VwGH 96/20/0069

VwGH96/20/006929.10.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des ML in Wien, geboren am 20. Juni 1974, vertreten durch Dr. Gabriel Liedermann, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Gudrunstraße 143, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. September 1995, Zl. 4.339.170/10-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 10. Mai 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 12. Mai 1992 Asyl. Einen von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 15. Mai 1992 gestellten Antrag auf Bestellung eines Sachwalters zur Durchführung des Asylverfahrens mit dem Beschwerdeführer wies das Bezirksgericht Baden mit Beschluß vom 24. Juni 1992 mit der Begründung zurück, der Beschwerdeführer sei nach türkischem Recht seit der Vollendung des 18. Lebensjahres (am 20. Juni 1992) volljährig.

Am 22. Juni 1992 wurde der Beschwerdeführer vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich zu seinem Asylantrag einvernommen. Seine Fluchtgründe beschrieb er dabei wie folgt:

"Mein Vater ist Bauer und Mutter Hausfrau. Meine Eltern wohnen an der von mir unter Punkt 13 angegebenen Adresse. Ich besitze keinerlei Barmittel. Seit dem Jahre 1990 bin ich Sympathisant der PKK.

Ich bin Angehöriger der kurdischen Minderheit in der Türkei und wurde ich deswegen diskriminiert. Den Kurden werden keine Menschenrechte zugebilligt und gibt es für uns auch keine Redefreiheit.

Mein Vater ist Viehzüchter und müssen wir jedes Jahr die Rinder und Schafe im Sommer auf die Almen führen. Wir leben dann einige Wochen in den Bergen. Dort verstecken sich jedoch auch die PKK-Anhänger. Wir sind ihnen dann behilflich, weil die PKK doch für uns kämpft. Von den PKK-Leuten wurden wir auch immer gut behandelt, nur wenn Soldaten kamen, nahmen sie uns Schafe weg und bezahlten nichts dafür. Sie haben auch nur so zum Spaß unseren Hund erschossen. Aus diesem Grunde habe ich in letzter Zeit für die PKK Flugblätter bei uns im Dorf verteilt.

Wenn Soldaten ins Dorf kamen, schlugen sie wahllos auf die Bevölkerung ein. Ich wurde im Dez. 1991 ebenfalls von den Soldaten verprügelt, jedoch nicht verletzt und auch nicht festgenommen. Sie drohten mir jedoch, mich im Frühjahr festzunehmen, falls ich wieder den PKK-Leuten helfen würde. Ich hatte daher Angst und riet mir mein Vater daraufhin, nach Österreich zu flüchten.

Sonst kann ich keinerlei Fluchtgründe angeben."

Zu seiner Ausreise gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe ihm im April 1992 in Tunceli um DM 2.500,-- einen Reisepaß besorgt. Am 23. April 1992 sei der Beschwerdeführer von Tunceli "zu Verwandten nach Istanbul" gefahren, wo er sich bis zum 8. Mai 1992 aufgehalten und Kontakt zu einer Fluchthelferorganisation aufgenommen habe. Man habe für die Fluchthilfe bis nach Wien DM 4.000,-- verlangt, und der Beschwerdeführer habe dem Fluchthelfer seinen Reisepaß übergeben müssen. Vom 8. bis zum 10. Mai 1992 sei er mit einem Reisebus von Istanbul über Bulgarien, Jugoslawien und Ungarn nach Österreich gekommen, wobei er sich "vor den jeweiligen Grenzübertritten" im Kofferraum des Busses versteckt habe.

