Normen
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und am 28. Jänner 1995 in das Bundesgebiet eingereist. Am 6. Februar 1995 beantragte er, ihm Asyl zu gewähren.
Der Beschwerdeführer gab anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme an, er habe von 1984 bis Juni 1989 seinen Grundwehrdienst in der irakischen Armee geleistet. Zwei Monate später habe er erneut wegen der bevorstehenden Kriegsgefahr im Zusammenhang mit Kuwait einrücken müssen. Er sei bei der Raketeneinheit in Al Taji, etwa 20km westlich von Bagdad, im Rahmen des sogenannten "Al Mostafa-Projekt" eingesetzt gewesen. Dort seien zur Weiterentwicklung der Raketen hochqualifizierte Techniker - wie er - tätig gewesen. Er sei schließlich dahintergekommen, daß mehrere dort eingesetzt gewesene hochqualifizierte Techniker, nachdem sie an diesem Projekt nicht mehr weitergearbeitet hätten, liquidiert worden seien. Die im Rahmen dieses Projektes tätigen Techniker seien Geheimnisträger gewesen und deshalb regelmäßig beschattet worden. Da diese Leute vermutlich nicht mehr regimetreu gewesen seien, dürften sie umgebracht worden sein. Er habe aufgrund seiner bereits erworbenen Kenntnisse über dieses Geheimprojekt ebenfalls befürchtet, liquidiert zu werden. Er sei unter Druck gesetzt worden, sich weiterhin bei dieser Raketeneinheit zu verpflichten, wofür ihm auch ein Auto und ein Haus angeboten worden sei. Da er aber als gläubiger Moslem nicht weiter an der Entwicklung der Raketen, die gegen Menschen eingesetzt würden, habe beteiligt sein wollen, habe er sich nicht mehr bei dieser Einheit verpflichten wollen. Er sei deshalb im Mai 1990 desertiert. Er habe sich in einem kleinen Dorf namens Ramada bei weitschichtigen Verwandten bis zu seiner Ausreise versteckt gehalten. Ein Cousin habe ihm damals mitgeteilt, daß er wegen seiner Desertion in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden sei. Dies sei in einem Brief gestanden, den seine Verwandten in Bagdad erhalten hätten. Ihm selbst sei dieser Brief von seinem Cousin deshalb nicht gezeigt worden, weil dieser befürchtet habe, daß er dann einen Schock bekommen würde.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Februar 1995 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen.
In seiner dagegen erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen seine erstinstanzlichen Angaben und ergänzte, daß er aufgrund des Beschlusses des Rates des Revolutionskommandos, unterzeichnet von Saddam Hussein, im Falle seiner Rückkehr hingerichtet werden würde. Der Beschwerdeführer habe sich nicht an einer militärischen Operation beteiligen wollen, die auch von der Völkergemeinschaft, wie das UNO-Embargo gegen den Irak zeige, abgelehnt werde.
Die belangte Behörde erließ den nunmehr angefochtenen Bescheid vom 3. März 1995, mit dem sie diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG abwies. Begründend führte sie zusammengefaßt aus, daß es aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht im Irak nicht zur zielgerichteten Auswahl von Personen mit bestimmten Eigenschaften oder Überzeugungen komme. Die Rekrutierung und damit auch die Bestrafung wegen Verweigerung der Militärdienstleistung habe somit nicht erkennbar den Zweck, den Wehrpflichten wegen seiner persönlichen Eigenschaften (Rasse, Religion, politische Überzeugung, usw.) zu diskriminieren, sodaß die Einberufung zur Militärdienstleistung keine Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 darstelle. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei jedenfalls nicht glaubwürdig ableitbar, daß er aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund im Falle seiner Aufgreifung und Verurteilung eine "differenziertere Bestrafung im Vergleich zu anderen irakischen Staatsangehörigen" zu erwarten gehabt hätte.
Die Behauptung, dem Beschwerdeführer sei von seinem Cousin das Todesurteil nur mündlich mitgeteilt worden, damit er nicht einen Schock erleide, sei unglaubwürdig. Es sei nicht nachvollziehbar, warum dem Beschwerdeführer mündlich über das angebliche Urteil berichtet und der Beweis dafür verweigert worden sei. Es sei nicht nachvollziehbar, warum durch eine mündliche Mitteilung der Beschwerdeführer "weniger geschockt sein sollte als durch eine schriftliche". Dem fügte die belangte Behörde hinzu:
"Würde es bereits genügen, wenn das Vorliegen von derartigen aus subjektiver Sicht betrachteten asylrelevanten Umständen abstrakt möglich wäre, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinne wohl kaum gesprochen werden."
