VwGH 99/05/0151

VwGH99/05/01519.11.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Stadtgemeinde Leonding, vertreten durch Dr. Friedrich und Mag. Dr. Wolfgang Fromherz und Mag. Dr. Bernhard Glawitsch, Rechtsanwälte in Linz, Graben 9, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 11. Mai 1999, Zl. BauR-012356/1-1999-Gr/Pa, betreffend Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Ing. Johann Hackl in Leonding, vertreten durch Dr. Johannes Hintermayr, Dr. Michael Krüger, Dr. Franz Haunschmidt, Dr. Georg Minichmayr, Rechtsanwälte in Linz, Marienstraße 4), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
BauO OÖ 1994 §36 Abs1;
BauRallg;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §60;
AVG §66 Abs4;
BauO OÖ 1994 §36 Abs1;
BauRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Beschwerdeführerin vom 2. September 1998 wurde der Antrag des Mitbeteiligten um Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung einer Hofüberdachung (Lagerraum) und eines Flugdaches auf dem Grundstück Nr. 66, KG Rufling, gemäß § 30 Abs. 6 O.ö. Bauordnung 1994 abgewiesen, weil die beantragten Baumaßnahmen dem rechtswirksamen Bebauungsplan Nr. 46 "Rufling-Nord" in der geltenden Fassung widersprächen. Teile der geplanten Hofüberdachung lägen außerhalb der bebaubaren Fläche. Das Flugdach befinde sich nicht innerhalb der bebaubaren Fläche.

In der dagegen erhobenen Berufung beantragte der Mitbeteiligte u. a., "allfällige geringfügige Abweichungen des Bauvorhabens vom Bebauungsplan gemäß § 36 O.ö. BauO zu bewilligen".

Mit Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 25. Februar 1999 wurde unter Spruchpunkt 1. der Berufung des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Leonding vom 2. September 1998 keine Folge gegeben und unter Spruchpunkt 2. "dem Antrag auf Bewilligung von geringfügigen Abweichungen vom Bebauungsplan gemäß § 36 O.ö. Bauordnung 1994 keine Folge gegeben". Bezüglich des für das Beschwerdeverfahren allein entscheidungserheblichen Spruchpunktes 2. führte die Berufungsbehörde u.a. aus, dass die Abweichungen vom Bebauungsplan nicht als geringfügig qualifiziert werden könnten. Die Abweichungen von der Baufluchtlinie überstiegen mehr als 50 cm. Eine Genehmigung der Abweichungen im Sinne des § 36 O.ö. Bauordnung 1994 komme somit nicht in Betracht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der

O.ö. Landesregierung vom 11. Mai 1999 wurde unter Spruchpunkt I. der Vorstellung des Mitbeteiligten teilweise Folge gegeben und der Berufungsbescheid mit der Feststellung, dass dadurch Rechte des Vorstellungswerbers verletzt würden, "insofern aufgehoben, als im Spruchteil 2. dem Antrag auf Bewilligung von geringfügigen Abweichungen vom Bebauungsplan gemäß § 36 O.ö. BauO 1994 keine Folge gegeben" worden sei. Im Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde im Übrigen der Vorstellung keine Folge gegeben und festgestellt, dass der Mitbeteiligte insofern durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten nicht verletzt wird. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, dass für den Abspruch des Antrages auf geringfügige Abweichungen vom Bebauungsplan nach § 36 O.ö. Bauordnung 1994 die Baubehörde zweiter Instanz unzuständig gewesen sei. Die Berufungsbehörde dürfe nicht über anderes entscheiden, als Gegenstand der Entscheidung der Vorinstanz gewesen sei. Dadurch, dass die Berufungsbehörde über den gleichzeitig mit der Berufung gestellten Antrag auf Bewilligung von geringfügigen Abweichungen vom Bebauungsplan ohne vorherige Befassung der Baubehörde erster Instanz in der Sache entschieden habe, habe sie die ihr gemäß § 66 Abs. 4 AVG zukommende Sachentscheidungsbefugnis überschritten und eine Kompetenz in Anspruch genommen, die eigentlich der Baubehörde erster Instanz zukomme.

Ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des Vorstellungsbescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem subjektiven Recht auf Selbstverwaltung verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 36 Abs. 1 O.ö. Bauordnung 1994 kann die Baubehörde über Antrag des Bauwerbers im Rahmen der Baubewilligung für das einzelne Bauvorhaben geringfügige Abweichungen von den Bestimmungen des Bebauungsplanes gemäß § 32 Abs. 1 Z. 3 und 4 sowie Abs. 2 Z. 2 bis 13 O.ö. Raumordnungsgesetz 1994 bewilligen, wenn

1. diese Änderung öffentlichen Interessen, die nach dem O.ö. Raumordnungsgesetz 1994 bei der Erlassung von Bebauungsplänen zu berücksichtigen sind, und den Planungszielen der Gemeinde nicht widerspricht und

2. von diesem Landesgesetz geschützte Interessen Dritter nicht verletzt werden.

Die Möglichkeit, geringfügige Abweichungen vom Bebauungsplan über Antrag des Bauwerbers zu bewilligen, wurde mit der Einführung der O.ö. Bauordnung 1994 neu geschaffen. Solche Abweichungen sind nur unter den im § 36 leg. cit. näher umschriebenen Voraussetzungen zu bewilligen. Eine Bewilligung geringfügiger Abweichungen vom Bebauungsplan ist aber nur im Rahmen einer Baubewilligung für ein bestimmtes Bauvorhaben möglich. Die Baubewilligung wiederum ist ein antragsbedürftiger Verwaltungsakt, der nur dann rechtmäßig ist, wenn ein auf seine Erlassung gerichteter, von einer hiezu legitimierten Partei gestellter Antrag vorliegt. Ein Baubewilligungsverfahren ist ein Projektsgenehmigungsverfahren. Der in den Einreichplänen und in der Baubeschreibung zum Ausdruck gebrachte Bauwille des Bauwerbers ist entscheidend (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 17. November 1981, Slg. Nr. 10.592/A, u.v.a.). Der Bauwerber ist also Herr des Baubewilligungsverfahrens, das gegen seinen Willen nicht durchgeführt werden kann und in dem die Baubehörde aufgrund des vom Antragsteller erarbeiteten Projektes die Frage der Bewilligungsfähigkeit zu beurteilen hat (vgl. hiezu Hauer, Der Nachbar im Baurecht, 5. Auflage, Seite 64 ff, und die dort referierte hg. Rechtsprechung). Der Baubewilligungsantrag, der aufgrund der vorgelegten Projektsunterlagen den zu bewilligenden Gegenstand umschreibt und den Bauwillen des Antragstellers zum Ausdruck bringt, beinhaltet somit auch den im § 36 Abs. 1 O.ö. Bauordnung 1994 für die Bewilligungsfähigkeit eines Vorhabens erforderlichen Antrag auf Bewilligung der für das Bauvorhaben erforderlichen geringfügigen Abweichungen vom Bebauungsplan. Die dem Baubewilligungsantrag zugrunde liegende Absicht des Bauwerbers ist nämlich, die beantragte Bewilligung zu erlangen. Widerspricht daher ein zur Bewilligung eingereichtes Bauvorhaben dem Bebauungsplan, hat die Baubehörde davon auszugehen, dass der Bewilligungsantrag auch den Antrag des Bauwerbers auf Bewilligung geringfügiger Abweichungen gemäß § 36 O.ö. Bauordnung 1994 umfasst und somit die Voraussetzungen nach dieser Gesetzesstelle zu prüfen.

