VwGH 98/13/0101

VwGH98/13/010120.7.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Repa, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Schönherr Barfuss Torggler & Partner, Rechtsanwälte in 1014 Wien, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 24. Februar 1998, GZ RV/026 - 07/07/98, betreffend Nachsicht der Einhebung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum 1. Dezember 1992 bis 30. Juni 1995, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §2 lita;
BAO §236;
FamLAG 1967 §26;
VwRallg;
BAO §2 lita;
BAO §236;
FamLAG 1967 §26;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer bezog für seine Stieftochter vom 1. August 1992 bis zum 30. Juni 1995 Familienbeihilfe. Die Stieftochter, die tschechischer Abstammung ist, lebte bis zum November 1992 im Haushalt des Beschwerdeführers, danach besuchte sie eine Schule in Tschechien. Der Beschwerdeführer zeigte die Tatsache, dass seine Stieftochter sich vorübergehend zu Ausbildungszwecken in Tschechien aufhielte, dem Finanzamt an.

Dieses stellte mit Dezember 1992 die Familienbeihilfezahlungen ein.

Auf Anfrage des Beschwerdeführers teilte das Bundesministerium

für Umwelt, Jugend und Familie mit Schreiben vom 8. April 1993 mit:

"Nach dem für den Anspruch auf die Familienbeihilfe

maßgeblichen Familienlastenausgleichsgesetz 1967 ist ein Familienbeihilfenanspruch für ständig im Ausland lebende Kinder ausgeschlossen, es sei denn, zwischenstaatliche Abkommen sehen etwas anderes vor. Mit Tschechien gibt es derzeit kein derartiges Abkommen.

Eine Weitergewährung der Familienbeihilfe für ihre Stieftochter für die Zeiten ihres Aufenthaltes in Tschechien wird daher nur dann möglich sein, wenn das Kind nur vorübergehend dort lebt. Dies könnte dann der Fall sein, wenn sie sich lediglich für Zwecke der Ausbildung in Tschechien aufhält und dann in absehbarer Zeit endgültig zu Ihnen und ihrer Gattin nach Österreich zurückkehren wird. ...

Sollten Sie der Meinung sein, dass in Österreich doch noch ein Anspruch gegeben ist, setzen Sie sich bitte mit ihrem österreichischen Wohnsitzfinanzamt in Verbindung, das unter einem in Kenntnis gesetzt wird und die Angelegenheit prüfen wird."

Infolge dieses Schreibens stellte der Beschwerdeführer im Frühjahr 1993 einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages für die Stieftochter, dem das Finanzamt mit "Mitteilung" vom 22. September 1993 für den Zeitraum "Jänner 1993 bis Juni 1994" stattgab. Mit "Mitteilung" vom 29. August 1994 gewährte das Finanzamt die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum "Jänner 1993 bis Juni 1995".

Mit Bescheid vom 11. April 1996 wurde der Beschwerdeführer vom Finanzamt zur Rückzahlung der "zu Unrecht bezogenen Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages für den Zeitraum vom 1. Dezember 1992 bis 30. Juni 1995", insgesamt S 61.800,-- samt Zinsen aufgefordert. Eine Berufung gegen diesen Bescheid wurde mit einem Bescheid der belangten Behörde vom 30. Juni 1997, RV/0001-08/09/97, abgewiesen.

Am 5. August 1997 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Nachsicht der Abgabenschuld. Diesen begründete er damit, dass die "familiäre Finanzsituation" durch erhöhte Reisekosten zu der in Tschechien aufhältigen Tochter, durch Aufwendungen für die Lebenshaltung der Tochter selbst, einen laufenden Kredit für die Wohnungssanierung sowie die Arbeitslosigkeit seiner Frau "auf das Äußerste" angespannt sei. Das monatliche Einkommen des Beschwerdeführers wurde mit S 17.461,--, das Arbeitslosengeld der Ehefrau mit S 7.530,-- angegeben. Die Ausgaben wurden folgendermaßen dargestellt:

Wohnungsmiete: S 3.400,--

Garagenmiete: S 1.500,--

Gas/Strom/Telefon: S 1.500,--

Kreditraten: S 3.500,--

Rückzahlung

Girokonto: S 1.000,--

Haushaltskosten: S 8.000,--

Stieftochter: S 4.000,--

Reisekosten monatlich: S 2.000,--

---------------------------------------

Insgesamt (monatlich) S 23.900,--

Mit Bescheid vom 5. August 1997 wies das Finanzamt den Antrag mit der Begründung ab, dass der Unterhalt für die Tochter teilweise vom leiblichen Vater bezahlt werde. Außerdem bestünde ein Anspruch auf Familienbeihilfe in Tschechien, sodass in der Rückzahlung der zu Unrecht bezogenen österreichischen Familienbeihilfe keine Unbilligkeit gesehen werden könne.

