Normen
AVG §69 Abs1 Z1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
ZPO §530 Abs1 Z3;
AVG §69 Abs1 Z1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
ZPO §530 Abs1 Z3;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 3. November 1997 hat die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt im Leistungsverfahren der mitbeteiligten Partei das Verfahren "über den Anspruch auf Ausgleichszulage" wieder aufgenommen und den Bescheid vom 1. Juni 1987 hinsichtlich der Höhe der Ausgleichszulage aufgehoben (Punkt 1 des Spruches; unter Punkt 2 wurde die Ausgleichszulage neu festgestellt und in einem weiteren Punkt des Bescheides ein Überbezug von S 122.503,30 zurückgefordert). Nach der Begründung dieses Bescheides seien (auf den Richtsatz) das monatliche Hausbesorgerentgelt, die monatliche jugoslawische Rente sowie die monatliche Nettopension des Ehegatten der mitbeteiligten Partei in unterschiedlicher Höhe anrechenbar. Nach Hinweis auf den Inhalt des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG führte die Beschwerdeführerin aus, daß dessen Voraussetzungen gegeben seien, weil "seit Gewährung der Ausgleichszulage die jugoslawische Rente des Ehegatten verschwiegen" worden sei.
Die mitbeteiligte Partei erhob Einspruch, in welchem sie im wesentlichen darzulegen suchte, daß die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme nicht vorlägen.
Die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt legte diesen Einspruch mit einer Stellungnahme der belangten Behörde vor, welche ohne weiteres Ermittlungsverfahren mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid dem Einspruch stattgab und feststellte, daß die Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter nicht zu Recht erfolgt sei. Nach einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der angewendeten Bestimmungen des § 69 Abs. 1 bis 3 AVG begründete die belangte Behörde ihren Bescheid im wesentlichen damit, daß unter "Erschleichen" im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG entsprechend der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein vorsätzliches, nicht bloß kausales oder bloß fahrlässiges Verhalten der Partei im Zuge des Verfahrens zu verstehen sei, das darauf abziele, einen für sie günstigen Bescheid zu erlangen. Es könne sich um die Aufstellung unrichtiger Behauptungen oder um das Verschweigen relevanter Umstände handeln. Es sei jedoch erforderlich, daß schon im wiederaufzunehmenden Verfahren Handlungen und Unterlassungen feststellbar gewesen seien, die eine Erschleichungsabsicht erkennen lassen. Auch setze der Tatbestand der Erschleichung weiters voraus, daß die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen gewesen sein müsse und eine solche Lage bestehe, daß ihr nicht zugemutet habe werden können, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienende Erhebungen zu pflegen. Von einem Erschleichen könne daher nicht gesprochen werden, wenn falsche Angaben gemacht würden, welche die Behörde im Zuge eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens als solche hätte erkennen können. Aufgrund der Aktenlage stehe fest, daß die mitbeteiligte Partei in den ihr zugesandten Fragebögen betreffend ihre Ausgleichszulage die Pensionsansprüche ihres Ehegatten in Österreich bzw. ihre Einkünfte als Hausbesorger bekanntgegeben habe, jedoch die Tatsache, daß ihr Ehegatte bereits seit 23. September 1984 eine jugoslawische Alterspension beziehe, unerwähnt gelassen habe. Im Hinblick darauf, daß nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte hiefür vorlägen, daß die mitbeteiligte Partei diese Angaben vorsätzlich und nicht etwa nur fahrlässig unterlassen habe, sei die belangte Behörde zu der Auffassung gelangt, daß im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht gegeben seien. Die Pensionsversicherungsanstalt hätte im übrigen schon im Jahr 1987 im Hinblick auf das Alter des Ehegatten der mitbeteiligten Partei in Betracht ziehen müssen, daß der Genannte auch Pensionsansprüche in Jugoslawien erworben haben könnte. Es sei der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt daher zumutbar gewesen, schon zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Ausgleichszulage der mitbeteiligten Partei und nicht erst am 6. März 1997 eine Anfrage an den zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger zu richten. Da damit auch ein Mitverschulden der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt an der Erlassung des Bescheides vom 1. Juni 1987 nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne, sei auch aus diesem Grunde die Wiederaufnahme des Verfahrens abzulehnen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof ist ausschließlich die Frage, ob die belangte Behörde die Wiederaufnahmsverfügung der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt zu Recht aufgehoben hat. Ob und in welchem Umfang der Rückforderungsanspruch zu Recht besteht, ist hingegen im Leistungsverfahren nach dem ASGG zu entscheiden.
Der zweite Unterabschnitt des Abschnittes I des siebenten Teiles des ASVG (gemeinsame Bestimmungen für das Verfahren in Verwaltungs- und Leistungssachen vor den Versicherungsträgern) regelt in § 357 Abs. 1 die Anwendung des AVG für das Verfahren in Leistungssachen. Darin ist unter anderem auch die Anwendung der §§ 69 bis 70 AVG über die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet.
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.
Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden, nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z. 1.
