VwGH 96/02/0608

VwGH96/02/060830.5.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des M in R, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in D, gegen die beiden Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 9. Oktober 1996,

1. Zl. 1-0606/96/E4, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheit Übertretung der StVO 1960, sowie

2. Zl. 1-0607/96/E4, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheit Übertretung des KFG 1967, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund und dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 2.282,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 26. Jänner 1996 wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung des KFG für schuldig befunden und hiefür bestraft. Mit einem weiteren Straferkenntnis vom 29. Jänner 1996 wurde der Beschwerdeführer einer Übertretung der StVO für schuldig befunden und hiefür bestraft. Diese beiden Straferkenntnisse wurden dem Beschwerdeführer am 6. Februar 1996 zugestellt.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den näher angeführten Rechtsanwalt, jeweils eine am 27. Februar 1996 zur Post gegebene - sohin verspätete - Berufung und verband mit diesen Rechtsmitteln jeweils einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der erwähnten Berufungsfrist.

Diese beiden Wiedereinsetzungsanträge wurden im wesentlichen damit begründet, der (jeweilige) Berufungsschriftsatz sei von Rechtsanwalt Dr. P. am Vormittag des 20. Februar 1996 unterfertigt worden. Dieser habe die beiden Berufungsschriftsätze der Kanzleileiterin mit dem nochmaligen Hinweis persönlich übergeben, daß für diese Rechtssachen "heute letzter Tag" sei und die Schriftsätze verläßlich zur Post gebracht werden müßten. Die Kanzleileiterin habe die fertig kuvertierten Schriftstücke am selben Tag zu den anderen Poststücken auf den Postabfertigungstisch gelegt, um sie sodann zusammen mit der zahlreichen übrigen Post am Abend zum Postamt zu bringen. Aus nicht näher nachvollziehbaren Gründen sei das Kuvert mit den gegenständlichen "Berufungen" aber am Nachmittag des 20. Februar 1996 hinter den Postabfertigungstisch "hinuntergerutscht" und hinter einen Aktenstapel gefallen, der sich unterhalb dieses Tisches befunden habe. Die Kanzleileiterin habe dann am Nachmittag des 20. Februar 1996 die gesamte auf dem Postabfertigungstisch liegende Post in ihre Tasche gegeben und zum Postamt gebracht. Dabei sei ihr auf Grund der Vielzahl von Poststücken nicht aufgefallen, daß die bereits am Vormittag vorabgefertigte und kuvertierte (jeweilige) Berufung des Beschwerdeführers nicht dabei gewesen sei. Erst am Nachmittag des 21. Februar 1996, als die Kanzleileiterin den Aktenstoß unter dem Postabfertigungstisch hervorgenommen habe, um diverse Akten für die Vorlage zu suchen, habe sie hinter diesem Aktenstoß das hinuntergefallende Kuvert mit der (jeweiligen) Berufung bemerkt. Ohne Entfernung des Aktenstoßes wäre das Kuvert hinter dem Aktenstoß nicht wahrzunehmen gewesen. Die Kanzleileiterin habe dabei die Versäumung der Berufungsfrist bemerkt.

Der ausgewiesene Rechtsvertreter Dr. P. - so der jeweilige Wiedereinsetzungsantrag weiter - habe gegenüber seinem Kanzleipersonal die ihm obliegende Überwachungspflicht erfüllt. Für ihn sei beim ordnungsgemäß eingerichteten und auch ordnungsgemäß funktionierenden Kanzleibetrieb trotz persönlicher Übergabe des (jeweiligen) Berufungsschriftsatzes an die Kanzleileiterin nicht zu verhindern gewesen, daß das bereits fertig kuvertierte (jeweilige) Schriftstück aus Versehen hinter dem Postabfertigungstisch zu Boden gefallen und dadurch nicht mit der übrigen Post am 20. Februar 1996 zur Post gebracht worden sei. Die Kanzleileiterin sei bereits seit vielen Jahren Chefsekretärin und habe sich auch als Kanzleileiterin als absolut verläßlich und anstandslos erwiesen; es sei ihr ein solches Versehen in ihrer gesamten beruflichen Laufbahn noch nie widerfahren. Von einem auffallenden Sorgfaltsverstoß könne nicht die Rede sein, nachdem das Poststück für die Kanzleileiterin zum Zeitpunkt der Mitnahme der bereits kuvertierten Post nicht mehr sichtbar bei den übrigen Poststücken gelegen und der kuvertierte (jeweilige) Berufungsschriftsatz erst am nächsten Tag für die Kanzleileiterin wieder zum Vorschein gekommen sei. Es handle sich daher um ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis mit einem bloß minderen Versehensgrad.

