VwGH 95/19/1228

VwGH95/19/12283.4.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der 1946 geborenen IP in Wien, vertreten durch Dr. ER, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. August 1995, Zl. 300.469/3-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
Sichtvermerkspflicht Aufhebung Jugoslawien 1965 Art2;
Sichtvermerkspflicht Aufhebung Kroatien 1995;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
Sichtvermerkspflicht Aufhebung Jugoslawien 1965 Art2;
Sichtvermerkspflicht Aufhebung Kroatien 1995;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Kroatiens. Sie verfügte zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung mit Geltungsdauer vom 1. Oktober 1993 bis 18. Mai 1994. Am 20. April 1994 beantragte sie die Verlängerung dieser Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 2. Dezember 1994 abgewiesen. Eine dagegen am 29. Dezember 1994 erhobene Berufung wurde mit einem am 28. März 1995 zugestellten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen.

Am 4. Mai 1995 (Datum des Einlangens bei der erstinstanzlichen Behörde) beantragte die Beschwerdeführerin neuerlich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Als Aufenthaltszweck gab sie an, selbständig erwerbstätig sein zu wollen. Im Antragsformular ist "Einzelsicherungsbescheinigung" angekreuzt. Vorgelegt wurde eine solche nicht. Den Verwaltungsakten ist ein Schreiben der Beschwerdeführerin vom 20. April 1995 angeschlossen, in dem sie darlegt, in der Zeit von Dezember 1994 bis März 1995 S 36.200,-- (von österreichischen Auftraggebern) ins Verdienen gebracht zu haben. Belege hiezu wurden vorgelegt.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24. Mai 1995 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 4. Mai 1995 gemäß § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 6 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992 (FrG), abgewiesen. In der Begründung dieses Bescheides führte die erstinstanzliche Behörde unter anderem aus, die Beschwerdeführerin sei seit 25. September 1991 aufrecht in Wien gemeldet. Sie sei seit Dezember 1994 erwerbstätig.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Darin brachte sie unter anderem vor, sie sei "seit 25.09.1991 mit dem ständigen Aufenthalt in Wien". Sie könne nicht mehr nach Hause zurück, weil sie keine Arbeit und auch keine finanziellen Mittel habe. Ihr Mann "wolle nichts mehr von ihr wissen", weshalb sie versucht habe, in Wien einer Arbeit nachzugehen. Sie sei Pflegerin und arbeite jetzt als selbständige Pflegerin in Wien.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. August 1995 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe selbst angegeben, sie habe bereits seit September 1991 in Wien ihren ständigen Aufenthalt. Seit Ablauf ihrer letzten Aufenthaltsbewilligung halte sie sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Durch dieses Verhalten habe sie gezeigt, daß sie nicht gewillt sei, die österreichische Rechtsordnung, insbesondere in einem Bereich, der für einen geordneten Ablauf eines geregelten Fremdenwesens vorgesehen sei, zu respektieren. Dieser Umstand rechtfertige die Annahme, ihr weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet werde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden. Der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG liege vor. Im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen überwögen die öffentlichen Interessen die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 AufG lauteten (auszugsweise):

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.

§ 6. ...

(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. ... Eine Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig: ...; schließlich für jene im Bundesgebiet aufhältige Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z 4 festgelegt ist. ..."

§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (8. September 1995) ist für seine Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof die am 27. Juni 1995 ausgegebene Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1995, BGBl. Nr. 408/1995, maßgeblich. § 3 Z. 3 dieser Verordnung lautete:

"§ 3. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung kann ausnahmsweise im Inland gestellt werden von:

...

3. Personen, für die eine Beschäftigungsbewilligung, eine Arbeitserlaubnis oder ein Befreiungsschein ausgestellt ist, und deren Familienangehörigen im Sinne des § 3 des Aufenthaltsgesetzes, die eine Aufenthaltsbewilligung hatten und"

Art. 1 und Art. 2 des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Republik Kroatien über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 487/1995, lauten:

"Artikel 1

Die Staatsbürger der Vertragsstaaten, die einen der im Artikel 3 angeführten Reiseausweise mit sich führen, können ohne Sichtvermerke des anderen Vertragsstaates die Grenzen der Vertragsstaaten überschreiten und sich drei Monate auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten.

Artikel 2

Artikel 1 findet keine Anwendung auf jene Personen, die sich länger als drei Monate auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten wollen oder dort die Ausübung einer Erwerbstätigkeit beabsichtigen. In diesen Fällen ist vor der Einreise die Erteilung eines Sichtvermerkes oder einer Aufenthaltsbewilligung erforderlich."

Dieses Abkommen trat am 1. August 1995 in Kraft und ersetzt im Verhältnis zwischen Österreich und Kroatien das Abkommen zwischen der Bundesregierung der Republik Österreich und der Regierung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 365/1965 idF BGBl. Nr. 117/1983.

Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 des letztgenannten Abkommens lauteten:

"Artikel 1

(1) Die Staatsbürger der Vertragsstaaten, die einen der im Artikel 3 angeführten Reiseausweise mit sich führen, können ohne Sichtvermerk des anderen Vertragsstaates die Grenzen der Vertragsstaaten überschreiten und sich drei Monate auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten.

