VwGH 97/11/0107

VwGH97/11/010710.11.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 23. September 1996, Zl. Ib-277-109/96, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen B, C, E, F und G entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm vor Ablauf von drei Jahren, Haftzeiten nicht eingerechnet, keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 25. Februar 1997, B 4384/96, die Behandlung der zunächst an ihn gerichteten Beschwerde abgelehnt und diese mit Beschluß vom 7. Mai 1997 gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie für den Fall der Beibehaltung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Zulässigkeit der Nichteinrechnung von Haftzeiten in die Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Dem angefochtenen Bescheid liegt eine rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers (Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 19. April 1995) unter anderem wegen des versuchten Verbrechens nach §§ 15 StGB, 12 Abs. 1 und 3 Z. 3 SGG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren zugrunde. Nach den Feststellungen des Strafgerichtes hat der Beschwerdeführer in der Zeit von Ende 1993 bis Frühjahr 1994 den bestehenden Vorschriften zuwider 750 g Heroin zu verkaufen versucht. Die belangte Behörde erblickte darin eine die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers im Sinne des § 66 Abs. 1 lit. b KFG 1967 indizierende bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. c. Bei der Wertung dieser bestimmten Tatsache nach den Kriterien des § 66 Abs. 3 KFG 1967 war für die belangte Behörde insbesondere die große Menge des Suchtgiftes und die damit vom Beschwerdeführer in Kauf genommene Gefahr für eine unübersehbare Zahl von Menschen maßgebend.

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Annahme des Vorliegens der besagten bestimmten Tatsache und den auf ihrer Wertung nach § 66 Abs. 3 KFG 1967 beruhenden Schluß der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei im Sinne des § 66 Abs. 1 lit. b KFG 1967 verkehrsunzuverlässig. Bekämpft wird der Sache nach der Entziehungsausspruch unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Doppelbestrafung und in Verbindung damit insbesondere der Ausspruch betreffend die Nichteinrechnung der Haftzeit in die Sperrfrist nach § 73 Abs. 2 KFG 1967. Der Entziehungsausspruch stelle eine unnötige Doppelsanktion dar. Die Resozialisierung des Beschwerdeführers und damit die Änderung seiner verkehrsunzuverlässigen Sinnesart erfolge bereits durch die Verbüßung der Freiheitsstrafe. Der Beschwerdeführer beruft sich in diesem Zusammenhang auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes zum Doppelbestrafungsverbot nach Art. 4 des

7. ZPMRK ("Gradinger gegen Österreich" und VfSlg. 14696/1996), auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteile Choquet, Rs. 16/78; Skanavi und Chryssanthakopoulos, Rs. C-193/94 ; Walt Wilhelm, Rs. 14/68; Kommission gegen Französische Republik, Rs. C-276/91 ) und auf Literatur (Winkler, Führerscheinentzug und gerichtliche Haftstrafe, JAP 1996/97, 150).

Die wiederholten Bezugnahmen auf die Rechtsprechung des EuGH gehen mangels eines gemeinschaftsrechtlich relevanten Sachverhaltes ins Leere. Gegenstand des angefochtenen Bescheides ist eine österreichische und nicht etwa eine von einem anderen Mitgliedsstaat oder einem assoziierten Staat erteilte Lenkerberechtigung. Im übrigen hat entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers keines der angesprochenen Urteile die Entziehung einer Lenkerberechtigung zum Gegenstand (die Urteile Kommission gegen Französische Republik und Walt Wilhelm betreffen Bestrafungen wegen Verstößen gegen Zollvorschriften; die Urteile Shoquet sowie Skanavi und Chryssanthakopoulos betreffen Bestrafungen wegen Lenkens von Kraftfahrzeugen ohne Fahrerlaubnis des betreffenden Staates, bei Vorliegen einer von einem anderen Mitgliedsstaat erteilten Lenkerberechtigung).