In der dagegen fristgerecht am 6. Oktober 1997 erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, er habe den Aufenthalt seiner Stieftochter in Tschechien sofort beim Finanzamt gemeldet und auch Erkundigungen über den Weiterbezug von Familienbeihilfe beim BMUJF eingeholt. Bei Zuerkennung der Familienbeihilfe durch das Finanzamt sei er davon ausgegangen, dass ihm die Unterstützung trotz des Auslandsaufenthaltes der Stieftochter zustünde, da geplant gewesen sei, die Tochter nur vorübergehend die Schule in Tschechien besuchen zu lassen. Auch wenn nunmehr (ex post) feststünde, dass die Beihilfe mangels Rückkehr der Stieftochter nie zustand, so hätte ihn die Auskunft des Ministeriums (ex ante) von der Rechtmäßigkeit des Bezugs überzeugt. Die Einhebung des Rückforderungsanspruches würde deshalb gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen und somit "sachlich" unbillig sein.

Die Einhebung sei weiters auch "persönlich" unbillig, da richtigerweise kein Anspruch auf Familienbeihilfe in Tschechien bestünde. Auch wäre der leibliche Vater nur zur Zahlung von umgerechnet S 250,-- an Unterhalt verpflichtet. Dieser Betrag könne jedoch den monatlich auflaufenden Unterhaltsbedarf der Stieftochter nicht decken. Schließlich könne seine Ehefrau mit der Bezahlung des Arbeitslosengeldes nur mehr bis August 1997 rechnen, sodass das Familieneinkommen in Zukunft geringer ausfallen würde. Auch müsse der Beschwerdeführer für die Begräbniskosten seines Stiefvaters aufkommen. Die zu Unrecht bezogenen Familienbeihilfe- und Kinderabsetzbeträge seien vollständig für den Unterhalt der Stieftochter verwendet worden. Bei Einhebung des Rückforderungsanspruches wäre der Beschwerdeführer gezwungen, auf die "zahlreichen Fahrten" von und nach Tschechien zu verzichten, was "nicht absehbare Folgen" für die Mutter/Kind-Beziehung habe. Darüber hinaus wäre der Beschwerdeführer nicht mehr in der Lage, die notwendigen Unterhaltsaufwendungen für die Stieftochter, die Ehefrau und sich selbst zu bestreiten.

Mit Schreiben vom 3. Dezember 1997 forderte die Abgabenbehörde erster Instanz den Beschwerdeführer auf, Unterlagen der Tschechischen Republik zum Nachweis darüber beizubringen, dass weder die Kindesmutter noch die Großeltern in den Jahren 1992 - 1995 eine der österreichischen Familienbeihilfe analoge Beihilfe erhalten hätten.

Am 29. Jänner 1998 legte der Beschwerdeführer die gewünschten Urkunden vor. Darunter waren Auszüge aus tschechischen Gesetzen zum Nachweis dafür, dass in der tschechischen Republik die Auszahlung von Kinderbeihilfe die Ausübung einer Arbeitstätigkeit im Inland, sowie die "Obsorge" über das Kind voraussetze. Die Ehefrau des Beschwerdeführers gab eine eidesstattliche Erklärung ab, dass weder sie, noch die Großeltern im relevanten Zeitraum Familienbeihilfe von der Tschechischen Republik erhalten hätten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sachliche Unbilligkeit liege deshalb nicht vor, weil das BMUJF nicht erklärt habe, dem Beschwerdeführer stünde die Familienbeihilfe von Rechts wegen zu. Bereits aus der Formulierung des Schreibens ergebe sich eindeutig, dass das BMUJF nicht den konkreten Fall des Beschwerdeführers vor Augen gehabt habe. Von einer rechtlich verbindlichen Auskunft könne nicht gesprochen werden, da das Schreiben in der Möglichkeitsform abgefasst sei und der Beschwerdeführer auf das Finanzamt verwiesen worden sei.

Auch könne in der Einhebung keine "persönliche" Unbilligkeit gesehen werden, da die Abstattung der Familienbeihilfe dem Beschwerdeführer in entsprechenden Raten zumutbar sei. In seiner Eingabe vom 6. Oktober 1997 habe der Beschwerdeführer nämlich eingeräumt, dass er den Rückforderungsbetrag in Raten entrichten könne.

Selbst wenn man dennoch das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit bejahen würde, wäre im Rahmen der Ermessensentscheidung zu bedenken gewesen, dass der Beschwerdeführer neben dem gegenständlichen Betrag in Höhe von S 65.499,-- noch weitere nicht unerhebliche Verbindlichkeiten (Überziehung des Girokontos und sonstiger Kredit) bei diversen Banken habe. Diese beliefen sich per 11. September 1997 auf ca. S 173.000,--. Die Gewährung einer Nachsicht würde sich ausschließlich zugunsten dieser anderen Gläubiger und nur zu Lasten der Finanzverwaltung auswirken.

