VwGH 97/21/0249

VwGH97/21/024912.4.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des MT in Altenmarkt, geboren am 19. April 1959, vertreten durch Dr. Alfons Adam, Rechtsanwalt in 3040 Neulengbach 270, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 11. September 1996, Zl. Fr 1588/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §67;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 11. September 1996 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß er in Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei. Dies begründete die belangte Behörde nach Darstellung des erstinstanzlichen Bescheides bzw. Wiedergabe von Erwägungen des Bundesasylamtes - beides wird in nicht klar erkennbarer Weise vermischt - im wesentlichen wie folgt: Der Beschwerdeführer sei am 4. November 1995 in das Bundesgebiet eingereist. Bei seiner Einvernahme im Asylverfahren habe er ausgeführt, daß er sich nie für Politik interessiert hätte und nie Mitglied einer bewaffneten Gruppierung gewesen wäre. Er hätte allerdings seit zwei Jahren sein Haus für Unterrichtszwecke (zu ergänzen: für albanische Schüler) zur Verfügung gestellt und im September 1995 plötzlich Probleme mit der Polizei bekommen. Am 30. September 1995 wäre eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden; die Polizisten hätten den Reisepaß des Beschwerdeführers und den seiner Gattin mitgenommen. Der Beschwerdeführer selbst hätte sich zu diesem Zeitpunkt bei seiner Schwester in Peje aufgehalten und wäre von dort (zu ergänzen: nach Verständigung von der Hausdurchsuchung durch seinen Bruder) direkt nach Prishtina gefahren, wo er sich eine Wohnung genommen hätte. Bereits am 16. Oktober 1995 hätte er per Post eine Gerichtsladung für den 24. Oktober 1995 erhalten. Dieser Ladung wäre zu entnehmen gewesen, daß es "um die Loslösung des Kosovos von Serbien ginge". Das hätte der Beschwerdeführer von einem Anwalt erfahren, weshalb er in der Folge mit Frau und Kindern ausgereist wäre.

Das Bundesasylamt habe den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 23. November 1995 abgewiesen. Die Asylbehörde habe ausgeführt, daß die Polizei rigoros gegen politische Aktivisten vorginge; Gruppenverfolgung im Sinn der Flüchtlingskonvention wäre im Kosovo für albanisch-stämmige Bürger nicht gegeben; seit dem Schuljahr 1990/91 wäre den albanischen Lehranstalten von den Behörden ein für das gesamte Staatsgebiet gültiger Schulplan aufgezwungen, der jedoch von den meisten albanischen Lehrern abgelehnt werden würde; diese unterrichteten nach den alten Lehrplänen weiter; Schüler und Studenten würden demnach auch außerhalb der staatlichen Schulen und Universitäten in Privathäusern von entlassenen Lehrern und Professoren unterrichtet; die Lehre der albanischen Sprache wäre im Kosovo nicht verboten.

Die Asylbehörde habe weiters ausgeführt - so ist der Bescheid der belangten Behörde offenkundig zu lesen -, daß dem Vorbringen des Beschwerdeführers zum Fluchtgrund die Glaubwürdigkeit abgesprochen würde; die Verfolgung von Personen auch im Kosovo wäre "anlaßgeprägt"; eine Anklage gemäß § 116 des serbischen Strafgesetzbuches ließe sich mit der vom Beschwerdeführer angeführten Vorgeschichte nicht vereinbaren; eine derart gravierende Anschuldigung seiner Person, die völlig ungerechtfertigt erhoben sein sollte, erschiene nicht plausibel; wäre der Beschwerdeführer tatsächlich, wie behauptet, bloß ungerechtfertigt bei der Polizei verleumdet worden, wäre er - insbesondere nach einer erfolgten Hausdurchsuchung - wohl bloß einer eventuellen kurzen Befragung unterzogen worden, noch dazu, wo man bei der Durchsuchung bei ihm nichts Verfängliches vorgefunden hätte; es könnte daher nicht davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer unmenschlich behandelt worden wäre, wenn er sich zum Polizeirevier bzw. zum Gericht oder zum Sekretariat für Innere Angelegenheiten begeben und dort seine Unschuld dargelegt hätte; wäre seitens der Polizisten beabsichtigt gewesen, den Beschwerdeführer zu schikanieren und seine Gattin abzuführen und einzusperren, wenn er sich nicht melden sollte, hätte sich die Gattin wohl nicht noch zehn Tage ungehindert zu Hause aufhalten können; in diesem Fall wäre wohl keine Gerichtsladung ergangen; die Ausführungen des Beschwerdeführers wären sehr oberflächlich und vage geblieben. In Zusammenfassung obiger Erwägungen wäre daher davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer wesentliche Tatsachen verheimlicht bzw. bewußt falsch dargestellt hätte, um Asyl bzw. eine Aufenthaltsberechtigung um jeden Preis zu erhalten.

