VwGH 97/19/1405

VwGH97/19/140516.10.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der 1946 geborenen FÖ in Wien, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Mai 1997, Zl. 107.353/8-III/11/97, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin verfügte über einen am 13. Februar 1992 ausgestellten unbefristeten Wiedereinreisesichtvermerk. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 28. März 1994 wurde dieser Wiedereinreisesichtvermerk gemäß § 11 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) für ungültig erklärt und ausgesprochen, daß die Aufenthaltsberechtigung mit Zustellung dieses Bescheides erlösche. Nach der Aktenlage wurde dieser Bescheid am 26. April 1994 wirksam.

Am 25. Mai 1994 (Datum des Einlangens bei der erstinstanzlichen Behörde) beantragte die Beschwerdeführerin die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung.

Dieser Antrag wurde mit einem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Juli 1995 gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde in diesem Bescheid aus, die Beschwerdeführerin sei wie folgt strafgerichtlich verurteilt worden:

durch das Landesgericht für Strafsachen Wien am 21. September 1993 nach § 16 Abs. 1 SGG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten, welche unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei;

durch das Bezirksgericht Donaustadt am 11. November 1994 gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 30 Tagessätzen.

Aufgrund des diesen Verurteilungen zugrundeliegenden Fehlverhaltens liege der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vor. Die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei gemäß § 5 Abs. 1 AufG ausgeschlossen. Die öffentlichen Interessen überwögen daher die privaten Interessen der Beschwerdeführerin.

Gegen diesen Bescheid richtete sich die zur hg. Zl. 95/19/0535 protokollierte Beschwerde der Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Februar 1996 hob dieser den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. In diesem Erkenntnis teilte der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsauffassung der belangten Behörde, das den rechtskräftigen Verurteilungen der Beschwerdeführerin zugrundeliegende Fehlverhalten rechtfertige die Annahme, sie gefährde die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG. Weiters führte der Verwaltungsgerichtshof aus wie folgt:

"Die Beschwerdeführerin rügt jedoch zutreffend, daß es die belangte Behörde unterlassen hat, ihr zu dem von ihr erstmals herangezogenen Versagungsgrund nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG Parteiengehör zu gewähren. Ändert die Behörde gegenüber dem Bescheid der Vorinstanz den Versagungsgrund, so ist sie verpflichtet, dies dem Berufungswerber vorzuhalten. Durch das - nicht dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herrschenden Neuerungsverbot unterliegende - Vorbringen, daß Sie seit 1969 in Österreich lebe, ihre vier Kinder alle in Österreich geboren seien und ihre gesamte Familie in Österreich lebe, sie über Arbeit und Unterkunft verfüge und Österreich der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen sei, zeigt sie auf, daß die belangte Behörde Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG hat nämlich die belangte Behörde auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen, indem sie zu prüfen hat, ob sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit derart gefährden würde, daß die im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben rechtfertigen. Die behaupteten privaten und familiären Bindungen der Beschwerdeführerin in Österreich sind nun derart intensiv, daß ein Ausgang der Güterabwägung zugunsten ihrer privaten und familiären Interessen nicht ausgeschlossen erscheint. ..."

Im fortgesetzten Verfahren gewährte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin zu dem in Rede stehenden Versagungsgrund rechtliches Gehör. Letztere brachte vor, daß die Verurteilung wegen § 16 SGG ausschließlich auf den Einfluß ihres Ehegatten, der eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen habe, zurückzuführen gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe sich immer um ihre Familie gekümmert. Seit dem Delikt gemäß § 16 SGG seien bereits mehr als fünf Jahre vergangen. Zu berücksichtigen sei, daß sich die Beschwerdeführerin seit vielen Jahren in Österreich aufhalte. Ihre Kinder, die zum Teil im Bundesgebiet geboren worden seien, lebten in Österreich. Die Beschwerdeführerin selbst gehe im Bundesgebiet einer Berufstätigkeit nach und sei sozial vollkommen integriert.

Mit Ersatzbescheid vom 15. Mai 1997 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 25. Mai 1994 neuerlich gemäß § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ab. Unter Hinweis auf die oben wiedergegebenen Verurteilungen der Beschwerdeführerin durch inländische Strafgerichte hielt die belangte Behörde ihre Rechtsauffassung aufrecht, der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG sei gegeben.

Sodann führte die belangte Behörde aus wie folgt:

"Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist die Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung, sofern damit in das Privat- und Familienleben des Antragstellers eingegriffen würde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele notwendig ist.

Im Sinne der damit geforderten Notwendigkeit darf eine Aufenthaltsbewilligung nicht verweigert werden, wenn die Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf die Lebenssituation des Fremden oder seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Nichterteilung der Aufenthaltsbewilligung.

Bei dieser Abwägung ist auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Antragstellers und seiner Familienangehörigen sowie die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.

Zu Ihren persönlichen Verhältnissen ist zu sagen, daß durch den Aufenthalt Ihrer Kinder im Bundesgebiet - welche laut Ihren Angaben in Ihrer Stellungnahme zum Teil hier geboren wurden - unabsprechbare private und familiäre Beziehungen zu Österreich bestehen. Ihr Gatte hat, laut Ihren eigenen Angaben in Ihrer Stellungnahme vom 17.4.1997 eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen.

