VwGH 99/18/0184

VwGH99/18/018419.10.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde der L V (auch Widerna) in Wien, geboren am 7. November 1965, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 12. April 1999, Zl. SD 73/99, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1997 §34 Abs1 Z3;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §37;
FrG 1993 §18 Abs1;
FrG 1997 §34 Abs1 Z3;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §37;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 12. April 1999 wurde die Beschwerdeführerin, eine mazedonische Staatsangehörige, gemäß § 34 Abs. 1 Z. 3 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.

Die Beschwerdeführerin befinde sich laut eigenen Angaben nach sichtvermerksfreier Einreise seit 11. Juni 1992 im Bundesgebiet. Am 7. Juli 1993 habe sie einen österreichischen Staatsbürger geheiratet und daraufhin sowohl einen Befreiungsschein als auch eine vom 13. Oktober 1993 bis 13. Oktober 1994 gültige Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft erhalten. Am 6. September 1994 habe die Beschwerdeführerin die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung beantragt und sich dabei wieder ausdrücklich auf die Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger berufen. Sohin sei ihr als Angehörige eines österreichischen Staatsangehörigen die Aufenthaltsbewilligung bis zum 14. Oktober 1996 verlängert worden. Am 29. August 1996 habe sie auf Grundlage der Ehe fristgerecht einen weiteren Verlängerungsantrag gestellt.

Am 22. September 1998 sei die Ehe für nichtig erklärt worden. Die Beschwerdeführerin gebe nach anfänglichem Leugnen nunmehr zu, nur deshalb geheiratet zu haben, um in der Nähe ihrer beiden Kindern aus erster Ehe sein zu können, die dem in Wien lebenden Vater zugesprochen worden seien.

Sohin stehe fest, dass der Beschwerdeführerin Aufenthaltstitel erteilt worden seien, weil sie sich auf eine Ehe berufen habe, obwohl ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt worden sei. Dieses Fehlverhalten beeinträchtige die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens in erheblichem Ausmaß, sodass sich die Ausweisung im Grund des § 34 Abs. 1 FrG als gerechtfertigt erweise.

Die Beschwerdeführerin sei geschieden, die beiden Kinder aus erster Ehe lebten beim Vater. Sonstige familiäre Bindungen seien nicht geltend gemacht worden; ein Bestehen von Sorgepflichten sei nicht aktenkundig. "Nicht zuletzt" aufgrund der Dauer des inländischen Aufenthaltes sei die Ausweisung mit einem Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens - dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Auch nach einer Entschließung des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 4. Dezember 1997 soll im Fall des Vorliegens einer Scheinehe die zum Zweck der Eheschließung ausgestellte Aufenthaltsgenehmigung des Drittstaatsangehörigen grundsätzlich entzogen, widerrufen oder nicht verlängert werden. Bei der gemäß § 37 Abs. 2 durchzuführenden Interessenabwägung sei auf die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration der Beschwerdeführerin Bedacht zu nehmen, wobei jedoch zu berücksichtigen sei, dass diese nur durch das beschriebene rechtsmissbräuchliche Verhalten ermöglicht worden sei. Gleiches gelte für die von der Beschwerdeführerin ausgeübte Beschäftigung. Zu berücksichtigen sei auch, dass sich die beiden leiblichen Kinder der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet befänden. Diesem Umstand käme jedoch angesichts der Tatsache, dass die Kinder dem geschiedenen Ehegatten der Beschwerdeführerin zugesprochen worden seien und bei diesem lebten, letztlich kein entscheidendes Gewicht zu. Dass den Kindern mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden sei, sei insofern irrelevant, als die Beschwerdeführerin, der kein Obsorgerecht zukomme, ohnehin nicht mit einem ständigen Verbleib der Kinder bei ihr rechnen könne. Den sohin insgesamt erheblich an Gewicht geminderten privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin stehe das hoch zu veranschlagende maßgebliche öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens gegenüber. Die Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG falle daher zu Lasten der Beschwerdeführerin aus.

