VwGH 94/08/0079

VwGH94/08/007922.12.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des K in D, vertreten durch Dr. Klaus Plätzer, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Künstlerhausgasse 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 24. Februar 1994, Zl. 3/01-12.960/2-94, betreffend Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Salzburger Gebietskrankenkasse in 5024 Salzburg, Faberstraße 19-23), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §110 Abs1;
ASVG §67 Abs10;
AVG §38;
BAO §80;
BAO §9;
VwGG §48 Abs1 Z1;
VwGG §49 Abs1;
ASVG §110 Abs1;
ASVG §67 Abs10;
AVG §38;
BAO §80;
BAO §9;
VwGG §48 Abs1 Z1;
VwGG §49 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 7. September 1993 wurde der Beschwerdeführer (ein deutscher Staatsbürger) als Geschäftsführer der IBA-Informationsverarbeitung und Büro-Automation GmbH (in der Folge: I. GmbH) verpflichtet, gemäß § 67 Abs. 10 ASVG die im angeschlossenen Rückstandsausweis ausgewiesenen Beiträge samt Nebengebühren in der Höhe von S 79.169,36 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen. Nach der Begründung sei ein von der I.-GmbH gestellter Antrag auf Eröffnung des Konkurses mit Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom 2. Oktober 1991 wegen Vermögenslosigkeit abgewiesen worden. Die daraufhin veranlaßte Beitragsprüfung habe offene Beiträge ergeben, die aus der Zeit der Geschäftsführung des Beschwerdeführers stammten. Dieser sei daher aufgefordert worden, jene Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden an der fristgerechten Zahlung der Beiträge gehindert hätten. In einer Stellungnahme vom 9. Juli 1993 habe der Beschwerdeführer angegeben, mit 31. Dezember 1991 aus dem Unternehmen ausgeschieden zu sein und die Geschäftsführung mit 31. Dezember 1990 zurückgelegt zu haben. Da die Abrechnungen stets vom Büro des Wirtschaftstreuhänders Dr. Z. erstellt worden seien, habe er sich auf deren Richtigkeit verlassen, weshalb ihn keine Schuld treffe. Die Nachverrechnung aus der Beitragsprüfung 1991 erscheine ihm im übrigen ungerechtfertigt, da er ein Jahresgehalt bezogen habe. Somit bestünde auch keine Berechtigung für die Nachverrechnung von Sonderzahlungen.

Auf dieses Vorbringen sei zu erwidern, daß die im Rückstandsausweis angeführten offenen Beiträge einerseits aus der Nichtabrechnung der dem Beschwerdeführer nach § 49 ASVG zustehenden Bezüge der Beitragszeiträume August, November und Dezember 1989 und andererseits aus der Nichtverrechnung von Sonderzahlungen der Jahre 1989 und 1990 resultierten. Die Beitragsfälligkeit sei mit dem Monatsletzten gegeben und die Beiträge seien innerhalb von 11 Tagen unaufgefordert zu entrichten gewesen. Die Weihnachtsremuneration 1990 hätte bis längstens 1. Dezember 1990 ausbezahlt werden müssen, was aber nicht erfolgt sei. Aufgrund der Beitragsfälligkeit mit 31. Dezember 1990 sei die Einzahlungsfrist bis 11. Jänner 1991 gelaufen. Da der Beschwerdeführer aber bereits vorher (laut Auszug aus dem Firmenbuch mit 3. Jänner 1991) als Geschäftsführer ausgeschieden sei, scheine der Sonderbeitrag für die Weihnachtsremuneration 1990 nicht mehr im Rückstandsausweis auf.

Im dagegen erhobenen Einspruch bestritt der Beschwerdeführer, jemals schuldhaft im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG gehandelt zu haben. Er sei Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland und mit den einschlägigen Vorschriften in Österreich nicht vertraut. Gerade deswegen habe er sich des Büros des Wirtschaftstreuhänders Dr. Z. bedient, um ordentliche Abrechnungen erstellen zu lassen. Seiner Ansicht nach sei auf sein Dienstverhältnis der Kollektivvertrag für Handelsangestellte nicht anzuwenden, weshalb die Nachverrechnung von Sonderzahlungen von vornherein unrichtig erscheine. Im Hinblick darauf, daß er ein Jahresgehalt bezogen habe, habe die Nichtauszahlung von Teilzahlungen in den Monaten August, November und Dezember 1989 auch keinerlei Einfluß auf seine Abgabenverpflichtung.