Der gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Berufung habe der Bundesminister für Inneres - damit fährt die belangte Behörde fort - keine Folge gegeben. Seinen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Jugoslawien habe der Beschwerdeführer nicht weiter ausgeführt, in der gegen den negativen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden erhobenen Berufung habe er auf seinen Verfahrenshilfeantrag beim Verwaltungsgerichtshof verwiesen und erklärt, er würde Beispielsfälle kennen und hätte aus begründeter Angst vor unmenschlicher Behandlung und ungerechtfertigter Bestrafung Schutz in Österreich gesucht; Beschuldigte würden häufig mißhandelt, um zu Geständnissen zu kommen.

Der Behörde sei es auf Grund des in § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel nicht verwehrt, die Ergebnisse des Asylverfahrens zu berücksichtigen. "Die Behörde" (gemeint ist offenbar das Bundesasylamt) habe bereits auf die mangelnde Glaubwürdigkeit und darauf hingewiesen, daß sich eine Anklage nach § 116 des serbischen Strafgesetzbuches nicht mit dem vom Beschwerdeführer dargestellten Sachverhalt vereinbaren lasse. Er habe behauptet, eine Gerichtsladung erhalten zu haben. Dennoch befürchte er, ohne dies glaubhaft machen zu können, von der Polizei zu einem Geständnis gezwungen zu werden. Tatsächlich habe der Beschwerdeführer nie Schwierigkeiten mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt und unter Verweis auf Beispielsfälle die Befürchtung geäußert, auf Grund der Gerichtsladung ungerechtfertigt beschuldigt zu werden. Er habe sich (jedoch), wie er selbst ausführe, keines strafbaren Verhaltens schuldig gemacht und keinesfalls gegen Art. 116 des jugoslawischen Strafgesetzbuches verstoßen. Durch die Gerichtsladung habe er nicht glaubhaft darlegen können, daß er im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der sie nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat. Vor diesem wird die Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt.

Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte für den Fall des Obsiegens Kostenzuspruch.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach den §§ 58 Abs. 2 und 60 i.V.m. § 67 AVG haben Berufungsbescheide eine Begründung zu enthalten, in der die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. In der Bescheidbegründung ist daher in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, unter E. 8. zu § 67 AVG und E. 1. bis 9. zu § 60 AVG nachgewiesene Rechtsprechung). Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung des Bescheides führt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179).

Im vorliegenden Fall läßt die belangte Behörde nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, auf welchem Sachverhalt ihre Entscheidung beruht. Einerseits werden die Überlegungen des Bundesasylamtes, wonach dem Beschwerdeführer bezüglich seiner Angaben zum Fluchtgrund die Glaubwürdigkeit abgesprochen werde, ausführlich - zum größten Teil wortgetreu - wiedergegeben und ist im Anschluß daran die Rede davon, daß schon "die Behörde" auf die mangelnde Glaubwürdigkeit hingewiesen habe und daß sich eine Anklage gemäß § 116 des serbischen Strafgesetzbuches nicht mit dem vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhalt vereinbaren lasse. Andererseits wird jedoch - was nur im Zusammenhang mit der vom Beschwerdeführer behaupteten Anklage Sinn ergibt - damit fortgesetzt, daß "die Ladung - wie Sie selbst anführen - eine Gerichtsladung war", daß sich der Beschwerdeführer "keines strafbaren Verhaltens schuldig gemacht und keinesfalls gegen Art. 116 des jugoslawischen Strafgesetzbuches verstoßen" habe und daß er "durch die Ladung zum Gericht" nicht habe glaubhaft darlegen können, daß er im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bedroht sei. Diese letzteren Erwägungen gehen somit in Übereinstimmung mit der Darstellung des Beschwerdeführers von einer gerichtlichen Ladung aus; sie stehen damit zu den die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers pauschal in Abrede stellenden Überlegungen in klarem Widerspruch, weshalb nicht nachvollziehbar ist, welche Geschehnisse im Zusammenhang mit der Flucht des Beschwerdeführers die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung nun tatsächlich zugrunde legt. Damit wird sie den eingangs dargestellten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Bescheidbegründung nicht gerecht.

