VwGH 97/10/0060

VwGH97/10/006028.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerden 1. der mj. Anna G, vertreten durch die Mutter Marlene G, 2. der mj. Bianca J, vertreten durch die Mutter Gabriele J, und 3. der Saja C, vertreten durch die Eltern Ilse und Martin C, alle vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in H, gegen die Bescheide 1. und 2. des Bezirksschulrates Krems-Land vom 25. Februar 1997, Zl. BSR-20-6, sowie 3. des Bezirksschulrates Krems-Stadt vom 4. März 1997, Zl. BSR-20-6, jeweils betreffend Erfüllung der Schulpflicht, zu Recht erkannt:

Normen

SchPflG 1985 §11 Abs4;
SchUG 1986 §42 Abs14;
SchUG ExternistenprüfungsV 1979 §1 Abs3;
SchUG ExternistenprüfungsV 1979 §20 Abs1 Z4;
SchUG ExternistenprüfungsV 1979 §20 Abs1;
SchPflG 1985 §11 Abs4;
SchUG 1986 §42 Abs14;
SchUG ExternistenprüfungsV 1979 §1 Abs3;
SchUG ExternistenprüfungsV 1979 §20 Abs1 Z4;
SchUG ExternistenprüfungsV 1979 §20 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit den angefochtenen Bescheiden ordnete die belangte Behörde gemäß § 11 Abs. 4 iVm § 5 des Schulpflichtgesetzes 1985 idF BGBl. Nr. 513/1993 (SchPflG), an, daß die Beschwerdeführerinnen ab sofort ihre Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Pflichtschule zu erfüllen hätten. Begründend wird in den im wesentlichen gleichlautenden Bescheiden dargelegt, die Beschwerdeführerinnen hätten im Schuljahr 1995/1996 die "Lernwerkstatt integrative Schule H", eine Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht, besucht. Die Erst- und Drittbeschwerdeführerin hätten nach Ausweis der Externistenprüfungszeugnisse vom 21. Juni 1996 die Externistenprüfung vor der Prüfungskommission an der Hauptschule O nicht bestanden; der Unterrichtsgegenstand Mathematik scheine im Externistenprüfungszeugnis als "nicht beurteilt" auf. Die Zweitbeschwerdeführerin habe kein Externistenprüfungszeugnis vorgelegt. Die Beschwerdeführerinnen seien mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die sofortige Erfüllung der Schulpflicht an einer öffentlichen Schule angeordnet werden müsse, wenn der zureichende Erfolg des Unterrichts des vorangegangenen Schuljahres nicht nachgewiesen werde. Die Beschwerdeführerinnen hätten daraufhin in einer Eingabe ihres Vertreters, in der ausführlich die Unterrichtsziele der Lernwerkstatt dargelegt worden seien, die Auffassung vertreten, daß nach dem Wortlaut des Gesetzes ein Nachweis über die Gleichwertigkeit des Unterrichts zu erbringen sei. Prüfungen an öffentlichen Schulen seien hingegen mit dem nondirektiven Unterricht der Lernwerkstatt nicht vereinbar. Die Leistungsfeststellung in Form von "Notenzeugnissen" solle durch eine "einfache Leistungsfeststellung in Form der direkten Leistungsvorlage oder der Verarbeitung der von den Lehrern der Lernwerkstatt geführten Aufzeichnungen über den Entwicklungsstand der Kinder ersetzt" werden. Nach Hinweisen auf die Rechtslage, insbesondere die §§ 1 und 11 SchPflG und die Verordnung des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 31. Juli 1979 über die Externistenprüfungen, BGBl. Nr. 362/1979 (VO - Extern), vertrat die belangte Behörde die Auffassung, der Nachweis über den zureichenden Erfolg des Unterrichts sei durch die positive Ablegung der Externistenprüfung zu erbringen. Dieser Nachweis sei nicht erbracht worden. Für diesen Fall schreibe § 11 Abs. 4 SchPflG zwingend die Erlassung der Anordnung vor, daß das Kind seine Schulpflicht im Sinne des § 5 SchPflG zu erfüllen habe.

