VwGH 96/04/0126

VwGH96/04/012611.11.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Urban, über die Beschwerde 1) der H M in I, 2) der M M in K und

3) der E M in I, alle vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 27. März 1996, Zl. IIa-60.020/7-95, betreffend Verfahren gemäß § 78 Abs. 2 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: W L in I, W-Straße 1), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
GewO 1994 §78 Abs2;
GewO 1994 §81 Abs1;
AVG §66 Abs4;
GewO 1994 §78 Abs2;
GewO 1994 §81 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 13.070,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Mitbeteiligte stellte am 30. November 1994 an den Stadtmagistrat Innsbruck den Antrag "auf Erweiterung der bereits bestehenden Betriebsanlagengenehmigung" dahingehend, die Betriebsanlagengenehmigung des Gastlokales "Cafe X" auf die nunmehr vorgesehenen Öffnungszeiten von Montag bis Samstag 7.00 Uhr bis 2.00 Uhr auszudehnen. Zur Begründung dieses Antrages wurde vorgebracht, für das genannte Lokal sei seinerzeit unter der Etablissementbezeichnung "Cafe Y" mit Bescheid vom 26. März 1990 die Betriebsanlagengenehmigung erteilt worden. In diesem Genehmigungsbescheid seien die Lokalöffnungszeiten von Montag bis Freitag 7.00 Uhr bis 1.00 Uhr und Samstag von 7.00 Uhr bis 14.00 Uhr enthalten. Der Mitbeteiligte als nunmehriger Betreiber beabsichtigte die Betriebszeiten des Lokales am Samstag von 7.00 Uhr bis 2.00 Uhr früh auszudehnen, was "selbstverständlich mit den Bestimmungen der Gewerbeordnung in Einklang steht".

Mit Eingabe vom 20. Jänner 1995 änderte der Mitbeteiligte sein Ansuchen dahingehend, daß die "Erweiterung der Betriebsanlage" von Montag bis Sonntag 7.00 Uhr bis 2.00 Uhr begehrt werde.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20. Februar 1995 wurde über das Ansuchen des Mitbeteiligten wie folgt entschieden:

"Sie haben um die Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung für die Änderung der Betriebsanlage im Standort W-Straße 1 (GSt 6, KG I) angesucht.

Beschreibung

Mit Bescheid vom 26. März 1990 wurde für das gegenständliche

Lokal die Betriebsanlagengenehmigung erteilt.

Nunmehr ist vorgesehen, die Öffnungszeiten von Montag bis Sonntag von 7.00 Uhr bis 2.00 Uhr auszudehnen (bisherige Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 7.00 Uhr bis 1.00 Uhr und Samstag von 7.00 Uhr bis 14.00 Uhr).

Die Dachluke in der Küche wird immer geschlossen gehalten.

Spruch

I. Gemäß § 81 Gewerbeordnung 1994 und unter Anwendung des § 93 Abs. 2 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz wird Ihnen hiemit die nachgesuchte Genehmigung unter folgenden Auflagen erteilt:

1. Die Auflagen des Erstbescheides, ausgenommen Nr. 7. und 11., vom 26.3.1990, Zl. VI-9460/1988 und Zahl VI-2534/1989, gelten auch für diese Bewilligung unverändert.

2. Auflage Nr. 7. des Erstbescheides gilt unverändert, wird aber um folgenden Satz erweitert:

Organe der Behörde haben den Limiter einzustellen und zu verplomben.

3. Auflage Nr. 11 des Erstbescheides wird geändert und hat nunmehr zu lauten:

Die Eingangstüren des Lokales sind, außer zum Zweck des Zu- und Abgehens, während der Betriebszeit geschlossen zu halten und gegen das Öffnen durch Unbefugte wirksam zu sichern bzw. mit automatischen Türschließern, die stets funktionstüchtig zu halten sind, zu versehen.

II. a) Die Einwendungen der Parteien J B, S F, Dr. Z, Dr. B, Dr. H, Dr. W, Dr. T, R S, H S, Mag. R, U S, Mag. D, N T, E M, M M,

B H, A S, E C, J V, E R und H W des Inhaltes, der Lärm, den die Gäste des Lokales vor der Lokaltüre im gemeinsamen Hof der Häuser W-Straße 17 und W-Straße 19 verursachen, stellt eine Gesundheitsgefährdung und unzumutbare Belästigung dar, werden zurückgewiesen.

b) Die Einwände der oben genannten Parteien bezüglich Lärmbelästigungen durch laute Musik aus dem Lokal bei offener Lokaltüre und diverse Aufräumearbeiten vor 06.00 Uhr Früh und bezüglich allgemeiner Lärmbelästigung werden als unbegründet abgewiesen."