Mit Bescheid vom 10. Juli 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling. Die formularmäßige Begründung dieses Bescheides enthielt keine Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer - soweit wesentlich - noch folgendes vor

"Mein Dorf, in dem ich mich zuletzt aufgehalten habe, liegt im Bezirk Pertek in der fast ausschließlich von Kurden bewohnten Provinz Tunceli. Es leben dort noch meine Eltern und 6 Geschwister. Wie aus zahlreichen Berichten bekannt ist, werden Angehörige der kurdischen Volksgruppe in der Türkei massiv verfolgt bzw. wird ein systematischer Genozid betrieben. Besonders die Provinz Tunceli ist für solche Ereignisse bekannt. Die Menschenrechte werden dort nicht beachtet, das Leben der Kurden ist nicht geschützt. Meine Familie und auch ich persönlich wurden mehrmals von den türkischen Soldaten, die unser Dorf regelmäßig überfallen, geschlagen. Wir haben Mitgliedern der revolutionären kurdischen Organisation PKK Hilfe geleistet und sie mit Nahrungsmitteln versorgt. Deshalb wurden wir ständig von den Soldaten geschlagen und es wurde uns mit der Ermordung gedroht. Es wurden dauernd Leute verhaftet, auf die Polizeistation gebracht und dort gefoltert und terrorisiert. Vor zwei Jahren wurde ein junges Mädchen aus unserem Dorf von Soldaten grausam ermordet. Aufgrund dieser Ereignisse, die sich in der letzten Zeit zugetragen hatten, habe ich mich zur Flucht entschlossen, da ich Angst um mein Leben hatte."

Mit Bescheid vom 21. Juni 1993 wies die belangte Behörde diese Berufung unter Anwendung des Asylgesetzes 1991 ab. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne dieses Gesetzes. Diesen Bescheid hob der Verwaltungsgerichtshof mit dem Erkenntnis vom 20. Dezember 1994, Zl. 94/20/0158, mit der Begründung auf, es sei das Asylgesetz, BGBl. Nr. 126/1968, anzuwenden gewesen und die unzutreffende Anwendung des Asylgesetzes 1991 habe sich aus näher dargestellten, verfahrensrechtlichen Gründen zum Nachteil des Beschwerdeführers auswirken können.

Am 18. Juli 1995 wurde der Beschwerdeführer über Veranlassung der belangten Behörde vor dem Bundesasylamt Wien einer ergänzenden Befragung unterzogen. Er gab zunächst an, seine Berufung im Sinne der Behauptungen in der vorangegangenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde sowie einer "glaublich" durch seinen neuen Rechtsvertreter "eingebrachten Berufungsergänzung" ergänzen zu wollen. In "diesen beiden Schriftstücken" seien seine Fluchtgründe zur Gänze dargestellt und er habe ihnen nichts mehr hinzuzufügen. Eine schriftliche Berufungsergänzung des nunmehrigen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers lag nicht nur dem mit der Vernehmung des Beschwerdeführers beauftragten Bundesasylamt im Zeitpunkt der Einvernahme nicht vor, sondern wurde nach dem Inhalt der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Akten nie erstattet. Der neue Rechtsvertreter des Beschwerdeführers hatte nur seine Bevollmächtigung bekanntgegeben und die Übermittlung einer Aktenkopie beantragt.

Im weiteren Verlauf seiner Einvernahme am 18. Juli 1995 wurde der Beschwerdeführer mit dem Vorhalt konfrontiert, das Gesamtbild seines Vorbringens lege nicht die Annahme nahe, daß sich die geltend gemachten Fluchtgründe auf das gesamte Gebiet des Heimatlandes des Beschwerdeführers bezögen und dieser also nicht Schutz vor etwaigen Beeinträchtigungen in einem anderen Teil der Türkei, insbesondere "außerhalb der Unruhegebiete", hätte finden können und nicht schon während seines Aufenthaltes in Istanbul gefunden habe.

Hierauf erwiderte der Beschwerdeführer, er sei auch während seines Aufenthaltes in Istanbul "politisch aktiv" gewesen. So habe er an der von verschiedenen Organisationen veranstalteten großen Demonstration am 1. Mai 1992, an der sich tausende Personen beteiligt hätten, teilgenommen. Seine politische Tätigkeit sei unabhängig von dem Ort, an dem er sie ausübe, Grund genug, ihn seitens der Behörden zu verfolgen. Es seien viele politisch aktive Personen wie der Beschwerdeführer festgenommen, gefoltert und auch getötet worden und die Täter seien nie ausgeforscht worden, weil sie in den Reihen der staatlichen Sicherheitskräfte zu suchen seien.