Gegen diese Bescheide richten sich die gleichlautenden Beschwerden; die Beschwerdeführerinnen erachten sich - aus dem Inhalt der Beschwerde erkennbar - im Recht auf Unterbleiben der Anordnung verletzt, wonach sie ihre Schulpflicht ab sofort an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Pflichtschule zu erfüllen hätten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Verfahren über die Beschwerden wegen des sachlichen Zusammenhanges verbunden und über diese erwogen:

Nach § 1 Abs. 1 SchPflG besteht für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, allgemeine Schulpflicht nach Maßgabe dieses Abschnittes.

Nach § 11 Abs. 1 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht - unbeschadet des § 12 - auch durch die Teilnahme am Unterricht an einer Privatschule ohne Öffentlichkeitsrecht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer in § 5 genannten Schule mindestens gleichwertig ist.

Nach § 11 Abs. 4 SchPflG ist der zureichende Erfolg eines im Abs. 1 oder 2 genannten Unterrichtes jährlich vor Schulschluß durch eine Prüfung an einer im § 5 genannten entsprechenden Schule nachzuweisen, soweit auch die Schüler dieser Schulen am Ende des Schuljahres beurteilt werden. Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht, so hat der Bezirksschulrat anzuordnen, daß das Kind seine Schulpflicht im Sinne des § 5 zu erfüllen hat.

Was unter der in § 11 Abs. 4 SchPflG angeordneten "Prüfung" zu verstehen ist, ergibt sich aus den Regelungen des Schulunterrichtsgesetzes (SchUG). Nach § 42 Abs. 14 SchUG gelten die Bestimmungen über die Ablegung von Externistenprüfungen auch für die auf Grund der §§ 11 Abs. 4, 13 Abs. 3 und 22 Abs. 4 des Schulpflichtgesetzes 1985 abzulegenden Prüfungen zum Nachweis des zureichenden Erfolges des Besuches von Privatschulen ohne Öffentlichkeitsrecht oder häuslichen Unterrichtes sowie des Besuches von im Ausland gelegenen Schulen. Nach § 42 Abs. 9 SchUG gilt für die Aufgabenstellung und den Prüfungsvorgang (bei Externistenprüfungen) § 37 Abs. 2 bis 4 SchUG sinngemäß; für die Beurteilung der Prüfungskandidaten gilt § 38 Abs. 1 bis 3. Aus der letztzitierten Vorschrift (unter Einbeziehung der darin enthaltenen Verweisungen) folgt unter anderem, daß die Externistenprüfungen eine Klausurprüfung (schriftliche, graphische oder praktische Arbeiten) und eine mündliche Prüfung umfassen (vgl. § 37 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 2 SchUG) und vor einer Prüfungskommission (§ 42 Abs. 4 SchUG) abzulegen sind. Die Leistungen der Prüfungskandidaten in den einzelnen Prüfungsteilen der Klausurprüfung und der mündlichen Prüfung sind unter Anwendung des § 18 Abs. 2 bis 4 zu beurteilen (§ 38 Abs. 3). Weitere Regelungen über die Externistenprüfungen enthält die auf Grund des § 42 Abs. 15 SchUG erlassene VO - Extern. Nach § 20 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. hat das Externistenprüfungszeugnis u.a. eine Beurteilung der einzelnen Prüfungsgebiete und eine Gesamtbeurteilung zu enthalten; es sind (unter den jeweils genannten Voraussetzungen) die Geamtbeurteilungen "mit ausgezeichnetem Erfolg bestanden", "mit gutem Erfolg bestanden", "bestanden" oder "nicht bestanden" aufzunehmen.

Aus diesen Regelungen folgt, daß der "Nachweis des zureichenden Erfolges des Unterrichts" im Sinne des § 11 Abs. 4 SchPflG nur durch eine entsprechend den Bestimmungen über die Externistenprüfungen abgelegte Prüfung (vgl. § 42 Abs. 14 SchUG) erbracht werden kann, deren Gesamtbeurteilung in dem über die Prüfung auszustellenden Zeugnis wenigstens mit "bestanden" beurkundet wurde (vgl. hiezu auch das Erkenntnis vom 29. Mai 1995, Zl. 94/10/0187).