Über die dagegen erhobene Berufung der beschwerdeführenden Parteien hat der Landeshauptmann von Tirol mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 27. März 1996 im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG wie folgt entschieden:

"Gemäß § 74 Abs. 2 Z. 2 Gewerbeordnung 1994, BGBl. Nr. 194/1994, in der Fassung BGBl. Nr. 691/1995, werden die Berufungen gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck vom 20.2.1995, Zl. VI-15684-III/RR/1994, als unbegründet abgewiesen und der Spruch dieses Bescheides derart geändert, daß § 81 Abs. 1 Gewerbeordnung 1994 durch § 78 Abs. 2 Gewerbeordnung 1994 ersetzt wird".

Zur Begründung führte der Landeshauptmann nach Darlegung des bisherigen Verfahrensverlaufes und der Rechtslage zu den Bestimmungen der §§ 81, 74 Abs. 2 und 78 Abs. 2 GewO 1994 im wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe in seinem Antrag vom 20. Jänner 1995 ausschließlich um Änderung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Betriebszeitbeschränkung angesucht; es sei somit nicht Wille des Antragstellers, eine Änderung des Umfanges oder der Betriebsweise der Anlage herbeizuführen, sondern ausschließlich die Betriebszeit des Lokales zu verlängern. Durch die Betriebszeitenänderung werde keine Änderung des vorhandenen Emissionsausmaßes bewirkt. Nach Aussage des der erstinstanzlichen Augenscheinsverhandlung beigezogenen Sachverständigen sei bei Einhaltung der Auflagen mit keiner von der gegenständlichen Betriebsanlage ausgehenden Lärmbelästigung zu rechnen. Der (im erstinstanzlichen Verfahren) beigezogene medizinische Gutachter sei davon ausgegangen, daß bei Einhaltung der bestehenden Auflagen von der Betriebsanlage für die Anrainer keine unzumutbaren Beeinträchtigungen zu erwarten seien. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt sei somit hinreichend erhoben. Da eine Verlängerung der Betriebszeiten der gegenständlichen Betriebsanlage keine Änderung des vorhandenen Emissionsmaßes bewirke, werde § 74 Abs. 2 nicht berührt und sei anstelle des § 81 Abs. 1 richtigerweise § 78 Abs. 2 anzuwenden. Ein "Austausch des § 81 Abs. 1 durch § 78 Abs. 2" sei damit zu rechtfertigen, daß keine Verkürzung der Parteirechte eintrete. Der Antragsteller habe seinen Antrag auf § 81 Abs. 1 gestützt, doch müsse die belangte Behörde davon ausgehen, daß dem Antragsteller die Rechtslage nicht sofort habe erkennbar sein können, da sich die Grundlagen dieser Entscheidung erst aus dem im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten ergeben hätten. Die Einwendungen der beschwerderführenden Parteien bezüglich Lärms von Gästen des Lokales vor der Lokaltüre im gemeinsamen Hof der Häuser W-Straße 17 und 19 seien unbegründet, weil Verhalten von Personen außerhalb der Betriebsanlage nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens sein könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die beschwerdeführenden Parteien beantragen den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren

nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die beschwerdeführenden Parteien erachten sich durch den angefochtenen Bescheid in folgenden Rechten verletzt:

"1. auf Bindung der belangten Behörde an vorliegende rechtskräftige Bescheide des Bürgermeisters der Landeshauptstadt von Innsbruck,

2. auf Zugehörigkeit des gegenständlichen Zuganges zum Lokal "X" von der öffentlichen Straße her als Teil der Betriebsanlage und sohin Bestandteil der rechtskräftig vorliegenden Genehmigungsbescheide für diese Lokalität,

3. auf Prüfung der gesamten Betriebsanlage hinsichtlich ihrer Lärmbelästigung, und zwar der bereits vorliegenden als auch der auf Grund der Änderung zu erwartender Immissionen,

4. auf Durchführung eines gesetzmäßigen Genehmigungsverfahrens im Sinne der Bestimmungen eines § 81 GewO 1994 in Verbindung mit §§ 74 ff leg. cit.,

5. auf Treffen eindeutiger Feststellungen über den Genehmigungsumfang der zu ändernden bzw. gänzlich neu zu bewilligenden Anlage unter Einholung eines lärmtechnischen Gutachtens,

6. auf Nichtgenehmigung der angesuchten Änderung wegen gravierender Beeinträchtigung der Interessen der betroffenen Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 GewO 1994,

7. auf Beachtung der Bindungswirkung des Bescheides des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 15.11.1995, Zl. 318.179/1III/A/2a/95 durch die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 2 AVG,

  1. 8. auf Prüfung der Anwendung des § 68 Abs. 3 AVG,
  2. 9. auf klare und verständliche Fassung des Spruches des angefochtenen Bescheides im Sinne des § 59 AVG,

    10. auf Durchführung eines gesetzmäßigen Verwaltungsverfahren."