Dem Berufungsvorbringen, die Beschwerdeführerin habe sich mehr als fünf Jahre wohl verhalten, sei zu entgegnen, dass nicht das Eingehen der Ehe an sich, sondern das Sich-darauf-berufen in den Anträgen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels das maßgebliche Fehlverhalten darstelle.

Da auch sonst keine besonderen, zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechenden Umstände gegeben gewesen seien, habe auch im Rahmen des Ermessens nicht von der Ausweisung Abstand genommen werden können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die der Sache nach inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid "zu beheben".

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Da über den - rechtzeitigen - Antrag der Beschwerdeführerin vom 29. August 1996 auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung nach Ausweis des Aktes bisher noch nicht endgültig entschieden worden ist und das diesbezügliche Verfahren gemäß § 112 iVm § 7 FrG nunmehr als Verfahren zur Erlassung einer weiteren Niederlassungsbewilligung zu führen ist, könnte die Beschwerdeführerin - wie es auch der übereinstimmenden Parteienauffassung entspricht - nur gemäß § 34 FrG ausgewiesen werden. Sachverhaltsbezogen kommt von dieser Bestimmung nur der von der belangten Behörde herangezogene Abs. 1 Z. 3 in Betracht. Danach können Fremde, die sich aufgrund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn der Aufenthaltstitel erteilt wurde, weil sich der Fremde auf eine Ehe berufen hat, obwohl er ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht geführt hat.

Die Beschwerdeführerin gesteht zu, dass sie die Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger nur eingegangen ist, um eine Aufenthaltsbewilligung und eine Arbeitserlaubnis zu erlangen, und die Aufenthaltsbewilligung erteilt und in der Folge verlängert wurde, weil sie sich auf diese Ehe berufen hat, obwohl sie mit ihrem Gatten nie ein gemeinsames Familienleben geführt hat. Aufgrund dieses somit unstrittigen Sachverhaltes kam die belangte Behörde zu Recht zu dem Ergebnis, dass der Tatbestand des § 34 Abs. 1 Z. 3 FrG erfüllt sei.

2.1. Aufgrund der Dauer des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet und ihrer im Inland ausgeübten Beschäftigung nahm die belangte Behörde - zu Recht - an, dass durch die Ausweisung in das Privatleben der Beschwerdeführerin eingegriffen werde. Darüber hinaus liegt aufgrund des inländischen Aufenthaltes der Kinder der Beschwerdeführerin - entgegen der von der belangten Behörde in der Gegenschrift vertretenen Auffassung - auch ein Eingriff in das Familienleben vor. Die Umstände, dass mit den Kindern keine Haushaltsgemeinschaft besteht und dem von der Beschwerdeführerin geschiedenen Vater die Obsorge allein zukommt, können daran nichts ändern, zumal nicht festgestellt wurde, dass die Beschwerdeführerin keinen Kontakt zu ihren Kindern unterhält. (Vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Februar 1999, Zlen. 99/18/0015 und 0033, wonach es für das Umfasstsein vom Schutzumfang des § 37 FrG nur beim Verhältnis zwischen anderen Verwandten als Eltern und Kindern auf die Haushaltsgemeinschaft ankommt.)

Die Beschwerdeführerin könnte daher gemäß § 37 nur ausgewiesen werden, wenn diese Maßnahme unter Bedachtnahme auf ihre persönliche Interessenlage zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten wäre (Abs. 1) und die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Ausweisung (Abs. 2).

2.2. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 18 Abs. 1 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 (im folgenden: FrG 1992), kann die rechtsmissbräuchliche Eingehung einer Ehe zwecks Beschaffung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung (konkret: das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen) gefährde. Um eine solche Prognose treffen zu können, ist nicht allein auf dieses Fehlverhalten des Fremden Bedacht zu nehmen, sondern - unter der Voraussetzung seitherigen Wohlverhaltens - auch auf den seit Verwirklichung dieses Fehlverhaltens verstrichenen Zeitraum. Je länger die Eheschließung zurückliegt, umso mehr Gewicht ist dem Wohlverhalten des Fremden seit diesem Zeitpunkt für die zu treffende Prognose zuzumessen. (Vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1997, Zl. 97/18/0097, mwN.)

