VwGH 96/21/0140

VwGH96/21/014022.5.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Regierungsrat Dr. Hanel, über die Beschwerde des H in P, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 12. Juli 1995, Zl. Fr 1831/95, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §22 Abs1;
AufG 1992;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §22 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit der vorliegenden Beschwerde ist ein Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 12. Juli 1995 angefochten, mit welchem der Beschwerdeführer gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes (FrG) aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurde. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer am 14. Februar 1985 ein bis zum 30. Juni 1995 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen habe. In weiterer Folge seien dem Beschwerdeführer Vollstreckungsaufschübe gemäß § 6 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes erteilt worden. Der letzte Aufschub sei am 31. Juli 1993 endgültig abgelaufen. Die Bundespolizeidirektion Wien habe mit Bescheid vom 27. Mai 1994 das genannte Aufenthaltsverbot aufgehoben. Am 27. Juli 1993 habe der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gestellt. Dieser sei mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 16. September 1993 abgewiesen worden, der dagegen erhobenen Berufung sei mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Februar 1994 keine Folge gegeben worden. Der Beschwerdeführer verfüge über keine Aufenthaltsberechtigung im Sinne des § 15 FrG. Bei der Erstbehörde (der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten) bestünden zahlreiche rechtskräftige Verwaltungsstrafvormerkungen; diesen lägen zum Teil schwerwiegende Verwaltungsübertretungen zugrunde, die einen Grund für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes darstellen würden.

Bei Erlassung des Bescheides sei die bisherige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers und jene seiner Familie berücksichtigt worden. Durch die Ausweisung werde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer neuerlichen rechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet nicht verwehrt. Angesichts der gegen den Beschwerdeführer bestehenden Verwaltungsstrafvormerkungen werde aber dokumentiert, daß der Beschwerdeführer "sich über jene Bestimmungen, die seinen Aufenthalt im Bundesgebiet regelten, und die hiesige Rechtsordnung hinwegsetzte". Dieses Verhalten sei als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung zu werten und lasse im Zusammenhang mit seinem langen rechtswidrigen Aufenthalt im Bundesgebiet die Behörde zu dem Ergebnis kommen, daß die Ausweisung des Beschwerdeführers zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, näherhin der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, dringend geboten sei.

Die Ehegattin und das Kind des Beschwerdeführers hielten sich ebenfalls rechtswidrig im Bundesgebiet auf, sie würden ebenfalls ausgewiesen. Aufgrund des erheblichen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen sei das berechtigte Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet nicht höher zu werten als das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem mit Beschluß vom 28. November 1995, B 3053/95, abgelehnte und auf Antrag des Beschwerdeführers mit weiterem Beschluß vom 30. Jänner 1996, B 3053/95, dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil er sich seit dem Jahre 1985 in Österreich aufhalte; die Vollstreckung des gegen ihn in diesem Jahr verhängten Aufenthaltsverbotes sei bis zum 31. Juli 1992 (richtig: 31. Juli 1993) jeweils aufgeschoben worden. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei geduldet worden und während der ganzen Zeit jedenfalls nicht rechtswidrig gewesen. Der Beschwerdeführer sei im Besitz eines Befreiungsscheines mit Gültigkeit bis zum 6. April 1998 und in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis bei einem Unternehmen in H. Er beziehe ein monatliches Einkommen von S 10.907,-- netto, vierzehn Mal jährlich. Seine letztgültige Aufenthaltsbewilligung sei am 31. Juli 1993 abgelaufen. Zu diesem Zeitpunkt sei das Aufenthaltsgesetz gerade in Kraft getreten. Vier Tage vor Ablauf seines "alten gültigen Visums" habe er einen Verlängerungsantrag gestellt, der jedoch zurückgewiesen worden sei, der dagegen erhobenen Berufung sei keine Folge gegeben worden.

Außer dem Beschwerdeführer befänden sich seine Ehegattin und seine im Jahre 1992 in Österreich geborene Tochter in Österreich, deren Anträge auf Erteilung von Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz vom Bundesministerium für Inneres ebenfalls negativ beschieden worden seien, Beschwerden dagegen seien beim Verfassungsgerichtshof anhängig.

Der Vater des Beschwerdeführers lebe seit 22 Jahren, nämlich seit 1973 in Österreich und beziehe hier eine Pension. Ebenso sei ein Bruder des Beschwerdeführers seit 22 Jahren in Österreich, er sei im Besitz eines Befreiungsscheines und stehe in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis. Ebenso die Schwägerin des Beschwerdeführers, welche mit ihrem Ehegatten und vier Kindern in Wien lebe. Der Beschwerdeführer habe einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz aus dem Inland gestellt, welcher derzeit beim Bundesministerium für Inneres anhängig sei.

Der Beschwerdeführer halte sich daher seit über zehn Jahren in Österreich auf, sei hier vollständig integriert und seine gesamte noch vorhandene Familie lebe ebenfalls in Österreich; er habe keinerlei Bindungen an seine ursprüngliche Heimat mehr. Das letzte gültige "Visum" des Beschwerdeführers, "ein Wiedereinreisesichtvermerk" (nach der Aktenlage kann es sich hiebei bloß um den dem Beschwerdeführer zuletzt erteilten Vollstreckungsaufschub gemäß § 6 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes handeln), sei am 31. Juli 1993 abgelaufen; bereits vier Tage davor habe sich der Beschwerdeführer um die Erneuerung einer Aufenthaltsbewilligung bemüht. Wenn die Behörde meine, im Falle des Beschwerdeführers lägen "zahlreiche rechtskräftige Verwaltungsstrafvormerkungen" sowie ein "langer rechtswidriger Aufenthalt" vor, so sei dies nicht ausreichend um darzulegen, daß die Ausweisung zur Erreichung der in Art. 8 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers sei jedenfalls während der ihm gemäß § 6 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes erteilten Vollstreckungsaufschübe rechtmäßig gewesen.

