Normen
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Liberias, reiste am 14. Juni 1995 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 16. Juni 1995 Asyl. Bei seiner Einvernahme am 21. Juni 1995 gab er an, seine Mutter habe ihn und seine Schwester 1992 in Monrovia verlassen. Im Dezember 1993 seien der Beschwerdeführer und seine Schwester, die in Monrovia nicht verfolgt worden seien, in ein kleines Bauernhaus ihrer Mutter in Bendaja übersiedelt, wo sie bis September 1994 ebenfalls keine Probleme gehabt hätten. An einem Tag im September 1994 seien Soldaten des Charles Taylor in den Ort gekommen, um junge Männer zu rekrutieren. Die Schwester des Beschwerdeführers habe Schreie und Schüsse gehört und den Beschwerdeführer gewarnt. Der Beschwerdeführer und seine Schwester seien davongerannt, wobei die Soldaten den Beschwerdeführer verfolgt und ihm zugerufen hätten, er solle stehenbleiben. Als der Beschwerdeführer weitergelaufen sei, hätten ihm die Soldaten nachgeschossen und ihn durch einen Streifschuß an der linken Hüfte verletzt. Dem Beschwerdeführer und seiner Schwester sei es jedoch gelungen, zu entkommen und in der Folge mit Hilfe eines Lkw-Fahrers unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Sierra Leone zu gelangen. In Sierra Leone seien sie in Pujehun, einem etwa drei bis fünf Fahrstunden mit dem Lkw von der Grenze zu Liberia entfernten Ort, von einer Frau aufgenommen worden. Acht Monate später habe der Beschwerdeführer in Freetown ein Schiff nach Europa bestiegen. Er habe sich in Sierra Leone nicht mehr sicher gefühlt, weil die Frau, bei der er sich aufgehalten habe, ihm gesagt habe, die Soldaten seien von Liberia auch nach Sierra Leone gekommen und rekrutierten dort die jungen Männer.
Auf den Vorhalt, wie dies möglich sei, wenn er angegeben habe, daß er von der Grenze bis zu seinem Aufenthaltsort in Sierra Leone drei bis fünf Stunden mit dem Lkw gefahren sei, antwortete der Beschwerdeführer, er sei "nicht weit weg von der Grenze" gewesen. Die Soldaten des Charles Taylor habe er in Sierra Leone nicht selbst gesehen, doch hätten ihm die Nachbarn gesagt, sie hätten die Soldaten "beim gegenüberliegenden Haus" gesehen. Der Beschwerdeführer habe gehört, daß Personen, die davongelaufen und nachträglich erwischt worden seien, die Arme abgeschnitten worden seien. Er wäre seines Lebens vermutlich nicht mehr sicher gewesen. Für Charles Taylor habe er nicht kämpfen wollen, weil seine Schwester dies nicht gewollt habe und weil er Angst davor gehabt habe, daß er getötet werden könnte. Bei anderen Gruppen habe er deshalb nicht Schutz suchen können, weil "die andere Gruppe" ebenfalls Soldaten rekrutiert habe. Er wäre auch in Monrovia oder einem anderen Ort nicht vor einer Rekrutierung sicher gewesen, weil überall in seinem Heimatland gekämpft werde.
Mit Bescheid vom 7. Juli 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab. Dabei folgte es seinen Behauptungen mit der einen Ausnahme, daß es seine Angaben darüber, daß er erfahren habe, Soldaten seien aus Liberia nach Pujehun gekommen und hätten dort junge Männer rekrutiert, nicht als glaubwürdig erachtete. In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesasylamt aus, der Rekrutierungsversuch in Bendaja sei keine Verfolgung des Beschwerdeführers im asylrechtlichen Sinn gewesen, und der Beschwerdeführer sei in Sierra Leone vor Verfolgung sicher gewesen.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer aus, er erfülle die Voraussetzungen für die Asylgewährung, weil ihm in seinem Heimatland Verfolgung drohe, und er halte seine Angaben vor dem Bundesasylamt aufrecht.
