VwGH 99/08/0015

VwGH99/08/00151.6.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des E in R, vertreten durch Dr. Benno Wageneder und Dr. Claudia Schoßleitner, Rechtsanwälte in 4910 Ried/Innkreis, Adalbert-Stifter-Straße 16, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 16. Juni 1998, Zl. 4/1288/Nr. 0409/98-10, betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld ab 1. April 1998, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs10;
AlVG 1977 §12 Abs9;
AlVG 1977 §36a Abs5;
AlVG 1977 §36b Abs1;
AlVG 1977 §36b Abs2;
AlVG 1977 §7 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
VwRallg;
AlVG 1977 §12 Abs10;
AlVG 1977 §12 Abs9;
AlVG 1977 §36a Abs5;
AlVG 1977 §36b Abs1;
AlVG 1977 §36b Abs2;
AlVG 1977 §7 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 15.000,-- bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Der Beschwerdeführer beantragte am 1. April 1998 bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice die Gewährung von Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom 6. April 1998 hat die regionale Geschäftsstelle dem Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit § 12 AlVG mangels Arbeitslosigkeit keine Folge gegeben und dies (nach Zitierung von Teilen der §§ 7, 12 sowie 36a und 36b AlVG) damit begründet, dass der Beschwerdeführer "lt. dem zuletzt ergangenen Umsatzsteuerbescheid einen Umsatz erzielt, der Arbeitslosigkeit ausschließt". Nach der Aktenlage war dies der Umsatzsteuerbescheid vom 18. November 1997 über das Kalenderjahr 1996.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers nicht stattgegeben. Unter Bezugnahme auf den genannten Umsatzsteuerbescheid betreffend das Jahr 1996, wonach der Beschwerdeführer einen Umsatz von

S 618.626,02 erzielt habe, stellte die belangte Behörde fest, dass dies einen monatlichen Umsatz von S 51.552,16 ergebe, davon 11,1 % einen Betrag von S 5.722,28. Dieses "Einkommen" übersteige die in § 5 Abs. 2 lit. a bis c ASVG angeführten Beiträge von monatlich

S 3.830,-- im Jahr 1998, weshalb Arbeitslosigkeit nicht gegeben sei.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 30. November 1998, B 1395/98, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

In der vor dem Verwaltungsgerichtshof erstatteten Beschwerdeergänzung erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Arbeitslosengeld dadurch verletzt, dass die belangte Behörde nicht die Umsätze des Jahres 1998, sondern jene des Jahres 1996 für die Beurteilung der Arbeitslosigkeit herangezogen habe.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 AlVG (idF der Novelle BGBl. I Nr. 78/1997) hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (Z. 1), die Anwartschaft erfüllt (Z. 2) und die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat (Z. 3). Gemäß § 12 Abs. 1 gilt als arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat. Nach § 12 Abs. 3 gilt u.a. nicht als arbeitslos, wer in einem Dienstverhältnis steht (lit. a) oder - was für den vorliegenden Fall von Bedeutung ist - wer selbständig erwerbstätig ist (lit. b). Als Gegenausnahme hiezu normiert § 12 Abs. 6 AlVG idF BGBl. Nr. 297/1995 und BGBl. Nr. 201/1996, dass jedoch u.a. als arbeitslos gilt,

"a) wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge nicht übersteigt,

...

b) wer einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb besitzt, dessen nach den jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften festgestellter Einheitswert 54.000,-- Schilling nicht übersteigt;

c) wer auf andere Art selbständig erwerbstätig ist bzw. selbständig arbeitet und daraus ein Einkommen gemäß § 36a erzielt oder im Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. der selbständigen Arbeit einen Umsatz gemäß § 36b erzielt, wenn weder das Einkommen noch 11,1 vH des Umsatzes die im § 5 Abs. 2 lit. a bis c des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes angeführten Beträge übersteigt".

Der mit "Umsatz" überschriebene § 36b AlVG idF BGBl. Nr. 297/1995 lautet:

"§36b. (1) Der Umsatz im Sinne dieses Bundesgesetzes wird auf Grund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr vor dem Jahr, in dem eine Leistung nach diesem Bundesgesetz beantragt wird, festgestellt. Als monatlicher Umsatz gilt bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahresumsatzes, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit der anteilsmäßige Umsatz in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag.

(2) Liegt kein rechtskräftiger Umsatzsteuerbescheid vor, weil die selbständige Erwerbstätigkeit nicht umsatzsteuerpflichtig ist oder die Tätigkeit erst in dem Jahr, in dem eine Leistung nach diesem Bundesgesetz beantragt wird oder im Jahr davor begonnen wurde, so ist der Umsatz auf Grund einer Erklärung des selbständig Erwerbstätigen und geeigneter Nachweise festzustellen. Ist für das letzte Kalenderjahr noch kein Bescheid ergangen, so ist der zuletzt ergangene heranzuziehen."

(Durch Art. IV Z. 9 SRÄG 1996 wurde im ersten Satz des Abs. 2 des § 36b nach dem Wort "Umsatz" die Wortfolge "der jeweils letzten drei Monate" eingefügt. Abs. 1 sowie der letzte Satz des Abs. 2 des § 36b standen auch nach Wirksamwerden des SRÄG 1996 in jener Fassung in Geltung, die sie durch das Strukturanpassungsgesetz 1995 erhalten haben.)

