VwGH 96/08/0095

VwGH96/08/009523.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde der IB in N, vertreten durch Mag. Stefan Weiskopf, Rechtsanwalt in 6500 Landeck, Malserstraße 36a/II, gegen den aufgrund des Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigen Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 6. März 1996, Zl. V-7022 B, SVNR. 2363 15 01 62, betreffend Sondernotstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §39 Abs1 idF 1992/416;
AlVG 1977 §39 Abs5 idF 1995/297;
AVG §37;
SondernotstandshilfeV 1995 §1;
AlVG 1977 §39 Abs1 idF 1992/416;
AlVG 1977 §39 Abs5 idF 1995/297;
AVG §37;
SondernotstandshilfeV 1995 §1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die in Weingartl (6161 Natters) wohnhafte Beschwerdeführerin stand nach der Geburt ihres Kindes Sarah am 10. Dezember 1993 in Bezug von Karenzurlaubsgeld. Am 5. Dezember 1995 stellte sie mit dem am 6. November 1995 ausgegebenen amtlichen Antragsformular das Begehren auf Gewährung einer Sondernotstandshilfe.

Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 30. Jänner 1996 wurde diesem Antrag gemäß § 39 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 5 AlVG i.V.m. § 1 Sondernotstandshilfeverordnung, aufgrund Vorhandenseins einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit keine Folge gegeben. In der Begründung wurde ausgeführt, der Vater des Kindes sei durchaus in der Lage, das Kind zu betreuen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen. In der Begründung stellte die belangte Behörde eingangs das Verwaltungsgeschehen dar und zitierte die anzuwendenden Gesetzesbestimmungen. Sie ging von folgendem Sachverhalt aus:

"Laut Bestätigung der Gemeinde Natters vom 8.11.1995 besteht bzw. bestand für Sie zu diesem Zeitpunkt eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit bei einer Tagesmutter bei den "Frauen im Brennpunkt" in Innsbruck. Laut Bestätigung des Arztes Dr. Georg N. in Mutters darf Herr Peter R., Vater Ihres Kindes Sarah, nicht mehr als drei Kilogramm heben und kann nicht mehr richtig laufen und sei für die Kindesbetreuung ausgeschlossen. Laut Bestätigung des Arztes Dr. Georg N. vom 15.12.1995 ist Sarah ein außerordentlich sensibles und feinfühlendes Kind, das dem Druck der Trennung von der Mutter vermutlich nicht gewachsen sei. Es sei ratsam, Sarah noch bei Ihnen zu lassen. Auf Ihre Berufungsausführungen wird verwiesen."

Rechtlich vertrat die belangte Behörde die Auffassung, der Vater des Kindes sei keine geeignete Unterbringungsmöglichkeit. Da jedoch laut Bestätigung des namentlich genannten Arztes Sarah lediglich "vermutlich" dem Druck einer Trennung von der Beschwerdeführerin nicht gewachsen zu sein scheine - es seien sehr viele Kinder außerordentlich sensibel und feinfühlend - wäre es im Beschwerdefall doch eines entsprechenden Unterbringungsversuches wert gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die für die Beurteilung des Bescheides maßgebliche

Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

Gemäß § 39 Abs. 1 AlVG (i.d.F. BGBl. Nr. 416/1992) haben (u.a.) Mütter Anspruch auf Sondernotstandshilfe bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes, wenn der Anspruch auf Karenzurlaubsgeld erschöpft ist (Z. 1), sie wegen Betreuung des Kindes keine Beschäftigung annehmen können, weil erwiesenermaßen für dieses Kind keine Unterbringungsmöglichkeit besteht (Z. 2) und mit Ausnahme der Arbeitswilligkeit die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Notstandshilfe erfüllt sind (Z. 3).

Gemäß § 39 Abs. 5 AlVG (i.d.F. BGBl. Nr. 297/1995) ist zur Frage, ob eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit vorliegt, der Regionalbeirat anzuhören. Trifft der Regionalbeirat keine einhellige Feststellung, so ist das Landesdirektorium anzuhören. Die Überprüfung der Unterbringungsmöglichkeit ist ab dem Jahr 1996 halbjährlich vorzunehmen.

Gestützt auf § 39 AlVG und § 6 Abs. 6 Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz erließ der Bundesminister für Soziales (nunmehr: Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) die sogenannte Sondernotstandshilfeverordnung, die im am 31. Mai 1995 ausgegebenen BGBl. unter Nr. 361/1995 kundgemacht wurde und ihrem § 5 zufolge am 1. Mai 1995 in Kraft getreten ist. § 1 der Sondernotstandshilfeverordnung hatte folgenden Wortlaut:

"(1) Als geeignete Unterbringungsmöglichkeit gilt jedenfalls eine Einrichtung, die nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften (z.B. Kindergartengesetz, Kindertagesheimgesetz, Jugendwohlfahrtgesetz u.dgl.) für Kinder im dritten Lebensjahr entweder vom Land oder der Gemeinde selbst oder von Rechtsträgern geführt wird, denen sich das Land oder die Gemeinde zur Erreichung dieser Ziele bedient. Eine private Einrichtung (wie Privatkindergarten, Pfarrkindergarten, Kindergruppe u.dgl.) ist einer solchen Einrichtung gleichzuhalten.

