VwGH 97/01/1146

VwGH97/01/11462.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des K in Wien, vertreten durch Dr. Klaus Altmann, Rechtsanwalt in Wien I, Tuchlauben 8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 7. August 1997, Zl. UVS-02/28/00044/96, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §46;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §46;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

In seiner beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien am 23. Mai 1995 eingelangten Beschwerde brachte der Beschwerdeführer folgendes vor:

Er habe sich am 11. April 1995 in einem Amtsgebäude des Innenministeriums befunden, um dort nachzufragen, warum er von der "Wohnungswarteliste" gestrichen worden sei. Als er sich nach dieser Vorsprache im Treppenhaus befunden habe, seien drei Polizisten auf ihn zugekommen. Einer davon hätte ihn wortlos am Kragen gepackt, um ihn "aus dem Innenministerium zu schmeißen". Er habe keinerlei Anlaß zu einer Festnahme gegeben, sondern sich völlig ruhig verhalten. Als er von den Polizisten zum Eingang befördert worden sei, habe er gesagt, daß er sich noch seinen Schirm holen wolle. Daraufhin habe ihn ein Polizist in die Wachstube gezogen. Auf die Frage nach dem Grund der Festnahme habe der Polizist ausgeführt, er werde dafür sorgen, daß der Beschwerdeführer keine Interviews mit dem "Standard mehr mache". Beim Eintritt in die Wachstube habe ihm der Polizist das Bein gestellt. Als der Beschwerdeführer wieder aufgestanden sei, habe ihn der Beamte am Hals gepackt und ihm die Beine weggezogen. Als sich der Beschwerdeführer neuerlich erhoben habe, habe ihm der Beamte eine Ohrfeige versetzt und angefangen, ihn zu würgen. Zwei in der Nähe stehende Polizistinnen hätten auf die Bitte des Beschwerdeführers, ihm zu helfen, nicht reagiert. Daraufhin sei der Beschwerdeführer von demselben Beamten auf Waffen untersucht und dabei in die Hoden geschlagen worden. Der Beamte habe neuerlich begonnen, auf ihn einzuschlagen und ihn zu würgen, sodaß er keine Luft bekommen habe. Danach habe der Beamte verlangt, der Beschwerdeführer solle ihn ohrfeigen, was der Beschwerdeführer jedoch abgelehnt habe. Im Zuge dieser Ereignisse sei der Beschwerdeführer mehrmals damit bedroht worden, in Schubhaft genommen und abgeschoben zu werden. Um etwa 12.00 Uhr sei er in das Wachzimmer am Deutschmeisterplatz gebracht worden, wo man ihn in eine Zelle gesteckt habe, die nach Erbrochenem gerochen habe. Um 16.00 Uhr sei er dann verhört und von einem Amtsarzt untersucht worden. Im Zuge dessen sei ihm eine Haftstrafe von ein bis zu fünf Jahren angedroht worden, weil er bezüglich eines früheren Vorfalles über Mißhandlungen durch die Polizei ausgesagt habe. Nach seiner Freilassung habe er zu Hause rote Flecken an seinem Hals bemerkt, deren Vorhandensein auch von einer praktischen Ärztin bestätigt worden sei.

Der Beschwerdeführer sei durch den unbegründeten Freiheitsentzug und die grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung in seinen Rechten verletzt worden.

Diese Beschwerde wurde von der belangten Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Bescheid vom 7. August 1997 abgewiesen.