Schließlich nannte der Beschwerdeführer - mit der Beifügung, er sei nicht sicher, daß dies auch im Schreiben seines nunmehrigen Rechtsvertreters angeführt sei - neue Einzelheiten seiner politischen Tätigkeiten und der von ihm aus diesem Grund erlittenen Verfolgungen vor seiner Ausreise aus der Türkei. Er gab nun an, "Flugblätter der TKPML, TKIH und der PKK" verteilt und in seinem Heimatdorf "politische Seminare für die jugendliche Ortsbevölkerung" abgehalten zu haben. Er habe die Jugendlichen "über die kurdische Nation, über die derzeitige Situation in der Türkei und über Menschenrechte" unterrichtet. Wegen dieser Tätigkeiten sei er 1991 und 1992 mehrmals von Soldaten festgenommen und in einen benachbarten militärischen Stützpunkt gebracht worden. Bei diesen insgesamt drei oder vier Verhaftungen sei er jeweils zwischen vier und sieben Tage lang festgehalten, verhört und auch geschlagen worden. Die Verhöre und Anhaltungen hätten "inoffiziell" stattgefunden. Ein "öffentliches Verfahren" sei gegen den Beschwerdeführer nie eingeleitet worden.

Der ausschlaggebende Vorfall, nach dem er sich zum Verlassen der Türkei entschlossen habe, habe "ein paar Tage" vor der Flucht nach Istanbul (im April 1992) stattgefunden. Der Beschwerdeführer sei in seinem Heimatdorf auf der Straße von drei oder vier Zivilisten angesprochen worden, die sich als Angehörige der Polizei ausgegeben und dem Beschwerdeführer gesagt hätten, sie wüßten bestens über seine politischen Aktivitäten Bescheid und "man" habe diesbezüglich gegen ihn "Anzeige erstattet". Wenn er seine Aktivitäten nicht sofort und zur Gänze einstelle, könnte es sein, daß er umgebracht werde. Bei diesen Zivilisten habe es sich um Angehörige einer Spezialeinheit der Sicherheitskräfte (sogenannte "Kontra-Guerilla") gehandelt, die den Auftrag hätten, Regimekritiker gezielt auszuschalten, d.h. gegebenenfalls auch zu töten. Auf das Konto dieser Einheit gingen sehr viele Morde, wobei der Beschwerdeführer aber nicht in der Lage sei, Namen von Opfern zu nennen. Aufgrund der bekannten Vorgangsweise dieser Einheit - d.h., daß diese auch vor Mord nicht zurückschrecke - habe er die Drohung ernst genommen und sich zur Flucht entschlossen.

Diesen neuen Behauptungen schickte der Beschwerdeführer voraus, er habe bei seiner erstinstanzlichen Einvernahme noch Angst gehabt, abgeschoben zu werden, und aus diesem Grund nicht alles gesagt. Auch sei damals "vieles", was er gesagt habe, "falsch interpretiert bzw. niedergeschrieben" worden. Abschließend gab der Beschwerdeführer an, er habe die von ihm erstmals behaupteten Geschehnisse erst jetzt angegeben, weil er wisse, daß dies seine letzte Möglichkeit sei. Bisher habe er immer geschwiegen, weil er sich immer gefürchtet habe, wieder in die Türkei abgeschoben zu werden, auch seien die in seinem Asylverfahren erlassenen Bescheide "immer negativ". In der Türkei lebten noch die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers. Diese habe er nicht durch Angaben, welche unter Umständen den türkischen Behörden bekannt würden, in Gefahr bringen wollen.

