VwGH 97/21/0762

VwGH97/21/076224.4.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Robl,

Dr. Rosenmayr, Dr. Baur und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde der AK (geboren am 28. Juni 1975) in Graz, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 29. Oktober 1997, Zl. Fr 609/2-1997, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG in einer Angelegenheit nach § 54 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1 impl;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1 impl;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer bulgarischen Staatsangehörigen, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist gegen den gemäß § 54 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, erlassenen Feststellungsbescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 9. April 1997 abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß der Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 9. April 1997, Zl. Fr 3742/97, dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am 14. April 1997 zugestellt worden sei. Der betreffende Bescheid sei jedoch irrtümlich von der Kanzleileiterin des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin aufgrund eines Versehens ursprünglich in einen falschen Akt gelegt worden. Im Zuge von Telefonaten sei im Anschluß daran aufgrund der fälschlichen Ablage des Bescheides die Rechtsmittelfrist nicht im Fristenbuch eingetragen worden. Erst am 29. April 1997 sei das Versehen der Kanzleileiterin dadurch zu Tage gekommen, daß der Bescheid entdeckt worden sei, als für den Akt, in welchen der Bescheid irrtümlich eingelegt worden war, ein neuerliches Poststück in der Kanzlei eingelangt sei.

Es müsse grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß die Organisation des Kanzleibetriebes eines Rechtsanwaltes so einzurichten sei, daß die fristgerechte Einbringung von Rechtsmitteln oder von Beschwerden gesichert erscheint. Dabei habe ein Rechtsanwalt gegenüber seinen Kanzleibediensteten der ihm zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachzukommen. Insbesondere müsse der betroffene Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt sei. Dabei sei durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen seien. Ein Rechtsanwalt verstoße danach auch dann gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen habe, die im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumungen auszuschließen geeignet seien. Ein Verschulden träfe den Rechtsanwalt in einem solchen Falle nur dann nicht, wenn dargetan werde, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des entsprechenden Kanzleiangestellten beruhe. Da das Verlegen von Poststücken mitunter trotz Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht eines Anwaltes nicht vorhersehbar und auch nicht kontrollierbar sei, bedürfe es jedoch von seiten des Rechtsanwaltes im Rahmen der Ausübung seiner anwaltlichen Sorgepflichten eines Kontrollsystems, welches geeignet ist, im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumungen auszuschließen. Da im gegenständlichen Fall in der Kanzlei des Rechtsanwaltes kein solches Kontrollsystem gegeben sei, stelle das Versehen der Kanzleibediensteten für den Rechtsvertreter somit auch für die Beschwerdeführerin kein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis für die Begründung eines Wiedereinsetzungsantrages gemäß § 71 AVG dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Beschwerdeführerin führte darin aus, daß es unerfindlich sei, warum der als Zeuge namhaft gemachte damalige Rechtsvertreter nicht von der belangten Behörde vernommen wurde. Weiters bringt die Beschwerdeführerin vor, daß es in der Kanzlei des damaligen Rechtsvertreters ein Fristenbuch gebe, in welches Rechtsmittelfristen einzutragen seien. Außerdem gebe es in der Kanzlei des seinerzeitigen Rechtsvertreters ein Kontrollsystem, nämlich Postsitzungen. Eine Postsitzung sei naturgemäß nur dann möglich, wenn die von der Sekretärin eingelangten Poststücke im Fristenbuch vermerkt seien. Die entsprechenden näheren Auskünfte über das Kontrollsystem und die Unvermeidbarkeit des aufgetretenen Fehlers hätte die zum Beweis angebotene Vernehmung des seinerzeitigen Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin erbringen können. Es sei jedoch nicht erklärlich, wie ein von der belangten Behörde gefordertes Sicherheitssystem einen Fehler einer Kanzleiangestellten verhindern solle, wenn ein Schriftstück innerhalb von Sekunden falsch abgelegt oder verlegt werde. Der Verwaltungsgerichtshof habe ausgesprochen, daß der Rechtsanwalt die näheren Umstände der Postaufgabe von Schriftstücken, das Kuvertieren von zugehörigen Beilagen sowie auch das Beschriften der jeweiligen Kuverts "verläßlich den Kanzleiangestellten allein" überlassen könne. Auch der Posteinlauf, also z.B. das Abstempeln der eingeschriebenen Poststücke, das Datieren, das Öffnen der gesamten Post, müsse einer Sekretärin alleine überlassen werden können. Es würde die Anspannungspflicht des Rechtsanwaltes in jedem Fall überfordern, wenn er die Post selbst entgegennehmen und öffnen müsse, um ein nahezu (wohl: nicht) ausschließbares Fehlverhalten der Sekretärin beim Posteingang zu vermeiden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte unter Abstandnahme von einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zuletzt etwa den hg. Beschluß vom 27. März 1998, Zlen. 97/21/0274, 0275, mwN) ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzurechnen ist, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber unterlassen hat. Der Beschwerdeführerin ist insoweit Recht zu geben, daß eine Kontrolle jeder erforderlichen Eintragung im Fristenbuch (hier: einer erfahrenen und verläßlichen Kanzleikraft durch den Rechtsanwalt), also eine "Überwachung auf Schritt und Tritt", nicht erforderlich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1992, Zl. 92/09/0043). Allerdings muß der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrolle u. a. dafür vorzusorgen, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. etwa den hg. Beschluß vom 8. November 1988, Zl. 88/11/0159, 0236).

Im gegenständlichen Fall hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, daß in der Kanzlei ihres seinerzeitigen Rechtsvertreters ein Kontrollsystem nur insoweit bestanden habe, als entsprechende Postsitzungen abgehalten wurden. Wie auch die Beschwerdeführerin selbst in der Beschwerde ausgeführt hat, sind solche Postsitzungen nur geeignet, tatsächlich in das Fristenbuch eingetragene Termine zu kontrollieren. Die - anhand der Fristeintragungen abgehaltenen - Postsitzungen sind somit nicht geeignet, eine vorherige fehlerhafte Ablage der Post in einen Handakt zu verhindern. Die Beschwerdeführerin hat in keiner Weise ausgeführt (und somit die erforderliche Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargetan), welche Kontrollsysteme in der Kanzlei des damaligen Rechtsvertreters bestanden haben, die geeignet gewesen wären, das Unterlassen einer Eintragung in das Fristenbuch aller Voraussicht nach auszuschließen. Es wurde in der Kanzlei des seinerzeitigen Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin durch keine Maßnahme sichergestellt, daß dem Rechtsanwalt alle Einlaufstücke vorgelegt werden; im Gegenteil war nach dem Beschwerdevorbringen die Behandlung des Posteinlaufs der Kanzleileiterin übertragen. Diese Tätigkeit stellt keine bloß manipulative Tätigkeit dar. Aus diesem Grund wäre durch ein Kontrollsystem zu gewährleisten, daß ein fehlerhaftes Zuordnen eines Schriftstückes zu einem Handakt vermieden wird. Das von der Beschwerdeführerin dargestellte System in der Kanzlei ihres früheren Rechtsvertreters vermag diese Voraussetzung nicht zu erfüllen. Das Fehlen eines wirksamen Kontrollsystems begründet ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der Fristversäumung.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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