VwGH 98/05/0035

VwGH98/05/003530.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde des Dr. Thomas Plöderl in Linz, vertreten durch Dr. Herbert Heigl KEG und Mag. Willibald Berger, Rechtsanwälte in Marchtrenk, Linzer Straße 11, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 9. Oktober 1995, Zl. BauR-011484/2-1995 Ka/Vi, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. Kurt Zehetner in Linz, vertreten durch Dr. Josef Hofer, Rechtsanwalt in Wels, Ringstraße 4, 2. Landeshauptstadt Linz, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

BauO OÖ 1976 §2 Abs3;
BauO OÖ 1976 §29 Abs2;
BauO OÖ 1976 §3;
BauO OÖ 1976 §32 Abs2;
BauO OÖ 1976 §4;
BauO OÖ 1976 §5;
B-VG Art130 Abs2;
BauO OÖ 1976 §2 Abs3;
BauO OÖ 1976 §29 Abs2;
BauO OÖ 1976 §3;
BauO OÖ 1976 §32 Abs2;
BauO OÖ 1976 §4;
BauO OÖ 1976 §5;
B-VG Art130 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom 10. November 1994, eingelangt bei der Behörde am 15. November 1994, beantragte der Erstmitbeteiligte die Erteilung der Baubewilligung für den Neubau einer Doppelgarage auf dem Grundstück Nr. .417/58, KG Lustenau. Nach den Einreichplänen soll das Garagengebäude unmittelbar an den Grenzen zu dem westlich angrenzenden Grundstück Nr. .417/57 und dem nördlich angrenzenden Grundstück Nr. .417/72 errichtet werden. Das letztgenannte Grundstück steht im Miteigentum des Beschwerdeführers. Die Fläche des Baugrundstückes beträgt 361 m2, die bebaute Fläche des Garagenobjektes beträgt 48,10 m2.

Über dieses Ansuchen wurde am 9. Februar 1995 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der sich der Beschwerdeführer gegen das Bauvorhaben wegen der Überschreitung der gemäß § 29 Abs. 2 Oö. BauO 1976 zulässigen bebaubaren Fläche für Nebengebäude, bezogen auf die Gesamtfläche des Bauplatzes, aussprach. Weiters brachte er vor, daß keine Bauplatzbewilligung vorliege.

Noch vor Durchführung der mündlichen Verhandlung war von der Baubehörde ermittelt worden, daß keine Bauplatzbewilligung vorliegt, obwohl das Grundstück mit einem Hauptgebäude und einem etwa 15 m2 großen Nebengebäude bebaut ist.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Landeshauptstadt vom 15. März 1995 wurde dem Erstmitbeteiligten die beantragte Baubewilligung erteilt. Die Einwendungen des Beschwerdeführers wurden als unbegründet abgewiesen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers hat der Stadtsenat der mitbeteiligten Landeshauptstadt mit Bescheid vom 8. Mai 1995 abgewiesen, der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung hat die belangte Behörde mit der Feststellung keine Folge gegeben, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten nicht verletzt werde.

Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, für das zu bebauende Grundstück liege keine Bauplatzbewilligung vor; zu Recht habe die Berufungsbehörde darauf verwiesen, daß der Gesetzeswortlaut des § 29 Abs. 2 Oö. BauO eindeutig nur für solche Grundstücke Anwendung finde, die die rechtliche Qualifikation als Bauplatz aufweisen, für welche also eine rechtswirksame Bauplatzbewilligung vorliege. Da die Bestimmung des § 29 Abs. 2 Oö. BauO mangels Vorliegens einer rechtswirksamen Bauplatzbewilligung nicht anzuwenden sei, könnten die mit Nebengebäuden bebauten Flächen auch mehr als ein Zehntel der Fläche des Baugrundstückes beanspruchen. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Bedenken gegen die Erteilung einer Baubewilligung ohne Vorliegen einer Bauplatzbewilligung wurde auf die Begründung des Berufungsbescheides verwiesen, wonach § 3 Abs. 3 Oö. BauO der Behörde kein Ermessen einräume, weil bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen von einer gebundenen Entscheidung auszugehen sei.

Die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 28. November 1997, B 3597/95-4, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In der über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes ergänzten Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die mitbeteiligten Parteien, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Da das Baugesuch vor dem 1. Jänner 1995 bei der Baubehörde eingelangt ist, war das Verfahren zufolge § 58 Abs. 1 der Oö. BauO 1994 nach den bisher geltenden Rechtsvorschriften, somit nach der Oberösterreichischen Bauordnung 1976 (in der Folge O.ö. BauO), weiterzuführen.