Am 2. April 1998 stellte der Beschwerdeführer ein Ansuchen auf Zahlungserleichterung. Er könne maximal S 1.000,-- pro Monat abzahlen, allenfalls S 3.000,-- in jenen Monaten, in denen er einen doppelten Lohn erhalte. Die belangte Behörde gab diesem Antrag mit Bescheid vom 21. April 1998 dahingehend statt, dass die Rückzahlung der Familienbeihilfe über den Zeitraum eines Jahres gestundet und mit sieben Raten (die erste fällig am 25. Mai 1998) zu S 1.000,--, einer Rate zu S 2.000,--, zwei Raten zu S 3.000,-- und einer Rate zu S 52.751,-- festgesetzt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht zunächst eine Verletzung von Treu und Glauben als eine im Sinne des § 236 BAO zu beurteilende sachliche Unbilligkeit der Einhebung der in Rede stehenden Rückforderungsansprüche an Familienbeihilfe geltend. Hiezu verwies der Beschwerdeführer auf die ihm vom Bundesministerium für Umwelt, Jugend und Familie erteilte Auskunft 8. April 1993. Dem Beschwerdeführer ist dabei zwar einzuräumen, dass eine Verletzung des - im Gesetz nicht vorgesehenen, dennoch aber als ein allgemeines Rechtsprinzip respektierten - Grundsatzes von Treu und Glauben an sich geeignet ist, eine Unbilligkeit der Einhebung von Ansprüchen des Abgabengläubigers nach sich zu ziehen. Dem genannten Schreiben vom 8. April 1993 kann jedoch keineswegs eine endgültige Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes - die Anfrage des Beschwerdeführers befindet sich nicht bei den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten - entnommen werden. Vielmehr wird darin zunächst der allgemeine Grundsatz aufgestellt, dass für ständig im Ausland lebende Kinder ein Beihilfenanspruch ausgeschlossen ist. Sodann wird darauf hingewiesen, dass eine Weitergewährung der Familienbeihilfe für die Stieftochter des Beschwerdeführers für die Zeiten ihres Aufenthaltes in Tschechien "nur dann möglich" sei, wenn das Kind nur vorübergehend dort lebt. Weiters wurde ausgeführt, es dürfe kein tschechischer Familienbeihilfenanspruch des Kindes bestehen. Daraus folgt aber, dass das bezeichnete Bundesministerium in seinem Schreiben eine endgültige rechtliche Beurteilung eines bestimmten, bereits verwirklichten Sachverhaltes nicht vorgenommen hat. Das Schreiben enthält vielmehr nur eine Darlegung der Voraussetzungen für einen Familienbeihilfenanspruch unter bestimmten Rahmenbedingungen. Hat sich in der Folge ein solcher Sachverhalt, der den Tatbestand eines derartigen Anspruches erfüllt, aber nicht ereignet, so kann in der Geltendmachung des Rückforderungsanspruches eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht gelegen sein.

Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang rügt, die belangte Behörde sei zu der - unrichtigen - Feststellung gelangt, er habe sich nach der Auskunft des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie nicht mit dem Finanzamt in Verbindung gesetzt, so ist ihm zu erwidern, dass im angefochtenen Bescheid eine solche Feststellung nicht enthalten ist. Welche Angaben der Beschwerdeführer in seinen diesbezüglichen Anträgen gegenüber dem Finanzamt gemacht hat, ist dabei für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich, da es die belangte Behörde unterlassen hat, die entsprechenden Akten vorzulegen. Im Hinblick auf die unten dargestellten Begründungsmängel des angefochtenen Bescheides konnte dieser Umstand auf sich beruhen.

Vom Beschwerdeführer wird darüber hinaus der Nachsichtsgrund einer persönlichen Unbilligkeit geltend gemacht. Eine solche persönliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn die Einhebung der Forderung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, insbesondere das Vermögen und das Einkommen des Schuldners in besonderer Weise unverhältnismäßig beeinträchtigen würde (vgl Stoll, BAO-Kommentar, 2430, und die dort wiedergegebene Rechtsprechung).

Der Beschwerdeführer machte in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Abweisungsbescheid zahlreiche Umstände geltend, die seiner Auffassung nach für das Vorliegen einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung seiner Einkommenssituation sprächen. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde in keiner Weise auseinander gesetzt. Vielmehr führte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang aus, der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung dargelegt, "dass er den Rückforderungsbetrag in Raten entrichten könne." Dass eine solche Ratenzahlung den Nahrungsstand oder die Existenz gefährden würde, habe der Beschwerdeführer nicht behauptet. Es könne daher eine persönliche Unbilligkeit nicht erblickt werden. Zutreffend wird in diesem Zusammenhang vom Beschwerdeführer gerügt, dass von einer allenfalls erforderlichen Ratenzahlung lediglich im Antrag auf Aussetzung der Einhebung die Rede war. Davon, dass es dem Beschwerdeführer (ohne Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz) möglich sei, die Schuldigkeit in Raten abzustatten, ist in der Berufungsschrift nichts enthalten. Vielmehr wurde in der Berufung insbesondere auf den Wegfall des Arbeitslosengeldes und die dadurch verursachte Verringerung des Familieneinkommens hingewiesen, ein Umstand, der zusammen mit einer Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer behaupteten Ausgaben von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung der persönlichen Unbilligkeit der Einhebung der Rückforderungsschuldigkeit ist.

Dadurch, dass die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid somit nicht hinreichend begründet hat, hat sie Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/1994. Der Ersatz der Stempelgebühren umfasst nicht die im vorangegangenen Verfahrenshilfeverfahren angefallenen Gebühren.

Wien, am 20. Juli 1999

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