In den Beschwerdefällen ist nicht strittig, daß ein solcher Nachweis, der nach § 11 Abs. 4 erster Satz SchPflG) "vor Schulschluß", das heißt vor dem Ende des Schuljahres, zu erbringen war, im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide - mehr als sieben Monate nach dem Ende des Schuljahres - nicht vorlag. Für diesen Fall schreibt das Gesetz (§ 11 Abs. 4 zweiter Satz SchPflG) der Schulbehörde zwingend vor, die Anordnung zu treffen, daß das Kind seine Schulpflicht im Sinne des § 5, also durch den Besuch einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule (vgl. § 4 SchPflG) zu erfüllen habe.

Die Beschwerde trägt nach umfangreichen Darlegungen über die Unterrichts- und Erziehungsmethode, die von der Lernwerkstatt H angewendet werde, vor, daß "Prüfungen im konventionellen Sinn in Form eines Abtestens darüber, ob das Kind einen bestimmten Lernstoff bzw. Lehrplaninhalt beherrscht, mit dem nondirektiven Unterricht der Lernwerkstatt nicht vereinbar" seien. Daher sei in den Jahren 1992 bis 1995 "einfach eine Leistungsfeststellung in Form einer sogenannten direkten Leistungsvorlage gemacht worden (sprich die Kinder machten eine Ausstellung über ihre Arbeiten des vergangenen Jahres und die Prüfungslehrer führten Gespräche über diese Ausstellung mit den Kindern) sowie daß durch Verarbeitung der von den Lehrern der Lernwerkstatt geführten Aufzeichnungen über den Entwicklungsstand der Kinder eine Leistungsfeststellung in Form von Notenzeugnissen erstellt wurde". Auch für das Schuljahr 1995/1996 sei die Prüfung an der Hauptschule O. in allen Fächern außer Mathematik in der erwähnten Form, also durch "direkte Leistungsvorlage (Ausstellung) und Verarbeitung der Berichte der Lehrer der Lernwerkstatt" durchgeführt worden. Weil den Gegenstand Mathematik betreffend der zuständige Bezirksschulinspektor die Durchführung von Schularbeiten und mündlichen Prüfungen verlangt habe, hätten die Schüler der 5. bis 7. Schulstufe, darunter die Beschwerdeführerinnen, "die Prüfungen Mathematik nicht durchgeführt". Die eingeräumte Frist zur Nachholung der Prüfungen bis 24. Oktober 1996 sei ergebnislos verstrichen, weil auch anderen in Aussicht genommenen öffentlichen Schulen die "Bewilligung zur Abnahme der Leistungsfeststellung in Form der direkten Leistungsvorlage" durch die Schulbehörden nicht erteilt worden sei.

Auf der Grundlage von weitwendigen, unter anderem die Wiedergabe eines Beitrages aus Herder, Lexikon der Pädagogik IV5, 717-735, im Volltext umfassenden Darlegungen zum Begriff "Unterricht", zu den Aufgaben der österreichischen Schule und zur Frage der Meßbarkeit des Unterrichtserfolges vertritt die Beschwerde sodann die Auffassung, § 11 Abs. 4 SchPflG sei dahin auszulegen, daß "Nichtvorliegen des lehrplanmäßigen Erfolges oder Nichtvorliegen des Zeugnisses vor Schulschluß" nicht zwingend zur Anordnung der Erfüllung der Schulpflicht im Sinne des § 5 SchPflG zu führen habe. Voraussetzung für eine solche Anordnung wäre vielmehr "die Feststellung von Versäumnissen beim Unterricht des Kindes und daß eine solche Anordnung im Interesse des Kindes ist". Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, festzustellen, ob aus dem Umstand, daß die Beschwerdeführer nicht vor Schulschluß Zeugnisse über einen positiven Abschluß des Schuljahres nach dem Lehrplan der öffentlichen Schule vorgelegt hätten, auf einen mangelhaften bzw. nicht ausreichenden Unterricht zu schließen sei. Es liege Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vor, weil "durch den mangelnden Nachweis eines bestimmten Schulerfolges ein solcher Schluß nicht automatisch gezogen werden kann". § 42 Abs. 14 SchUG und § 1 Abs. 3 VO - Extern seien ergänzend und korrigierend dahin auszulegen, daß bei der Durchführung von Externistenprüfungen nach § 11 Abs. 4 SchPflG der Lehrplan und das Organisationsstatut der Privatschule bei der Form der Durchführung der Externistenprüfung zu berücksichtigen sei und das Wort Prüfung nicht im Sinne einer Prüfung im engeren Sinn, sondern als vielfältige Formen umfassende Leistungsfeststellung auszulegen sei. Eine solche Auslegung sei auch im Hinblick auf Art. 2 1. ZP zur MRK und Art. 17 Abs. 2 StGG 1867 geboten.

