VwGH 95/21/1247

VwGH95/21/12471.7.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des B A, (geboren am 8. September 1966), 8010 Graz, Keplerstraße 75/KG/1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 6. November 1995, Zl. Fr 515/1995, betreffend Ausstellung eines Fremdenpasses, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13;
AVG §37;
FrG 1993 §55 Abs1;
VwRallg;
AVG §13;
AVG §37;
FrG 1993 §55 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (der belangten Behörde) vom 6. November 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 55 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, abgewiesen.

Nach Wiedergabe der wesentlichen Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens, des Berufungsvorbringens und der maßgeblichen Bestimmungen des Fremdengesetzes führte die belangte Behörde aus, dass es in den im § 55 (Abs. 1) FrG taxativ aufgezählten Fällen darauf ankomme, dass ein positives Interesse der Republik Österreich an der Ausstellung eines Fremdenpasses für den Fremden bestehe. Österreich eröffne mit der Ausstellung eines Fremdenpasses dem Inhaber die Möglichkeit zu reisen und übernehme damit auch eine Verpflichtung gegenüber den Gastländern. Diese an sich nur gegenüber Staatsbürgern einzunehmende Haltung erfordere einen restriktiven Maßstab. Der Beschwerdeführer erfülle keine der Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z. 1 bis 5 FrG.

Aus dem Verwaltungsakt gehe nicht hervor, dass sich der Beschwerdeführer auch nur ein einziges Mal seit seiner Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 1990 persönlich und tatsächlich bemüht habe, die Ausstellung eines gültigen Reisedokumentes bei der ägyptischen Botschaft in Wien bzw. mit Hilfe des Büros der "Palästinensischen Organisation" in Wien zu erwirken. Die tatsächlich vom rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers erfolgte telefonische Rücksprache mit der ägyptischen Botschaft in Wien könne nicht als hinreichende Bemühung angesehen werden, die Ausstellung eines gültigen Reisedokuments für den Beschwerdeführer zu erwirken. Dieser sei nicht in der Lage gewesen, eine schriftliche Bestätigung darüber vorzulegen, dass er tatsächlich bei dieser Botschaft um die Verlängerung bzw. Neuausstellung eines Fremdenpasses angesucht habe. Darüber hinaus sei sein Asylverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, sodass sein asylrechtlicher Status ungeklärt sei. Überdies würden, wie das Bundesministerium für Inneres mit Schreiben vom 9. Oktober 1995 mitgeteilt habe, von den Behörden der "Palestinian Authority" palästinensische gewöhnliche Reisepässe ausgegeben werden, was bedeute, dass es dem Beschwerdeführer möglich sei, sich ein gültiges Reisedokument seines Heimatstaates zu beschaffen.

Die Proklamation des Staates Palästina sei im Jahr 1988 erfolgt, und es bestehe derzeit eine Teilautonomie im Gaza-Streifen und in Jericho seit 1994. Das Staatsoberhaupt des Staates Palästina sei seit 1989 Jasir Arafat. Die politischen Organe des Staates Palästina seien die Autonomiebehörde, der PLO-Exekutivrat und der PLO-Zentralrat. Derzeit sei der palästinensische Staat internationales Mitglied der "Arabischen Liga" und habe seit 1989 einen UNO-Beobachterstatus. "(Aus dem Haremberg Länderlexikon 1995/1996 - Fischer Weltalmanach entnommen)". Die Berufungsausführungen seien daher unrichtig, weil der Beschwerdeführer nicht als staatenlos anzusehen, sondern Staatsangehöriger Palästinas sei und von diesem Staat gewöhnliche Reisepässe ausgestellt würden. Damit erübrigten sich sämtliche Ausführungen in der Berufungsschrift, die darauf abzielten, dass seitens der ägyptischen Botschaft in Wien die Ausstellung bzw. Verlängerung des gegenständlichen Fremdenpasses mit sehr vielen Schwierigkeiten verbunden wäre und zudem die Ausstellung eines entsprechenden Reisedokuments seitens der ägyptischen Vertretungsbehörde voraussichtlich negativ verlaufen würde.

Dem Beschwerdeführer sei es durchaus zuzumuten, sich bei den zuständigen Behörden der "Palestinian Authority" um ein neues gültiges Reisedokument (einen gewöhnlichen Reisepass) zu bemühen. Die Chancen für den Berufungswerber, einen neuen palästinensischen gültigen Reisepass ausgestellt zu bekommen, seien in rechtlicher Hinsicht jedenfalls gegeben.

Der Beschwerdeführer erfülle nicht die in § 55 Abs. 1 Z. 3 FrG geforderten zusätzlichen Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Sichtvermerks, zumal er einen Antrag auf Asylgewährung in Österreich gestellt habe, über den bisher vom Bundesministerium für Inneres noch keine Entscheidung ergangen sei. Sein aufenthaltsrechtlicher Status richte sich derzeit ausschließlich nach dem Asylgesetz. Derzeit sei ungeklärt, welche Rechtsstellung er tatsächlich einnehmen werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 55 Abs. 1 idF des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 505/1994 lautet:

"Fremdenpässe können, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, auf Antrag ausgestellt werden für

1. Staatenlose oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen;

2. ausländische Staatsangehörige, die zum unbefristeten Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt und nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;

3. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaats zu beschaffen und bei denen im Übrigen die Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Sichtvermerkes gegeben sind;

4. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich das für die Auswanderung aus dem Bundesgebiet erforderliche Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;

5. ausländische Staatsangehörige, die seit mindestens vier Jahren ununterbrochen ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet haben, sofern der zuständige Bundesminister oder die Landesregierung bestätigt, dass die Ausstellung des Fremdenpasses wegen der vom Fremden erbrachten oder zu erwartenden Leistungen im Interesse des Bundes oder des Landes liegt."