Die belangte Behörde nahm überdies - anders als das Bundesasylamt - an, daß der Beschwerdeführer im Nordirak eine inländische Fluchtalternative gefunden habe. Dazu führte die belangte Behörde aus, im März 1991 sei von den Alliierten des Golfkrieges nördlich des 36. Breitengrades eine Sicherheitszone eingerichtet worden. Das dortige Gebiet der Kurden sei autonom und die Gefahr einer individuellen Verfolgung durch irakische Behörden ausgeschlossen. Es sei bis zuletzt lediglich zu einigen wenigen Verletzungen der Sicherheitszone im Grenzbereich des 36. Breitengrades gekommen. Der Beschwerdeführer habe daher während seines Aufenthaltes im Nordirak keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten gehabt, zumal er für die Zeit seines dortigen Aufenthaltes Derartiges auch nicht behauptet habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
§ 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 bestimmt, daß als Flüchtling anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit macht der Beschwerdeführer unter Heranziehung bundesdeutscher Judikatur zur Frage der Wehrdienstverweigerung geltend, die oben zitierten Voraussetzungen des § 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 lägen bei ihm vor, weil ihm infolge der Wehrdienstverweigerung in seinem Heimatland die Todesstrafe drohe. Dem ist zunächst gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, daß weder die Furcht eines Asylwerbers vor einem drohenden Militärdienst noch die Furcht vor einer wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion drohenden, unter Umständen auch strengen Bestrafung, einen Grund für die Anerkennung als Flüchtling darstellt, sofern nicht Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, die Einberufung oder die Behandlung während des Militärdienstes sei infolge eines der in Art. 1 Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe (im wesentlichen inhaltsgleich mit § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991) für den Beschwerdeführer ungünstiger erfolgt oder die Bestrafung wegen Verweigerung des Wehrdienstes oder Desertion würde für ihn aus diesen Gründen in einem asylrelevanten Ausmaß schwerer als sonst ausfallen. Das Kriterium der "unterschiedlichen Bestrafung" eines Wehrdienstverweigerers, mit dessen Hilfe Rückschlüsse auf eine allfällige Verfolgung aus den in der Konvention angeführten Gründen gezogen werden kann, kommt zwar dann nicht zum Tragen, wenn generell auf das Delikt der Wehrdienstverweigerung bzw. der Wehrdienstentziehung, ohne jegliche Differenzierung, die Todesstrafe steht und in der Praxis auch ohne Differenzierung nach asylrelevanten Umständen exekutiert wird. Andererseits ist aber die Rechtsauffassung, daß angesichts der allgemein für Deserteure bestehenden Androhung der Hinrichtung, somit ungeachtet des jeweiligen Grundes für die Desertion durch eine solche undifferenzierte, einheitliche Strafsanktion bereits klargestellt sei, daß in einem solchen Fall eine wohlbegründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung wegen einer erfolgten Desertion nicht bestehen könne, nicht zutreffend. Der Standpunkt der belangten Behörde, die Einberufung zur Militärdienstleistung und die Bestrafung wegen der Nichtbefolgung bzw. Entziehung von dieser Pflicht stelle im Irak keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes 1991 dar, weil die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben sei, da die Militärdienstpflicht und deren Sicherstellung durch Strafandrohung Ausfluß des Rechtes eines jeden Staates sei, entspricht in dieser allgemeinen Form ohne Bedachtnahme auf die konkreten Umstände des Einzelfalles nicht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Ergibt sich nämlich, daß der Staat Personen im Zusammenhang mit der Leistung ihres Militärdienstes bzw. der Entziehung daraus wegen deren politischer Gesinnung verfolgt bzw. mit übermäßigen Strafen bedroht, so liegt das von der bisherigen Judikatur geforderte asylrelevante Anknüpfungsmerkmal vor; die Strafsanktion hat dann letztlich ihren Grund in einem der im § 1 Z. 1 AsylG 1991 angeführten Tatbestandselemente. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer bereits in erster Instanz vorgebracht, daß er deshalb desertiert sei, weil er sich bei der militärischen Sondereinheit im Rahmen eines bestimmten Raketenentwicklungsprogrammes nicht mehr habe weiterverpflichten wollen. Er habe aber für diesen Fall befürchten müssen, vom Geheimdienst liquidiert zu werden. Es seien nämlich mehrere Techniker dieser Einheit, die am Projekt nicht mehr weitergearbeitet hätten, wegen ihrer dabei erworbenen Kenntnisse, vermutlich wegen unterstellter unverlässlicher politischer Gesinnung, liquidiert worden. Bei Zutreffen dieser Behauptungen würde im Sinne der vorangeführten Erwägungen die drohende Liquidierung im Militärdienst bzw. die für die Entziehung vom Militärdienst bestehende Strafandrohung eine asylrelevante Verfolgungshandlung darstellen bzw. nicht mehr der Durchsetzung einer jeden Staatsbürger treffenden Pflicht, sondern der - durch das rechtswidrige Verhalten von staatlichen Organen herbeigeführten - Verfolgung einer unterstellten oppositionellen Gesinnung dienen und damit asylrechtlich relevant sein.