Die von einem Verfahrenshelfer ausgeführte Verwaltungsgerichtshofbeschwerde, auf die der Beschwerdeführer zu Beginn dieser Einvernahme verwiesen hatte, basierte im wesentlichen auf seinen Angaben bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung und in der Berufung. Hinzu traten Behauptungen darüber, der Beschwerdeführer habe das Gymnasium in Pertek (nach seinen Angaben bei der Ersteinvernahme im Jahr 1989) wegen seiner politischen Überzeugung verlassen müssen, weil er gegen politische Mißstände in der Türkei demonstriert und mit türkischen Lehrern diskutiert habe, und darüber, daß nach dem türkischen "Gesetz zur Bekämpfung des Terrors" bereits "das bloße Eintreten für die kurdische Sache" staatliche Verfolgungsmaßnahmen befürchten lasse, wozu auf Gutachten, Entscheidungen und Zeitungsberichte aus der Bundesrepublik Deutschland verwiesen wurde. Weiters wurde der dem ersten Berufungsbescheid vor allem zugrunde gelegten Argumentation entgegengetreten, die vom Beschwerdeführer nach dessen Behauptungen unterstützte PKK verübe terroristische Anschläge und wegen einer Unterstützung dieser Organisation ergriffene Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer seien daher keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes. Im Anschluß an Ausführungen zu diesem Thema wurde in der Beschwerde behauptet, in das Heimatdorf des Beschwerdeführers komme "ununterbrochen Militär", das Personen, die die Rechte der kurdischen Minderheit in der Türkei auf friedlichem Weg durchsetzen wollten, zwangsrekrutiere oder in anderer Form festnehme, um auf die Bevölkerung Druck auszuüben, und Personen, die sich gegen solche Maßnahmen auch bloß friedlich zur Wehr setzten, hätten mit schweren staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen. Dies hätte der Beschwerdeführer durch die Einvernahme zweier namentlich und mit ihren Anschriften in der Bundesrepublik Deutschland genannter, dort als Asylanten anerkannter Zeugen und durch deren Asylakten unter Beweis stellen können.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers erneut abgewiesen. In ihrer Begründung dieser Entscheidung stellte die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers dar, wobei die zuletzt erwähnten Behauptungen und Beweisanbote in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde, auf die der Beschwerdeführer bei seiner ergänzenden Einvernahme verwiesen hatte, nicht wiedergegeben und aus den Behauptungen in dieser Beschwerde - soweit sie über diejenigen im erstinstanzlichen Verfahren und in der Berufung hinausgingen - nur die über die Gründe für den Abbruch des Schulbesuches in die Darstellung aufgenommen wurden. Zu dem vermeintlichen Schreiben des nunmehrigen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers wurde ausgeführt, es sei nie eingebracht worden. Im Anschluß an die Darstellung seines Vorbringens wurde dem Beschwerdeführer entgegengehalten, es biete das "Gesamtbild" einer "großen Anzahl von Widersprüchen, Unglaubwürdigkeiten, Unwahrscheinlichkeiten und vor allem Steigerungen", und zwar "insbesondere" im Hinblick auf die erst am 18. Juli 1995 aufgestellten Behauptungen. Nach Ansicht der belangten Behörde entsprächen die Angaben des Beschwerdeführers daher nicht der Wahrheit.

Die nähere Begründung hiefür lautet im angefochtenen Bescheid wie folgt:

"Ihr Versuch bei Ihrer ergänzenden niederschriftlichen Einvernahme Ihre widersprüchlichen und im Laufe des Verfahrens gesteigerten Angaben einer Klärung zuzuführen, geht angesichts der Tatsache, daß Sie, wenn Sie nämlich tatsächlich - aus welchen Gründen auch immer - kein Vertrauen in den österreichischen Staat gehabt hätten, ja wohl kaum ausgerechnet hierher gereist wären und auch nicht hier Asyl beantragt hätten, ins Leere und zeugt schon allein Ihr Motiv Ihre angeblich 'wahren Fluchtgründe' zu verschweigen und erst am 18.07.1995 den österreichischen Behörden bekanntzugeben, nämlich daß Ihren eigenen Worten gemäß die in Ihrem Asylverfahren erlassenen Bescheide immer negativ gewesen seien (insbesondere deshalb, da Sie bei der Ersteinvernahme, bei der Sie angehalten wurden, alle Gründe für Ihre Ausreise umfassend darzustellen, da diese die Basis für die Entscheidung über Ihren Asylantrag bilden würden, noch gar keine negative Erledigung erhalten hatten, sodaß eine derartige Sie nicht motiviert haben kann, etwas zu verschweigen) davon, daß Ihr gesteigertes Vorbringen keinesfalls der Wahrheit entspricht, sondern lediglich der Asylerlangung dienen soll. Soweit Sie des weiteren Ihr langes Schweigen (vom 22.06.1992 bis zum 18.07.1995) damit zu begründen suchen, daß Sie im Falle eines wahrheitsgetreuen Vorbringens um die Sicherheit Ihrer in der Türkei lebenden Eltern und Geschwister fürchteten, so erscheint dies der erkennenden Behörde in keiner Weise plausibel und schon eher absurd. Dies insbesondere deshalb, als Sie am 22.06.1992 unter Hinweis darauf, daß Ihre Aussagen die Grundlage für die Entscheidung darstellen im Beisein eines Türkischdolmetsch niederschriftlich befragt worden sind, die Niederschrift Ihnen vorgelesen wurde und Sie deren Vollständigkeit und Richtigkeit mit Ihrer Unterschrift bestätigt haben. Wenn Ihre Angaben tatsächlich mangelhaft protokolliert worden wären, hätten Sie Ihre bestätigende Unterschrift am Ende der Niederschrift verweigern können und sollen. Nun aber müssen Sie die Vermutung des § 15 AVG gegen sich gelten lassen. Eine Verpflichtung der Behörde, einen Asylwerber, der, wie Sie selbst, lediglich ganz allgemein gehaltene Angaben über schikanöses behördliches Verhalten ohne hinreichend deutliche Hinweise auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung seiner Person in Betracht kommt, vorbringt, anzuleiten, wie er seine Angaben konkret gestalten sollte, kann aus § 13a AVG noch aus dem Asylgesetz abgeleitet werden."

Die Angaben des Beschwerdeführers seien aber auch "sämtlich" unglaubwürdig, weil er bei seiner Ersteinvernahme falsche Angaben über den Verbleib seines Reisepasses und die Art seiner Ausreise aus der Türkei gemacht habe.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers bei seiner Ersteinvernahme wäre "selbst bei allfälliger inhaltlicher Würdigung" nach Ansicht der belangten Behörde "abstrakt nicht geeignet", seine Flüchtlingseigenschaft zu indizieren. Der Beschwerdeführer habe "die allgemeine Situation der kurdischen Volksgruppe", und zwar "insbesondere im Gebiet" seines Heimatdorfes, ins Treffen geführt, aber keine "speziell und intentional" gegen seine Person gerichteten, "illegitim motivierten" Maßnahmen darzutun vermocht. Die von ihm behaupteten Beeinträchtigungen, die sich aus der allgemeinen Situation ergäben und jedermann betreffen könnten, seien "allgemeine soziale Schwierigkeiten sowie atmosphärische Diskriminierungen". Daß die Soldaten den Beschwerdeführer einmal im Dezember 1991 verprügelt, seinen Hund getötet und ohne Bezahlung Schafe genommen hätten, stelle "keinen ernsthaften Nachteil im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention", sondern "verhältnismäßig geringe vorübergehende Beeinträchtigungen im Zuge der verschärften hoheitlichen Durchdringung" eines sich "in Aufruhr" befindenden Gebietes dar.

