VwGH 98/11/0163

VwGH98/11/016310.11.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des Bundes (Finanzlandesdirektion für Steiermark), vertreten durch die Finanzprokuratur, gegen den Bescheid der Berufungskommission beim Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales nach § 13a BEinstG vom 8. Mai 1998, Zl. 44.140/2-7/98, betreffend Zustimmung zu der Kündigung eines begünstigten Behinderten (mitbeteiligte Partei: L in G, vertreten durch Dr. Kurt Klein u.a., Rechtsanwälte in Graz, Grazbachgasse 39/III), zu Recht erkannt:

Normen

ArbVG §122 Abs2;
BEinstG §8 Abs2;
BEinstG §8 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
VwGG §47 Abs2;
VwGG §47 Abs5;
VwGG §48 Abs1;
VwGG §48 Abs2;
ArbVG §122 Abs2;
BEinstG §8 Abs2;
BEinstG §8 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
VwGG §47 Abs2;
VwGG §47 Abs5;
VwGG §48 Abs1;
VwGG §48 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren der belangten Behörde wird abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte ist Vertragsbediensteter des Bundes - seine Dienststelle ist die Finanzlandesdirektion für Steiermark - und begünstigter Behinderter im Sinne des § 2 Abs. 1 BEinstG.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 15. Jänner 1996 wurde er wegen der Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der fahrlässigen Körperverletzung schuldig erkannt. Über ihn wurde eine Geldstrafe (160 Tagessätze) verhängt. Die strafbaren Handlungen wurden nach den Feststellungen des Gerichtes am 18. September 1995 im Zuge der Auseinandersetzung des Mitbeteiligten mit Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion Graz, die wegen eines Raubüberfalles ermittelten und den in der Nähe des Tatortes angetroffenen Mitbeteiligten über allfällige Wahrnehmungen befragen wollten, begangen. Der Mitbeteiligte verweigerte die gewünschten Auskünfte, beschimpfte die Beamten, versuchte davonzulaufen und verletzte zwei Beamte, die ihn daran hindern wollten, mit einem Faustschlag und durch Beinstellen.

Die Dienststelle des Mitbeteiligten hatte am 15. November 1995 die Entlassung ausgesprochen. Nachdem der Mitbeteiligte erfolgreich die Feststellung des aufrechten Bestandes seines Dienstverhältnisses eingeklagt hatte (Urteile des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. April 1996, des Oberlandesgerichtes Graz vom 19. Dezember 1996 und des OGH vom 25. Juni 1997) beantragte die beschwerdeführende Partei mit Schreiben vom 23. September 1997 bei der Erstbehörde - dem Behindertenausschuß beim Bundessozialamt Steiermark - der in eine Kündigung mit Wirkung vom 30. April 1996 umgedeuteten Entlassung des Mitbeteiligten die nachträgliche Zustimmung gemäß § 8 Abs. 2 BEinstG zu erteilen bzw. einer künftigen Kündigung zuzustimmen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei vom 23. September 1997 abgewiesen.

In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht die beschwerdeführende Partei Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen Aufhebung. Die belangte Behörde und der Mitbeteiligte haben Gegenschriften erstattet, in denen sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 8 Abs. 2 erster und zweiter Satz BEinstG darf die Kündigung eines begünstigten Behinderten von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuß nach Anhörung näher genannter Gremien zugestimmt hat; dem Dienstnehmer kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Entscheidung betreffend die Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten eine Ermessensentscheidung. Nach dem Zweck des Gesetzes, das der Eingliederung der begünstigten Person in den Arbeitsprozeß und der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz dienen soll, ist es bei dieser Ermessensentscheidung Aufgabe der Behörde, das berechtigte Interesse des Dienstgebers an der Beendigung des Dienstverhältnisses und die besondere soziale Schutzbedürftigkeit des Dienstnehmers im Einzelfall gegeneinander abzuwägen und unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu prüfen, ob dem Dienstgeber die Fortsetzung des Dienstverhältnisses oder dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes eher zugemutet werden kann (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 25. August 1998, Zl. 98/11/0117).

Das Vorliegen eines Kündigungsgrundes wird von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens übereinstimmend mit dem OGH nicht in Abrede gestellt.

Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid und in ihrer Gegenschrift die Auffassung, daß die in Rede stehende Interessenabwägung für den Mitbeteiligten spreche, der beschwerdeführenden Partei der Fortbestand des Dienstverhältnisses mit dem Mitbeteiligten eher zuzumuten sei als diesem der Verlust seines Arbeitsplatzes. Dem Mitbeteiligten sei nach 20jähriger Unterbrechung die Wiederaufnahme seines erlernten Berufes als Installateur kaum möglich, er sei auch als Behinderter auf dem Arbeitsmarkt praktisch nicht vermittelbar. Die strafbare Handlung stehe in keinem Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis und habe kein überdurchschnittliches Aufsehen erregt. Der Mitbeteiligte weise einen Arbeitserfolg auf und sei offensichtlich bemüht, den Arbeitsplatz zu erhalten und eine gute Arbeitsleistung zu erbringen.

