Normen
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs3;
VwRallg;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs3;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 2. Dezember 1996 hat die Oberösterreichische Landesregierung den Antrag der Beschwerdeführerin vom 2. November 1995 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 3 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG), abgewiesen.
Die am 3. Mai 1971 geborene Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsbürgerin, sei am 5. Dezember 1974 mit ihren Eltern nach Österreich eingereist und nach einem Aufenthalt bis zum Jahre 1986 wieder in ihre Heimat ausgereist. Nach ihrer neuerlichen Einreise halte sie sich seit 2. August 1989 ununterbrochen in Österreich auf. Sie erfülle daher nicht die Verleihungsvoraussetzung des mindestens zehnjährigen ununterbrochenen inländischen Hauptwohnsitzes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG. Die Tatsache der erstmaligen Einreise im Jahre 1974 stelle keinen besonders berücksichtigungswürdigen Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 3 StbG dar, weil die Beschwerdeführerin ihren inländischen Aufenthalt von 1986 bis 1989 unterbrochen habe.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG kann die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz (vor der am 1. Jänner 1995 in Kraft getretenen Novellierung durch das Hauptwohnsitzgesetz, BGBl. Nr. 505/1994: seinen ordentlichen Wohnsitz; siehe Art. 7 Z. 2 iVm Art. 8 Z. 5 leg. cit.) im Gebiet der Republik hat. § 5 Abs. 1 StbG in der Fassung vor der Novellierung durch das Hauptwohnsitzgesetz definierte, daß der ordentliche Wohnsitz einer Person an dem Ort begründet ist, an dem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu wählen. Hiebei ist es unerheblich, ob die Absicht darauf gerichtet war, für immer an diesem Ort zu bleiben.
Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, in der Zeit vom Jahre 1986 bis zum 2. August 1989 keinen ordentlichen Wohnsitz in Österreich gehabt zu haben, vertritt aber die Ansicht, daß sie durch ihren inländischen Aufenthalt vom 5. Dezember 1974 bis 1986 die zehnjährige Wohnsitzfrist erfüllt habe. Die vorübergehende Verlegung ihres Wohnsitzes in die Türkei könne daran nichts ändern. Der in den Jahren 1986 bis 1989 eingetretene "Integrationsverlust" werde durch den seit der Wiedereinreise bereits verstrichenen Zeitraum von sieben Jahren "mehr als wett gemacht".
Da die Beschwerdeführerin zugesteht, von 1986 bis zum 1. August 1989 keinen Wohnsitz in Österreich gehabt zu haben, braucht auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen durch eine (vorübergehende) Abwesenheit der inländische Wohnsitz verloren geht und daher nicht mehr von einem "ununterbrochenen" Wohnsitz gesprochen werden kann, nicht eingegangen zu werden. Vorliegend ist jedenfalls durch die Verlegung des Hauptwohnsitzes in die Türkei eine Unterbrechung der Wohnsitzfrist eingetreten. Dies bedeutet, daß die vor der Unterbrechung in Österreich zugebrachten Zeiträume bei der Berechnung der Wohnsitzdauer gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG vollkommen unberücksichtigt zu bleiben haben (vgl. zu den in § 15 Abs. 1 StbG aufgezählten Unterbrechungsgründen die - insoweit aktuellen - Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, 497, Blg. NR. 10. GP, Seite 25, sowie das hg. Erkenntnis vom 25. Jänner 1972, Slg. Nr. 8152/A und Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft II, Seite 194).
Der auf die Gegenwartsform abgestellte Wortlaut des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG ("wenn er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat") bringt unzweideutig zum Ausdruck, daß das Erfordernis einer bestimmten ununterbrochenen Wohnsitzdauer vom Zeitpunkt der Entscheidung zurückzurechnen ist. Es genügt daher nach dem Gesetz nicht, wenn die erforderliche Wohnsitzdauer vor der Unterbrechung einmal gegeben war (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis, Slg. Nr. 8152/A, sowie Thienel a.a.O.).
Der belangten Behörde ist daher zuzustimmen, daß die Beschwerdeführerin die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG nicht erfüllt.
Von dieser Voraussetzung kann aber gemäß § 10 Abs. 3 StbG abgesehen werden, wenn es sich um einen Minderjährigen handelt oder wenn der Fremde seit mindestens vier Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat und ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt. Was unter einem "besonders berücksichtigungswürdigen Grund" im Sinne dieser Bestimmung zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht zum Ausdruck gebracht. Eine brauchbare Auslegungshilfe dafür kann - soweit nicht der eindeutige Gesetzeswortlaut entgegensteht - die (aktuelle) Aufzählung in dem das Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 betreffenden Bericht des Verfassungsausschusses
(875 Blg. NR. 10 GP, Seite 4) bieten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. März 1997, Zl. 95/01/0620, mwN). Darin ist unter anderem ein "längerer Voraufenthalt in Österreich" aufgezählt. Nach dem Regelungsgehalt des StbG stellt die vorwiegend aus einem langjährigen Aufenthalt in Österreich ableitbare Integration einen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft ganz wesentlich ins Gewicht fallenden Umstand dar. Dies ergibt sich nicht nur aus § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG sondern etwa auch aus den §§ 12 und 14 StbG.
Die Beschwerdeführerin kam bereits im Alter von dreieinhalb Jahren nach Österreich und verbrachte dann etwa 12 Jahre, somit praktisch ihre gesamte Schulzeit im Inland. Nach einer etwa dreijährigen Unterbrechung hat sie nunmehr bereits wieder seit mehr als sieben Jahren ihren Wohnsitz in Österreich. Die 25-jährige Beschwerdeführerin hat daher insgesamt nicht weniger als 19 Jahre ihres Lebens in Österreich verbracht. Dies stellt eine derart intensive Nahebeziehung zu Österreich dar, daß nur dann kein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorläge, wenn die Beschwerdeführerin ungeachtet ihres langjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht integriert wäre, also etwa die deutsche Sprache nicht beherrschte oder in ihrer Lebensart den inländischen Verhältnissen in keiner Weise angeglichen wäre.
Die belangte Behörde vertrat in Verkennung dieser Rechtslage die Ansicht, daß der Voraufenthalt der Beschwerdeführerin bereits deshalb keinen "besonders berücksichtigungswürdigen Grund" darstelle, weil sich die Beschwerdeführerin zwischenzeitig drei Jahre in der Türkei aufgehalten habe. Davon ausgehend enthält der angefochtene Bescheid auch keine Feststellungen darüber, ob die Beschwerdeführerin trotz ihres ingesamt sehr langen inländischen Aufenthaltes im Sinne der obigen Ausführungen im Inland nicht integriert ist.
Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Beschwerde lediglich in zweifacher Ausfertigung einzubringen war.
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