Schließlich hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer auch

entgegen, das "Gesamtbild" seines Vorbringens lege nicht die Annahme

nahe, die geltend gemachten Umstände, welche sich "ja ausschließlich

aus der Topographie" seines Heimatortes ("bürgerkriegsähnliche

Zustände in diesem Gebiet") ergäben, bezögen sich auf das gesamte

Gebiet seines Heimatstaates. Der Beschwerdeführer wolle laut seinen

"eigenen Angaben ... ja keiner politischen Partei oder Organisation

angehört haben". Für die belangte Behörde sei daher "kein schlüssiges

Motiv ... für den angeblichen 'Verfolgerstaat' feststellbar", weshalb

dieser gerade den Beschwerdeführer "nachhaltig zu belangen trachten sollte". Die belangte Behörde könne daher nicht erkennen, weshalb der Beschwerdeführer "nicht Schutz vor etwaigen Fährnissen in einem anderen, befriedeten Teil der Türkei" hätte finden können bzw. diesen Schutz nicht sogar während seines etwa zweiwöchigen Aufenthaltes in Istanbul gefunden habe. Der "auf Vorhalt dieses Sachverhaltes behaupteten Verfolgungsintention der türkischen Behörden, nämlich" die angebliche politische Tätigkeit des Beschwerdeführers in Istanbul habe der Beschwerdeführer "vorher nie erwähnt", weshalb ihr "im Lichte des Gesamtbildes" seines Vorbringens jedenfalls die Glaubwürdigkeit versagt bleiben müsse. Verfolgungshandlungen während seines Aufenthaltes in Istanbul habe der Beschwerdeführer nicht zu relevieren vermocht. Es sei ihm daher eine innerstaatliche Fluchtalternative zu Gebote gestanden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde hat auf den vorliegenden Fall - in Bindung an die im Vorerkenntnis näher begründete Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes - das Asylgesetz, BGBl. Nr. 126/1968 (im folgenden: AsylG 1968), angewendet, weshalb der angefochtene Bescheid nicht gemäß § 44 Abs. 2 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76, außer Kraft getreten und nicht gemäß dem dritten Absatz dieser Bestimmung vorzugehen ist.

In der Beschwerde wird der Umstand, daß das AsylG 1968 anzuwenden war und von der belangten Behörde im Ersatzbescheid auch angewendet wurde, verkannt. Es werden Fragen der richtigen Auslegung des Asylgesetzes 1991 erörtert, Behauptungen über eine Verletzung auf dieses Gesetz gestützter Rechte des Beschwerdeführers aufgestellt und Verstöße gegen Verfahrensvorschriften des Asylgesetzes 1991 gerügt. Zu diesen Ausführungen genügt der Hinweis, daß sie schon insoweit ins Leere gehen, als sie nicht auf die - für das weitere Verfahren bindenden - Gründe Bedacht nehmen, aus denen der erste Berufungsbescheid vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wurde.

Nach § 1 AsylG 1968 (in der Fassung der Novelle BGBl Nr. 796/1974) ist ein Fremder Flüchtling, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (im folgenden: FlKonv), erfüllt, und bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 FlKonv ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Im vorliegenden Fall läßt die verschiedenartige Gesichtspunkte in gedanklich nur teilweise schlüssiger Weise miteinander kombinierende Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht nachvollziehbar erkennen, aus welchen Gründen schon die bei der Niederschrift am 22. Juni 1992 zu Protokoll gegebenen Behauptungen nicht der Wahrheit entsprochen haben sollten. Der zuvor wörtlich wiedergegebene Teil der Darlegungen der belangten Behörde bezieht sich inhaltlich auf die erst am 18. Juli 1995 aufgestellten Behauptungen und geht - aktenwidrig - davon aus, der Beschwerdeführer habe zunächst nur "ganz allgemein gehaltene Angaben über schikanöses behördliches Verhalten" gemacht.

Wenn die belangte Behörde weiters meint, in unrichtigen Angaben über die Ausreise des Beschwerdeführers aus der Türkei und über den Verbleib seines Reisepasses ein "weiteres Indiz" für die Unglaubwürdigkeit sämtlicher - also offenbar auch der im erstinstanzlichen Verfahren gemachten - Angaben des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen erkennen zu können, so vermag dies allein die angefochtene Entscheidung in bezug auf den ihr zugrunde gelegten Sachverhalt schon deshalb nicht zu tragen, weil die belangte Behörde sich auf Annahmen und Beweismittel stützt, die dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht vorgehalten wurden und denen er in der Beschwerde entgegentritt. Auch im Zusammenhang mit diesem im angefochtenen Bescheid erstmals aufgegriffenen Thema wird der Akteninhalt nicht unverzerrt wiedergegeben, wenn die belangte Behörde meint, der Beschwerdeführer habe bei seiner Ersteinvernahme behauptet, den Reisepaß nicht vorweisen zu können, da er ihn dem Schlepper übergeben habe, und er habe weiters angegeben, die Türkei in einem Autobus versteckt verlassen zu haben, wohingegen aus Aktenstücken über die Adoption des Beschwerdeführers (darin erwähnt:

eine beglaubigte Ablichtung des am 13. April 1992 ausgestellten Reisepasses des Beschwerdeführers), aus einer Kopie des Passes und einem Faxschreiben der Adoptivmutter des Beschwerdeführers zu entnehmen sei, daß er zum Zeitpunkt der Ersteinvernahme über einen Reisepaß verfügt und die Türkei am 8. Mai 1992 auf legalem Wege verlassen habe. In der Niederschrift vom 22. Juni 1992 wurde in der Rubrik "Reisedokument" das Wort "nein" angekreuzt, während der Beschwerdeführer seinen am 27. November 1991 ausgestellten türkischen Personalausweis vorlegte. Dabei wurde - entgegen den Ausführungen der belangten Behörde - aber keine Erklärung des Beschwerdeführers darüber zu Protokoll genommen, daß und weshalb er nicht (mehr) über seinen Reisepaß verfüge und ihn daher nicht vorweisen könne. An späterer Stelle gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe ihm für die Flucht einen Reisepaß beschafft und er habe diesen Reisepaß in Istanbul seinem Fluchthelfer übergeben müssen. Das deutet einerseits nicht darauf hin, daß der Reisepaß nicht Verwendung finden sollte, und enthält andererseits keine Antwort darauf, warum der Paß bei der Ersteinvernahme nicht vorgewiesen wurde. Nach den Angaben der Adoptivmutter des Beschwerdeführers in dem von der belangten Behörde erwähnten, aber inhaltlich nicht näher gewürdigten Faxschreiben hatte ihm der Schlepper gesagt, er solle den Paß "weggeben". Der Beschwerdeführer habe ihn aber "Bekannten zum Aufheben gegeben". Eine Befragung des Beschwerdeführers zu diesem Thema fand nach dem Inhalt der Niederschrift über die Ersteinvernahme nicht statt, weshalb die Darstellung der belangten Behörde in diesem Punkt ihrer Beweiswürdigung über den Akteninhalt hinausgeht und die Frage, ob der Beschwerdeführer über den endgültigen Verbleib seines Reisepasses bei näherer Befragung hierüber wahrheitsgemäß Auskunft gegeben hätte, nur mehr von hypothetischer Bedeutung ist. Ähnlich verhält es sich mit der angeblichen Behauptung des Beschwerdeführers, er habe die Türkei "in einem Autobus versteckt" verlassen. Die Formulierung "versteckt in türkischem Reisebus" scheint auf der ersten Seite der Niederschrift vom 22. Juni 1992 in bezug auf die Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich auf. Daß sie in dieser Hinsicht der Wahrheit entspricht, wird auch von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen. Bei der Beschreibung seiner Reisebewegung von Istanbul nach Wien an einer späteren Stelle der Niederschrift gab der Beschwerdeführer an, er sei auf dieser zweitägigen Busreise "über Bulgarien, Jugoslawien und Ungarn nach Österreich" gekommen, wobei er sich "vor den jeweiligen Grenzübertritten" durch einen Geheimgang in den Kofferraum begeben habe. Dies schlösse zwar auch die Ausreise aus der Türkei mit ein, ist der angeblichen Behauptung, "die Türkei in einem Autobus versteckt verlassen zu haben", aber dennoch nicht gleichzuhalten, weil mit dieser aus dem Zusammenhang gerissenen Darstellung - zum Zwecke der Widerlegung sämtlicher Angaben des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe - unterstellt würde, der Beschwerdeführer habe zu deren Untermauerung den Eindruck hervorzurufen versucht, er habe die Türkei nicht auf legalem Wege verlassen können. Dies trifft - soweit es die Modalitäten des Grenzübertrittes als solchen anlangt - schon aus dem von der belangten Behörde übergangenen Grund nicht zu, daß der Beschwerdeführer selbst angegeben hatte, sein Vater habe ihm für die Flucht einen Reisepaß besorgt. Die weitreichenden Schlüsse der belangten Behörde aus der Entdeckung eines Grenzkontrollstempels über die Ausreise des Beschwerdeführers aus der Türkei sind daher nicht nachvollziehbar.