Soweit die belangte Behörde die Unglaubwürdigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers damit begründet, es sei nicht nachvollziehbar, warum der Cousin dem Beschwerdeführer lediglich mündlich seine erhaltene Kenntnis über das gegen den Beschwerdeführer verhängte Todesurteil mitgeteilt, diesem jedoch den diesbezüglichen Brief nicht gegeben habe, ist diese Argumentation unschlüssig. Es mag im Sinne der Ausführungen der belangten Behöre das Verhalten des Cousins logisch nicht nachvollziehbar sein, jedoch läßt sich daraus noch nicht ableiten, daß die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei aus den von ihm genannten Gründen desertiert, unglaubwürdig sei. Der sich daran anschließende Exkurs zur "Beweiswürdigung im eigentlichen Sinne" ist nicht nachvollziehbar. Sollte die belangte Behörde damit gemeint haben, der Beschwerdeführer habe für seine Behauptungen keinen Beweis erbracht, ist ihr zu entgegnen, daß im Asylverfahren anspruchsbegründete Tatsachen nicht zu beweisen, sondern nur glaubhaft zu machen sind. Sollte die belangte Behörde aber damit gemeint haben, daß die Behauptungen nicht glaubwürdig seien, hätte sie es unterlassen, in einer der nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise darzutun, aus welchen Erwägungen sie die Desertion und die dafür vorgebrachten Gründe als unglaubwürdig erachtete.
Der Beschwerdeführer macht geltend, daß er im Nordirak keine inländische Fluchtalternative gefunden habe. Der Beschwerdeführer habe niemals im Nordirak gelebt und sei nicht Mitglied der dort lebenden kurdischen Minderheit. Im Bericht des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vom Oktober 1994 sei darauf hingewiesen worden, daß die Lage im Nordirak als sehr instabil zu bezeichnen sei und jederzeit mit neuerlichen Angriffen gegen die dort befindlichen Kurden und die Zivilbevölkerung durch die Regierungstruppen zu rechnen sei. Weiters stehe der westliche Teil der sogenannten Flugverbotszone nördlich des 36. Breitengrades unter Kontrolle der irakischen Regierung. Die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer nicht die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Hätte dies die belangte Behörde getan, hätte der Beschwerdeführer ein konkretes Vorbringen darüber erstatten können, daß und warum diese Annahme im angefochtenen Bescheid auf ihn nicht zutreffe.
Der Beschwerdeführer hat damit nach Maßgabe der ihn im Verwaltungsverfahren treffenden Mitwirkungspflicht, ohne daß es demnach noch einer weiteren Konkretisierung seines Vorbringens bedurft hätte, auch die Wesentlichkeit des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels aufgezeigt. Im Hinblick darauf, daß dem Beschwerdeführer im Berufungsverfahren kein Parteiengehör gewährt wurde, obwohl die belangte Behörde anders als die Erstbehörde vom Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative im Nordirak ausgegangen war, verstößt sein (erstmals in der Beschwerde erstattetes) diesbezügliches Vorbringen auch nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG.
Der angefochtene Bescheid war jedoch gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben, weil die belangte Behörde ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsauffassung das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Gründe seiner Desertion als zur Dartuung einer Verfolgung aus Konventionsgründen ungeeignet angesehen hat, dies unabhängig von der überdies - unschlüssig - angenommenen Unglaubwürdigkeit seiner Angaben und der unterlaufenen Verfahrensverletzung.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienlich waren allerdings nur die Stempelgebühren für die vorgelegte Kopie des angefochtenen Bescheides anzusehen.
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