VwGH 95/18/0712

VwGH95/18/071218.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des M A, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 22. September 1994, Zl. SD 767/94, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §6 Abs1;
AsylG 1991 §6 Abs2;
AsylG 1991 §7;
AsylG 1991 §9;
FlKonv Art31;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
AsylG 1991 §6 Abs1;
AsylG 1991 §6 Abs2;
AsylG 1991 §7;
AsylG 1991 §9;
FlKonv Art31;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §19;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 22. September 1994 wurde der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.

Dem Beschwerdeführer komme keine (vorläufige) Aufenthaltsberechtigung im Sinn des § 7 des Asylgesetzes 1991 zu. Abgesehen davon, daß der Verfassungsgerichtshof, der einer Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Asylbescheid aufschiebende Wirkung zuerkannt habe, diese Beschwerde bereits an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten habe, sei bei der Prüfung der Frage, ob dadurch der Beschwerdeführer die (vorläufige) Aufenthaltsberechtigung erlangt habe, so vorzugehen, als sei der Asylbescheid zweiter Instanz noch nicht erlassen worden und entfalte dieser daher keine Wirkungen. Es sei daher zu prüfen gewesen, ob dem Beschwerdeführer schon während des Asylverfahrens eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung zugekommen sei. Dies sei jedoch nicht der Fall, weil der Beschwerdeführer nicht gemäß § 6 des Asylgesetzes eingereist sei. Er sei, wie von der Erstbehörde (übereinstimmend mit der Asylbehörde) festgestellt worden sei, nicht direkt aus dem Staat gekommen, in dem er Verfolgung befürchten zu müssen behauptet habe. Er sei aber auch nicht Asylwerber im Sinn des § 6 Abs. 2 des Asylgesetzes 1991, der - hätte er sich der Grenzkontrolle gestellt und wäre er legal eingereist - gemäß § 37 FrG nicht in das Land, aus dem er eingereist sei, zurückgewiesen hätte werden dürfen und dem die Einreise formlos gestattet worden sei. Es lägen daher weder die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 noch des § 6 Abs. 2 des Asylgesetzes 1991 vor. Damit erübrige es sich, darauf einzugehen, daß die aufschiebende Wirkung der Berufung gegen den Asylbescheid erster Instanz ausgeschlossen worden sei. Der Beschwerdeführer sei jedenfalls derzeit nicht zum Aufenthalt berechtigt. In einem solchen Fall sei die Ausweisung zu verfügen, sofern dem nicht § 19 FrG entgegenstehe. Daß letzteres der Fall sei, sei vom Beschwerdeführer nicht einmal geltend gemacht worden.

2. Der Beschwerdeführer richtete zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese - nach Ablehnung ihrer Behandlung (Beschluß vom 28. Februar 1995, B 2382/94-6) - dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluß vom 17. März 1995, B 2382/94-8). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren machte der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend und stellte den den Antrag, den angefochtenen Bescheid "gemäß § 42 Abs. 2 VwGG" aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Nach Auffassung des Beschwerdeführers sei ihm zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung im Sinn des § 7 des Asylgesetzes 1991 zugekommen, die der Erlassung des angefochtenen Bescheides entgegengestanden sei.

Zum einen sei der Beschwerdeführer nach § 6 Abs. 1 des Asylgesetzes eingereist; nach "unzweifelhafter völkerrechtlicher Lehre" dürfe "entgegen der verfehlten Judikatur ... des Verwaltungsgerichtshofes", welche den Begriff "direkt im § 6 AsylG bzw Art. 31 GFK rein geographisch" beurteile, ein Flüchtling auch nicht in einen Staat "zurückgeschoben werden", der ihn "seinerseits in den Verfolgerstaat" zurückschieben würde; ein Flüchtling, welcher durch "einen unsicheren Drittstaat" reise, komme "direkt" aus einem Staat im Sinn des § 6 des Asylgesetzes 1991 bzw. des Art. 31 "GFK".

