VwGH 94/18/0386

VwGH94/18/038617.9.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des A E in Aspang, vertreten durch Dr. Elisabeth Zimmert, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triesterstraße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 21. März 1994, Zl. Fr 254/94, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 1991;
AVG §45 Abs2;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
AsylG 1997 1991;
AVG §45 Abs2;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 21. März 1994 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß er in der Türkei gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Nach Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes des erstinstanzlichen Bescheides und der dagegen erhobenen Berufung sowie der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 5. November 1993 beantragt habe festzustellen, daß er in der Türkei gemäß § 37 Abs. 2 (FrG) bedroht wäre. Er wäre mehrmals verhaftet und gefoltert worden und hätte auf den im Oktober 1991 gestellten Asylantrag und auf sein Vorbringen im Zuge des Asylverfahrens verwiesen.

Der Beschwerdeführer sei am 11. Oktober 1991 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet eingereist und habe am 16. November 1991 einen Asylantrag eingebracht. Bei der niederschriftlichen Einvernahme habe er angegeben, in seiner Heimat keiner politischen Partei anzugehören. Er hätte in der Nähe der syrisch-türkischen Grenze gewohnt und wäre es immer zu Anschlägen durch die PKK-Kämpfer gekommen. Die Aufforderung, als Dorfschützer zu arbeiten, hätte er abgelehnt, weil er als Kurde gegen Kurden hätte vorgehen müssen und dies ein "gefährlicher Job" gewesen wäre. 1990 wäre er insgesamt dreimal von Soldaten festgenommen worden, und man hätte versucht, ihn zur Aufnahme dieser Tätigkeit zu überreden. Ein entfernter Verwandter, der diese Tätigkeit verweigert hätte, wäre erschossen worden. Der Beschwerdeführer vermute, daß dies eine Spezialeinheit der türkischen Regierung gemacht hätte. Da er kein ähnliches Schicksal hätte erleiden wollen, hätte er sein Heimatland verlassen. In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe der Beschwerdeführer angeführt, daß die Kurden in der Türkei stark unterdrückt würden. Er wäre mehrmals gefoltert worden.

Die Asylbehörde habe ausgeführt, daß die allgemeine Benachteiligung den Großteil der kurdischen Bevölkerung in der Türkei beträfe und nicht speziell gegen den Beschwerdeführer gerichtet wäre. Erst in der Berufung habe er vorgebracht, daß er Folterungen ausgesetzt gewesen wäre. Dies habe er bei der erstinstanzlichen Einvernahme nicht vorgebracht. Bei der Befragung sei ein Dolmetscher beigezogen worden und seien Mißverständnisse auszuschließen. Erfahrungsgemäß machten Asylwerber gerade bei der ersten Vernehmung zum Asylantrag spontan jene Angaben, die der Wahrheit am nächsten kämen. Als glaubwürdig könnten Fluchtgründe im allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder gar widersprüchlich darstelle, wenn seine Angaben mit der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erschienen und wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringe. Es könne ein Sachverhalt nur dann als glaubwürdig anerkannt werden, wenn der Asylwerber während des Asylverfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben mache, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erschienen und wenn sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluß aufdrängten, daß sie bloß der Asylerlangung dienen sollten. Hinsichtlich der differenzierten Ausdrucksweise von "Dorfschützer" oder "Dorfwächter" könne eine andere Bezeichnung durch den Dolmetscher nicht ausgeschlossen werden. Der Umstand, wie diese "Dorfwächter" oder "Dorfmilizen" ausgewählt und zusammengestellt würden, sei jedoch bekannt und sei daher der direkte Zwang der türkischen Behörden bzw. eine allfällige Verfolgung aus einer Verweigerung nicht bekannt bzw. auch nicht schlüssig ableitbar. Nicht nur, daß im Regelfall mehr Bewerber - nicht zuletzt auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Situation in diesen Gebieten - vorhanden seien, sondern es lehnten auch Angehörige der kurdischen Volksgruppe die Art und Weise des Freiheitskampfes der PKK ab, und es seien sohin im Regelfall genügend Angehörige des Dorfes vorhanden, diese Positionen einzunehmen. Zudem sei bei einem Angehörigen der kurdischen Volksgruppe, der auch nicht gewillt sei, diese Tätigkeit auszuüben, schlüssigerweise nicht jene Zuverlässigkeit gegeben, wie bei einer Person, die diese Funktion auf freiwilliger Basis ausübe. Der Beschwerdeführer habe bei der niederschriftlichen Einvernahme im Asylverfahren nichts von einer Mißhandlung durch die Soldaten erwähnt. Erst im Berufungsverfahren habe er vorgebracht, gefoltert worden zu sein. Ebenso habe er in seinem Antrag vom 5. November 1993 angeführt, verhaftet und gefoltert worden zu sein. Eine nähere Ausführung sei nicht erfolgt. Von einem Flüchtling, der unmittelbar nach seiner Flucht in einem sicheren Staat zu seinem Vorbringen einvernommen werde, seien erfahrungsgemäß all jene Angaben zu erwarten, die mit seiner Flucht zusammenhingen und insbesondere daß er die gravierendsten Eingriffe in seine höchstpersönliche Sphäre darlege. Später vorgebrachte, im Hinblick auf die Flüchtlingseigenschaft wesentliche Umstände seien im Licht der Schlüssigkeit und Glaubwürdigkeit zu betrachten. Vorbringen genereller Art, die offensichtlich nur den Anschein einer begründeten Flucht darlegen sollten, könnten nicht mehr zugunsten des Fremden gewertet werden. Sohin sei auch das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich der Bedrohung im Sinn des § 37 Fremdengesetz nicht schlüssig und nachvollziehbar.