In einer Gegenäußerung zum Vorlagebericht der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse hob der Beschwerdeführer hervor, daß der Steuerberater Dr. Z. auch "dominierender Gesellschafter" der I.-GmbH gewesen sei, wobei dieser die gesamte wirtschaftliche bzw. finanzielle Seite des Unternehmens abgewickelt habe. Es bleibe völlig unbegründet, auf welche Weise der Beschwerdeführer diesbezüglich noch hätte Einfluß nehmen können.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben. Nach Auffassung der belangten Behörde könne die vom Beschwerdeführer behauptete ausschließliche Wahrnehmung der finanziellen Belange durch den Wirtschaftstreuhänder und Mitgesellschafter Dr. Z. an der ex lege eintretenden Haftung des Beschwerdeführers nichts ändern. Der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, weshalb ihm die Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt bei der Auswahl des Wirtschaftstreuhänders bzw. dessen Kontrolle hinsichtlich der abgeführten Sozialversicherungsbeiträge nicht zumutbar gewesen sei. Wäre der Beschwerdeführer aufgrund der behaupteten Dominanz des Wirtschaftstreuhänders in seiner Geschäftsführungsbefugnis eingeschränkt gewesen, so hätte er sich dagegen durch entsprechende gerichtliche Schritte zur Wehr zu setzen oder von seiner Geschäftsführerfunktion zurückzutreten gehabt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften unter anderem die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Zu den im § 67 Abs. 10 ASVG genannten "zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen" gehören auch die Geschäftsführer von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (vgl. z. B. das Erkenntnis vom 19. September 1989, Zl. 88/08/0283).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Haftung des Geschäftsführers gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ihrem Wesen nach eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen zur rechtzeitigen Abfuhr der Sozialversicherungsbeiträge verletzt hat. Eine solche Pflichtverletzung - für deren Beurteilung die von Lehre und Rechtsprechung zu § 9 und § 80 BAO entwickelten Grundsätze herangezogen werden (vgl. das Erkenntnis vom 14. April 1988, Zl. 88/08/0025) - kann z.B. darin liegen, daß der Geschäftsführer die Beitragsschulden insoweit schlechter behandelt als sonstige Gesellschaftsschulden, als er diese bedient, jene aber unberichtigt läßt (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0198, und vom 19. Februar 1991, Zl. 90/08/0016). Bereits leichte Fahrlässigkeit reicht für die Vertreterhaftung nach § 67 Abs. 10 ASVG aus (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. März 1991, Zl. 89/08/0331).

Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist es auch im sozialversicherungsrechtlichen Haftungsverfahren Sache des haftungspflichtigen Geschäftsführers darzulegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, daß die Beitragsschulden rechtzeitig (zur Gänze) entrichtet wurden, und dafür entsprechende Beweisanbote zu erstatten. Denn ungeachtet der grundsätzlich amtswegigen Ermittlungspflicht der Behörde trifft denjenigen, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt - über die ihn stets allgemein treffende Behauptungslast im Verwaltungsverfahren hinaus - die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm deren Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls angenommen werden darf, daß er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist. Allerdings darf diese besondere Behauptungs- und Beweislast einerseits nicht überspannt, andererseits nicht so aufgefaßt werden, daß die Behörde jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 13. März 1990, Zl. 89/08/0217).

In der Beschwerde wird zunächst vorgebracht, die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, daß im Verwaltungsverfahren das Bestehen einer Beitragsschuld bestritten worden sei. So habe der Beschwerdeführer sowohl die Anwendung des Kollektivvertrages für die Handelsangestellten Österreichs als auch die Zulässigkeit der Nachverrechnung von nicht ausbezahlten Bezügen für die Beitragszeiträume August, November und Dezember 1989 in Abrede gestellt. Um ordentliche Abrechnungen erstellen zu lassen, habe sich der mit den einschlägigen Vorschriften in Österreich nicht vertraute Beschwerdeführer des Steuerberatungsbüros von Dr. Z. bedient.

Schon diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Das Bestehen einer Beitragsschuld ist im Haftungsverfahren eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG, solange darüber nicht rechtskräftig abgesprochen worden ist. Im Beschwerdefall hat sich die belangte Behörde allerdings nicht mit den Einwänden des Beschwerdeführers auseinandergesetzt, ob im gegenständlichen Fall überhaupt eine Beitragsschuld besteht und woraus sich die Beiträge zusammensetzen. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Mangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand konnte ein Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer nicht zuerkannt werden. Wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) bestand auch kein Anspruch auf Stempelgebührenersatz.

Wien, am 22. Dezember 1998

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