Zum anderen sei § 6 Abs. 2 des Asylgesetzes 1991 auf den Beschwerdeführer anwendbar. Die Auffassung der Behörde, daß sich der Beschwerdeführer der Grenzkontrolle zu stellen gehabt hätte, um die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 leg. cit. zu erfüllen, sei unzutreffend, zumal die Behörde dem Beschwerdeführer auch nicht "zu unterstellen vermocht" habe, er hätte sich der Grenzkontrolle entzogen. Weiters bestünde keine "Norm der österreichischen Rechtsordnung", die für Flüchtlinge eine solche "Gestellungspflicht" vorsehe. Schließlich komme es "bei der Prüfung nach § 37 FrG" nicht bloß darauf an, daß die "materiellen Voraussetzungen des § 37 FrG" lediglich bezüglich des Staates, aus dem die Einreise des Flüchtlinges direkt erfolgt sei, vorlägen; da "die Einreise mit Schlepper für den Flüchtling selbst sanktionslos" sei, sei die Einreise des Beschwerdeführers mit Hilfe eines Schleppers - entgegen der Behörde - auch nicht illegal gewesen.

1.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.

1.2.1. Eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 7 des Asylgesetzes 1991 kommt nur jenen Asylwerbern zu, die - neben der Rechtzeitigkeit der Antragstellung - die Voraussetzung des § 6 leg. cit. erfüllen. Dies trifft aber auf den Beschwerdeführer nicht zu.

Er ist nicht direkt aus einem Staat, in dem er behauptet, Verfolgung befürchten zu müssen, eingereist (§ 6 Abs. 1 leg. cit.). In seinem Feststellungsantrag gemäß § 54 FrG vom 15. November 1993 (vgl. Blatt 25 der Verwaltungsakten) sowie in seiner Berufung vom 26. Mai 1994 gegen den diesbezüglich negativen erstinstanzlichen Bescheid) hat der Beschwerdeführer nämlich eine Bedrohung gemäß § 37 Abs. 1 und auch Abs. 2 FrG lediglich in bezug auf die Staaten Pakistan, Türkei und Bulgarien geltend gemacht. Auf diese drei Staaten bezieht sich der Beschwerdeführer auch in seinem Schriftsatz vom 19. August 1994 an die Bundespolizeidirektion Wien im Zusammenhang mit § 54 FrG (dieser Schriftsatz nennt zusätzlich auch noch Slowenien, vgl. Blatt 92). In einem weiteren Antrag gemäß § 54 FrG vom 6. Dezember 1993 (Blatt 45) macht der Beschwerdeführer überhaupt nur betreffend seinen Heimatstaat Pakistan geltend, daß er dort "verfolgt werde" und daher nicht dorthin abgeschoben werden möchte; auch in seinem an das Bundesasylamt gerichteten Schriftsatz vom 1. Juni 1994 (Blatt 111) hat der Beschwerdeführer lediglich Umstände dargelegt, die aus seiner Sicht seine Verfolgung in Pakistan befürchten ließen. Vor dem Bundesasylamt hat der Beschwerdeführer nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten im übrigen auch schon früher lediglich zum Ausdruck gebracht, daß ihm in Pakistan Verfolgung drohe und hat es bezüglich der Staaten Türkei und Bulgarien mit dem Hinweis bewenden lassen, daß er "keine Ahnung" von der Möglichkeit gehabt hätte, dort einen Asylantrag stellen zu können (vgl. die Niederschrift vom 15. November 1993, Blatt 54).

Vor diesem Hintergrund kann das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung vom 11. Mai 1994 gegen den Erstbescheid, er habe vor seiner Einreise nach Österreich weder in einem anderen Staat "Anerkennung nach der GFK" noch anderweitig Schutz vor Verfolgung gefunden, und es wäre im Fall der Rückkehr "in einen der Durchreisestaaten" keine Gewähr gegeben, daß er nicht in seinen Heimatstaat "weitergeliefert" würde (vgl. Blatt 73), im Hinblick darauf, daß er keinen weiteren Staat ausdrücklich benennt, nur so verstanden werden, daß der Beschwerdeführer sowohl in Pakistan als auch in der vor seiner Einreise durchquerten Staaten Türkei und Bulgarien eine Verfolgung befürchtet. Da der Beschwerdeführer nach Ausweis der Verwaltungsakten aber auf dem Landweg nach Österreich eingereist ist (vgl. seine diesbezüglichen Angaben in der Niederschrift vom 29. Oktober 1993, Blatt 53), muß der Beschwerdeführer daher vor seiner Einreise nach Österreich noch andere Staaten durchreist haben, in denen er eine Bedrohung nach § 37 Abs. 1 und 2 FrG für ihn nicht als gegeben erachtete. Aus einem solchen Staat ist der Beschwerdeführer im Sinn des § 6 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 direkt eingereist.

