VwGH 97/19/0774

VwGH97/19/077410.9.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der 1992 geborenen NS in Wien, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. April 1996, Zl. 118.707/4-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §1 Abs3 Z1;
AufG 1992 §3 Abs1 Z2;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs1;
AufG 1992 §8 Abs1;
AVG §38;
ARB1/80 Art6 Abs1;
ARB1/80 Art6;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §1 Abs3 Z1;
AufG 1992 §3 Abs1 Z2;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs1;
AufG 1992 §8 Abs1;
AVG §38;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Vater der Beschwerdeführerin verfügte über eine Aufenthaltsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Februar 1994 bis 1. Februar 1996, ihre Mutter über eine solche mit Geltungsdauer vom 25. November 1994 bis 1. Februar 1996. Mit im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der belangten Behörde vom 30. April 1996 wurde der Verlust dieser Bewilligungen verfügt.

Die Beschwerdeführerin beantragte am 9. August 1995 die Erteilung eines Sichtvermerkes. Als Zweck des Sichtvermerkes wurde Familienzusammenführung im Sinne des Aufenthaltsgesetzes angeführt. Die Beschwerdeführerin brachte in diesem Antrag vor, dass ihre Eltern über einen aufrechten Wohnsitz und über eine aufrechte Arbeitsbewilligung in Österreich verfügten. Dieser Antrag langte am 11. August 1995 beim Landeshauptmann von Wien ein.

Die erstinstanzliche Behörde wertete den Antrag als solchen auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung und wies ihn mit Bescheid vom 22. Jänner 1996 gemäß § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) mangels einer Antragstellung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus ab.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. April 1996 wurde diese Berufung gemäß § 4 Abs. 3 AufG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 4 Abs. 3 AufG sei die Bewilligung gemäß § 3 Abs. 1 Z. 2 AufG jeweils mit der gleichen Befristung zu erteilen wie die der Bewilligung des Ehegatten bzw. Elternteiles oder Kindes. Da die belangte Behörde die Anträge der Eltern der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit näher bezeichneten Bescheiden abgewiesen habe (richtig wohl: den Verlust der den Eltern erteilten Aufenthaltsbewilligungen verfügt habe), besäßen die Eltern der Beschwerdeführerin derzeit keine gültige Aufenthaltsbewilligung. Folglich habe auch der Beschwerdeführerin keine solche erteilt werden können.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof. Dieser Gerichtshof lehnte mit Beschluss vom 25. Februar 1997, Zl. B 1987/96-8, die Behandlung dieser Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in ihrem subjektiven Recht auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, aber auch in ihren subjektiven Rechten auf Erteilung eines Sichtvermerkes nach § 7 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1992 (FrG), auf Unterbleiben der Verfügung des Verlustes einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 8 AufG, in ihren aus Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des Assoziierungsabkommens zwischen der EWG und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates (im Folgenden: ARB) abgeleiteten Rechten, und schließlich in ihrem Anspruch auf Ausstellung einer deklarativ wirkenden Aufenthaltsberechtigung verletzt.

Die Beschwerdeführerin vertritt die Rechtsansicht, die Entscheidung im Verfahren ihres Vaters betreffend die dort erfolgte Verfügung des Verlustes der ihm erteilten Aufenthaltsbewilligung sei im Sinne des § 38 AVG präjudiziell. Die belangte Behörde wäre daher gehalten gewesen, das Verfahren betreffend den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bis zum Abschluss des in Rede stehenden Verfahrens ihres Vaters zu unterbrechen.

Die Beschwerdeführerin meint weiters, die Verfügung des Verlustes der Aufenthaltsbewilligung ihres Vaters sei rechtswidrig gewesen. Die belangte Behörde habe sich in dem ihren Vater betreffenden Bescheid darauf gestützt, dass dieser mit einer österreichischen Staatsbürgerin eine Ehe lediglich zum Schein eingegangen sei. Dieser Umstand hätte von der belangten Behörde aber nicht zur Begründung der Verfügung des Verlustes der Aufenthaltsbewilligung des Vaters der Beschwerdeführerin herangezogen werden dürfen, zumal dieser bereits anlässlich der Antragstellung, welche zur Erteilung jener Aufenthaltsbewilligung geführt habe, deren Verlust später verfügt worden sei, die Behörde durch Vorlage des Ehenichtigkeitsurteiles von dem Umstand, dass er seinerzeit eine Scheinehe eingegangen sei, in Kenntnis gesetzt habe.

Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Vater der Beschwerdeführerin "Assoziationstürke entsprechend dem Assoziationsratsbeschluss EWG-Türkei" sei. Der Vater der Beschwerdeführerin sei seit mehreren Jahren durchgehend bei einem näher bezeichneten österreichischen Unternehmen beschäftigt. Er verfüge daher über ein Aufenthaltsrecht im Bereich der Staaten der Europäischen Union. Die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (an ihn) habe lediglich deklarativen Charakter.

Darüber hinaus werden noch weitere Gründe für die Rechtswidrigkeit des den Vater der Beschwerdeführerin betreffenden Bescheides vorgebracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 1 Abs. 3 Z. 1, § 3 Abs. 1 Z. 2 und § 4 Abs. 3 AufG lauteten:

"§ 1. ...

...

(3) Keine Bewilligung brauchen Fremde, wenn sie

1. auf Grund allgemein anerkannter Regeln des Völkerrechts, eines Staatsvertrages, unmittelbar anwendbarer Rechtsakte der Europäischen Union oder anderer bundesgesetzlicher Vorschriften in Österreich Niederlassungsfreiheit genießen;

...

§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten

...

2. von Fremden, die auf Grund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerks oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 bis 5 rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben,

ist nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z 3 und 4 eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.

...

§ 4. ...

...

(3) Eine Bewilligung gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 ist jeweils mit der gleichen Befristung zu erteilen, wie die der Bewilligung des Ehegatten bzw. Elternteiles oder Kindes, bei der ersten Bewilligung aber höchstens für die Dauer von fünf Jahren."

§ 7 Abs. 7 FrG 1992 lautete:

"§ 7. ...

...

(7) Ergibt sich aus den Umständen des Falles, dass der Antragsteller für den Aufenthalt eine Bewilligung gemäß den §§ 1 und 6 des Bundesgesetzes, mit dem der Aufenthalt von Fremden in Österreich geregelt wird (Aufenthaltsgesetz), BGBl. Nr. 466/1992, benötigt, so darf dem Fremden kein Sichtvermerk nach diesem Bundesgesetz erteilt werden. Das Anbringen ist als Antrag gemäß § 6 des Aufenthaltsgesetzes unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten, der Antragsteller ist davon in Kenntnis zu setzen."

Art. 6 Abs. 1 und Abs. 7 Abs. 1 ARB lauten:

"Artikel 6

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

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