VwGH 97/08/0114

VwGH97/08/011423.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde der DDr. EM in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Berger,

Dr. Christine Kolbitsch, Dr. Heinrich Vana und Dr. Gabriele Vana-Kowarzik, Rechtsanwälte in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 3. Februar 1997, Zl. MA 12 - 17406/96, betreffend Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:

Normen

SHG Wr 1973 §1;
SHG Wr 1973 §3;
SHG Wr 1973 §4;
SHG Wr 1973 §5;
VwRallg;
SHG Wr 1973 §1;
SHG Wr 1973 §3;
SHG Wr 1973 §4;
SHG Wr 1973 §5;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 25. Juni 1996 an den Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 12, stellte die Beschwerdeführerin, vertreten durch den für sie bestellten Sachwalter, den Antrag "auf Rückverrechnung der Sozialhilfe ab dem 30. Juni 1994". Mit diesem Zeitpunkt sei der MA 12 durch ein in Fotokopie angeschlossenes Schreiben bekanntgeworden, daß für die Beschwerdeführerin von Amts wegen Sozialhilfe zu gewähren wäre. Die Beschwerdeführerin habe ab Juni 1994 an Einkommen lediglich Unterhaltsleistungen in der Höhe von S 4.603,-- monatlich bezogen.

Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 12, Sozialamt, wies mit Bescheid vom 27. August 1996 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung von Geldaushilfen ab dem 30. Juni 1994 zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab. In der Begründung wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei der Außenstelle I seit Juli 1994 bekannt. Während der gesamten Betreuungsphase habe die Beschwerdeführerin - trotz genauer Aufklärung und Information durch den zuständigen "DSA" (gemeint: Diplomsozialarbeiter) - keinen Antrag auf Zuerkennung von Geldaushilfen gestellt. Im Rahmen eines am 28. August 1994 durchgeführten Hausbesuches habe sie eine Antragstellung abgelehnt. Die Beschwerdeführerin sei nicht bereit gewesen, Dokumente vorzuweisen oder allfällige Schritte zur Klärung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche zu setzen. Sie habe somit der im Verwaltungsverfahren geltenden Mitwirkungspflicht nicht entsprochen. Die Anspruchsvoraussetzungen hätten daher nicht geklärt werden können. Eine Nachzahlung für diese Zeit unterbleibe.

Die Beschwerdeführerin, vertreten durch den ihr beigestellten Sachwalter, erhob Berufung. Darin führte sie aus, das Sozialhilfegesetz sehe vor, daß Sozialhilfe auch von Amts wegen zu gewähren sei, wenn dem Sozialhilfeträger Tatsachen bekannt würden, die eine Hilfeleistung erforderlich machen. Aus der Begründung des bekämpften Bescheides ergebe sich, daß der Erstbehörde spätestens seit Juli 1994 Tatsachen, die eine Hilfeleistung erforderlich machen, bekannt gewesen seien, weil die Beschwerdeführerin hinsichtlich einer Antragstellung aufgeklärt und informiert worden sei. Die Nichtmitwirkung der Beschwerdeführerin im Verfahren sei im Zusammenhang mit ihrer psychischen Erkrankung zu sehen. Die Tatsache, daß die Bestellung des Sachwalters zur Besorgung dringender Angelegenheiten erst im März 1996 erfolgt sei, bedeute nicht, daß erst zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen der Geschäftsunfähigkeit vorgelegen seien. Das Unterlassen eines ausreichenden Vorbringens spiele keine Rolle, wenn die Behörde ohne weiteres amtswegig den erforderlichen Sachverhalt hätte feststellen können. Die Beschwerdeführerin sei zum seinerzeitigen Zeitpunkt aus dem genannten Grunde nicht in der Lage gewesen, am Verfahren mitzuwirken. Die Behörde hätte jedoch den Sachverhalt, der bereits durch den Sohn der Beschwerdeführerin im Juni 1994 schriftlich dargestellt worden sei, feststellen können.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpften Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung keine Folge. In der Begründung wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe des § 8 Abs. 1 und § 37a Abs. 2 WSHG ausgeführt, daß die Rechtsprechung trotz der Pflicht der Behörde, das Verfahren gegebenenfalls amtswegig einzuleiten, von einer Mitwirkungspflicht des Hilfesuchenden ausgehe. Die Tatsachen, die eine Hilfeleistung erforderlich machten, seien der Behörde in erster Linie vom Hilfesuchenden zur Kenntnis zu bringen, weil er über die näheren Umstände seiner Bedürftigkeit am besten Bescheid wisse und sich die Behörde ohne seine Mitwirkung nicht oder nur sehr schwer Kenntnis davon verschaffen könne. Die Beschwerdeführerin habe es nicht nur unterlassen, einen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen, sondern auch keinerlei Angaben getätigt, die ihren Anspruch begründen würden. Ein Hilfesuchender müsse seiner Mitwirkungspflicht insoweit Folge leisten, als er Angaben machen und Unterlagen bzw. Belege der Behörde vorlegen müsse, die seine Hilfsbedürftigkeit bestätigen. Die Beschwerdeführerin habe im Zuge des durchgeführten Hausbesuches am "25. August 1995" angegeben, daß sie zumindest derzeit keinen Antrag auf Gewährung von Sozialhilfeleistungen stellen möchte. Da die Behörde nur bei Bekanntwerden von Tatsachen, die die Hilfeleistung erfordern, tätig werden könne, sei es der Erstbehörde aufgrund der mangelnden Unterlagen nicht möglich gewesen festzustellen, ob die Beschwerdeführerin tatsächlich hilfsbedürftig sei.