Die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt hat im Beschwerdefall weder die Fälschung einer Urkunde, noch ein falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung, welche der mitbeteiligten Partei zur Last läge, ins Treffen geführt, sondern geltend gemacht, daß das Verschweigen der ausländischen Pensionsleistung des Ehegatten eine Erschleichungshandlung im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG darstelle.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum allgemeinen Wiederaufnahmsgrund der "Erschleichung" eines Bescheides kann von einem Erschleichen nur dann gesprochen werden, wenn der Bescheid seitens der Partei durch eine verpönte Einflußnahme auf die Entscheidungsunterlagen veranlaßt wird. Insbesondere ist dieser Tatbestand verwirklicht, wenn die Behörde durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigen wesentlicher Umstände mit Absicht irregeführt wurde. Allerdings ist unter einem Erschleichen im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ein vorsätzliches - nicht bloß kausales oder bloß fahrlässiges - Verhalten der Partei im Zuge des Verfahrens zu verstehen, das darauf abzielt, einen für sie günstigen Bescheid zu erlangen, wobei es sich um die Aufstellung unrichtiger Behauptungen oder um das Verschweigen relevanter Umstände handeln kann. Das Verschweigen wesentlicher Umstände ist dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen (vgl. die bei Walther/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, unter E Nr. 84, 86, 89, 91 und 93 wiedergegebene ständige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung).
Wenn es die Behörde allerdings versäumt hat, von den ihr zur Ermittlung des Sachverhaltes ohne Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, so schließt diese Mangelhaftigkeit des Verfahrens es aus, das Verfahren der Partei unter dem Gesichtspunkt des Erschleichens zu werten und objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG zu werten (vgl. Walther/Thienel, aaO, E 101).
Die belangte Behörde stützt sich auf die zuletzt genannte Rechtsprechung und vertritt die Auffassung, daß die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt anläßlich der Zuerkennung der Ausgleichszulage an die mitbeteiligte Partei im Jahr 1987 es "im Hinblick auf das Alter des Ehegatten (der mitbeteiligten Partei) in Betracht (hätte) ziehen müssen", daß der Genannte auch Pensionsansprüche in Jugoslawien erworben haben könnte. Der Pensionsversicherungsanstalt wäre es daher zumutbar gewesen, schon zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Ausgleichszulage der mitbeteiligten Partei und nicht erst am 6. März 1997 eine Anfrage an den zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger zu richten.
Dieser Auffassung der belangten Behörde kann nicht zur Gänze gefolgt werden: Sie wäre dann zutreffend, wenn es der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter ein Leichtes gewesen wäre, durch eigene Ermittlungstätigkeit den Pensionsbezug des Ehegatten der mitbeteiligten Partei festzustellen. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn sie über diesen Pensionsanspruch von der mitbeteiligten Partei gar nicht informiert wurde. Der bloße Umstand des Erreichens oder Überschreitens des Pensionsalters des Ehegatten der mitbeteiligten Partei mußte weder ein Anlaß für die Pensionsversicherungsanstalt sein, weitere Ermittlungen zu pflegen, noch wäre es für die Pensionsversicherungsanstalt "unschwer möglich" gewesen, eine diesbezügliche Anfrage - ohne Kenntnis näherer Umstände - an den "zuständigen jugoslawischen Versicherungsträger" zu richten.
Schon wegen dieser Verkennung der Rechtslage war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde allerdings zu beurteilen haben, ob die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt im Zeitpunkt der Entscheidung über die Ausgleichszulage bereits über eigene Kenntnisse vom Pensionsanspruch des Ehegatten der Beschwerdeführerin aus dessen Pensionsakt verfügte, sodaß sie die Unrichtigkeit der Angaben der mitbeteiligten Partei durch Einsichtnahme in ihren eigenen Akt hätte feststellen können. Auch wird sich die belangte Behörde - anders als im angefochtenen Bescheid - eingehender mit der Frage des (erforderlichen) Vorsatzes der mitbeteiligten Partei auseinanderzusetzen haben: Wie die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt zutreffend ausführt, kann als Erfahrungstatsache solange davon ausgegangen werden, daß unter Ehegatten, welche gemeinsam leben, bekannt ist, welche Pensionsbezüge der andere Ehegatte jeweils erhält, als nicht besondere Umstände, die gegen diese Annahme sprechen, vorgetragen werden (was im Beschwerdefall bisher nicht der Fall war). Ist aber die Kenntnis der mitbeteiligten Partei vom mazedonischen Pensionsbezug ihres Ehegatten zu unterstellen, dann läßt die Verneinung einer ausdrücklich nach ausländischen Pensionsbezügen fragenden Spalte eines Formulars keinen anderen Schluß zu, als daß diese Frage vorsätzlich falsch beantwortet wurde, sofern nicht auch hiefür Umstände ins Treffen geführt werden können, die am Vorsatz mit Grund zweifeln lassen (etwa wenn die mitbeteiligte Partei der deutschen Sprache überhaupt nicht mächtig gewesen wäre - worauf nichts hindeutet - und ihr die Frage auch nicht übersetzt worden wäre).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 8. September 1998
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