VwGH 97/09/0332

VwGH97/09/033229.9.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des AK in W, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landhausgasse 4, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice vom 24. September 1997, Zl. LGSW/Abt. 10/13117/766.083/1997, betreffend Feststellung gemäß Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art7;
AuslBG §1 Abs2 litl;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §1 Abs2 litl;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Landesgeschäftsstelle Wien des Arbeitsmarktservice (belangte Behörde) vom 24. September 1997 gerichtet, mit welchem der Antrag des Beschwerdeführers vom 13. Mai 1997 auf Feststellung, daß er gemäß Art. 7 des nach dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 eingerichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80), berechtigt sei, abgewiesen wurde, weil er die Voraussetzungen gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 nicht erfülle und für die Aufnahme einer unselbständigen Beschäftigung in Österreich nicht vom Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgenommen sei.

Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß der Beschwerdeführer zwar am 31. Dezember 1990 in das Bundesgebiet eingereist sei und hier seinen Wohnsitz begründet habe. Seine Behauptung, gemäß Art. 7 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 berechtigt zu sein, habe der Beschwerdeführer darauf gegründet, daß er seit dem 2. Juli 1996 mit einer in Österreich dem regulären Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Staatsangehörigen verheiratet sei. Neben dieser faktisch gegebenen Familienangehörigkeit werde von Art. 7 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 jedoch vorausgesetzt, daß der Feststellungswerber die Genehmigung erhalten habe, zu dem türkischen Staatsangehörigen zu ziehen, von dem er die Familienangehörigeneigenschaft herleite, und überdies dort bei dieser Bezugsperson mindestens fünf Jahre vom Antragszeitpunkt ununterbrochen seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz gehabt habe. Dies sei beim Beschwerdeführer, der erst seit seiner Eheschließung Familienangehöriger im Sinne des Art. 7 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 sei und auch erst seit dem 15. Oktober 1996 mit seiner Ehegattin einen gemeinsamen Wohnsitz habe, nicht der Fall.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Art. 7 Satz 1 (Abs. 1) ARB Nr. 1/80 hat folgenden Wortlaut:

"Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben."

In der Beschwerde wird ausgeführt, daß sich der Beschwerdeführer seit dem 29. Dezember 1990 ununterbrochen in Österreich aufhalte. Seine gesamte Familie befinde sich seit zumindest 1989 in Österreich, sowohl seine Mutter als auch sein Stiefvater seien im Besitze eines Zusicherungsbescheides für die österreichische Staatsbürgerschaft. Seine beiden Geschwister hätten eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung in Österreich; seine sechs Stiefbrüder hätten ebenfalls einen Zusicherungsbescheid zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Auch seine Cousins hätten teilweise unbefristete Aufenthaltsberechtigungen, zum Teil Zusicherungsbescheide für die österreichische Staatsbürgerschaft, zum Teil aber auch bereits die österreichische Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer hätte seit dem Jahre 1991 bis zum 20. November 1993 ununterbrochen Wiedereinreisesichtvermerke gehabt. Vor dem November 1993 habe er einen Verlängerungsantrag (nach dem Aufenthaltsgesetz) gestellt, welcher in zwei Instanzen abgewiesen worden sei; der Bescheid des Bundesministers für Inneres sei jedoch mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Mai 1996 aufgehoben worden. Im zweiten Rechtsgang habe der Bundesminister für Inneres sodann der Berufung des Beschwerdeführers Folge gegeben, den Bescheid der Behörde erster Instanz behoben und ausgeführt, daß der Beschwerdeführer nicht unter das Aufenthaltsgesetz falle, weil er dem Art. 7 ARB Nr. 1/80 unterliege. Diese Frage sei mit dem angefochtenen Bescheid jedoch verneint worden.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil Art. 7 ARB Nr. 1/80 nicht auf die Dauer der Ehe bzw. Dauer der Ehegemeinschaft oder Haushaltsgemeinschaft abstelle, sondern bloß auf die Dauer des Wohnsitzes im betreffenden Mitgliedstaat. Die belangte Behörde habe nicht geprüft, ob der Beschwerdeführer mit seiner nunmehrigen Ehegattin auch bereits vor der Eheschließung zusammengelebt habe, ohne polizeilich gemeldet gewesen zu sein. Tatsächlich kenne er sie schon seit langem und habe bereits lange Zeit vor der Eheschließung eine sehr enge Beziehung gehabt, welche einer Lebensgemeinschaft gleichgekommen sei. Die belangte Behörde habe den Wohnsitz des Beschwerdeführers lediglich aus seinen Meldedaten abgeleitet, ohne ihm Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern, weshalb er erst später in der Wohnung seiner Ehegattin gemeldet gewesen sei.

