse auf die spezifisch ihn betreffende Situation bezogen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinn des § 37 FrG erkennen.

Die gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde trat dieser nach Ablehnung ihrer Behandlung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom 28. November 1995, B 2559/95).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht der Beschwerdeführer inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten unter Verzicht

auf die Erstattung einer Gegenschrift vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung iS des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 5. November 1999, Zl. 97/21/0911, mwN.)

Der Beschwerdeführer hatte vor der Asylbehörde lediglich auf "Bürgerkriegswirrnisse in Liberia" als Fluchtgrund hingewiesen. Im Verfahren vor der Fremdenbehörde hatte der Beschwerdeführer zwar vorerst bloß auf seine im Asylverfahren vorgebrachten Gründe verwiesen, in seiner Berufung vom 12. Juli 1995 gegen den seinen Feststellungsantrag in erster Instanz abweisenden Bescheid jedoch unter umfangreicher Quellenzitierung vorgebracht, es fehle infolge des Bürgerkriegs in Liberia eine im herkömmlichen Sinn funktionierende Staatsgewalt, der Beschwerdeführer liefe bei einer Abschiebung nach Liberia Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung auch durch ECOMOG-Truppen oder andere staatliche oder staatsnahe Einrichtungen schutzlos ausgeliefert zu sein und es könne in der derzeitigen Situation das Leben eines in die Republik Liberia abgeschobenen Menschen nicht garantiert werden. In ihrem Berufungsbescheid verwies die belangte Behörde dazu lediglich auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, eine Bürgerkriegssituation allein habe keine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinn des § 37 FrG zur Folge.

Der Verwaltungsgerichtshof sprach bereits im Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 95/21/0294, - im Übrigen die Bürgerkriegssituation in Liberia betreffend - aus, dass die Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere bei Fehlen einer stabilen räumlichen Abgrenzung der Bürgerkriegsparteien eine hier maßgebliche Gefährdung des Einzelnen zur Folge haben kann. Führt demgemäß eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu, dass keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt sein würde, so wäre dies im Rahmen einer Feststellung gemäß § 54 FrG beachtlich. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben würde, Gefahren für Leib und Leben in einem Maß drohten, dass die Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.

Die belangte Behörde verkannte mit ihrer Ansicht, im Fall eines Bürgerkriegs könne eine hier relevante Gefährdungssituation nicht angenommen werden, die Rechtslage. Das Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative legte sie ihrer Beurteilung nicht zugrunde, weshalb nicht unterstellt werden kann, es gebe räumlich stabil abgegrenzte Einflusszonen der Bürgerkriegsparteien und es könnte die Abschiebung des Beschwerdeführers in den für ihn sicheren Teil - so es einen solchen gäbe - erfolgen (zum letztgenannten Gesichtspunkt vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 1998, Zl. 95/21/0344).

Dadurch, dass die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers als nicht ausreichend wertete, um eine ihm drohende Verfolgung in seinem Heimatstaat glaubhaft zu machen, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil Stempelgebühren im Ausmaß von lediglich S 420,-- (drei Beschwerdeausfertigungen S 360,--, eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides S 60.--) aufgelaufen sind.

Wien, am 27. Jänner 2000

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