Die beschwerdeführende Partei bringt dagegen vor, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Kündigungsschutz eines begünstigten Behinderten nicht weiter gehen dürfe als der Kündigungsschutz eines Betriebsratsmitgliedes (VwGH vom 4. Juli 1995, Zl. 94/08/0220) und verweist in diesem Zusammenhang auf § 122 Abs. 1 Z. 2 ArbVG, wonach das Gericht der Entlassung eines Betriebsratsmitgliedes u.a. nur dann zustimmen darf, wenn dieses sich einer mit Vorsatz begangenen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten oder einer mit Bereicherungsvorsatz begangenen gerichtlich strafbaren Handlung schuldig machte, sofern die Verfolgung von Amts wegen oder auf Antrag des Betriebsinhabers zu erfolgen hat. Das vom Mitbeteiligten begangene Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt ist mit bis zu dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht und von Amts wegen zu verfolgen. Hinsichtlich eines Betriebsratsmitgliedes läge demnach sogar ein Entlassungsgrund vor.

Die beschwerdeführende Partei übersieht dabei, daß das Vorliegen eines Entlassungsgrundes allein nicht ausreicht. Nach § 122 Abs. 2 ArbVG darf das Gericht der Entlassung nicht zustimmen, wenn nach den besonderen Umständen des Falles dem Betriebsinhaber die Weiterbeschäftigung des Betriebsratsmitgliedes zumutbar ist. Wenn daher trotz Vorliegens eines Entlassungsgrundes die Zustimmung zur Kündigung nach § 8 Abs. 2 BEinstG versagt wird, geht der Kündigungsschutz des begünstigten Behinderten nicht weiter als der Entlassungsschutz eines Betriebsratsmitgliedes; auch bei Vorliegen eines Entlassungsgrundes kann - unter ähnlichen Voraussetzungen wie denen nach § 8 Abs. 2 BEinstG - die Zustimmung zur Entlassung versagt werden.

Im übrigen vermag der Verwaltungsgerichtshof auch im Lichte der Beschwerdeausführungen keinen Anhaltspunkt dafür zu erkennen, daß die Ermessensübung der belangten Behörde als nicht im Sinne des Gesetzes gelegen anzusehen wäre. Die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Mitbeteiligten ergibt sich aus der unbeanstandeten Erbringung von Dienstleistungen mit Arbeitserfolg durch 20 Jahre, die durch den einmaligen Vorfall vom 18. September 1995 nicht entscheidend berührt wurde. Dabei spielt - entgegen der Meinung der beschwerdeführenden Partei - sehr wohl der Umstand, daß der Vorfall kein "überdurchschnittliches Aufsehen" erregt hat, eine Rolle. Kann es doch für einen Dienstgeber von entscheidender Bedeutung sein, ob Verfehlungen seiner Dienstnehmer bei seinen Kunden - hier bei Abgabepflichtigen - bekannt sind. Von untergeordneter Bedeutung ist hingegen der von der beschwerdeführenden Partei hervorgehobene Umstand, daß sich der Mitbeteiligte als in der Hoheitsverwaltung tätiger Verwaltungsbediensteter Widerstand gegen die Staatsgewalt hat zu Schulden kommen lassen.

Die beschwerdeführende Partei hebt zwar zutreffend hervor, daß im Rahmen der Interessenabwägung, im besonderen bei der Beurteilung der Interessen des Mitbeteiligten an der Beibehaltung seines Arbeitsplatzes, auch zu berücksichtigen ist, ob er über seine seinerzeit erworbenen beruflichen Fähigkeiten hinaus mit seinen bei der Tätigkeit als Vertragsbediensteter gewonnen Kenntnissen auf dem Arbeitsmarkt eine Beschäftigung wird finden können. Daß die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht ausdrücklich darauf eingegangen ist, stellt aber keinen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Dies schon deshalb nicht, weil die Feststellung der belangten Behörde, die "Vermittlungschance" des Mitbeteiligten sei wegen seines Alters (44 Jahre) und seines Status als begünstigter Behinderter gering, auch ohne ausdrückliche Auseinandersetzung mit seinen aktuellen beruflichen Kenntnissen und Erfahrungen schlüssig ist. Dazu kommt noch der von der beschwerdeführenden Partei nicht bestrittene Verlust der Dienstwohnung des Mitbeteiligten.

Die Beschwerde erweist sich insgesamt als unbegründet. Sie war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenersatzbegehren der belangten Behörde war abzuweisen, da für einen derartigen Zuspruch Voraussetzung ist, daß die Rechtsträger der obsiegenden und der unterlegenen Partei verschieden sind (vgl. die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Jänner 1992, Zl. 91/10/0024, und vom 9. März 1993, Zl. 92/06/0226).

Wien, am 10. November 1998

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