Der Verwaltungsgerichtshof bejaht in ständiger Rechtsprechung zum KFG 1967 die Zulässigkeit der Nichteinrechnung von Haftzeiten in die Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 im Zusammenhang mit der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen des Wegfalls der Erteilungsvoraussetzung der Verkehrszuverlässigkeit. Er begründete dies stets mit der mangels Freizügigkeit während einer Haft fehlenden Möglichkeit, die Änderung der Sinnesart unter Beweis zu stellen (vgl. die Erkenntnisse vom 12. Oktober 1979, Zl. 1648/79, vom 17. Mai 1983, Zl. 82/11/0007, vom 1. Dezember 1992, Zl. 92/11/0057, und vom 29. Oktober 1996, Zl. 96/11/0257). Im zuletzt genannten Erkenntnis führte der Gerichtshof aus, der Sinn eines solchen Ausspruches liege darin, daß die Entziehung der Lenkerberechtigung auch deswegen erfolgte, um bei der betreffenden Person eine Änderung der als Verkehrsunzuverlässigkeit bezeichneten Sinnesart herbeizuführen. Diese Änderung sei durch Wohlverhalten über einen bestimmten Zeitraum unter Beweis zu stellen. Je größer die Abweichung der Sinnesart einer Person von der vom KFG 1967 für den Besitz einer Lenkerberechtigung geforderten sei, desto länger habe die Bewährungszeit anzudauern. Während einer Haft - also in einer Situation, in der die betreffende Person nur eingeschränkt die Möglichkeit habe, ihren eigenen Entschlüssen gemäß zu handeln - könne sie die von der Entziehung intendierte Änderung ihrer Sinnesart nicht unter Beweis stellen. Erst wenn sie in der Lage sei, ihr Verhalten weitgehend selbst zu bestimmen, könne ein Wohlverhalten als selbstbestimmt und nicht bloß erzwungen gewertet werden.

Es besteht aus der Sicht des Beschwerdefalles kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Daß auch die Verbüßung einer Haftstrafe in Richtung Änderung der Sinnesart wirkt, hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung nicht in Abrede gestellt. Er hat allerdings immer auch die vom Beschwerdeführer, von der von ihm zitierten Literatur und von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift außer acht gelassene Notwendigkeit einer an die Haftzeit anschließenden ausreichenden Zeitspanne betont, in der die betreffende Person eine Änderung ihrer Sinnesart nach Wiedererlangung der Freizügigkeit unter Beweis stellen kann, bevor wiederum von ihrer Verkehrszuverlässigkeit ausgegangen werden kann. Daß diese Überlegung mit Wortlaut, Sinn und Zweck des KFG 1967 unvereinbar wäre oder auf eine dieses Gesetz als verfassungswidrig erscheinen lassende Auslegung hinausliefe, ist nicht zu erkennen.

Auch von einer unzulässigen Doppelbestrafung kann entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers keine Rede sein. Daß die Entziehung der Lenkerberechtigung vielfach subjektiv als Strafe empfunden wird, ändert nichts daran, daß sie keine Strafe, sondern eine administrative Maßnahme zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer oder sonstiger Rechtsgüter vor verkehrsunzuverlässigen Kraftfahrzeuglenkern darstellt (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, SlgNr. 11.237/A mwN; daraus ergibt sich auch das vom Beschwerdeführer selbst - zu Recht - geforderte zwingende öffentliche Interesse an der Entziehung der Lenkerberechtigung). Dementsprechend kommt es für die Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit und der Dauer ihres Fehlens nicht auf strafrechtliche Gesichtspunkte, sondern allein darauf an, ob die betreffende Person als Lenker eines Kraftfahrzeuges eine Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer oder sonstige Rechtsgüter darstellt (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Februar 1973, SlgNr. 6976, und des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juni 1983, SlgNr. 11.103/A). Die wiederholten Bezugnahmen in der Beschwerde auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes zum Doppelbestrafungsverbot nach Art. 4 des 7. ZPMRK lassen den aufgezeigten Sicherungszweck der Entziehungsmaßnahme außer acht. Es geht hier anders als in jenen Fällen gerade nicht um eine Bestrafung durch die Verwaltungsbehörde zusätzlich zu einer Bestrafung durch das Gericht wegen des selben strafbaren Verhaltens.

Die Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 10. November 1998

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