Mit zwei Bescheiden vom 13. Juni 1996 gab die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch den beiden Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Folge. Der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit zwei Bescheiden vom 9. Oktober 1996 (jeweils Übertretung der StVO bzw. des KFG betreffend) mit der Maßgabe keine Folge, daß der (jeweilige) Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 71 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 AVG abgewiesen werde.

Gegen diese beiden Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nach der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 95/11/0187) hat die Behörde ausschließlich im Rahmen des Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes zu untersuchen. Von da her gesehen kann der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsansicht der belangten Behörde, die (jeweilige) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei infolge mangelnder "organisatorischer Vorkehrungen" durch den Rechtsanwalt nicht zu bewilligen, nicht als rechtswidrig erachten: Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt dargetan, daß eine Rechtsanwaltskanzlei Mindesterfordernisse einer sorgfältigen Organisation erfüllen muß; der bevollmächtigte Rechtsanwalt muß die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozeßhandlungen, wie etwa die fristgerechte Einbringung von Rechtsmitteln gesichert erscheint (vgl. etwa den hg. Beschluß vom 24. November 1989, Zl. 89/17/0116, sowie das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1994, Zlen. 93/16/0075, 0076). Liegen Organisationsmängel vor, wodurch die Erreichung des oben genannten Zieles nicht gewährleistet ist, so kann nicht mehr von einem bloß minderen Grad des Versehens gesprochen werden (vgl. den zitierten hg. Beschluß vom 24. November 1989, Zl. 89/17/0116).

Die vom Beschwerdeführer im Rahmen des (jeweiligen) Wiedereinsetzungsantrages dargestellte Situation, nämlich ein auch für fristgebundene Eingaben bestimmter Postaufgabetisch, der das "Herabrutschen" hinter ihn nicht ausschließt, und ein unter diesem befindlicher Aktenstapel, der in der Folge das Wahrnehmen eines dahinter befindlichen (herabgefallenen) Poststückes verhindert, stellt nach Ansicht des Gerichtshofes einen solchen Organisationsmangel einer Rechtsanwaltskanzlei dar. Im Hinblick auf den durch die beiden Wiedereinsetzungsanträge abgesteckten Prüfungsrahmen kam schon dem darüber hinausgehenden Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung (der betreffende Aktenstoß sei "just an jenem 20.02.96" unter dem Postabfertigungstisch deponiert gewesen, weil an jenem Tag bzw. auch am Tag zuvor die Archivierung einer größeren Menge von Akten stattgefunden habe und die dort abgelagerten Akten am nächsten Tag archiviert worden seien, es handle sich bei der Aktenablage an dieser Stelle um ein "Zufallsereignis") keine rechtliche Bedeutung zu. Mit dem diesbezüglichen analogen Vorbringen in der vorliegenden Beschwerde vermag der Beschwerdeführer daher keine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide darzutun, wobei in diesem Zusammenhang vermerkt wird, daß der Einwand in der Beschwerde, daß die Sekretärin den Aktenstoß gerade unter den Postabfertigungstisch gelegt habe, sei vom Rechtsanwalt "nicht vorhersehbar und auch nicht angeordnet" worden, erstmals in der vorliegenden Beschwerde aufscheint. Bei diesem Ergebnis können die vom Beschwerdeführer behaupteten Verfahrensmängel - da seinen Wiedereinsetzungsänträgen im Rahmen der darin enthaltenen Sachverhaltsdarstellungen nicht Rechnung zu tragen war - nicht wesentlich sein.

Die belangte Behörde hat daher im Instanzenzug den erwähnten Wiedereinsetzungsanträgen in den vorigen Stand zu Recht nicht stattgegeben, sodaß sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet erweist. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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