Hinsichtlich des Zeitraumes ab Juli 1997 werde bemerkt, daß sich die Beschwerdeführerin seit 19. April 1996 in Pflege des Geriatriezentrums "am Wienerwald" befinde. Dadurch sei ihr Lebensunterhalt gedeckt, die aushaftenden Pflegebühren würden, soweit sie nicht von der Beschwerdeführerin beglichen werden könnten, ohnehin von der Stadt Wien getragen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Sachwalter, begehrte mit Antrag vom 25. Juni 1996 die Gewährung der Sozialhilfe ab dem 30. Juni 1994. Sie stellt aber in der Beschwerde nicht in Abrede, daß sie sich seit 19. April 1996 in Pflege des Geriatriezentrums "am Wienerwald" befindet. Seit diesem Zeitpunkt ist ihr laufender Lebensunterhalt jedenfalls gedeckt und ist sie daher diesbezüglich nicht mehr hilfsbedürftig. Streit herrscht zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens darüber, ob die Beschwerdeführerin aufgrund des genannten Antrages Anspruch auf Sozialhilfe für die Vergangenheit, nämlich vom 30. Juni 1994 bis 18. April 1996, hat.

Bei der begehrten Hilfegewährung nach dem Wiener Sozialhilfegesetz ist grundsätzlich situationsbezogen auf die aktuelle Notlage (vgl. § 4 i.V.m. den §§ 1, 3 und 5 WSHG) abzustellen. Demgemäß scheidet die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit aus, es sei denn, daß Umstände der Vergangenheit eine aktuelle oder unmittelbar drohende Notlage bedingen. Aufgrund der Aktenlage ist davon auszugehen, daß der Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin in dem in der Vergangenheit gelegenen Zeitraum vom 30. Juni 1994 bis 18. April 1996 durch Hilfeleistungen Dritter gedeckt wurde. Der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Sozialhilfeleistungen für diesen Zeitraum hängt zunächst davon ab, ob sich diese in der Vergangenheit zur Abwendung der Notlage eingegangenen Schulden noch aktuell, also im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ausgewirkt haben, d.h. eine aktuelle oder unmittelbar drohende Notlage der Beschwerdeführerin bewirkt haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1988, Zl. 87/11/0006, und die bei Pfeil, Österreichisches Sozialhilferecht, Seite 401 referierte hg. Judikatur in den Fällen des Eingehens von Schulden zur Überwindung der Notlage, sowie zur Berücksichtigung von Leistungen Dritter, Pfeil, a. a.O. Seite 410, und die hg. Erkenntnisse vom 4. Oktober 1988, Zl. 88/11/0004, vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0032, vom 27. Mai 1991, Zl. 90/19/0252, vom 17. Jänner 1992, Zl. 91/08/0144, und vom 16. März 1993, Zl. 92/08/0171). Ob dies der Fall ist, kann weder dem angefochtenen Bescheid, noch der Aktenlage mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden. Im Verwaltungsverfahren haben die Parteien die nicht erfolgte Antragstellung bzw. die Ablehnung derselben und die angeblich verletzte Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin erörtert. Ein solches die Notlage herbeiführende Verhalten der Beschwerdeführerin ist aber für ihren in Prüfung stehenden Anspruch ohne Belang (vgl. dazu Pfeil, a.a.O., Seite 402).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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