VwGH 99/05/0240

VwGH99/05/024030.11.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde des Dipl.-Ing. Dr. Franz Kohl und der Maria Kohl in Brunn am Gebirge, beide vertreten durch Ploil, Krepp & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Stadiongasse 4, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 15. September 1999, Zl. RU1-V-99050/00, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Haus & Grund Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaft m.b.H. in Wien III, Dampfschiffstraße 6/6), zu Recht erkannt:

Normen

BauO NÖ 1976 §4 Abs1 Z6;
BauRallg;
BauO NÖ 1976 §4 Abs1 Z6;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde und der vorgelegten Ausfertigung des angefochtenen Bescheides im Zusammenhang mit der Verordnung betreffend die Bebauungsvorschriften der Marktgemeinde Brunn am Gebirge ergibt sich der nachstehende Sachverhalt:

Die mitbeteiligte Partei hat mit Eingabe vom 18. Juni 1996 die baubehördliche Bewilligung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses auf dem Grundstück Nr. 355/6, KG Brunn am Gebirge, beantragt. In der Bauverhandlung vom 17. Oktober 1996 hat der bautechnische Amtssachverständige im Ergebnis festgestellt, dass dem Bauvorhaben zwingende Bestimmungen der Niederösterreichischen Bauordnung entgegenstünden. Auf Grund der vorgelegten Planunterlagen sei auch eine ausreichende Beurteilung des Projektes nicht möglich. Die mitbeteiligte Partei hat hierauf das Bauvorhaben dahingehend abgeändert, dass an Stelle der ursprünglichen neun Wohneinheiten nunmehr elf Wohneinheiten und an Stelle der ursprünglichen zwölf PKW-Abstellplätze elf Abstellplätze errichtet werden sollen. Im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens wurden außer einem Ortsbildgutachten Gutachten eines bautechnischen und verkehrstechnischen Amtssachverständigen, eines Sachverständigen für Lärmschutz sowie eines medizinischen Amtssachverständigen eingeholt, die Anrainer äußerten sich dazu ablehnend. Nach Durchführung weiterer Bauverhandlungen am 21. November 1997 und 12. Dezember 1997 hat der Bürgermeister der Marktgemeinde Brunn am Gebirge mit Bescheid vom 10. August 1998 die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung von Nebenbestimmungen erteilt und die Niederschriften über die Bauverhandlungen und die geänderten Einreichunterlagen zum wesentlichen Bescheidbestandteil erklärt. Die Einwendungen der Beschwerdeführer und eines anderen Anrainers wurden abgewiesen. Den Gutachten sei zu entnehmen, dass bei Einhaltung der im Spruch vorgeschriebenen Auflagen und bei projekt- und plangemäßer Ausführung der in ihrer Letztfassung vorgelegten Einreichpläne die Bestimmungen der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 sowie die Bebauungsvorschriften der Marktgemeinde Brunn am Gebirge eingehalten würden. Ebensowenig stehe § 4 Abs. 1 der Bebauungsvorschriften der Baubewilligung entgegen, zumal diese Bestimmung zur Erhaltung des Ortsbildes diene. Abgesehen davon, dass der Nachbar eine Verletzung dieser Vorschriften im Baubewilligungsverfahren nicht mit Erfolg geltend machen könne, sei davon auszugehen, dass das abgeänderte Projekt als ortsbildverträglich beurteilt worden sei.