Dieser Mangel ist aus folgenden Gründen von Relevanz:

Unterstellt man, daß die Angaben des Beschwerdeführers bezüglich der seine Flucht auslösenden Umstände zutreffen, so fand am 30. September 1995 in seinem Haus eine Hausdurchsuchung statt; am 16. Oktober 1995 erhielt er für den 24. Oktober 1995 eine Gerichtsladung, die "mit der Loslösung des Kosovo von Serbien zu tun" hatte; Anlaß für das Vorgehen der Behörden war, daß der Beschwerdeführer seit 1993 Schulunterricht (für Angehörige der albanischen Volksgruppe) zuließ und den "demokratischen Bund" finanziell unterstützte.

Die belangte Behörde verweist in jenem Teil ihres Bescheides, in dem sie von den Behauptungen des Beschwerdeführers ausgeht, darauf, daß die Verhaltensweisen des Beschwerdeführers nicht strafbar seien. Ihre Schlußfolgerung, der Beschwerdeführer habe daher nicht glaubhaft machen können, daß er im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bedroht sei, läßt jedoch völlig außer acht, daß der Beschwerdeführer das inadäquate Vorgehen der serbischen Behörden eindeutig mit seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe und mit seiner politischen Gesinnung in Zusammenhang gebracht hat. Belegt hat er das durch einen seiner Berufung gegen den negativen erstinstanzlichen Bescheid angeschlossenen Bericht von Amnesty International vom September 1994 über Prozesse gegen Angehörige der albanischen Volksgruppe wegen politischer Betätigung, in deren Zuge es zu Mißhandlungen, zu unter Folter abgepreßten "Geständnissen" und - ungerechtfertigt - zu Verurteilungen wegen gewaltsamer separatistischer Bestrebungen gekommen sei. Die belangte Behörde ist über diesen Bericht argumentationslos hinweggegangen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieses Berichts könnte jedoch bei Zutreffen der Behauptungen des Beschwerdeführers seiner Befürchtung, er hätte im Fall der Abschiebung nach Jugoslawien Mißhandlungen zu erwarten (§ 37 Abs. 1 FrG) bzw. es wäre aus Gründen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten seine Freiheit bedroht (§ 37 Abs. 2 FrG), nicht ohne weiteres Berechtigung abgesprochen werden. Dies umso mehr, als nach den von der belangten Behörde wiedergegebenen Feststellungen des Bundesasylamtes die Polizei im Kosovo rigoros gegen politische Aktivisten vorgehe, seit dem Schuljahr 1990/91 den albanischen Lehranstalten von den Behörden ein für das gesamte Staatsgebiet gültiger Schulplan aufgezwungen sei, der jedoch von den meisten albanischen Lehrern abgelehnt werde, sodaß Schüler und Studenten außerhalb staatlicher Einrichtungen in Privathäusern von entlassenen Lehrern und Professoren unterrichtet würden, und daß die Verfolgung im Kosovo "anlaßgeprägt" sei. Gerade beim Beschwerdeführer läge, hätte er sein Haus albanischen Lehrern und Schülern für Unterrichtszwecke zur Verfügung gestellt, offenkundig ein derartiger "Anlaß" zum Einschreiten der (serbisch dominierten) Sicherheitskräfte vor. Von diesen Überlegungen ausgehend erweisen sich im übrigen - was der Vollständigkeit halber angemerkt sei - auch die vom Bundesasylamt herangezogenen Argumente gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers als nicht tragfähig.

Nach dem Gesagten leidet der angefochtene Bescheid an einem wesentlichen Begründungsmangel. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die beantragte Verhandlung konnte im Hinblick auf § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 12. April 1999

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