VwGH 97/09/0152

VwGH97/09/015218.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Ihsan Aydin in Dornbirn, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Dornbirn, Schulgasse 7, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Vorarlberg vom 21. April 1997, Zl. LGSV/3/13117/1997 ABA 690802/691144, betreffend Feststellung gemäß Art. 6 und 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, zu Recht erkannt:

Normen

61995CJ0351 Kadiman VORAB;
ARB1/80 Art7 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs3;
AuslBG §1 Abs3;
AVG §68 Abs1;
61995CJ0351 Kadiman VORAB;
ARB1/80 Art7 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs3;
AuslBG §1 Abs3;
AVG §68 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schriftsatz vom 11. Juni 1996 stellte der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, den an das Arbeitsmarktservice Dornbirn gerichteten Antrag, dieses möge mit Bescheid feststellen, daß er berechtigt sei, auch ohne zusätzliche Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz jede von ihm gewählte Beschäftigung in Österreich aufzunehmen. Der Beschwerdeführer begründete diesen Antrag damit, daß er seit mehr als fünf Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich habe und aufgrund des Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des am 12. September 1963 abgeschlossenen Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung habe. Derzeit sei er zwar arbeitslos, inzwischen habe er jedoch einen neuen Arbeitgeber, einen Landwirt in Dornbirn, gefunden.

Dieser Antrag wurde vom Arbeitsmarktservice Dornbirn mit Bescheid vom 28. Oktober 1996 mit der Begründung abgewiesen, daß sich der Beschwerdeführer seit dem 1. Februar 1995 illegal in Österreich aufhalte und daher das Erfordernis eines mindestens fünfjährigen ordnungsgemäßen Wohnsitzes im Sinne des Art. 7 des genannten Assoziationsratsbeschlusses nicht erfüllt sei.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, welche er im wesentlichen damit begründete, daß es zwar zutreffe, daß er nicht im Besitz eines Sichtvermerkes oder einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz sei und auch sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung abgelehnt worden sei. Diese Entscheidung sei jedoch nicht rechtskräftig. Das Verfahren betreffend die Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung sei vielmehr nach wie vor anhängig und seiner gegen die Ablehnung der Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde sei von diesem die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und begründete dies im wesentlichen damit, daß der Beschwerdeführer laut vorgelegten Meldenachweisen seit dem 21. Mai 1991 in Österreich polizeilich gemeldet sei und somit seit mindestens fünf Jahren seinen Wohnsitz im Bundesgebiet habe. Er habe in der Folge in Dornbirn eine türkische Staatsbürgerin geheiratet und mit dieser seit der Eheschließung auch einen gemeinsamen Wohnsitz. Die letzte für den Beschwerdeführer ausgestellte Berechtigung zum Aufenthalt in Österreich hätte eine Gültigkeitsdauer vom 24. Jänner 1994 bis zum 31. Jänner 1995 gehabt. Es liege daher kein ordnungsgemäßer Wohnsitz im Sinne des Art. 7 des genannten Assoziationsratsbeschlusses vor. Ein vom Verwaltungsgerichtshof suspendiertes Aufenthaltsverbot könne keinen rechtmäßigen Aufenthalt begründen. Die Voraussetzungen nach Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses lägen somit nicht vor.

Auch gemäß Art. 6 des genannten Assoziationsratsbeschlusses käme dem Beschwerdeführer keine Berechtigung zu. Der Beschwerdeführer sei nämlich vom 10. August 1992 mit Unterbrechungen bis zum 31. Oktober 1994 unselbständig beschäftigt gewesen, sein letztes Beschäftigungsverhältnis sei jedoch durch sein eigenes Verschulden aufgelöst worden, was zur Verhängung einer Sperrfrist gemäß § 11 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 geführt habe. Seine Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt sei durch diese Sperre in der Zeit vom 11. November 1994 bis zum 28. November 1994 unterbrochen worden. Es könne also dahingestellt bleiben, ob die Zeiten wegen behaupteter Krankheit bzw. verweigerter Beschäftigungsbewilligungen als unverschuldete Arbeitslosigkeit anerkannt werden oder nicht; entscheidungswesentlich sei der Umstand, daß mit dem Zeitpunkt der Verhängung der Sperrfrist vorher liegende Zeiten nicht mehr als ordnungsgemäße Beschäftigung anzurechnen seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Die belangte Behörde legte Kopien von Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 des genannten Assoziationsratsbeschlusses über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung, nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt; nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben; nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