In dem zitierten Erkenntnis und einer Reihe von Folgeerkenntnissen, in denen die rechtsmissbräuchliche Eingehung der Ehe fünf Jahre oder länger zurücklag, stellte der Gerichtshof klar, dass der besagte Missbrauch die Annahme, der weitere Aufenthalt des Fremden gefährde die öffentliche Ordnung, nicht mehr rechtfertige, und hob deshalb die jeweils angefochtenen Aufenthaltsverbots-Bescheide auf. In all diesen Fällen war den Beschwerdeführern außer der rechtsmissbräuchlichen Eingehung einer Ehe und der Berufung auf diese Ehe im Rahmen von Verfahren zur Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung kein fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten vorzuwerfen. Der Zeitraum von fünf Jahren wurde allerdings immer ab dem Zeitpunkt der Eheschließung - und nicht der letztmaligen Berufung auf die Ehe zum Zweck der Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung - berechnet. Dies findet seine Begründung darin, dass es sich beim Entschluss, sich durch die rechtsmissbräuchliche Eingehung der Ehe fremdenrechtliche Vorteile zu verschaffen und die dazu erforderlichen Ausführungshandlungen (Eheschließung und Berufung auf die Ehe im Rahmen von Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen) um ein einheitliches Fehlverhalten handelt und es nicht gerechtfertigt erscheint, bei jemanden, der über einen Zeitraum von zumindest fünf Jahren nur dieses eine Fehlverhalten gesetzt hat, anzunehmen, er werde in Hinkunft - auf andere Weise - öffentliche Interessen beeinträchtigen.

2.3. Die rechtsmissbräuchliche Eheschließung der Beschwerdeführerin liegt bereits mehr als fünf Jahre zurück - sie hat sich zum Zweck der Erlangung und der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung auf diese Ehe berufen, jedoch sonst kein fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten gesetzt.

Nach der oben (2.2.) wiedergegebenen Judikatur rechtfertigt dieses Verhalten nicht die Annahme, dass der weitere inländische Aufenthalt der Beschwerdeführerin die maßgeblichen öffentlichen Interessen gefährde. Ist aber eine Gefährdung öffentlicher Interessen durch den weiteren Aufenthalt der Beschwerdeführerin nicht anzunehmen, so kann auch - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - nicht davon gesprochen werden, dass die Ausweisung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei und die dargestellten privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet nicht schwerer wögen als die öffentlichen Interessen an der Ausweisung.

Daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass - anders als im FrG 1992, das die rechtsmissbräuchliche Eingehung einer Ehe nicht ausdrücklich erwähnte - die Erteilung des Aufenthaltstitels aufgrund der Berufung auf eine Ehe ohne gemeinsames Familienleben im FrG ausdrücklich als Grund für eine Ausweisung von Fremden mit Aufenthaltstitel (§ 34 Abs. 1 Z. 3) und die Berufung auf eine solche (unter Leistung eines Vermögensvorteils geschlossene Ehe) zur Erlangung eines Aufenthaltstitels oder eines Befreiungsscheines als Grund für die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes (§ 36 Abs. 2 Z. 9) normiert wurde, sind doch im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG dieselben öffentlichen Interessen maßgeblich, die auch für die Frage der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 18 Abs. 1 FrG 1992 (insoweit gleich lautend mit § 36 Abs. 1 FrG) heranzuziehen waren.

3. Die belangte Behörde hat die Rechtslage daher insoweit verkannt, als sie die Ansicht vertrat, die Ausweisung sei - unter Bedachtnahme auf die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet - allein aufgrund der bereits mehr als fünf Jahre zurückliegenden rechtsmissbräuchlichen Eingehung einer Ehe und der folgenden (mehrmaligen) Berufung auf diese Ehe zum Zweck der Erlangung von Aufenthaltsbewilligungen im Grund des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG zulässig. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das auf einem Additionsfehler beruhende Mehrbegehren war abzuweisen.

Wien, am 19. Oktober 1999

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