VwGH 98/11/0143

VwGH98/11/01439.2.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zeller, über die Beschwerde des R in L, vertreten durch Dr. Wolfgang Stütz, Rechtsanwalt in Linz, Landstraße 7, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 6. April 1998, Zl. VerkR-393.042/1-1998/Sta, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm für die Dauer von 24 Monaten ab der am 20. Februar 1998 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe.

In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 10. Juni 1997 wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung gemäß den §§ 83 Abs. 1 und 84 StGB und des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zugrunde gelegen, daß der Beschwerdeführer am 1. November 1996 eine Person (durch Versetzen eines Schlages mit einem Schistock sowie eines Faustschlages ins Gesicht) verletzt habe, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich eine Fraktur des rechten Jochbeines, zur Folge gehabt habe. Eine andere Person habe er bei derselben Gelegenheit durch Versetzen eines Schlages mit einem Schistock ins Gesicht (leicht) verletzt.

Im Hinblick auf die Bindung an dieses Urteil sei von einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. c KFG 1967 auszugehen gewesen. Der belangten Behörde sei es verwehrt, selbständig die Vorfrage, ob eine schwere Körperverletzung vorliege, zu beurteilen.

Der Beschwerdeführer sei weiters mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 7. Mai 1984 wegen der Vergehen nach den §§ 83 Abs. 1 und 107 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 4. September 1985 sei er wegen des Vergehens nach § 16 Abs. 1 und 2 Suchtgiftgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zehn Wochen verurteilt worden. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 26. Juli 1991 sei er wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 und des Vergehens nach § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. Schließlich sei er mit Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 18. Oktober 1993 wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Wegen des Verbrechens nach § 12 Suchtgiftgesetz sei dem Beschwerdeführer mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 13. Dezember 1991 die Lenkerberechtigung vorübergehend für die Dauer von 18 Monaten entzogen worden.

Über den Beschwerdeführer seien fünfmal wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung Geldstrafen verhängt worden. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 3. August 1985 (richtig 1995) sei ihm wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (0,78 mg/l Atemluftalkoholgehalt) die Lenkerberechtigung für die Dauer von vier Wochen vorübergehend entzogen worden.

Bei der Wertung der bestimmten Tatsache sei zu berücksichtigen, daß eine vorsätzliche schwere Körperverletzung an sich sehr verwerflich sei und eine Neigung des Beschwerdeführers zu aggressivem Verhalten zeige. Der Beschwerdeführer habe zudem am 1. November 1996 zwei Personen verletzt, worin die Geringschätzung der körperlichen Integrität von Personen durch den Beschwerdeführer zum Ausdruck komme. Weiters komme den einschlägigen Vorstrafen besonderes Gewicht zu. Daraus ergebe sich nämlich, daß der Beschwerdeführer in Konfliktsituationen zu Gewalttätigkeiten neige. Die strafbare Handlung vom 1. November 1996 zeige, daß in der Sinnesart des Beschwerdeführers keine Änderung eingetreten sei. Es sei zu befürchten, daß er die Verkehrssicherheit durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr gefährden werde, auch wenn der Vorfall vom 1. November 1996 nicht im Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeuges gestanden sei. Angesichts der wiederholten Begehung strafbarer Handlungen komme dem Wertungskriterium der seit der Tat verstrichenen Zeit nur untergeordnete Bedeutung zu. Einem Wohlverhalten während eines anhängigen Verfahrens bei Gericht oder einer Verwaltungsbehörde komme geringere Bedeutung zu als einem Wohlverhalten außerhalb eines solchen Verfahrens. Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen könne mit der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit nicht vor Ablauf der festgesetzten Zeit gerechnet werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. c KFG 1967 und bringt dazu vor, das Beweisverfahren vor dem Landesgericht Linz sei nur oberflächlich durchgeführt worden, in Wahrheit sei keine schwere Körperverletzung sondern nur eine leichte Körperverletzung vorgelegen, was die belangte Behörde bei Durchführung der von ihm beantragten Beweise hätte feststellen müssen.

Mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen, weil die belangte Behörde mit Recht ihre Bindung an das rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes Linz vom 10. Juni 1997 angenommen hat. Nach diesem Urteil hat der Beschwerdeführer am 1. November 1996 eine Person schwer und eine Person leicht verletzt und wurde daher wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung (§§ 83 Abs. 1 und 84 StGB) und wegen des Vergehens der leichten Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) rechtskräftig bestraft. Im Hinblick auf die Begehung einer strafbaren Handlung nach § 84 StGB hatte die belangte Behörde vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. c KFG 1967 auszugehen.

Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, sie habe die bestimmte Tatsache nicht entsprechend § 66 Abs. 3 KFG 1967 gewertet und hätte bei richtiger Wertung zur Auffassung kommen müssen, daß er bereits zu einem erheblich früheren Zeitpunkt seine Verkehrszuverlässigkeit wiedererlange.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Nach § 66 Abs. 3 KFG 1967 sind für die Wertung strafbarer Handlungen ihre Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

Die belangte Behörde hat die besondere Verwerflichkeit einer schweren Körperverletzung ins Treffen geführt, jedoch keine Umstände aufgezeigt, die eine über die Erfüllung der Tatbestände der §§ 83 Abs. 1 und 84 StGB hinausgehende Verwerflichkeit oder Gefährlichkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers erkennen ließen. Soweit die belangte Behörde auf die aus den Vorstrafen zu erschließende Neigung des Beschwerdeführers zur Gewalttätigkeit bei Konfliktsituationen hinweist, ist ihr zu erwidern, daß diesbezüglich nur das oben genannte Urteil des Landesgerichtes Linz vom 7. Mai 1984 einschlägig ist, das aber schon im Hinblick auf die bis zur Tat vom 1. November 1996 verstrichene Zeit nicht den Schluß auf die von der belangten Behörde angenommene Neigung des Beschwerdeführers zur Gewalttätigkeit rechtfertigt. Die weiteren Straftaten hatte die belangte Behörde zwar im Rahmen des Wertungskriteriums der Verwerflichkeit zu berücksichtigen, doch weisen diese Straftaten nicht darauf hin, daß der Beschwerdeführer die Verkehrssicherheit durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr gefährden werde.

Die belangte Behörde hat der seit der Tat (bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides) verstrichenen Zeit (von fast 16 Monaten), in welcher der Beschwerdeführer nach der Aktenlage im Besitz der Lenkerberechtigung war, nicht die entsprechende Bedeutung beigemessen. Die belangte Behörde führt zwar zutreffend aus, daß ein Wohlverhalten während eines anhängigen Straf- oder Entziehungsverfahrens von geringerer Bedeutung ist als ein Wohlverhalten außerhalb eines solchen Verfahrens, doch kommt einem längeren Wohlverhalten im Besitz der Lenkerberechtigung sehr wohl eine ins Gewicht fallende Bedeutung zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1998, Zl. 96/11/0372, mwN). Die seit der Tat verstrichene Zeit kann daher entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht schon von vornherein als unerheblich abgetan werden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß eine dem Gesetz entsprechende Wertung der bestimmten Tatsache zwar die Annahme, dem Beschwerdeführer fehle die Verkehrszuverlässigkeit und er werde diese nicht vor Ablauf von zumindest drei Monaten (siehe § 73 Abs. 2 KFG 1967) ab Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides wiedererlangen, rechtfertigte, nicht jedoch die Prognose, er werde seine Verkehrszuverlässigkeit nicht vor dem 20. Februar 2000, also rund drei Jahre und vier Monate seit Begehung der eine bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. c KFG 1967 darstellenden Straftat, wiedererlangen. Bei entsprechender Wertung hätte mit einer erheblich kürzeren Entziehungszeit das Auslangen gefunden werden können, die allenfalls auch eine (bloß) vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 ermöglicht hätte.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 9. Februar 1999

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