Die belangte Behörde stellte dazu nachstehenden Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer habe sich am 11. April 1995 zu einer Dienststelle des Bundesministeriums für Innere Angelegenheiten begeben. In diesem Amtsgebäude befinde sich ein Wachzimmer der Bundespolizeidirektion Wien. Um ca. 11.43 Uhr seien Beamte dieses Wachzimmers vom Portier des Gebäudes darauf aufmerksam gemacht worden, daß der Beschwerdeführer das Amtsgebäude betreten habe, obwohl gegen ihn ein "Hausverbot" bestehe. Die Sicherheitswachebeamten hätten sich daraufhin zum Stiegenaufgang begeben, wo sie den Beschwerdeführer angetroffen hätten. Nachdem einer der Beamten den Beschwerdeführer aufgefordert habe, das Haus zu verlassen, habe dieser lautstark zu schreien und unflätig über Österreich und die Polizei zu schimpfen begonnen. Dieses Verhalten habe der Beschwerdeführer trotz zweimaliger Aufforderung nicht eingestellt. Seine Äußerungen habe er mit heftigen Armbewegungen unterstrichen. Aufgrund dieses Verhaltens sei der Beschwerdeführer, der zu erkennen gegeben habe, das Haus nicht verlassen zu wollen, von zwei Beamten zum Ausgang gedrängt worden. Da der Beschwerdeführer seine lautstarken Proteste und sein Beharren auf dem Verbleib im Amtsgebäude nicht eingestellt habe, sei er von den Sicherheitswachebeamten nach entsprechender Androhung aufgefordert worden, sich in das im Haus befindliche Wachzimmer zu begeben. Da der Beschwerdeführer dieser Aufforderung nicht freiwillig nachgekommen sei, sei er von den beiden Sicherheitswachebeamten unter Anwendung von Körperkraft (Griff unter die Oberarme) in das Wachzimmer eskortiert worden. Im Zuge der daraufhin durchgeführten Visitierung, der sich der Beschwerdeführer nicht widersetzt habe, sei der Beschwerdeführer weder geschlagen noch sonstwie mißhandelt worden. Eine Mißhandlung habe auch sonst während der Amtshandlung nicht stattgefunden. Der Beschwerdeführer sei auch weder mit Schubhaft noch mit Strafhaft bedroht worden. Nach etwa einer halben Stunde sei der Beschwerdeführer zur Dienststelle der Bundespolizeidirektion Wien am Deutschmeisterplatz verbracht worden. Dort sei er zweimal vom Amtsarzt untersucht worden, wobei keine Verletzungen festgestellt worden seien. Dem Beschwerdeführer seien von den Beamten keine Verletzungen zugefügt worden. Bis zur Einvernahme um 17.00 Uhr sei der Beschwerdeführer in einer Zelle der Dienststelle der Bundespolizeidirektion Wien am Deutschmeisterplatz verwahrt worden. Nach der Einvernahme sei er um 17.20 Uhr entlassen worden.

Zur Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, daß sich diese Feststellungen auf den Inhalt des Aktes der Bundespolizeidirektion Wien sowie auf die Aussagen der vernommenen Beamten stützten. Der Beschwerdeführer habe an der Verhandlung nicht teilgenommen, obwohl er von seinem Vertreter über den Termin informiert worden sei. Sein Fernbleiben deute darauf hin, daß er sich nicht imstande sehe, sein Beschwerdevorbringen vor der Behörde "glaubwürdig zu erörtern". Das vom Beschwerdeführer vorgelegte Schreiben einer praktischen Ärztin sei nicht geeignet, eine zuverlässige Aussage über die Herkunft der darin diagnostizierten Druckstellen zu treffen. Dieses Schreiben könne daher den unmittelbar nach dem Vorfall erhobenen Befund des Amtsarztes nicht widerlegen. Der Beschwerdeführer habe zum Beweis seines Vorbringens Zeugen angeführt, jedoch unterlassen, diesbezüglich hinreichend konkrete Angaben zu machen. Lediglich eine Zeugin habe aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers geladen werden können. Der Ladungsbescheid sei jedoch mit dem Vermerk "unbekannt verzogen" zurückgestellt worden.

