VwGH 96/19/0541

VwGH96/19/054121.11.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des 1964 geborenen DA, vertreten durch

Dr. Aleksa Paunovic, Rechtsanwalt in 1010 Wien,

Kärntner Ring 17/20, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Jänner 1996, Zl. 304.714/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §5 Abs1;
VwRallg;
AufG 1992 §5 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsbürger, der über einen Wiedereinreise-Sichtvermerk mit Gültigkeit vom 5. Februar 1992 bis 16. Februar 1993 verfügte, stellte am 17. Oktober 1994 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung und gab als gesicherte Unterkunft eine Adresse im 17. Wiener Gemeindebezirk an. Der Landeshauptmann von Wien wies den Antrag mit Bescheid vom 9. November 1994 mangels Antragstellung vor der Einreise vom Ausland aus ab. Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er darauf hinwies, mit einer Österreicherin verheiratet zu sein und über geordnete Einkommensverhältnisse sowie eine ortsübliche Unterkunft zu verfügen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 10. Jänner 1996 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Als Begründung wurde ausgeführt, Ermittlungen hätten ergeben, daß an der vom Beschwerdeführer angegebenen Adresse sechs Personen gemeldet seien. Die Berufungsbehörde müsse annehmen, daß sich die Gattin des Beschwerdeführers ebenfalls dort aufhalte, obwohl sie nicht gemeldet sei; so seien drei Erwachsene und vier Kinder an dieser Adresse aufhältig. Es handle sich um eine kleine Wohnung, bestehend aus nur einem Zimmer und einer Küche. Somit stehe den Kindern kein vom Wohnraum getrennter Schlafraum zur Verfügung. Auch sei aufgrund der geringen Größe der Wohnung und unter Bedachtnahme darauf, daß neben den erforderlichen Schlafstellen noch Mobiliar für die Unterbringung von Kleidern und sonstigen Gebrauchsgegenständen für sechs bis sieben Personen aufgestellt werden müsse, der für die Unterkunftnehmer verbleibende freie Bewegungsraum derart gering, daß eine für Inländer ortsübliche Unterkunft nicht gegeben sei. Die Abwägung im Sinn des Art. 8 Abs. 2 MRK habe im Fall des Beschwerdeführers ergeben, daß den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen Priorität einzuräumen gewesen sei, da dieser keine für Inländer ortsübliche Unterkunft im Bundesgebiet vorweisen habe können. Es sei davon auszugehen, daß nach der Durchschnittsbetrachtung der für das Bundesland Wien ortsüblichen Wohnverhältnisse die im Verfahren angegebene Unterkunft nicht der Ortsüblichkeit entspreche.

Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

§ 5 Abs. 1 AufG in der Fassung der Novelle

BGBl. Nr. 351/1995 lautet:

"5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."

Der Beschwerdeführer stützt sich in der Beschwerde vor allem darauf, daß er - nach Erlassung des angefochtenen Bescheides - seine Wohnverhältnisse geändert habe; die belangte Behörde habe ihm kein Parteiengehör gewährt; deshalb habe er diese Änderung nicht schon früher vornehmen können. Daß er im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides aber bereits über eine neue Unterkunft verfügt hätte und damit der von der belangten Behörde dem Bescheid zugrunde gelegte Sachverhalt unzutreffend gewesen wäre, behauptet der Beschwerdeführer nicht.

Es trifft zwar zu, daß die Behörde, wenn sie den Versagungsgrund gegenüber ihrer Vorinstanz ändert, verpflichtet ist, dies dem Beschwerdeführer vorzuhalten (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 26. März 1985, Zl. 84/07/0221). Die Verletzung des Parteiengehörs begründet nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. April 1983, Zl. 82/11/0252 u.a.) nur dann eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG, wenn die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Um dies beurteilen zu können, muß der Beschwerdeführer jene entscheidenden Tatsachen in der Beschwerde bekanntgeben, die der Behörde wegen dieser Unterlassung unbekannt geblieben sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1989, Zl. 89/09/0067 u.a.).

Der Beschwerdeführer, der in seiner Beschwerde selbst zugesteht, im Zeitpunkt der Bescheiderlassung (noch) über keine neue Unterkunft verfügt zu haben, vermag damit nicht aufzuzeigen, inwiefern die belangte Behörde bei Gewährung des Parteiengehörs zu einem anderen Verfahrensergebnis gelangt wäre. Der geltend gemachte Beschwerdegrund der Verletzung von Verfahrensvorschriften liegt somit nicht vor.