2. Die Beschwerde macht geltend, dass die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z. 3 FrG zwar nicht, jene der Z. 1 und 5 dieser Bestimmung jedoch erfüllt seien. Die belangte Behörde habe Feststellungen über den "Staat Palästina" und die Ausstellung palästinensischer Reisepässe getroffen, ohne dem Beschwerdeführer die für diese Feststellungen herangezogenen Unterlagen zugänglich zu machen. Wäre das Parteiengehör gewährt worden, hätte er belegen können, dass es ihm nicht möglich sei, von der "Palestinian Authority" einen Reisepass bzw. Fremdenpass ausgestellt zu bekommen. Auch sei es unrichtig, dass die "Palestinian Authority" gewöhnliche Reisepässe ausstelle, und hätten deren Pässe keine Verbindlichkeit im grenzüberschreitenden Verkehr. Palästinenser, die sich im Ausland aufhielten, könnten keine Rechte vom "Staatengebilde Palästina" ableiten. Der Beschwerdeführer sei staatenlos und könne somit ein gültiges Reisedokument nicht erlangen. Es bestehe ein positives Interesse der Republik Österreich, ihm einen Fremdenpass auszustellen. Gerade unter dem Aspekt der Intentionen der Palästinenser, einen eigenständigen und in der Staatengemeinschaft anerkannten Staat zu gründen, diene es zweifelsohne dem Ansehen Österreichs, dem Beschwerdeführer als staatenlosen Palästinenser den Schutz der Republik Österreich durch Ausstellung eines Fremdenpasses zu gewähren.

3. Dadurch, dass die belangte Behörde den Tatbestand des § 55 Abs. 1 Z. 5 FrG nicht als erfüllt angesehen hat, wurde der Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten verletzt. Bei antragsbedürftigen Verwaltungsakten - wie bei Ausstellung eines Fremdenpasses nach § 55 Abs. 1 FrG - bestimmt der Antragsteller, was Gegenstand des Verfahrens ist, und schafft sein Antrag die materiellrechtliche Grundlage für die Erlassung des begehrten Bescheides (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, zu § 13 AVG E. 22 und 24 zitierte hg. Judikatur). Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren geltend gemacht, staatenlos zu sein und kein gültiges Reisedokument zu besitzen oder von einem Heimatstaat erlangen zu können (vgl. seine Berufung vom 1. März 1995), womit er seinen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses auf § 55 Abs. 1 Z. 1 FrG und nicht auch auf die übrigen Fälle des § 55 Abs. 1 leg. cit., die nur auf ausländische Staatsangehörige Anwendung finden, gestützt hat. Dass die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z. 2, 3, 4 oder 5 leg. cit. auf ihn zuträfen, wurde somit von ihm nicht behauptet. Die belangte Behörde musste daher seinen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses nur unter dem Blickwinkel des § 55 Abs. 1 Z. 1 FrG beurteilen.

4. Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zur Auffassung gelangt ist, dass der Beschwerdeführer nicht staatenlos, sondern Angehöriger des Staates Palästina und ihm zuzumuten sei, sich bei den Behörden der "Palestinian Authority", von denen gewöhnliche Reisepässe ausgestellt würden, um ein neues gültiges Reisedokument zu bemühen, sodass er (auch) nicht die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z. 1 erfülle, so reichen die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Begründung dieser Annahme nicht aus.

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren vorgebracht, dass Palästina völkerrechtlich nicht (als eigener Staat) anerkannt sei und er sich einen palästinensischen Reisepass nicht beschaffen könne. Aus den im angefochtenen Bescheid (dort S. 12/13) getroffenen Feststellungen ergibt sich nicht, ob Palästinenser, die - wie der Beschwerdeführer - nicht in dem unter Verwaltung der "Palestinian Authority" stehenden Autonomiegebiet leben, die Voraussetzungen für eine "Staatsangehörigkeit Palästinas" erfüllen und gegebenenfalls von Österreich - so etwa auf Grund zwischenstaatlicher Vereinbarung - als Angehörige eines anderen Staates anerkannt werden. Die Beantwortung dieser Fragen ist jedoch wesentlich für die Beurteilung, ob iS des § 55 Abs. 1 Z. 1 FrG der Beschwerdeführer als staatenlos anzusehen ist oder allenfalls seine Staatsangehörigkeit ungeklärt erscheint.

Darüber hinaus hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auch keine Gründe dafür angegeben, warum die Ausstellung eines Fremdenpasses an den Beschwerdeführer nicht im Interesse der Republik Österreich (§ 55 Abs. 1 erster Halbsatz leg. cit.) gelegen sei. Der bloße Hinweis auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid, wonach dieses Interesse "vom Bundesminister" - dessen Wirkungsbereich ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen - verneint wurde, stellt keine tragfähige Begründung für diese Beurteilung dar.

5. Nach dem Gesagten haften dem angefochtenen Bescheid wesentliche Feststellungs- und Begründungsmängel an. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Hintanhaltung dieser Mängel zu einem anderen - für den Beschwerdeführer günstigen - Ergebnis gelangt wäre, war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

6. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 1. Juli 1999

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