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 17. April 1997 in der Rechtssache C-351/95 , Selma Kadiman gegen Freistaat Bayern, Slg. 1997, I-2133, gegen Freistaat Bayern, folgendes ausgeführt:

"36. Die durch Art. 7 S. 1 eingeführte Regelung soll somit günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat schaffen, indem den Familienangehörigen zunächst gestattet wird, bei dem Wanderarbeiter zu leben, und ihre Stellung später durch die Verleihung des Rechts gestärkt wird, in diesem Staat eine Beschäftigung aufzunehmen.

37. In Anbetrachtung ihres Geistes und ihres Regelungszwecks kann diese Vorschrift daher nicht so ausgelegt werden, daß sie nur verlangt, daß der Aufnahmemitgliedstaat dem Familienangehörigen die Genehmigung zur Einreise erteilt, um zu dem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen, ohne daß der Angehörige in diesem Staat weiterhin tatsächlich mit dem Wanderarbeitnehmer zusammenzuwohnen brauchte, solange er nicht selbst das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt hat.

..."

Die praktische Wirksamkeit des Art. 7 verlange, "wie in Tz. 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt, daß sich die Familienzusammenführung, die der Grund für die Einreise des betroffenen in den fraglichen Mitgliedsstaat war, während einer bestimmten Zeit im tatsächlichen Zusammenleben des Betroffenen mit dem Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft manifestiert". (Randnr. 40)

Aus diesen Ausführungen des EuGH ist ohne Zweifel ersichtlich, daß die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers nicht zutrifft, und Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 verlangt, daß - wie die belangte Behörde zutreffend ausführt - der Familienangehörige des dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörigen türkischen Arbeitnehmers, die Genehmigung erhalten hat, zu diesem zu ziehen, und während der im ersten und zweiten Gedankenstrich leg. cit. genannten Zeiträume grundsätzlich in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat, um die in der genannten Bestimmung angeführten Rechte zu erwerben. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Beschwerdeführers jedoch unbestritten nicht erfüllt, weil der Beschwerdeführer sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet nicht im Hinblick auf die Familienzusammenführung mit seiner nunmehrigen Ehegattin erhalten hat, und ein gemeinsamer Wohnsitz erst etwa elf Monate vor Erlassung des angefochtenen Bescheides begründet wurde.

Den zuletzt genannten Umstand hat die belangte Behörde festgestellt, ohne hiebei Verfahrensvorschriften zu verletzen. Der Beschwerdeführer selbst hat nämlich in seinem Antrag vom 13. Mai 1997 angegeben, erst seit dem 15. Oktober 1996 eine mit seiner Ehegattin gemeinsame Wohnsitzadresse zu besitzen. Daß dies schon zu einem früheren Zeitpunkt der Fall gewesen sei, hat er im Verwaltungsverfahren nicht geltend gemacht. Der mit der Beschwerde an die belangte Behörde gerichtete Vorwurf, diese habe nicht geprüft, ob er mit seiner jetzigen Ehegattin auch bereits vor der Eheschließung ohne entsprechende polizeiliche Meldung zusammengelebt habe, stellt eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung dar; im übrigen kann von der belangten Behörde auch nicht die Aufnahme eines derartigen Erkundungsbeweises verlangt werden.

Soweit erstmals in der Beschwerde vorgebracht wird, daß sich die gesamte Familie (insbesondere die Mutter) des Beschwerdeführers seit zumindest 1989 in Österreich befinde, wurde im Verwaltungsverfahren nicht aufgezeigt, ob der Beschwerdeführer im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 die Bewilligung erhalten hat, zu diesen Personen zu ziehen, ob diese Personen dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehören sowie ob er mit ihnen im gemeinsamen Haushalt gewohnt hat. Im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer seine Behauptung, gemäß Art. 7 Satz 1 ARB Nr. 1/80 berechtigt zu sein, allein auf seine nunmehrige Ehe mit einer türkischen Staatsbürgerin gegründet. Sein darüber hinausgehendes Sachverhaltsvorbringen unterliegt daher dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot. Die belangte Behörde war daher auch nicht gehalten, von sich aus Feststellungen im genannten Sinne zu treffen.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. September 1998

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