Gemäß Art. 7 Abs. 1 des genannten Assoziationsratsbeschlusses haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben; - freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid insoferne für rechtswidrig, als die belangte Behörde nicht berücksichtigt habe, daß er zusammengerechnet mehr als vier Jahre ordnungsgemäß in Österreich beschäftigt gewesen sei und daher die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des genannten Assoziationsratsbeschlusses in seinem Fall erfüllt seien. Von seinem letzten Arbeitgeber sei er im Jahre 1994 grundlos fristlos entlassen worden. Im Falle einer grundlosen fristlosen Entlassung könne jedoch unter keinen Umständen davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer den österreichischen Arbeitsmarkt endgültig verlassen habe, weil sich der Beschwerdeführer im Anschluß daran bemüht habe, ein neues Arbeitsverhältnis einzugehen, was nur vom Arbeitsmarktservice dadurch verhindert worden sei, daß eine Beschäftigungsbewilligung nicht erteilt wurde, obwohl Unternehmer vorhanden gewesen seien, die ihn beschäftigt hätten. In seinem Fall sei daher weder eine verschuldete Arbeitslosigkeit noch eine Unterbrechung seines Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 6 Abs. 1 des genannten Assoziationsratsbeschlusses vorgelegen. Der Beschwerdeführer beruft sich insoferne auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 23. Jänner 1997 in der Rechtssache C-171/95 (Recep Tetik).

Die Berufung des Beschwerdeführers auf Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 führt die Beschwerde nicht zum Erfolg. Unbestritten wurde nämlich das Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers im Jahre 1994 beendet, und es hat der Beschwerdeführer seither keine unselbständige Erwerbstätigkeit aufgenommen. Bei diesem Sachverhalt kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer noch weiterhin gemäß Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses dem österreichischen Arbeitsmarkt angehöre. Dies schon deswegen, weil sich der Beschwerdeführer nach dem Verlust seiner Beschäftigung im Jahre 1994 auf einen allenfalls durch die Zurücklegung der in Art. 6 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 umschriebenen Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung erworbenen Anspruch auf Fortsetzung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nach den - erst mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 wirksamen - Bestimmungen des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 noch nicht berufen konnte (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 96/21/0100).

Mit seiner Berufung auf Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 ist der Beschwerdeführer jedoch aus folgenden Gründen im Recht: Das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 verneint die belangte Behörde im Falle des Beschwerdeführers ausschließlich damit, daß der Beschwerdeführer zwar seit dem 21. Mai 1991 in Österreich polizeilich gemeldet, jedoch deswegen nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei, weil die ihm zuletzt ausgestellte Berechtigung zum Aufenthalt in Österreich nur bis zum 31. Jänner 1995 gegolten habe und sein Antrag auf Verlängerung seiner Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz abgewiesen worden sei. Mit dieser Begründung hat die belangte Behörde das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 17. April 1997 in der Rechtssache C 351/95 , Selma Kadiman, nicht ausreichend in Betracht gezogen, in welchem der Europäische Gerichtshof zum Art. 7 Abs. 1 des genannten Assoziationsratsbeschlusses u.a. folgendes ausgesprochen hat:

"Was die Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis des Familienangehörigen des türkischen Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat angeht, so bleiben die Mitgliedstaaten zwar befugt, die Voraussetzungen zu regeln, unter denen der Familienangehörige in das Hoheitsgebiet einreisen und sich dort bis zu dem Zeitpunkt aufhalten kann, zu dem er das Recht hat, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben (siehe Randnrn. 32 und 33 des vorliegenden Urteils); gleichwohl stehen die Rechte aus Art. 7 Satz 1 den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers nach dieser Vorschrift unabhängig davon zu, ob die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ein bestimmtes Verwaltungsdokument wie eine Aufenthaltserlaubnis ausstellen (vgl. entsprechend für Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 Urteil Bozkurt, a.a.O., Randnrn. 29 und 30)." (Randnr. 51 des genannten Urteils).

Unbestritten hat sich der Beschwerdeführer bis zum 31. Jänner 1995 während eines drei Jahre übersteigenden Zeitraumes rechtmäßig in Österreich aufgehalten und er war während dieser Zeit auch polizeilich gemeldet. Liegen auch die übrigen Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich vor (die Genehmigung, als Familienangehöriger zu einem dem regulären Arbeitsmarkt Österreichs angehörigen türkischen Arbeitnehmer zu ziehen), so kann sich der Beschwerdeführer, bei welchem bis in das Jahr 1995 ein ordnungsgemäßer Wohnsitz im Sinne des Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 vorgelegen ist, bezüglich der Fortsetzung seines Rechts zum Aufenthalt im Bundesgebiet und auch des Rechts, sich gemäß Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des genannten Assoziationsratsbeschlusses auf jedes Stellenangebot zu bewerben, mit Erfolg auf die genannte Bestimmung berufen. Es darf ihm angesichts des genannten Urteiles des Europäischen Gerichtshofes die Tatsache der Nicht-Verlängerung seiner Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz insoferne nicht entgegengehalten werden. Ob aber im Falle des Beschwerdeführers die im Einleitungssatz des Art. 7 des genannten Assoziationsratsbeschlusses aufgestellten Voraussetzungen gegeben sind, wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren festzustellen haben, insbesondere auch, ob die Ehegattin des Beschwerdeführers dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehört. Eine solche Frage wurde dem Beschwerdeführer von der Behörde bisher nicht gestellt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, wobei die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG unterbleiben konnte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die auf die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gerichteten Anträge war angesichts der Entscheidung über die Beschwerde selbst entbehrlich.

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