Den dagegen erhobenen Berufungen der Beschwerdeführer und eines weiteren Nachbarn hat der Gemeinderat der Marktgemeinde Brunn am Gebirge mit Bescheid vom 2. Februar 1999 Folge gegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Rechtsanschauung der Baubehörde erster Instanz, bei § 4 Abs. 1 der Bebauungsvorschriften, wonach die Bebauung von Grundstücken in Wohnsiedlungsgebieten so zu erfolgen habe, dass die Charakteristik des Ein- und Zweifamilienhauses erhalten bleiben müsse, handle es sich um eine reine Ortsbildvorschrift, sei nicht aufrechtzuerhalten. Es handle sich vielmehr um eine Vorkehrung, großvolumigen Wohnbau bzw. Wohnhausanlagen in Wohnsiedlungsgebieten zu verhindern. Dieses Instrumentarium stelle daher auch ein subjektiv-öffentliches Recht im Sinne des § 118 Abs. 9 Nö. BauO 1976 dar. Der Verordnungswortlaut sei so zu verstehen, dass der Verordnungsgeber im Wesentlichen eine Gestaltungsfreiheit im Rahmen des Ein- und Zweifamilienhausbaues ermöglichen wollte. Wenn jedoch die technischen Grenzen, also Bebauungsdichte und Gebäudehöhe, zur Gänze ausgeschöpft seien und gleichzeitig eine Vielzahl von Wohneinheiten errichtet werden solle, so sei davon auszugehen, dass ein derartiges Gebäude nichts mehr mit einem Ein- bzw. Zweifamilienwohnhaus zu tun habe.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung der mitbeteiligten Bauwerberin hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 15. September 1999 Folge gegeben. Nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass jedenfalls nicht alle Bestimmungen des Bebauungsplanes für die Bebauung der Liegenschaft zu jenen zählen, die dem Schutz der Nachbarn dienten. Zutreffend habe die Bauwerberin darauf hingewiesen, dass mit der Charakteristik eines Ein- und Zweifamilienhauses im Sinne der Bebauungsbestimmungen der Marktgemeinde Brunn am Gebirge wohl nur dessen äußere Ausgestaltung und nicht dessen "innere" Nutzung gemeint sein könne. Aus der Sicht des Anrainers könne es wohl keinen Unterschied machen, ob ein Gebäude als Zweifamilienhaus oder aber, wie im gegenständlichen Fall, als Mehrfamilienwohnhaus genutzt werde, es komme dem Nachbarn daher im Hinblick auf die Anzahl der Wohnungen kein Mitspracherecht zu, zumal dadurch das räumliche Naheverhältnis nicht berührt werde. Die Rechtsansicht, dass nach den Bebauungsvorschriften Mehrfamilienhäuser hintangehalten werden sollen, finde nach Ansicht der Aufsichtsbehörde in den Bebauungsbestimmungen keine Deckung. Es sei daher auch nicht nachvollziehbar, weshalb den Anrainern in diesem Umfang ein subjektiv-öffentliches Recht zukommen solle, dies umso mehr, als der Bescheid des Gemeinderates auch keine nachvollziehbaren Ausführungen darüber enthalte. Zutreffend habe bereits die Baubehörde erster Instanz die Bestimmung des § 4 Abs. 1 der Bebauungsvorschriften als Ortsbildvorschrift qualifiziert und, ausgehend von den gutächtlichen Ausführungen eines Sachverständigen, wonach das Objekt auf das Ortsbild keine störende Wirkung entfalte, darauf hingewiesen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Vorschriften über den Schutz des Ortsbildes nicht zu jenen zählten, die außer dem öffentlichen Interesse auch dem Schutz der Nachbarn dienten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

§ 4 der Bebauungsvorschrift der Marktgemeinde Brunn am Gebirge hat folgenden Wortlaut:

"§ 4

Bauplatzausnutzung

(1) Die Bebauung von Grundstücken in Wohnsiedlungsgebieten hat so zu erfolgen, dass die Charakteristika des Ein- und Zweifamilienhausbaues erhalten bleiben. Als Wohnsiedlungsgebiete gelten Wohngebiete, die vornehmlich mit Ein- und Zweifamilienhäusern bebaut sind.

(2) Die bebaute Fläche des Hauptgebäudes darf 70 m2 nicht unterschreiten. Bei Errichtung von Wohngebäuden in verdichteter Flachbauweise darf die bebaute Fläche des Hauptgebäudes 50 m2 nicht unterschreiten.

(3) In der offenen und gekuppelten Bebauungsweise ab der Bauklasse II sind die Gebäude ab 15 m Gebäudetiefe dergestalt zu gliedern, dass ein Zurück- oder Vorspringen um mindestens 3 m erreicht wird."

Da die Nachbarn im Baubewilligungsverfahren nach der Niederösterreichischen Bauordnung nur eine beschränkte Parteistellung besitzen und die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde im Falle einer beschränkten Parteistellung, wie sie für den Nachbarn im Baubewilligungsverfahren typisch ist, auf jenen Themenkreis eingeschränkt ist, in dem diese Partei mitzuwirken berechtigt ist, ist entscheidungswesentlich, ob durch die zitierte Bestimmung des § 4 Abs. 1 der Bebauungsvorschriften subjektiv-öffentliche Rechte der Nachbarn eingeräumt werden.

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine baurechtliche Bestimmung nur dem öffentlichen Interesse oder auch dem Interesse der Nachbarschaft dient, ist es notwendig, sich den Sinn der Bestimmung vor Augen zu halten.