Der Beschwerdeführer habe eine Verfolgung nicht konkretisieren können. Er sei in das Bundesgebiet ohne gültiges Reisedokument eingereist. Er habe am 19. Oktober 1993 bei der schriftlichen Einvernahme angegeben, daß er vom türkischen Konsulat einen Reisepaß erhalten werde. Mit Schriftsatz vom 10. März 1994 habe er mitgeteilt, daß er nunmehr im Besitz eines gültigen Reisepasses sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. Jänner 1998, Zl. 97/18/0136, mwH).

2.1. Die Beschwerde wendet gegen den angefochtenen Bescheid ein, daß dieser "an erheblichen Begründungsmängeln" leide. Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (nach der Aktenlage: im Asylverfahren) ausgeführt, daß er (offensichtlich gemeint: sein Dorf) immer wieder unter Anschlägen durch die PKK-Kämpfer zu leiden gehabt hätte und er die Aufforderung, als "Dorfschütze" (offensichtlich gemeint: Dorfschützer) zu arbeiten, abgelehnt hätte, weil er als Kurde gegen Kurden hätte vorgehen müssen und dies ein "gefährlicher Job" gewesen wäre. Im Jahr 1990 sei er insgesamt dreimal von Soldaten festgenommen worden und habe man versucht, ihn zu überreden, diese Tätigkeiten aufzunehmen. Ein entfernter Verwandter, der diese Tätigkeit verweigert habe, sei erschossen worden. Er müsse vermuten, daß eine Spezialeinheit der türkischen Regierung dafür eingesetzt worden wäre. Er habe aus diesen Gründen, da er nicht ein ähnliches Schicksal habe erleiden wollen, das Heimatland verlassen und sei vor seiner Ausreise auch mehrmals gefoltert worden.

Die belangte Behörde gehe nun in ihrem Bescheid davon aus, daß er die Folterungen "nicht dezidiert genug" in seiner ersten Einvernahme angegeben hätte und gehe weiters von Erfahrungswerten aus, daß Asylwerber gerade bei der ersten Vernehmung zum Asylantrag spontan jene Angaben, die der Wahrheit am nächsten kämen, machten.

Eine widersprüchliche oder unterschiedliche Darstellung der Geschehnisse habe es nicht gegeben und hätte sich die Behörde genau mit den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Umständen auseinandersetzen müssen und nicht "mit allgemeinen Erfahrungswerten davon ausgehen müssen, daß genau dezidiert gemachtes Vorbringen in Schriftsätzen nicht mehr der Spontanität der ersten Angaben bei der ersten Einvernahme entsprechen".

2.2. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt sich, daß die Behörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Berufung gegen den Erstbescheid im Asylverfahren, daß er Folterungen ausgesetzt worden wäre, keinen Glauben geschenkt hat. Diese Beweiswürdigung hat die Behörde damit begründet, daß ein Sachverhalt nur dann als glaubwürdig anerkannt werden könne, wenn der Asylwerber während des Asylverfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben mache, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erschienen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluß aufdrängten, daß sie bloß der Asylerlangung dienen sollten.

Diese Beweiswürdigung begegnet im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken. Die Ansicht der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer die (erst) in seiner Berufung gegen den Erstbescheid im Asylverfahren erwähnten (im übrigen nie näher konkretisierten) Folterungen - hätten diese tatsächlich stattgefunden - in seiner ersten Einvernahme im Asylverfahren zur Dartuung seiner begründeten Verfolgung vorgebracht hätte, widerspricht nicht der Lebenserfahrung.

3. Das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers, die Behörde hätte aufgrund der von ihm gemachten Aussagen und aufgrund der differenzierten Ausdrucksweise von "Dorfschützer" oder "Dorfwächter" erheben müssen, inwieweit er tatsächlich einem Zwang der türkischen Behörden bzw. einer allfälligen Verfolgung aus einer Verweigerung ausgesetzt gewesen wäre, führt die Beschwerde zum Erfolg. Die Behörde hat zwar zu diesem Fragenkreis Feststellungen getroffen, diesbezüglich fehlt es aber nach Ausweis der Akten an ausreichenden Ermittlungen, deren Ergebnisse einerseits der Partei im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis und Stellungnahme gebracht hätten werden müssen, um ihr die Möglichkeit zu geben, ihre Rechte ausreichend verfolgen zu können, und die andererseits den Verwaltungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, den Bescheid auf seine inhaltliche Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren für Schriftsatzaufwand war als überhöht abzuweisen.

Wien, am 17. September 1998

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