    Die Beschwerde erweist sich schon auf Grund folgender Erwägungen als berechtigt:

    Gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1994 bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen, wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage soweit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der in § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist.

    Gemäß § 78 Abs. 2 GewO 1994 hat die Behörde auf Antrag von der Verpflichtung zur Herstellung des den Genehmigungsbescheid entsprechenden Zustandes dann Abstand zu nehmen, wenn es außer Zweifel steht, daß die Abweichungen, die durch den Genehmigungsbescheid getroffene Vorsorge nicht verringern. Die Behörde hat die Zulässigkeit der Abweichungen mit Bescheid auszusprechen.

    Bei der Erteilung einer Genehmigung nach § 81 Abs. 1 GewO 1994 handelt es sich so wie auch bei einer Genehmigung nach § 78 Abs. 2 leg. cit. um einen antragsbedürftigen Verwaltungsakt. Die Behörde ist in einem solchen Verfahren an den Inhalt des Parteiantrages gebunden. Es steht ihr nicht frei, abweichend vom Inhalt des dem Verfahren zugrundeliegenden Antrages etwa nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens oder entsprechend ihrer vom Parteiantrag abweichenden Rechtsansicht eine Änderungsgenehmigung gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1994 oder eine Genehmigung nach § 78 Abs. 2 leg. cit. zu erteilen bzw. zu versagen (vgl. insoweit sinngemäß auch die hg. Erkenntnisse vom 18. Juni 1996, Zl. 96/04/0043, und vom 8. Oktober 1996, Zl. 94/04/0248). Des weiteren ist es der Behörde auch verwehrt, mehr oder etwas anderes zu bewilligen, als vom Genehmigungswerber beantragt wurde (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1996, Zl. 96/04/0140).

    Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.

    Die Verpflichtung zur Entscheidung "in der Sache" bedeutet eine Einschränkung der Entscheidungsbefugnis der Berufungsbehörde dahingehend, daß nur die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde gebildet hat, Gegenstand des Berufungsverfahrens ist. Die Berufungsbehörde darf daher sachlich nicht über mehr oder über etwas anderes entscheiden, als Gegenstand der Entscheidung der Unterbehörde war. Die den Entscheidungsspielraum der Berufungsbehörde begrenzende Sache im Sinne von § 66 Abs. 4 AVG ist nicht jene, welche in der Unterinstanz in Verhandlung war, sondern die, die durch den Spruch des Bescheides der Unterinstanz begrenzt ist (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, zweite Auflage 1998, Seite 1264 f wiedergegebene hg. Judikatur).

    Im Beschwerdefall wertete die Behörde erster Instanz inhaltlich - ob zu Recht, ist im gegebenen Zusammenhang nicht zu untersuchen - das dem Verfahren zugrunde liegende Ansuchen des Mitbeteiligten als ein solches um Genehmigung der Änderung einer genehmigten Betriebsanlage und erteilte eine Änderungsgenehmigung für diese Betriebsanlage des Mitbeteiligten gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1994. Daß der Mitbeteiligte in dem zugrunde liegenden Verfahren einen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung gemäß § 78 Abs. 2 GewO 1994 gestellt hätte oder die Behörde erster Instanz über eine solche Genehmigung entschieden habe, nimmt die belangte Behörde auch selbst gar nicht an, vertritt sie doch nach der im angefochtenen Bescheid dargelegten Begründung die Auffassung, ein "Austausch des § 81 Abs..... durch § 78 Abs. 2" sei gerechtfertigt bzw. der Antragsteller habe "seinen Antrag auf § 81 Abs. 1 gestützt".

    Dadurch, daß die belangte Behörde in Abänderung des gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1994 ergangenen erstinstanzlichen Genehmigungsbescheides eine Genehmigung nach § 78 Abs. 2 GewO 1994 erteilte, überschritt sie die Grenzen ihrer durch das in § 66 Abs. 4 AVG normierte Gebot der Entscheidung "in der Sache" bestimmten Zuständigkeit. Während es im Genehmigungsverfahren nach § 81 Abs. 1 GewO 1994 um die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage geht, regelt § 78 Abs. 2 leg. cit. nämlich den Fall, daß Abweichungen vom Genehmigungsbescheid bescheidmäßig für zulässig erklärt werden, wenn dadurch bzw. durch den ersatzlosen Entfall vorgesehener Vorkehrungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Dezember 1997, Zl. 97/04/0235, und die darin angegebene Vorjudikatur) die im Genehmigungsbescheid getroffene Vorsorge nicht verringert wird. Schon aus diesen Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig.

    Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid - ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

    Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

    Für die nicht erforderlichen beiden Beschwerdeausfertigungen war den beschwerdeführenden Parteien kein Ersatz der Eingabengebühr zuzuerkennen. Des weiteren besteht auch kein Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand.

    Wien, am 11. November 1998

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