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren weiters nicht vorgebracht, bei Einreise über eine Grenzkontrollstelle nicht in den Staat zurückgewiesen werden zu dürfen, aus dem er in dem eben genannten Sinn direkt eingereist ist (§ 6 Abs. 2 leg. cit.).

1.2.2. Selbst wenn dem Beschwerdeführer eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung im Sinn des § 7 des Asylgesetzes 1991 während des Asylverfahrens zugekommen wäre, käme eine solche hinsichtlich des angefochtenen Bescheides nicht zum Tragen. Dies deswegen, weil dieser Bescheid nach der rechtskräftigen Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 17. Dezember 1993 - mit dem eine solche vorläufige Aufenthaltsberechtigung geendet hätte - erlassen wurde und der Verwaltungsgerichtshof der vom Verfassungsgerichtshof im Sommer 1994 dem Verwaltungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde gegen den negativen Asylbescheid - nach deren Ergänzung - erst mit Beschluß vom 31. Jänner 1995, d.h. nach Erlassung des angefochtenen Bescheides, aufschiebende Wirkung zuerkannt hat (vgl. Blatt 127 der vorgelegten Verwaltungsakten). Hätte eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers nach § 7 des Asylgesetzes 1991 vor dem besagten negativen Asylbescheid vom 17. Dezember 1993 bestanden, so wäre diese erst ex nunc, also mit Zustellung (Erlassung; vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1995, Zl. 95/18/1201) des letztgenannten Beschlusses für die weitere Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zum Tragen gekommen. Dieser Beschluß ist daher für die Frage der Rechtmäßigkeit des vorher erlassenen angefochtenen Bescheides ohne Bedeutung, hat doch der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf der Grundlage jener Sach- und Rechtslage zu prüfen, die zum Zeitpunkt seiner Erlassung bestanden hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. Mai 1995, Zl. 95/18/0439, mwH).

1.3. Vor dem Hintergrund des Gesagten ist auch die Rüge, die belangte Behörde wäre in Anbetracht des Bestehens einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach § 7 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 zur Erlassung des angefochtenen Bescheides im Hinblick des § 9 des Asylgesetzes 1991 nicht zuständig gewesen, nicht zielführend.

2. Persönliche Interessen, die dem angefochtenen Bescheid im Grunde des § 19 FrG entgegenstünden, macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Gegen das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Beurteilung, daß § 19 FrG der vorliegenden Ausweisung nicht hinderlich sei, besteht kein Einwand. Die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers und eine daraus (allenfalls) abzuleitende Integration sind nicht so stark ausgeprägt, daß sie schwerer zu gewichten gewesen wären als das durch den zur Gänze unberechtigten Aufenthalt des Beschwerdeführers aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. September 1997, Zl. 97/18/0373, mwH). Soweit die Beschwerde die Auffassung vertritt, daß im Rahmen der Beurteilung nach § 19 FrG auch darauf Bedacht zu nehmen gewesen wäre, wohin eine Abschiebung einer ausgewiesenen Person erfolgen könnte, und weiters die außerhalb Österreichs gegebenen persönlichen Interessen eines Fremden Berücksichtigung finden müßten, ist ihr entgegenzuhalten, daß zum einen mit der Ausweisung keine Aussage verbunden ist, daß der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen hat oder daß er (allenfalls) abgeschoben wird, und zum anderen sich § 19 FrG lediglich auf das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich bezieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 96/18/0012, mwH).

4. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

5. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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