Der von der belangten Behörde vertretene Standpunkt, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers während jener Zeiträume, während derer ihm ein Vollstreckungsaufschub gemäß § 6 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes erteilt worden war, als nicht rechtmäßiger Aufenthalt zu qualifizieren war, trifft nicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits mit Erkenntnis vom 19. April 1988, Zl. 87/11/0037, ausgesprochen, daß ein derartiger Aufenthalt nach der damals geltenden Rechtslage als erlaubter Aufenthalt zu qualifizieren war; insoferne ist der Beschwerde Recht zu geben, die im übrigen aber im Ergebnis nicht berechtigt ist. Der Beschwerdeführer bestreitet nämlich gar nicht, daß er sich jedenfalls seit dem 1. August 1993 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtswidrig im Bundesgebiet aufhielt. Damit kann der angefochtene Bescheid im Grunde des § 17 Abs. 1 FrG, wonach Fremde mit Bescheid auszuweisen sind, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, nicht als rechtswidrig angesehen werden.

Auch soweit der Beschwerdeführer den angefochtenen Bescheid im Lichte des § 19 FrG bekämpft, wonach eine Ausweisung unzulässig ist, wenn der dadurch bewirkte Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Fremden zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele nicht dringend geboten ist, ist die Beschwerde nicht berechtigt. Der öffentlichen Ordnung im Sinne der Sicherstellung der Einhaltung der für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden geltenden Vorschriften kommt nämlich ein hoher Stellenwert zu; die belangte Behörde durfte zu Recht davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet diese öffentliche Ordnung gefährde. Die Ausweisung war daher zur Erreichung eines in Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Zieles dringend geboten. Hiebei wird nicht übersehen, daß die Integration des Beschwerdeführers in Österreich angesichts seines Aufenthaltes seit dem Jahre 1985 und seiner Berufstätigkeit eine beträchtliche ist, sowie auch die familiären Interessen des Beschwerdeführers, dessen Ehegattin und Kind ebenfalls in Österreich leben, im Grunde des § 19 FrG gegen die Ausweisung des Beschwerdeführers sprechen. Die familiären Interessen des Beschwerdeführers werden allerdings - darauf wird im angefochtenen Bescheid richtig hingewiesen - durch die - unbestrittene - Tatsache relativiert, daß auch die Familienangehörigen des Beschwerdeführers sich rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalten. Im vorliegenden Fall überwiegt das öffentliche Interesse daran, daß der Beschwerdeführer, der sich seit zwei Jahren (davon teilweise entgegen einem aufrechten Aufenthaltsverbot) rechtswidrig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mehrfach wegen Verwaltungsübertretungen bestraft wurde, seinen unrechtmäßigen Aufenthalt beendet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1995, Zl. 95/18/0108).

In der Beschwerde wird darauf hingewiesen, daß der Beschwerdeführer durch entsprechende Anträge nach dem Aufenthaltsgesetz die Legalisierung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet angestrebt habe, ein neuerlicher Antrag des Beschwerdeführers sei noch nicht erledigt.

Der Umstand, daß der Beschwerdeführer nunmehr - allenfalls zulässigerweise vom Inland aus - einen neuerlichen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gestellt hat, der noch nicht erledigt ist, steht der gegen ihn erlassenen Ausweisung nicht entgegen. Hingewiesen wird allerdings darauf, daß die Erteilung einer derartigen Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz oder eines sonstigen Aufenthaltstitels eine maßgebliche Änderung des für die Erlassung des vorliegend angefochtenen Bescheides maßgeblichen Sachverhalts bewirken würde, mit dem Ergebnis, daß dieser nicht mehr durchgesetzt werden dürfte (vgl. zur Problematik allgemein Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 6. Auflage 1995, Rzl. 995).

Soweit sich der Beschwerdeführer auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 nach dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 beruft, ist er darauf hinzuweisen, daß nur dann türkische Arbeitnehmer bzw. deren Familienangehörige gemäß Art. 6 oder 7 des genannten Beschlusses berechtigt sind, wenn die türkischen Arbeitnehmer zumindest während der in Art. 6 Abs. 1 dieses Beschlusses genannten Zeiträume ordnungsgemäß in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert waren, was voraussetzt, daß sowohl ihr Aufenthalt während dieser Zeit rechtmäßig als auch ihre Beschäftigung erlaubt gewesen ist (vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 20. September 1990, C-192/89 in der Rechtssache Sevince, Slg. 1990, S. I-3461). Selbst wenn der Beschwerdeführer diese Voraussetzungen vor dem Wirksamwerden dieses Beschlusses mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 erfüllt haben sollte, so hat er sein Aufenthaltsrecht unbestritten am 31. Juli 1993 verloren und ist seither zum Aufenthalt nicht berechtigt, vor dem 1. Jänner 1995 konnte er sich diesbezüglich auch auf Art. 6 des genannten Beschlusses nicht berufen. Nach dem 1. Jänner 1995 fehlte dem Beschwerdeführer aber unbestritten dazu der rechtmäßige Aufenthalt.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

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