Rechtlich vertrat die belangte Behörde die Ansicht, daß das Verhalten des Beschwerdeführers in dem Amtsgebäude am 11. April 1995 den Tatbestand der Übertretungen der §§ 1 Abs. 1 Z. 2 Wiener Landessicherheitsgesetz und § 81 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz erfülle, wegen welcher Delikte der Beschwerdeführer mit Bescheid der belangten Behörde vom 12. Februar 1996 auch rechtskräftig bestraft worden sei. Eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung liege nicht vor, weil das vorgebrachte Verhalten der Beamten nicht festgestellt habe werden können. Ebenso habe der behauptete schlechte Zustand der Arrestzelle nicht verifiziert werden können.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Soweit der Beschwerdeführer rügt, er sei zur mündlichen Verhandlung nicht geladen worden, ist ihm zu entgegnen, daß er von der belangten Behörde zu Handen seines mit Vollmacht vom 18. Mai 1995 - welche insbesondere das Ersuchen erhält, sämtliche Ladungen dem Vertreter zuzustellen - ausgewiesenen Vertreters geladen wurde und in einem derartigen Fall keine zusätzliche "persönliche Ladung" erforderlich ist (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, S. 1374, E 8 zu § 67d AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Dem Vorbringen, die belangte Behörde habe sich über die vom Beschwerdeführer vorgelegte ärztliche Bestätigung einer praktischen Ärztin hinweggesetzt, ist entgegenzuhalten, daß die von der belangten Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung vertretene Ansicht, das vom Beschwerdeführer vorgelegte ärztliche Attest lasse keine zuverlässige Aussage über die Ursache der diagnostizierten Verletzungen zu und sei daher nicht geeignet, die Aussagen der vernommenen Zeugen zu widerlegen, nicht unschlüssig ist und daher im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Überprüfungsbefugnis der Beweiswürdigung (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken begegnet. Daran hätte auch eine Befassung jenes Amtsarztes, der den Beschwerdeführer am Tag des Vorfalles untersucht hat, mit dem Inhalt des vorgelegten ärztlichen Attestes nichts ändern können.

Beim Vorbringen des Beschwerdeführers, es sei ihm nicht bekannt, "wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder anderer verwaltungsstrafrechtlicher Normen" überführt worden zu sein, handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 41 Abs. 1 VwGG unzulässige Neuerung, weil die von der belangten Behörde festgestellten rechtskräftigen Bestrafungen des Beschwerdeführers bereits in der Stellungnahme der Bundespolizeidirektion Wien vom 22. Mai 1996, welche in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist, erwähnt wurden und der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren die Tatsache der Bestrafungen nicht bestritten hat.

Der Beschwerdeführer hat sich in seiner Stellungnahme vom 5. September 1995 zum Beweis dafür, daß er sich vor der Festnahme völlig ruhig verhalten und keinen Anlaß für eine Festnahme geboten habe, auf die Vernehmung von Zeugen berufen, wobei er diese wie folgt benannte:

"Herr N

Frau T

Mödling,

Herr S und eine Bekannte, deren Namen dem BF nicht bekannt

ist, aufhältig in Oberösterreich"

Die belangte Behörde hat versucht, der einzigen mit Adresse bekanntgegebenen Zeugin "Frau Torkmani" einen Ladungsbescheid für die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 1996 zuzustellen. Die Sendung wurde jedoch am 24. Mai 1996 an die belangte Behörde mit dem Vermerk "verzogen" (die Feststellung, daß dieser Vermerk "unbekannt verzogen" lautet, ist aktenwidrig) zurückgestellt.

Soweit sich die Beschwerde dagegen wendet, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid ohne weitere Rücksicht auf die Vernehmung der Zeugin T erließ, kommt ihr Berechtigung zu.

Gemäß § 39 Abs. 2 erster Halbsatz AVG hat die Behörde, soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthaltenen, von Amts wegen vorzugehen und unter Beobachtung der in diesem Teil enthaltenen Vorschriften den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen.

Auch im Antragsverfahren obliegt es der Behörde, innerhalb der Grenzen ihrer Möglichkeiten und des vom Verfahrenszweck her gebotenen und zumutbaren Aufwandes dieser amtswegigen Ermittlungspflicht nachzukommen (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, S. 261, E 29 zu § 39 AVG zitierte hg. Rechtsprechung).

Vorliegend wäre es vom Verfahrenszweck her geboten gewesen, die geänderte Adresse der einzigen Zeugin, die der Beschwerdeführer zur Unterstützung seines Standpunktes in ausreichend individualisierter Weise namhaft gemacht hat, zu ermitteln, zumal bei einer Adressänderung die neue Anschrift üblicherweise durch eine Meldeanfrage an die für die bisherige Anschrift zuständige Meldebehörde eruiert werden kann. Die belangte Behörde wäre jedenfalls verpflichtet gewesen, die neue Adresse durch eine Meldeanfrage oder sonstige geeignete Maßnahmen von Amts wegen zu erforschen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschlierten Ersatz für den Schriftsatzaufwand eine gesonderte Vergütung von Mehrwertsteuer nicht vorgesehen ist.

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