Diese Darlegungen gehen offenkundig nicht vom Inhalt des Gesetzes aus. Mit der Beschwerdebehauptung, die Behörde hätte aus dem Umstand, daß die Beschwerdeführer Zeugnisse über den positiven Abschluß des Schuljahres nach dem Lehrplan der öffentlichen Schule nicht vorgelegt hätten, nicht auf einen mangelhaften bzw. nicht ausreichenden Unterricht schließen dürfen, wird verkannt, daß eine solche Schlußfolgerung - die der angefochtene Bescheid im übrigen gar nicht gezogen hat - nicht Tatbestandsvoraussetzung der Erlassung einer Anordnung nach § 11 Abs. 4 zweiter Satz SchPflG war. Es besteht kein Zweifel, daß sich das Gesetz sowohl mit dem Begriff "Erfolg des Unterrichts" als auch mit dem Erfordernis des Nachweises desselben durch eine Prüfung auf das einzelne schulpflichtige Kind und nicht auf die Qualität der Privatschule bzw. des häuslichen Unterrichts bezieht; denn der "Erfolg des Unterrichts "kann nur unter dem Gesichtspunkt seiner Auswirkungen auf Eigenschaften, Fähigkeiten und Leistungen des betreffenden Kindes beurteilt und einer "Prüfung" unterzogen werden.

Was unter dem Begriff "Prüfung" in § 11 Abs. 4 SchPflG nach der eindeutigen Anordnung des Gesetzes zu verstehen ist, wurde oben bereits dargelegt; dies schließt eine Auslegung des Gesetzes aus, wonach der zureichende Erfolg des Unterrichts, wenn die vorgeschriebene Prüfung nicht abgelegt oder nicht bestanden wurde, durch anderweitige Ermittlungsmethoden geprüft und in anderer Form nachgewiesen werden könnte.

Die weiteren Darlegungen der Beschwerde zielen auf die inhaltlichen Anforderungen ab, die bei einer Prüfung im Sinne des § 11 Abs. 4 SchPflG zu stellen wären. Diese können in den vorliegenden Beschwerdefällen jedoch nicht Gegenstand der Erörterung sein, weil sich die Beschwerdeführer einer Prüfung im Gegenstand Mathematik nach ihrem eigenen Vorbringen gar nicht unterzogen haben. Schon deshalb kann eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht mit dem Hinweis aufgezeigt werden, bei der Prüfung hätten Lehrplan und Organisationsstatut der Privatschule berücksichtigt werden müssen.

Daß durch die so verstandene Regelung in die von der Beschwerde genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte eingegriffen würde, ist nicht ersichtlich; die von den Beschwerden angestrebte, über die Grenzen des Wortsinnes der Regelung hinausgehende Auslegung ist somit auch nicht unter Gesichtspunkten der Verfassungsmäßigkeit der Regelung geboten.

Da somit schon der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht vorliegt, war gemäß § 35 Abs. 1 VwGG vorzugehen.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ist auch unter dem Aspekt des Art. 6 MRK nicht geboten, weil die für die Entscheidung wesentlichen Sachverhaltselemente unbestritten feststehen und die Rechtsfrage keiner Erörterung bedarf (vgl. das Urteil des EGMR vom 26. April 1995, Zl. 52/1993/447/526, und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. September 1996, Zl. 94/10/0165).

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