Artikel 2

Die Staatsbürger der Vertragsstaaten, die sich zum Zweck der Arbeitsaufnahme in das Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates begeben, bedürfen eines Sichtvermerkes, der auch die Aufenthaltsberechtigung einschließt. Dieser Sichtvermerk wird gebührenfrei erteilt."

Die Beschwerdeführerin erachtet die Annahme der belangten Behörde, allein aus ihrem unrechtmäßigen Aufenthalt sei die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG getroffene Gefährdungsprognose berechtigt, für unzutreffend, weil sie sich im übrigen wohlverhalten habe.

Dieser Auffassung ist jedoch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. März 1997, Zl. 95/19/0876) entgegenzuhalten, wonach ein länger dauernder Aufenthalt eines Fremden im Anschluß an die rechtskräftige Abweisung eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages grundsätzlich die Annahme rechtfertigt, sein weiterer Aufenthalt werde die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gefährden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hätte lediglich dann Platz zu greifen, wenn der sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältige Fremde zur ausnahmsweisen Antragstellung im Inland berechtigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1997, Zl. 96/19/2066). Dies ist jedoch bei der Beschwerdeführerin nicht der Fall. Die Ausnahmebestimmung des § 3 Z. 3 der Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1995, BGBl. Nr. 408/1995, ist auf die Beschwerdeführerin nicht anzuwenden, weil diese zwar eine Aufenthaltsbewilligung hatte, für sie jedoch keine der in dieser Bestimmung angeführten

ausländerbeschäftigungsrechtlichen Bewilligungen ausgestellt war. Auch sind den Verwaltungsakten keine Hinweise dafür zu entnehmen, daß ein Angehöriger der Beschwerdeführerin im Sinne des § 3 AufG über derartige ausländerbeschäftigungsrechtliche Berechtigungen verfügt hätte.

Die Auffassung der belangten Behörde, der Sichtvermerksversagungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG liege vor, eine Bewilligung sei aus dem Grunde des § 5 Abs. 1 AufG nicht zu erteilen, kann somit nicht als inhaltlich rechtswidrig erachtet werden.

Unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt die Beschwerdeführerin, es sei - auch infolge einer Verletzung der Manuduktionspflicht durch die erstinstanzliche Behörde - nicht überprüft worden, ob sie nicht seit 19. Mai 1994 mehrfach in das Bundesgebiet als Tourist ein- und wieder ausgereist sei. Dies sei tatsächlich der Fall gewesen. Im Hinblick auf das ihr zustehende Recht, sich jeweils drei Monate lang rechtmäßig sichtvermerksfrei im Bundesgebiet aufhalten zu können, sei ihr ein unrechtmäßiger Aufenthalt nicht vorzuwerfen. Zum Nachweis dieses Vorbringens legte die Beschwerdeführerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine Kopie ihres Reisedokumentes vor.

Diesem Vorbringen ist jedoch entgegenzuhalten, daß eine entsprechende Verletzung der Manuduktionspflicht durch die erstinstanzliche Behörde in der Berufung nicht gerügt wurde und die belangte Behörde aufgrund des oben wiedergegebenen Berufungsvorbringens der Beschwerdeführerin ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme hatte, die Beschwerdeführerin habe sich seit Ablauf ihrer letzten Aufenthaltsbewilligung ständig in Österreich aufgehalten. Schließlich behauptete die Beschwerdeführerin ja in ihrer Berufung, sie sei "seit 25.09.1991 mit dem ständigen Aufenthalt in Wien". Zu diesem von der Beschwerdeführerin selbst gelieferten Sachverhaltselement brauchte die belangte Behörde ihr auch kein rechtliches Gehör zu leihen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1992, Zl. 91/19/0391).

Darüber hinaus hat aber auch bereits die erstinstanzliche Behörde der Beschwerdeführerin vorgehalten, sie seit Dezember 1994 in Österreich erwerbstätig. Dieser Annahme trat die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung nicht entgegen. Sie gestand sie vielmehr ausdrücklich zu, indem sie vorbrachte, sie arbeite jetzt als selbständige Pflegerin in Wien.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes umfaßt der Begriff der "Erwerbstätigkeit" in Art. 2 des Abkommens über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 487/1995, wie schon der Begriff der "Arbeitsaufnahme" in Art. 2 des Abkommens über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 365/1965, sowohl eine selbständige als auch eine unselbständige Erwerbstätigkeit. Jede Einreise zum Zweck der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit ohne Sichtvermerk wäre folglich - wie auch der daran anschließende Aufenthalt zu diesem Zweck - auch für Personen, auf die die genannten Abkommen Anwendung finden, unrechtmäßig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1997, Zl. 96/19/0195, mit weiteren Hinweisen). Ebenso wie ein durchgehender unrechtmäßiger Aufenthalt im Anschluß an die rechtskräftige Abweisung eines rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrages, verwirklichte auch eine unrechtmäßige Einreise und ein daran anschließender unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet den Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1993, Zl. 93/18/0259).

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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