Obwohl Sie sich seit 1969 in Österreich aufhalten, hier einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen, ist die Berufungsbehörde der Ansicht, daß Ihr Vergehen nach dem Suchtgiftgesetz derart schwerwiegend ist und damit eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit gegeben ist.

Trotz der von Ihnen angeführten Interessen im Bundesgebiet (bedingt durch Ihren langjährigen Aufenthalt in Österreich, Ihre familiäre Bindungen), welche auch beträchtlich sein mögen, steht Ihnen aber das Strafgericht (gemeint wohl: Gewicht) der gegen die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sprechenden öffentlichen Interessen gegenüber. Denn die den rechtskräftigen Verurteilungen zugrundeliegenden strafbaren Handlungen sind von solcher Bedeutung, daß zur Wahrung der öffentlichen Ordnung, zur Verbindung (gemeint wohl: Verhinderung) von (weiteren) strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte anderer (Art. 8 Abs. 2 MRK) die durch die Versagung der Aufenthaltsbewilligung Ihre tangierten privaten und familiären Interessen zurückzustehen haben.

Demnach kann unter den gegebenen Umständen keinesfalls eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, da nach der vorstehenden Abwägung die Berufungsbehörde zur Ansicht gelangte, daß die öffentlichen Interessen zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele höher zu werten sind, als die nachteiligen Folgen einer Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung auf Ihre Lebenssituation und im Hinblick darauf, wie auch unter Berücksichtigung des keinesfalls geringen Unrechtsgehaltes eines Vergehens nach dem Suchtgiftgesetz, der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG verwirklicht wird."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 5 Abs. 1 AufG lautete:

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."

§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"

Der gegenständliche Antrag vom 25. Mai 1994 wurde gestellt, nachdem der für die Beschwerdeführerin erteilte unbefristete Wiedereinreisesichtvermerk für ungültig erklärt worden war. Ein Fall des § 113 Abs. 6 oder 7 FrG 1997 liegt daher nicht vor.

Eingangs ist auszuführen, daß die Auffassung der belangten Behörde, das den Verurteilungen zugrundeliegende Fehlverhalten rechtfertige nach wie vor die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG zu treffende Gefährlichkeitsprognose, nicht zu beanstanden ist.

Im Gegensatz zur belangten Behörde vertritt der Verwaltungsgerichtshof jedoch die Auffassung, daß der Eingriff durch die Versagung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit der vorliegenden auf § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG gestützten Entscheidung in die privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK nicht gerechtfertigt ist.

Eingangs ist vorauszuschicken, daß eine Bedachtnahme auf die während eines langjährigen Voraufenthaltes begründeten privaten und familiären Beziehungen in Österreich bei einer auf § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG infolge strafrechtlichen Fehlverhaltens gestützten Entscheidung auch dann geboten ist, wenn eine frühere Aufenthaltsberechtigung bereits rechtskräftig entzogen worden ist (vgl. das zum ähnlichen Fall eines nach der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung eines Verlängerungsantrages gestellten neuerlichen Antrages ergangene hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1997, Zl. 96/19/2193).

In diesem Zusammenhang ist nun zunächst zu bedenken, daß die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen des gravierenden Deliktes nach § 16 Abs. 1 SGG im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits über dreieinhalb Jahre zurücklag (Feststellungen zum in diesem Zusammenhang relevanten Tatzeitpunkt, welcher nach den Behauptungen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren schon mehr als fünf Jahre zurücklag, wurden auch im angefochtenen Bescheid nicht getroffen). Die weitere Verurteilung der Beschwerdeführerin gemäß §§ 15, 127 StGB lag demgegenüber im Entscheidungszeitpunkt bereits mehr als zweieinhalb Jahre zurück.

Diesem gravierenden Fehlverhalten der Beschwerdeführerin stehen jedoch nach Art. 8 MRK geschützte besonders intensive Interessen im Bundesgebiet gegenüber:

Die Beschwerdeführerin hielt sich über 27 Jahre lang im Bundesgebiet auf und stand im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Beschäftigung. Auch ihre Kinder (deren Anzahl im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt wurde, nach dem Beschwerdevorbringen im hg. Akt zur Zl. 95/19/0535 jedoch vier beträgt) hielten sich im Bundesgebiet auf und waren teilweise in Österreich geboren worden. Auch ihr Ehegatte war - wenngleich im Zeitpunkt der Bescheiderlassung in Strafhaft (die Dauer der noch zu verbüßenden Haft wurde im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt) - ebenfalls in Österreich aufhältig.

Angesichts dieser intensivsten privaten und familiären Bindungen der Beschwerdeführerin in Österreich ist die Versagung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aufgrund des ihren Verurteilungen zu einer bedingten Freiheitsstrafe und zu einer Geldstrafe zugrundeliegenden Fehlverhaltens schon auf Basis der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen nicht im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK gerechtfertigt (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1997, Zl. 95/18/0297).

Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Oktober 1998

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