VwGH 96/19/3387

VwGH96/19/338712.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der 1978 geborenen MT in Wien, vertreten durch DDr. Wolfgang Schulter, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Fleischmarkt 28, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. September 1996, Zl. 302.777/5-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 1. März 1996 bei der österreichischen Botschaft in Zagreb die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Als ihren derzeitigen Wohnsitz gab sie eine Adresse in Kroatien an. Aus vorgelegten Meldebestätigungen ging hervor, daß sie seit 5. September 1994 an einer Adresse in 1120 Wien, seit 9. Mai 1996 an einer Adresse in 1160 Wien gemeldet war. Aus einer mit 19. Februar 1996 datierten Schulbesuchsbestätigung ging hervor, daß die Beschwerdeführerin seit 6. September 1995 in Österreich eine Schule besuchte. Nach dem Inhalt dieser Bestätigung werde der Schulbesuch bis voraussichtlich 28. Juni 1996 dauern.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. Juni 1996 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 6 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei seit 9. Mai 1996 an einer Adresse in 1160 Wien gemeldet. Sie sei sichtvermerksfrei eingereist und gehe in Österreich zur Schule. Der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG liege vor. Die Erteilung einer Bewilligung sei gemäß § 5 Abs. 1 AufG ausgeschlossen.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Im Rubrum dieses Schriftstückes ist eine kroatische Adresse der Beschwerdeführerin angegeben. Sie brachte vor, sie sei am 9. Mai 1996 sichtvermerksfrei nach Österreich eingereist. Am 4. Juli 1996 habe sie das Bundesgebiet verlassen. Sie legte eine Bestätigung vor, aus der sich ergab, daß sie am 4. Juli 1996 an der Adresse in 1160 Wien abgemeldet wurde. Die Beschwerdeführerin brachte vor, bei ihrem Aufenthalt vom 9. Mai 1996 bis 4. Juli 1996 habe es sich um einen touristischen Aufenthalt gehandelt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. September 1996 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 AufG ab. Begründend führte sie aus, die Beschwerdeführerin habe den gegenständlichen Antrag nicht vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gestellt. Die Beschwerdeführerin sei vom 5. September 1994 bis 9. Mai 1996 an einer Adresse in 1120 Wien, vom 9. Mai 1996 bis 4. Juli 1996 an einer Adresse in 1160 Wien gemeldet gewesen. Auch habe sie in Österreich die Schule besucht. Mit ihrer Antragstellung durch einen Vertreter vom Ausland aus habe sie der Bestimmung des § 6 Abs. 2 AufG nicht Genüge getan. Die öffentlichen Interessen überwögen die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin im Sinne des Art. 8 MRK.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerdeführerin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 6 Abs. 2 AufG in der Fassung BGBl. Nr. 351/1995 lautet

auszugsweise:

"(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. ..."

Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid erkennbar davon aus, daß sich die Beschwerdeführerin zwischen 5. September 1994 und 4. Juli 1996, also auch im Zeitpunkt ihrer Antragstellung durch ihren gesetzlichen Vertreter am 1. März 1996, in Österreich aufgehalten habe. Diese Annahme leitete die belangte Behörde insbesondere aus der Meldung der Beschwerdeführerin für den Zeitraum vom 5. September 1994 bis 4. Juli 1996 an Adressen in Österreich ab.

Demgegenüber hatte die erstinstanzliche Behörde einen Aufenthalt der Beschwerdeführerin erst seit 9. Mai 1996 festgestellt. Überdies hat die belangte Behörde erstmals vom Versagungsgrund des § 6 Abs. 2 AufG Gebrauch gemacht.

Ändert die Behörde gegenüber dem Bescheid der Vorinstanz den Versagungsgrund, so ist sie verpflichtet, dies der Partei vorzuhalten (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 26. März 1985, Zl. 84/07/0221). Dieses Gebot, der Beschwerdeführerin Parteiengehör (insbesondere zur Annahme, sie habe sich im Zeitpunkt der Antragstellung im Inland aufgehalten) zu gewähren, hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall mißachtet.

Diese Mißachtung des Parteiengehörs wird in der Beschwerde zutreffend gerügt. Indem die Beschwerdeführerin vorbringt, sie habe sich im Zeitpunkt ihrer Antragstellung nicht im Bundesgebiet aufgehalten und sei erst am 8. April 1996 wiederum sichtvermerksfrei eingereist, worauf sie am 4. Juli 1996 (also vor Erlassung des angefochtenen Bescheides) wieder ausgereist sei, zeigt sie in tauglicher Weise die Relevanz des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels auf.

Bei Zutreffen ihrer Behauptungen (deren Glaubwürdigkeit vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu überprüfen ist) hätte sie sich nämlich im Zeitpunkt ihrer Antragstellung nicht im Inland aufgehalten. Nachdem u.a. aus den Gesetzesmaterialien erschließbaren Normzweck des § 6 Abs. 2 AufG hat die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung bei Erstanträgen nicht nur zur Voraussetzung, daß der Antrag vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gestellt wurde, sondern auch, daß die Entscheidung über den Antrag grundsätzlich im Ausland abgewartet wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/1703, mwN). Dies hat jedenfalls dann zu gelten, wenn der Fremde durch seine Wiedereinreise den Sichtvermerkversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG verwirklicht. Dies wäre jedoch bei der Beschwerdeführerin nicht der Fall gewesen, weil sie sich bei Zutreffen ihres Vorbringens im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht mehr im Anschluß an eine sichtvermerksfreie Einreise im Bundesgebiet aufgehalten hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. September 1996, Zlen. 95/19/0785 bis 0787). In einem solchen Fall könnte aber die Versagung der Bewilligung auch nicht auf § 6 Abs. 2 erster Satz AufG gestützt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. November 1996, Zl. 95/19/1898).

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Kosten aus dem Titel der Umsatzsteuer können neben dem Pauschalbetrag für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes nicht zugesprochen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 1985, Zl. 83/01/0314).

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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