Der angefochtene Bescheid könnte unter diesen Umständen nur Bestand haben, wenn sowohl die "allfällige inhaltliche Würdigung" der erstinstanzlichen Behauptungen des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe als auch die Beweiswürdigung der belangten Behörde in bezug auf die späteren Behauptungen hierüber zuträfen oder die von der belangten Behörde zusätzlich herangezogene Annahme einer inländischen Fluchtalternative - dem jeweils ins Auge zu fassenden Bedrohungsbild entsprechend - berechtigt wäre.

Die erste dieser Voraussetzungen ist nicht gegeben, weil die belangte Behörde bei ihrer (hypothetischen) rechtlichen Würdigung des erstinstanzlichen Vorbringens, wie schon im Zuge der mit der Beweiswürdigung vermischten Ausführungen zu den Grenzen der Anleitungspflicht, von allgemein gehaltenen Angaben des Beschwerdeführers über die Situation der kurdischen Volksgruppe und verhältnismäßig geringen vorübergehenden Beeinträchtigungen ausgegangen ist, ohne sich mit der Behauptung des Beschwerdeführers, er habe Flugblätter für die PKK verteilt (ein im ersten Berufungsbescheid noch als Anlaß legitimer Strafverfolgung gewertetes Verhalten) und ihm sei für den Fall, daß er "wieder den PKK-Leuten helfen" würde, mit der Festnahme gedroht worden, in irgendeiner Weise auseinanderzusetzen. Geht die belangte Behörde somit an mehreren Stellen ihres Bescheides gerade in den auf die Möglichkeit gezielter Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer hindeutenden Teilen seiner Aussage von einem anderen als ihrem tatsächlichen Inhalt aus, so ist aber auch nicht auszuschließen, daß sie bei der Beurteilung der Frage, ob es sich bei allen späteren Angaben um unglaubwürdige Steigerungen des Vorbringens handle, zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn sie die schon in die Richtung einer gezielten Verfolgung des Beschwerdeführers weisenden Ergebnisse der erstinstanzlichen Vernehmung nicht zu Unrecht übergangen hätte. Ob letztere für sich allein bereits ausgereicht hätten, um die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu indizieren, ist bei dieser Sachlage nicht mehr wesentlich, weil das spätere Vorbringen - wenn die Beweiswürdigung auf einer nicht aktenwidrigen Grundlage zu einem anderen Ergebnis geführt hätte - bei der Entscheidung ebenfalls zu berücksichtigen gewesen wäre.

Die Ausführungen zur inländischen Fluchtalternative beruhen - abgesehen von den Bemerkungen zur "Topographie", zu denen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 20. März 1997, Zl. 95/20/0606, verwiesen wird - auf dem unschlüssigen Argument, der Beschwerdeführer habe eine politische Tätigkeit in Istanbul "vorher nie erwähnt", weshalb dieser Behauptung "im Licht des Gesamtbildes" des Vorbringens die Glaubwürdigkeit zu versagen sei. Mit Recht wird dem in der Beschwerde entgegengehalten, der Beschwerdeführer habe die erwähnte Behauptung sogleich erhoben, nachdem er erstmals im fortgesetzten Berufungsverfahren mit der Annahme konfrontiert worden war, er habe schon in Istanbul "Schutz vor etwaigen Beeinträchtigungen" gefunden. Ob letzteres zutreffen konnte, hängt im übrigen aber auch davon ab, in welchem Umfang den späteren Angaben des Beschwerdeführers über die Bedrohung, vor der er geflohen sein will, bei vollständiger Berücksichtigung seiner erstinstanzlichen Angaben Glauben zu schenken sein wird.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. Oktober 1998

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