Am 12. September 1997 wurde der Beschwerdeführer auf Anordnung der belangten Behörde unter Vorhalt eines kriminaltechnischen Untersuchungsberichtes vom 14. Oktober 1996 einer ergänzenden Befragung darüber unterzogen, daß angesichts des Ergebnisses der (nach dem Inhalt des Untersuchungsberichtes erst durch die Übermittlung von Vergleichsmaterial aus der Schweiz Ende 1995 möglich gewordenen) Überprüfung der Echtheit des von ihm im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Ausweises davon ausgegangen werden müsse, daß er ein verfälschtes Dokument zur Untermauerung seines Vorbringens vorgelegt habe, weshalb ihm "insgesamt die persönliche Glaubwürdigkeit abgesprochen" werden müsse. Bei dieser Befragung verantwortete sich der Beschwerdeführer dahingehend, daß er das (mit einem Ausstellungsdatum von 1989 versehene) Ausweisdokument in einem ihm nicht bekannten Jahr von seiner Mutter erhalten habe. Er habe (gemeint: auch hinsichtlich seines Alters) die Wahrheit gesagt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ab. Begründend legte sie dar, das Ermittlungsverfahren habe nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer Flüchtling sei. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, welches im Asylverfahren die zentrale Entscheidungsgrundlage sei, habe keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte dafür erbracht, daß die Voraussetzungen des § 1 Z. 1 AsylG 1991 beim Beschwerdeführer erfüllt seien.
Die nähere Begründung hiefür lautet im angefochtenen Bescheid im wesentlichen wie folgt:
"Damit ein Vorbringen als glaubhaft qualifiziert werden kann, müssen vier Kriterien erfüllt sein:
- 1. Das Vorbringen des Asylwerbers muß genügend substantiiert sein. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen;
- 2. das Vorbringen muß, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen;
- 3. das Vorbringen muß plausibel sein, das heißt mit den Tatsachen oder den allgemeinen Erfahrungen übereinstimmen;
und
- 4. der Asylwerber muß persönlich glaubwürdig sein.
Diesen Anforderungen an die Glaubwürdigkeit vermochte ihr Vorbringen nun aber nicht zu entsprechen, wobei die erkennende Behörde insbesondere Ihre persönliche Glaubwürdigkeit aufgrund nachfolgender Überlegungen in Zweifel zu ziehen hatte:
Sie haben anläßlich der Einbringung Ihres Asylantrages behauptet, liberianischer Staatsangehöriger zu sein, konnten aber weder Ihre Identität, noch Ihre Nationalität durch entsprechende Dokumente belegen. Ihre, von Ihnen vorgewiesene Identitätskarte des Finanzministeriums ist nach Erkenntnis der Asylbehörde als verfälscht zu klassifizieren und wurde Ihnen dies im Rahmen einer Einvernahme zur Kenntnis gebracht und konnten Sie dieser Bewertung keine substantiellen Fakten entgegenhalten. Bei einer Gesamtbetrachtung Ihres Vorbringens fanden Ihr Alter, Ihre Bildung sowie Ihre kulturelle Herkunft Berücksichtigung.
Es ist Ihnen im Administrativverfahren nach dem Asylgesetz somit nicht gelungen glaubhaft zu machen, daß Sie liberianischer Staatsangehöriger sind, und daß Sie aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung die von Ihnen als Heimatland bezeichnete Republik Liberia verlassen haben.
Selbst wenn man den Kern Ihrer Aussage, nämlich die Rekrutierung, als wahr gelten lassen könnte, wäre darin keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu erblicken, sondern wäre dies allenfalls als Folge des Bürgerkrieges anzusehen.
Die von Ihnen ins Treffen geführten Ereignisse bzw. Umstände stellen sich vielmehr als geradezu typische Konsequenz der in Ihrem Heimatland allgemein herrschenden politischen und sozialen Verhältnisse dar. So sind die allenfalls von staatlichen Autoritäten und von staatsähnlich agierenden Gruppierungen ausgehenden Repressionen in der allgemeinen Polarisierung der Bevölkerung und der herrschenden Bürgerkriegssituation begründet.
Rechtlich folgt aus den dem Ermittlungsverfahren entnehmbaren Fakten, daß Sie nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Ziffer 1 Asylgesetz 1991 sind und ist die Asylgewährung daher nicht statthaft."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Im vorliegenden Fall erfolgte die Anfechtung des nach dem AsylG 1991 ergangenen Bescheides der belangten Behörde nicht vor der Kundmachung des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76. Da die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 und 3 dieses Gesetzes somit nicht erfüllt sind, ist der angefochtene Bescheid auf der Grundlage des von der belangten Behörde - im Zeitpunkt seiner Erlassung zu Recht - angewendeten AsylG 1991 zu überprüfen.
Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 ist der Berufungsentscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen. Nach dem zweiten Absatz dieser Bestimmung (in der Fassung nach der Aufhebung des Wortes "offenkundig" durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) ist eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn es mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat.
§ 20 AsylG 1991 stellt es der Berufungsbehörde daher nicht frei, ihre Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers im Ermittlungsverfahren erster Instanz auf die Ergebnisse während des Berufungsverfahrens angeordneter Ermittlungen zu stützen, denen keiner der Fälle des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 zugrunde liegt. Die auf die Ergebnisse der nicht aus einem dieser Gründe angeordneten Einvernahme vom 12. September 1997 gestützte Beweiswürdigung der belangten Behörde belastet ihren Bescheid daher - objektiv - mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 14. Mai 1996, Zl. 95/19/0047).
Dieser Verfahrensmangel stellt aber nur dann eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides vor dem Verwaltungsgerichtshof führende Rechtswidrigkeit dar, wenn die belangte Behörde bei Einhaltung der in Rede stehenden Verfahrensvorschrift zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (§ 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG). Der Beschwerdeführer wurde hingegen durch den Verstoß gegen § 20 Abs. 1 AsylG 1991 in seinen Rechten nicht verletzt, wenn seine Angaben im erstinstanzlichen Verfahren nach dem Ergebnis desselben auch bei Unterstellung ihrer Glaubwürdigkeit ohnedies nicht geeignet waren, seine Flüchtlingseigenschaft zu begründen (vgl. dazu im Zusammenhang mit Verstößen gegen § 20 AsylG 1991 etwa die Erkenntnisse vom 15. Dezember 1993, Zl. 93/01/0285, vom 2. Februar 1994, Zl. 93/01/0971, vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0544, und vom 10. März 1994, Zl. 94/19/0784).
Die belangte Behörde vertritt den Standpunkt, daß letzteres im vorliegenden Fall gegeben sei. Sie stützt ihre
- Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers unterstellende - Eventualbegründung des angefochtenen Bescheides aber nur darauf, daß die behauptete "Rekrutierung" bzw. (allgemeiner und somit auch die Behauptungen des Beschwerdeführers über die ihm drohenden Vergeltungsmaßnahmen einschließend) die ins Treffen geführten "Ereignisse bzw. Umstände" sich "als geradezu typische Konsequenz" der allgemeinen Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers darstellten. Diese Argumentation wird der Rechtslage insofern nicht gerecht, als damit an die Stelle des auch vor dem Hintergrund etwa einer Bürgerkriegssituation aufrecht zu erhaltenden Erfordernisses einer individuellen Bedrohung die Vorstellung träte, diese Bedrohung müsse "untypisch" sein.
Da der Ansicht der belangten Behörde, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei aus den von ihr angenommenen Gründen von vornherein nicht geeignet gewesen, zu einer Asylgewährung zu führen, somit nicht zu folgen ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen der zuvor aufgezeigten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Im weiteren (gemäß § 44 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76, nach diesem Gesetz fortzusetzenden) Verfahren werden einerseits - nach dem Wegfall der verfahrensrechtlichen Beschränkungen durch § 20 Abs. 1 AsylG 1991 - die Wahrnehmungen in bezug auf das Ausweispapier des Beschwerdeführers einer auch auf die übrigen Verfahrensergebnisse Bedacht nehmenden Würdigung zu unterziehen sein. Andererseits wird es auch einer Auseinandersetzung mit bisher noch nicht zum Gegenstand nachvollziehbarer Feststellungen gewordenen, für das Verständnis der Behauptungen des Beschwerdeführers und die Einschätzung ihrer Glaubwürdigkeit aber nicht unmaßgeblichen Tatsachen - etwa hinsichtlich der geographischen Lage der Orte Bendaja und Pujehun und der Frage, welche Partei des liberianischen Bürgerkriegs während des maßgeblichen Zeitraumes dort dominierte - bedürfen, wobei erforderlichenfalls auch andere Erkenntnisquellen als die Befragung des Beschwerdeführers heranzuziehen sein werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/194.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
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