Angewendet auf den Beschwerdefall bedeutet dies, dass bereits das Baubewilligungsansuchen des Mitbeteiligten vom 1. Juli 1997 den Antrag gemäß § 36 O.ö. Bauordnung 1994 auf geringfügige Abweichungen vom Bebauungsplan mitumfasst hat und die Baubehörde erster Instanz verpflichtet war, bei Überprüfung des Baubewilligungsansuchens die Voraussetzungen des § 36 O.ö. Bauordnung 1994 mitzubedenken. Der Antrag des Mitbeteiligten in seiner Berufung gegen den Bescheid der Baubehörde erster Instanz vom 2. September 1998, mit welchem das Ansuchen des Beschwerdeführers vom 1. Juli 1997 abgewiesen worden ist, "allfällige geringfügige Abweichungen des Bauvorhabens vom Bebauungsplan gemäß § 36 O.ö. Bauordnung zu bewilligen", stellt sich somit inhaltlich als Vorwurf an die Baubehörde erster Instanz dar, diese Behörde hätte ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes deshalb belastet, weil sie die Zulässigkeit der geringfügigen Abweichungen vom Bebauungsplan gemäß § 36 O.ö. Bauordnung 1994 nicht geprüft habe und deshalb unzutreffend zur Abweisung des Bauansuchens gelangt wäre.

Die Berufungsbehörde ist gemäß § 66 Abs. 4 AVG berechtigt und verpflichtet, in der Sache selbst zu entscheiden; das bedeutet, dass sie sich mit der vorliegenden Verwaltungssache grundsätzlich in gleicher Weise wie die Behörde erster Instanz zu befassen hat. Sache des erstinstanzlichen Verfahrens war im Beschwerdefall das vom Beschwerdeführer zur Bewilligung eingereichte Bauvorhaben (vgl. hiezu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Seite 1270 f, wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Es ist daher jedenfalls zulässig, dass die Berufungsbehörde im Rahmen ihrer Abänderungsbefugnis des erstinstanzlichen Bescheides im Falle der Erteilung der beantragten Baubewilligung eines Bauvorhabens bei Zutreffen der Voraussetzungen des § 36 O.ö. Bauordnung 1994 (erstmals) auch über die Zulässigkeit näher zu konkretisierender geringfügiger Abweichungen vom Bebauungsplan abspricht, weil - wie oben näher ausgeführt - der Antrag um Erteilung der Baubewilligung für ein bestimmtes Bauvorhaben auch den allenfalls erforderlichen Antrag auf Bewilligung der geringfügigen Abweichungen vom Bebauungsplan nach § 36 O.ö. Bauordnung 1994 umfasst. Die gegenteilige, als tragender Aufhebungsgrund im angefochtenen Bescheid vertretene Rechtsansicht der belangten Behörde wird ausdrücklich verworfen.

Der Berufungsbescheid leidet daher in seinem Spruchpunkt 2. aus folgenden Gründen an einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes:

Geringfügige Abweichungen vom Bebauungsplan nach § 36 O.ö. Bauordnung 1994 dürfen gemäß Abs. 1 dieser Gesetzesstelle von der Baubehörde nur "im Rahmen der Baubewilligung für das einzelne Bauvorhaben" bewilligt werden. Ein solcher Ausspruch setzt daher die Erteilung der Baubewilligung für das jeweils zu beurteilende Bauvorhaben voraus. Ein Abspruch über geringfügige Abweichungen vom Bebauungsplan, losgelöst von einem bestimmten Bauvorhaben ist nicht vorgesehen und daher auch nicht erforderlich. Mit der Abweisung des Baubewilligungsansuchens ist auch über den Antrag nach § 36 O.ö. Bauordnung 1994 entschieden. Dieses Ergebnis ändert aber nichts daran, dass die Baubehörde in ihrem Bescheid, mit welchem sie die beantragte Baubewilligung versagt, ihrer im § 60 AVG verankerten Begründungspflicht auch hinsichtlich der Annahme, dass die Voraussetzungen des § 36 O.ö. Bauordnung 1994 für das jeweilige Bauvorhaben nicht vorliegen, nachzukommen hat.

Aus diesen Gründen war daher der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 9. November 1999

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