Für das gegenständliche Bauverfahren ist der Flächenwidmungsplan der mitbeteiligten Landeshauptstadt Linz - Teil Mitte und Süd Nr. 1 in der Fassung der Änderung 4 - anzuwenden, wonach das zu bebauende Grundstück im Wohngebiet liegt. Nach dem Teilbebauungsplan 0120 ist die gekuppelte Bauweise vorgesehen, Garagen ausgenommen. Festzuhalten ist zunächst, daß das diesbezügliche behördliche Ermittlungsverfahren ergeben hat, daß für das mit einem Hauptgebäude und einem kleinen Nebengebäude bebaute Grundstück keine Bauplatzbewilligung vorliegt. Auch der Beschwerdeführer geht davon aus, daß keine Bauplatzbewilligung vorliegt.

§ 2 O.ö. BauO lautet wie folgt:

"(1) Der Neu-, Zu- oder Umbau von Gebäuden darf nur auf Grundflächen bewilligt werden, für die eine Bauplatzbewilligung nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 3 bis 5 vorliegt oder gleichzeitig mit der Baubewilligung erteilt wird.

(2) Abs. 1 gilt nicht für:

a) Baubewilligungen, die gemäß § 25 Abs. 2 nur auf Widerruf oder nur für einen fünf Jahre nicht übersteigenden Zeitraum erteilt werden;

b) Baubewilligungen für Gebäude auf Verkehrsflächen, die ausschließlich Interessen des Verkehrs oder der Verkehrsteilnehmer dienen;

c) Baubewilligungen für Gebäude im Grünland, wenn das Grünland in einem Flächenwidmungsplan ausgewiesen ist und das Bauvorhaben ausschließlich der jeweiligen Grünlandwidmung des Flächenwidmungsplanes dient.

(3) Die Baubehörde kann weitere Ausnahmen von der Bestimmung des Abs. 1 für Gebäude gewähren, die nicht für Wohnzwecke bestimmt sind und baurechtlich nur untergeordnete Bedeutung haben (wie kleine Kapellen, Garten- und Gerätehütten, Boots- und Badehütten, Umspann-, Umform- und Schaltanlagen, mit Schutzdächern versehene Abstellplätze und Garagen im Sinne des § 30 Abs. 6 lit. a), wenn Interessen an einer zweckmäßigen und geordneten Bebauung hiedurch nicht verletzt werden."

Der Beschwerdeführer rügt zunächst, daß die Baubehörde zu Unrecht die Ausnahme von der Bestimmung des Abs. 1 gewährt habe, weil Interessen an einer zweckmäßigen und geordneten Bebauung durch das Bauvorhaben dadurch verletzt würden, daß die vorgesehene Bebauung, bezogen auf die Bauplatzgröße, mehr als ein Zehntel ausmache. Es sei weiters die Ermessensausübung nicht begründet und keine Interessensabwägung durchgeführt worden.

Es ist dem Beschwerdeführer beizupflichten, daß der Gebrauch des Wortes "kann" im § 2 Abs. 3 O.ö. BauO zunächst auf die Einräumung eines Ermessens hinweist. Es gibt jedoch, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, auch Fälle, in welchen trotz der Verwendung dieses Wortes die von der Behörde zu treffende Entscheidung keine Ermessensentscheidung, sondern eine gebundene Entscheidung ist; dies ist dann der Fall, wenn die in Betracht kommende Verwaltungsvorschrift bereits alle Voraussetzungen normiert, die den ganzen Bereich der Erwägungen, die für die Entscheidung maßgebend sein könnten, umfassen (vgl. dazu die Erkenntnisse je eines verstärkten Senates vom 31. Jänner 1964, Slg. Nr. 6225/A, und vom 24. Oktober 1974, Slg. Nr. 8691/A).