(2) Weiters müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. a) die Öffnungszeiten müssen den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Arbeitszeiten einschließlich der Zeit, die für die Hinbringung bzw. Abholung des Kindes erforderlich ist, angepaßt sein,
  2. b) der Betreuungsort muß mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder anderweitig bereitgestellten Beförderungsmitteln (Kindergartentransporte) bei zumutbarem Zugang entsprechend den Öffnungszeiten erreichbar sein,
  3. c) das Entgelt für die Unterbringung muß angemessen sein, das bedeutet, daß es nicht wesentlich über den Kosten einer vergleichbaren kommunalen Unterbringungsmöglichkeit, bei Fehlen einer solchen, nicht wesentlich über den Kosten anderer vergleichbarer Einrichtungen im jeweiligen Bundesland liegen darf.

(3) Tagesmütter/väter gelten nur insoweit als geeignete Unterbringungsmöglichkeit, als für sie bzw. für die Einrichtung, die die Tagesmütterbetreuung organisiert, eine Bewilligung nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften vorliegt.

(4) Die im Haushalt bzw. am Wohnsitz lebenden Eltern und Großeltern der/des Antragstellerin/Antragstellers können nicht zwingend für die Betreuung herangezogen werden."

Gemäß § 2 dieser Verordnung sind die Gemeinden verpflichtet, binnen zwei Wochen nach Aufforderung durch das Arbeitsmarktservice zu bestätigen, ob eine Unterbringungsmöglichkeit für das Kind besteht.

Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die Unterbringung bei einer Tagesmutter bei den "Frauen im Brennpunkt" in Innsbruck eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit im Sinne des § 39 Abs. 1 Z. 2 AlVG darstellt. Die Beschwerdeführerin bestreitet dies. Sie verweist auf ein ärztliches Attest, wonach das Kind außerordentlich sensibel und feinfühlend und dem Druck, von seiner Mutter getrennt zu werden, vermutlich nicht gewachsen sei. Der das Kind behandelnde Arzt führt in diesem Schreiben weiters aus, er rate, daß das Kind noch ein Jahr bei seiner Mutter verbringen dürfe, um psychische Schäden bei dem Kind zu vermeiden.

Die belangte Behörde übernahm den Inhalt des von der Beschwerdeführerin vorgelegten ärztlichen Attestes als Feststellung und legte diese ihrer rechtlichen Beurteilung zugrunde. Sie vertrat - erschließbar - die Auffassung, daß die Unterbringungsmöglichkeit geeignet sei und es daher "einen Unterbringungsversuch wert gewesen wäre".

Die belangte Behörde hatte aufgrund der dargestellten Rechtslage zu untersuchen, ob die Unterbringungsmöglichkeit im Sinne des § 39 ALVG "geeignet" ist. Die Überprüfung hat gemäß § 39 Abs. 1 Z. 2 AlVG in bezug auf das konkrete Kind (arg.: für dieses Kind) zu erfolgen. Das Erfordernis der Eignung bezieht sich daher sowohl auf die Einrichtung als auch auf das Kind. Bei Beurteilung der Eignung für das Kind ist daher auch die physische und psychische Konstellation des betreffenden Kindes grundsätzlich beachtlich. Davon geht offensichtlich auch die belangte Behörde aus. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin konkrete Einwände im Hinblick auf die psychische Konstitution des Kindes vorgetragen und auch bescheinigt. Laut dem vorgelegten ärztlichen Schreiben läßt die Unterbringung des Kindes der Beschwerdeführerin bei einer Tagesmutter die Gefahr einer psychischen Schädigung besorgen. Aufgrund dieses - einer weiteren Präzisierung bedürftigen - bescheinigten Sachverhaltes hätte die belangte Behörde die Frage der medizinischen Unbedenklichkeit der zumindest versuchsweisen Unterbringung des Kindes bei einer Tagesmutter prüfen müssen. Auch in dem über Antrag der Beschwerdeführerin eingeleiteten Verfahren obliegt es nämlich der Behörde, innerhalb der Grenzen ihrer Möglichkeiten und des vom Verfahrenszweck her gebotenen und zumutbaren Aufwandes ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nachzukommen. Die belangte Behörde hätte daher aufgrund der Behauptung, das Kind sei aufgrund seiner persönlichen Anlagen und Fähigkeiten für eine Unterbringung bei einer Tagesmutter vermutlich nicht geeignet, ein zweckdienliches Ermittlungsverfahren durchführen müssen, zu dem Zwecke, ob es sich bei dem genannten Betreuungsplatz um eine - zumindest im Sinne der Unbedenklichkeit eines Unterbringungsversuchs vorerst - geeignete Unterbringungsmöglichkeit für dieses Kind handelt. Da die belangte Behörde solche Verfahrensschritte unterlassen hat, ist der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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