Das weitere Beschwerdevorbringen bezieht sich darauf, daß sich der Beschwerdeführer "als nützliches Mitglied der Gesellschaft ausgezeichnet" und auch nach dem "EU-Recht" einen Rechtsanspruch auf Sichtvermerkserteilung (im vorliegenden Verfahrenszusammenhang gemeint wohl: Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung) habe. Darüberhinaus sei er im Besitze eines Befreiungsscheines, "erfülle also die Voraussetzungen des EU-Rechtes". Insoweit sich der Beschwerdeführer damit auf nicht näher bezeichnete Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft beruft, ist ihm zu entgegnen, daß die Rechtsstellung von Drittstaatsangehörigen österreichischer Staatsangehöriger in Ansehung des Rechtes auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung durch derartige Rechtsakte unberührt blieb (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1997, 96/19/1526). Im vorliegenden Fall kann es aus den in diesem Erkenntnis dargestellten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, auch dahingestellt bleiben, ob das Sachlichkeitsgebot des Art. 7 Abs. 1 B-VG, Art. 14 MRK oder das bundesverfassungsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung Fremder untereinander eine Gleichstellung von Drittstaatsangehörigen österreichischer Staatsbürger mit solchen von EWR-Bürgern verlangt.

Das wiederholt erwähnte Vorliegen einer Beschäftigungsbewilligung vermag nun eine Aufenthaltsbewilligung weder zu ersetzen, noch verschafft sie einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer solchen. Auch dieses Beschwerdevorbringen erweist sich somit nicht als geeignet, die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Der Beschwerde ist dennoch Erfolg beschieden; die belangte Behörde hat ihren Bescheid aus folgenden Gründen mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet:

Die Schlußfolgerung der belangten Behörde, daß die angegebene Unterkunft "nach der Durchschnittsbetrachtung der für das Bundesland Wien ortsüblichen Wohnverhältnisse" keine für Inländer ortsübliche Unterkunft sei, geht von der (unzutreffenden) Rechtsansicht aus, daß sich der Begriff der Ortsüblichkeit des § 5 Abs. 1 AufG mittels Durchschnittsbetrachtung des gesamten Bundeslandes Wien bestimmen lasse. Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, daß bei der Beurteilung, ob eine Unterkunft "für Inländer ortsüblich" ist, neben der jeweils konkreten Wohnsituation auch die allgemeine Wohnsituation in der näheren Umgebung der Wohnung zu berücksichtigen ist (vgl. u. a. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 1996, Zl. 95/18/0902).

Unter Hinweis auf den Ausschußbericht des parlamentarischen Ausschusses für Innere Angelegenheiten anläßlich der AufG-Novelle BGBl. Nr. 351/1995 wurde im hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1997, Zl. 95/19/0566 bis 0571, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich dargelegt, daß zur Klärung der Ortsüblichkeit Ermittlungen der Behörde dahingehend zu pflegen sind, ob Inländer mit jeweils vergleichbarer Familienstruktur (Anzahl der Familienmitglieder, Alter, Schulpflicht etc.) und sozialer Schichtung in vergleichbaren Wohngegenden (Bezirksteilen) zu einem ins Gewicht fallenden Anteil vergleichbare Wohnungen so nutzen wie der Bewilligungswerber. Eine Durchschnittsbetrachtung des gesamten Bundeslandes Wien, das in Hinblick auf die Wohnsituation über sehr unterschiedlich strukturierte Bezirke und Bezirksteile verfügt, ist daher nicht geeignet, als Grundlage für die Beurteilung der Ortsüblichkeit der Wohnverhältnisse im oben aufgezeigten Sinn herangezogen zu werden.

Im übrigen hat die Behörde Feststellungen sowohl zur Größe (in Quadratmeter), Aufteilung und Gestaltung der Unterkunft als auch zu Anzahl, Alter und Familienstruktur der tatsächlich in der Unterkunft wohnenden Personen unterlassen. Insbesondere fehlt eine nachvollziehbare Begründung, aufgrund welcher Sachverhaltsannahmen die Behörde zur Ansicht gelangte, auch die Ehegattin des Beschwerdeführers sei an der angegebenen Unterkunft wohnhaft. Die Prüfung der Ortsüblichkeit einer Unterkunft im Sinne des obgenannten Maßstabes setzt aber unter anderem die Feststellung der im konkreten Fall gegebenen Anzahl der Bewohner sowie der Familien- und Wohnverhältnisse voraus.

Die belangte Behörde unterließ es - ausgehend von der obgenannten unrichtigen Rechtsansicht - Ermittlungen in die aufgezeigte Richtung zu führen. Sie belastete dadurch den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Stempelgebühren lediglich in der Höhe von S 270,-- (Eingabengebühr S 240,--, Beilagengebühr S 30,--) zu entrichten waren.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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