§ 4 der Verordnung zum Bebauungsplan ist mit "Bauplatzausnutzung" überschrieben. Die Bestimmung enthält 3 Absätze, wovon der dritte eindeutig der Ortsbildgestaltung zuzuordnen ist, weil er die optische Gliederung von Gebäuden ab der Bauklasse II zum Inhalt hat. Absatz 2 regelt die Bauplatzausnutzung, trifft jedoch diesbezüglich nur eine Festsetzung jener Flächen, die bei der Bebauung nicht unterschritten werden dürfen. Schon aus der Gegenüberstellung der Absätze 2 und 3 des § 4 der Verordnung zum Bebauungsplan geht hervor, dass die zu diesem Paragraphen gewählte Überschrift nicht den Schluss zulässt, dass mit den folgenden Bestimmungen Anrainerrechte begründet werden sollten, weil einerseits nur eine untere Grenze der bebaubaren Fläche festgelegt wurde und andererseits eine Vorschrift zum Schutz des Ortsbildes erlassen wurde. Absatz 1 dieser Bestimmung ist auf Grund der Wortwahl, "dass die Charakteristika des Ein- und Zweifamilienhausbaues erhalten bleiben", so auszulegen, dass auch mit diesem Absatz nur eine Bestimmung hinsichtlich des Ortsbildes erlassen werden sollte, anderenfalls hätte der Gemeinderat beschließen müssen, dass auf Grundstücken in Wohnsiedlungsgebieten nur Ein- und Zweifamilienhäuser errichtet werden dürfen. Mit der Verwendung des Wortes "Charakteristika" ist festgelegt, dass der optische Eindruck des Ein- und Zweifamilienhausbaues erhalten bleiben soll.

In der Beschwerde wird ausgeführt, die Berufungsbehörde habe ihren Bescheid damit begründet, dass § 4 Abs. 1 der Bebauungsvorschriften nicht bloß dem Ortsbildschutz diene, sondern, weil diese Bestimmung auf § 4 Abs. 1 Z. 6 der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 basiere, auch subjektiv-öffentliche Anrainerrechte begründe.

Gemäß § 4 Abs. 1 Z. 6 der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 ist im Bebauungsplan für das Bauland die Gliederung und äußere Gestaltung der Bauwerke festzulegen. Auch die Bezugnahme auf diese Gesetzesstelle lässt erkennen, dass mit § 4 Abs. 1 der Bebauungsvorschriften nur eine Regelung im Hinblick auf den Ortsbildschutz getroffen werden sollte, anders ist die Bezugnahme auf § 4 Abs. 1 Z. 6 Nö. BO 1976 nicht zu erklären. Hinsichtlich des Orts- und Landschaftsschutzes kommen aber Anrainern auch nach der Niederösterreichischen Bauordnung 1976 keine subjektiv-öffentlichen Rechte zu (vgl. die bei Hauer/Zaussinger, Nö. BO, 4. Aufl., auf S. 458, E 53, wiedergegebenen Nachweise aus der hg. Judikatur).

Zutreffend führen die Beschwerdeführer aus, dass die Bestimmungen über die Ausnutzbarkeit der Bauplätze subjektiv-öffentliche Nachbarrechte begründen. Im Beschwerdefall legt der Bebauungsplan hinsichtlich des zu bebauenden Grundstückes eine vordere und eine hintere Baufluchtlinie und die Bauklasse fest; dass diese Vorgaben durch das eingereichte Projekt nicht eingehalten würden, bringen auch die Beschwerdeführer nicht vor. Sind, wie im Beschwerdefall, im Bebauungsplan die Bauklasse und Baufluchtlinien festgelegt, so kann eine auf § 4 Abs. 1 Z. 6 Nö. BO 1976 gestützte Bestimmung, wonach die Bebauung von Grundstücken so zu erfolgen hat, dass die Charakteristika des Ein- und Zweifamilienhausbaues erhalten bleiben, auch nicht so ausgelegt werden, dass damit eine weitere Beschränkung der Ausnutzbarkeit des Bauplatzes erfolgen sollte. Durch das Wort "vornehmlich" im 2. Satz dieser Bestimmung werden nämlich Mehrfamilienhäuser grundsätzlich - wenn auch in geringerer Zahl als Ein- und Zweifamilienhäuser - erlaubt. Da den Beschwerdeführern somit bei der Frage der Einhaltung des § 4 Abs. 1 1. Satz der Bebauungsvorschriften keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte zukommen, geht auch die Verfahrensrüge betreffend die behauptete Mangelhaftigkeit des Ortsbildgutachtens ins Leere, da die Verfahrensrechte einer Partei nicht weiter reichen als ihre materiellen Rechte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. November 1974, Slg. Nr. 8713/A, sowie vom 8. November 1976, Slg. Nr. 9170/A, u.v.a).

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.

Wien, am 30. November 1999

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