Da nun in § 2 Abs. 3 O.ö. BauO festgelegt ist, bei welchen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen vom Erfordernis einer Bauplatzbewilligung abgesehen werden kann, bleibt auch nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes für die Ausübung des Ermessens kein Raum, vielmehr ist die Ausnahme zu gewähren, wenn die in Abs. 3 geforderten Voraussetzungen vorliegen. Daß durch die Ausnahme von der Bauplatzbewilligung keine öffentlichen Interessen an einer zweckmäßigen und geordneten Bebauung verletzt werden können, hat die Berufungsbehörde damit begründet, daß das für die Bebauung vorgesehene Grundstück zur Gänze den Festlegungen des rechtswirksamen Bebauungsplanes entspricht und überdies bereits durch ein Hauptgebäude bebaut ist und sich von seiner Beschaffenheit her als Bauplatz eignen würde. Der Verwaltungsgerichtshof teilt die von der Berufungsbehörde vertretene Ansicht, der sich auch die Vorstellungsbehörde angeschlossen hat, wonach aus den oben dargelegten Gründen sachverhaltsbezogen nicht davon ausgegangen werden kann, daß durch die Ausnahme von der Bauplatzbewilligungspflicht öffentliche Interessen an einer geordneten oder zweckmäßigen Bebauung verletzt würden. Daß die Interessen an einer zweckmäßigen und geordneten Bebauung öffentliche Interessen sind, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 3. Juni 1980, Zl. 2701/79, ausgesprochen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist aber keine Abwägung mit privaten Interessen bei Gewährung der Ausnahme im Sinne des § 2 Abs. 3 O.ö. BauO vorzunehmen.

Der Beschwerdeführer rügt weiters die Außerachtlassung der Bestimmung des § 29 Abs. 2 O.ö. BauO. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

"(2) Nebengebäude dürfen die Bebauung des Bauplatzes mit dem Hauptgebäude nicht hindern. Das Ausmaß der mit Nebengebäuden bebauten Fläche des Bauplatzes darf, soweit im Bebauungsplan nichts anderes bestimmt ist, ein Zehntel der Gesamtfläche des Bauplatzes nicht übersteigen und höchstens 100 Quadratmeter betragen."

Die belangte Behörde hat, ebenso wie die Baubehörden, argumentiert, daß im Beschwerdefall kein Bauplatz im Sinne der §§ 3 bis 5 O.ö. BauO vorliege, weshalb die Bestimmung des § 29 Abs. 2 leg. cit., da sie auf einen "Bauplatz" Bezug nehme, nicht anzuwenden sei.

Mit der Frage, ob sich die Bestimmung des § 29 Abs. 2 O.ö. BauO nur auf einen Bauplatz im Sinne der §§ 3 bis 5 O.ö. BauO bezieht, hat sich der Verwaltungsgerichtshof bisher nicht explizit auseinandergesetzt. Er hat jedoch zur Bestimmung des § 32 Abs. 2 lit. b der O.ö. BauO, wonach Neubauten und bestimmte Zubauten außerhalb eines geschlossen bebauten Gebietes gegen die seitlichen Grenzen des Bauplatzes (§ 2) und gegen die innere Bauplatzgrenze bestimmte Mindestabstände einzuhalten haben, ausgeführt, daß diese Abstandsvorschriften nur für einen Bauplatz im Sinne der §§ 3 bis 5 O.ö. BauO gelten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. September 1982, Zl. 82/05/0070). In der Bestimmung des § 32 Abs. 2 O.ö. BauO ist auf § 2 O.ö. BauO hingewiesen, ein derartiger Hinweis ist in § 29 Abs. 2 leg. cit. jedoch nicht enthalten, was darauf schließen läßt, daß der oberösterreichische Landesgesetzgeber bei der Bestimmung des § 29 Abs. 2 leg. cit. nicht von einem Bauplatz im Sinne der §§ 3 bis 5 leg. cit. ausgegangen ist. Aus der Regelungsabsicht des § 29 Abs. 2 O.ö. BauO ist keine Bedachtnahme auf die Frage erkennbar, daß der Bauplatz gemäß den §§ 3 ff O.ö. BauO genehmigt ist. Dies erhellt schon aus dem ersten Satz des § 29 Abs. 2 O.ö. BauO, weil die Hinderung der Bebauung mit Hauptgebäuden nicht davon abhängen kann, ob der Bauplatz gemäß §§ 3 ff O.ö. BauO bewilligt ist oder nicht. Auch die Beschränkung der Zehntelbebauung hat nichts mit der Frage der Bauplatzbewilligung zu tun.

Im Ergebnis ist daher die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Bestimmung des § 29 Abs. 2 O.ö. BauO mangels des Erfordernisses, gleichzeitig mit der Baubewilligung um die Bauplatzbewilligung anzusuchen, nicht anzuwenden gewesen wäre.

Da die belangte Behörde insofern die Rechtslage verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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