Normen
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §19;
EMRK Art8 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §19;
EMRK Art8 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 19. Februar 1997 wurde die Beschwerdeführerin, eine bosnische Staatsangehörige, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.
Die Beschwerdeführerin sei 1976 nach Österreich gekommen und habe zunächst bis 1980 aufgrund von Verpflichtungserklärungen über eine Aufenthaltsberechtigung verfügt. Weitere Sichtvermerksanträge seien abgewiesen worden. Lediglich in der Zeit vom Dezember 1987 bis (zuletzt) Februar 1989 habe die Beschwerdeführerin Sichtvermerke aufgrund von Verpflichtungserklärungen gehabt. In der Zwischenzeit sei sie illegal in Österreich gewesen und deshalb auch öfters bestraft worden. Sie habe mit ihren Kindern "von ihrem Lebensgefährten, einem tunesischen Staatsangehörigen, und von Sozialhilfe und Kinderbeihilfen" gelebt. Es gebe auch Berichte über mangelhaften Schulbesuch der Kinder und schließlich seien die Kinder "in Gemeindepflege" übernommen worden. Die notwendigen Mittel für den Unterhalt und für Krankenpflege seien meist nicht vorhanden gewesen. Bei verschiedenen Erhebungen hätten der Aufenthalt der Beschwerdeführerin nicht ermittelt und fremdenpolizeiliche Maßnahmen daher nicht ergriffen werden können. Dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 12. Oktober 1995 gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht stattgegeben worden. Am 17. September 1996 sei die Beschwerdeführerin zur Sicherung des Ausweisungsverfahrens in Schubhaft genommen worden. Mit Straferkenntnis vom 24. September 1996 sei die Beschwerdeführerin bezüglich ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes bestraft und die Ausweisung verfügt worden.
Da sich die Beschwerdeführerin seit dem 1. März 1989, also somit mehr als sieben Jahre, ohne Sichtvermerk in Österreich aufhalte, bestehe kein Zweifel, daß die Voraussetzung des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz FrG gegeben sei.
Was die Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 19 FrG betreffe, so sei mit der vorliegenden fremdenpolizeilichen Maßnahme kein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden, da für die Beurteilung der Integration nur der legale Aufenthalt herangezogen werden könne, der mehr als sieben Jahre zurückliege, und die Beschwerdeführerin mit ihren sieben Kindern, für die sie sorgepflichtig wäre, nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebe (fünf Kinder lebten in einem Heim, zwei bei ihrem Neffen). Da die Beschwerdeführerin zudem seit einigen Jahren keinen festen Wohnsitz habe (seit 1993), nicht polizeilich gemeldet sei, lange Zeit unentdeckt als "U-Boot" gelebt habe und keiner Beschäftigung mehr nachgehe, sei der mit der Ausweisung verbundene Eingriff jedenfalls dringend geboten. Der seit mehr als sieben Jahren dauernde illegale Aufenthalt der Beschwerdeführerin, vor allem aber ihr weiteres Verbleiben in Österreich nach einem abweisenden Aufenthaltsbewilligungsbescheid, lasse die Ausweisung zur Verteidigung eines geordneten Fremdenwesens, somit also zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, dringend geboten erscheinen. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Die Tolerierung eines weiteren illegalen Aufenthaltes erscheine nicht vertretbar.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift, die Beschwerde abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerdeführerin leitet aus § 12 des Aufenthaltsgesetzes und der aufgrund dieser Bestimmung erlassenen Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina eine Berechtigung zum Aufenthalt in Österreich ab, weil sie ihre Heimat aufgrund der bewaffneten Konflikte - hätte sie sich bei deren Ausbruch noch dort befunden - verlassen hätte müssen. Mit diesem Vorbringen verkennt die Beschwerdeführerin, daß für ihren Fall eine Berechtigung zum Aufenthalt in Österreich nach § 12 des Aufenthaltsgesetzes (sowie einer auf diese Bestimmung gestützten Verordnung) schon deswegen nicht in Betracht kommt, weil sie bei ihrer Einreise nach Österreich im Jahre 1976 - unbestritten - weder aufgrund einer internationalen Spannung oder eines bewaffneten Konflikts noch sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände - wie dies § 12 leg. cit. für eine Aufenthaltsberechtigung nach dieser Bestimmung zur Voraussetzung macht - nach Österreich gekommen ist.
Im übrigen läßt die Beschwerdeführerin die Feststellungen der belangten Behörde, wonach ihr lediglich von 1976 bis 1980 und von Dezember 1987 bis Februar 1989 eine Aufenthaltsberechtigung in Österreich zugekommen sei, unbestritten. Vor diesem Hintergrund bestehen gegen die Auffassung der belangten Behörde, daß im Beschwerdefall die Voraussetzung des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz gegeben sei, keine Bedenken.
2. Im Lichte des § 19 FrG wendet die Beschwerdeführerin gegen den angefochtenen Bescheid - zusammengefaßt - ein, daß sie seit etwa 20 Jahren ausschließlich in Österreich lebe und hier ihre sieben Kinder zur Welt gekommen seien. Nach Ausweis des Aktes ist das älteste Kind im Jahr 1980, das jüngste im Jahr 1994 geboren. Sie habe im Jahr 1993 schuldlos (durch einen Brand) die Wohnung, in der sie gemeinsam mit ihren Kindern gelebt habe, verloren; seither wären zwar ihre sechs älteren Kinder "in Gemeindepflege" übernommen worden, sie stehe aber mit ihren Kindern wöchentlich in Kontakt; ihre Kinder wären ihr sehr zugetan, sodaß eine Ausweisung der Beschwerdeführerin für deren Entwicklung überaus abträglich wäre.
Schon dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. Die belangte Behörde hat selbst festgestellt, daß sich die Beschwerdeführerin seit 1976 in Österreich aufhalte und ihre sieben minderjährigen Kinder in Österreich lebten. Wenn die Behörde die Auffassung vertreten hat, daß ungeachtet dessen mit der verfügten Ausweisung "kein relevanter Eingriff" in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin verbunden sei, ist dies sowohl im Hinblick auf die überaus lange Dauer des inländischen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin von mehr als 20 Jahren als auch in Anbetracht der beträchtlichen familiären Bindungen der Beschwerdeführerin in Österreich verfehlt, zumal nach Art. 8 Abs. 1 MRK ein "Familienleben" der Beschwerdeführerin mit ihren Kindern auch dann besteht, wenn sie mit diesen nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebt (vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Auflage, Kehl 1996, S. 347, sowie die dort zitierte Rechtsprechung).
Darüber hinaus ist die Auffassung verfehlt, daß die Ausweisung der Beschwerdeführerin auch unter der Annahme eines damit verbundenen Eingriffs in ihr Privat- und Familienleben dringend geboten im Sinn des § 19 FrG sei, ist doch das Gewicht der besagten besonders stark ausgeprägten persönlichen Interessen so beträchtlich, daß diese das sicherlich beachtliche öffentliche Interesse an der Ausweisung aufgrund des langdauernden rechtswidrigen Aufenthaltes und der damit verbundenen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens letztlich überwiegen, zumal von der Behörde nicht auch noch andere öffentliche, in Art. 8 Abs. 2 MRK genannte Interessen (wie etwa in dem dem hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 1997, Zl. 96/18/0577, zugrundeliegenden Fall) ins Treffen geführt wurden.
3. Da somit - wie dargestellt - die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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