§ 36c Abs. 1 verpflichtet Personen, deren Einkommen oder Umsatz zur Feststellung des Anspruches auf Leistungen nach dem AlVG heranzuziehen ist, die erforderlichen Erklärungen und Nachweise auf Verlangen der Behörde abzugeben bzw. vorzulegen. Im Zusammenhang damit bestimmt § 36c Abs. 6:

"(6) Wenn der Leistungsbezieher oder dessen Angehöriger (Lebensgefährte) keine Nachweise nach §36 a Abs. 5 und § 36b Abs. 2 vorliegt bzw. keine Erklärung nach § 36a Abs. 6 und § 36b Abs. 2 abgibt, so ist für den Leistungsbezieher kein geringfügiges Einkommen anzunehmen bzw. kein Anspruch des Leistungsbeziehers auf Familienzuschlag, auf Karenzurlaubsgeld und auf Notstandshilfe gegeben."

3.2. Vor dem Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 297/1995, und zwar seit der AlVG-Novelle, BGBl. Nr. 817/1993, galten Personen, die aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit einen Umsatz erzielten, von dem 11,1 % die durch das ASVG bestimmte Geringfügigkeitsgrenze nicht überstiegen, als arbeitslos (§ 12 Abs. 6 lit. c AlVG idF BGBl. Nr. 817/1993). Gemäß § 12 Abs. 9 AlVG (idF BGBl. Nr. 817/1993) wurde der Umsatz aufgrund des Umsatzsteuerbescheides für das Kalenderjahr, in dem das Arbeitslosengeld bezogen wurde, festgestellt. Der Leistungsbezieher war nach § 12 Abs. 10 AlVG verpflichtet, den Umsatz- bzw. Einkommensteuerbescheid für das Kalenderjahr, in dem das Arbeitslosengeld bezogen wurde, innerhalb bestimmter Frist nach dessen Erlassung der zuständigen Behörde vorzulegen. Bis zur Vorlage eines solchen Bescheides war die Frage der Arbeitslosigkeit bzw. der Einkommenshöhe insbesondere aufgrund einer eidesstattlichen Erklärung des Arbeitslosen über die Höhe seines Umsatzes bzw. seiner Einkünfte, einer allenfalls bereits erfolgten Einkommensteuererklärung bzw. eines Umsatz- bzw. Einkommensteuerbescheides aus einem früheren Jahr vorzunehmen. Des Weiteren hatte der Arbeitslose schriftlich seine Zustimmung zur Einholung von Auskünften beim Finanzamt zu erteilen.

3.3. Mit Erkenntnis vom 5. März 1998, G 284/97, hat der Verfassungsgerichtshof die Worte "über das zuletzt veranlagte Kalenderjahr" im ersten Halbsatz der Z. 1 des § 36a Abs. 5 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977, idF des Art. IV Z. 8 des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 411/1996, sowie § 36b Abs. 1 und den letzten Satz des § 36b Abs. 2 des AlVG, beide idF Art. XXII Z. 3 des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 297/1995, als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass § 12 Abs. 9 sowie der zweite Satz des § 12 Abs. 10 AlVG idF des Art. I Z. 6 und 7 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 817/1993 wieder in Wirksamkeit treten. Dies wurde im BGBl. I Nr. 56/1998 vom 7. April 1998 kundgemacht.

3.3.1. Der vorliegende Fall ist nicht Anlassfall des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes. Ansprüche auf Arbeitslosengeld bzw. auf Notstandshilfe sind aber - sofern der Gesetzgeber nichts anderes anordnet - zeitraumbezogen zu beurteilen (vgl. die Erkenntnisse vom 16. November 1993, 92/08/0187, vom 5. September 1998, 95/08/0106, sowie vom 19. Jänner 1999, Zl. 98/08/0310).

3.3.2. Die Erweiterung der Anlassfallwirkung durch den Verfassungsgerichtshof bewirkte jedoch, dass die bereinigte Rechtslage auch in jenen Fällen anzuwenden ist, in denen sie ohne die genannte Erweiterung ansonsten nicht anzuwenden wäre, d.h. jedenfalls in jenen Fällen, in denen der Bescheid nach der Kundmachung der Aufhebung am 7. April 1998 erlassen worden ist, und zwar nicht bloß zeitraumbezogen ab 8. April 1998, sondern für den gesamten Zeitraum, für den ansonsten die verfassungswidrige Bestimmung noch anzuwenden gewesen wäre.

Die belangte Behörde hatte daher aufgrund der genannten Erweiterung der Anlassfallwirkung durch den Verfassungsgerichtshof anstelle des § 36b Abs. 2 AlVG idF des Art. XXII Z. 3 des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 297/1995, die vom Verfassungsgerichtshof wieder hergestellte, im gegenständlichen Zusammenhang der Sache nach in Betracht kommende frühere Fassung des § 12 AlVG anzuwenden.

Es war daher der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 1. Juni 1999

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