VwGH 95/19/0682

VwGH95/19/06827.3.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der D in A, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Juni 1995, Zl. 106.536/2-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §15 Abs1;
AufG 1992 §5 Abs1;
AuslBG §3 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §7 Abs1;
AufG 1992 §15 Abs1;
AufG 1992 §5 Abs1;
AuslBG §3 Abs2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
FrG 1993 §7 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin verfügte nach der Aktenlage über einen Wiedereinreisesichtvermerk mit Geltungsdauer vom 19. Mai 1992 bis 31. Juli 1992. Sie ehelichte am 28. Juli 1992 einen österreichischen Staatsangehörigen. Am 11. August 1992 wurde ihr ein Befreiungsschein mit Geltungsdauer vom 13. August 1992 bis 12. August 1997 erteilt.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. Juni 1995 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 18. Februar 1994 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 5 Abs. 1 des Aufhaltsgesetzes (AufG) i.V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, gemäß § 5 Abs. 1 AufG dürfe Fremden eine Bewilligung nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund vorliege.

Nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG sei die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Die Beschwerdeführerin sei seit 1. Jänner 1993 durchgehend bei einem österreichischen Unternehmen als Hilfarbeiterin beschäftigt. Die Aufnahme einer Beschäftigung sei nur zulässig, wenn der Fremde zum Aufenthalt in Österreich nach dem Aufenthaltsgesetz berechtigt sei. Eine Aufenthaltsbewilligung sei der Beschwerdeführerin bislang nicht erteilt worden. Das unerlaubte Beschäftigungsverhältnis der Beschwerdeführerin rechtfertige die Annahme, sie gefährde die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens. Aufgrund ihrer Ehe mit einem österreichischen Staatsangehörigen bestünden persönliche Bindungen der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet. Die öffentlichen Interessen überwögen jedoch die privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerdeführerin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 1 und § 5 AufG lauten auszugsweise:

"§ 1. (1) Fremde (§ 1 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992) brauchen zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich eine besondere Bewilligung (im folgenden "Bewilligung" genannt). Die auf Grund anderer Rechtsvorschriften für Fremde vorgesehenen besonderen Regelungen bleiben unberührt.

(2) Von Fremden, die sich

  1. 1. ...
  2. 2. zur Ausübung einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit in Österreich aufhalten, wird für Zwecke dieses Bundesgesetzes jedenfalls angenommen, daß sie in Österreich einen Hauptwohnsitz begründen.

§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."

§ 5, § 6, § 10 und § 15 FrG lauten auszugsweise:

"§ 5. Paßpflichtige Fremde brauchen für die Einreise und den Aufenthalt einen Sichtvermerk, soweit nicht anderes bundesgesetzlich oder durch zwischenstaatliche Vereinbarungen bestimmt wird.

§ 6. (1) Sichtvermerke werden ausschließlich als

1. gewöhnliche Sichtvermerke;

... ........................

erteilt.

§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"

§ 15. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,

1. wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des zweiten Teiles und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind oder

...

(3) Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthaltes eines Fremden im Bundesgebiet richtet sich nach

  1. 1. ...
  2. 2. der Befristung der Bewilligung oder des Sichtvermerkes."

    § 3 Abs. 2 AuslBG lautete in seiner im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides

    (13. Juli 1995) anzuwendenden Fassung vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 895/1995:

"(2) Ein Ausländer darf, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, eine Beschäftigung nur antreten und ausüben, wenn für ihn eine Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde oder wenn er eine für diese Beschäftigung gültige Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein besitzt."

Insoweit die Beschwerdeführerin die Auffassung vertritt, die Annahme der belangten Behörde, sie sei - zur Zeit der Bescheiderlassung - bei einem österreichischen Unternehmen in Arbeit gestanden, sei aktenwidrig, ist sie auf den Aktenvermerk der Berufungsbehörde vom 13. Juni 1995 (Seite 18 des Verwaltungsaktes) zu verweisen, nach dessen Inhalt eine Angestellte des "Geflügelhofes X" angab, die Beschwerdeführerin sei seit 1. Jänner 1993 durchgehend bei diesem Unternehmen beschäftigt. Im übrigen tritt die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde der diesbezüglichen Annahme der belangten Behörde nicht mit einem konkreten Sachvorbringen entgegen.

Die belangte Berufungsbehörde gebrauchte erstmals den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG i.V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG, ohne der Beschwerdeführerin hiezu rechtliches Gehör zu gewähren. Die Beschwerdeführerin beruft sich als zulässige Neuerung darauf, daß ihr vom österreichischen Generalkonsulat in München am 26. April 1995 ein gewöhnlicher Sichtvermerk mit Geltungsdauer bis 25. Juli 1995 ausgestellt worden sei. Sie habe sich daher - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten.

Aufgrund des für die Beschwerdeführerin ausgestellten Befreiungsscheines ist zunächst festzuhalten, daß die Ausübung ihrer Beschäftigung aus der Sicht des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtmäßig war.

Einen Verstoß gegen die fremdenpolizeiliche Bestimmung des § 15 Abs. 1 FrG (unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet) legt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin im angefochtenen Bescheid nicht zur Last.

Auf Basis der - wie oben dargelegt - unbedenklichen Bescheidfeststellung, daß die Beschwerdeführerin seit 1. Jänner 1993 durchgehend in Österreich beschäftigt war, ist ihr allerdings - unabhängig davon, ob ihr Vorbringen betreffend die Erteilung eines Sichtvermerkes für den Zeitraum 26. April 1995 bis 25. Juli 1995 zutrifft - ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 AufG anzulasten, weil gemäß § 1 Abs. 2 Z. 2 AufG aufgrund ihrer Arbeitstätigkeit unwiderleglich vermutet wird, daß sie in Österreich einen Hauptwohnsitz begründet hat. Hiezu hätte sie ab Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Juli 1993 eine Bewilligung nach diesem Gesetz benötigt.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsauffassung, daß das bloße Verbleiben des Fremden im Inland nach Ablauf eines gewöhnlichen Sichtvermerkes oder einer Aufenthaltsberechtigung, insbesondere in Ermangelung von Feststellungen in Richtung eines subjektiv auf die Störung der Ordnung gerichteten Verhaltens des Fremden, für sich allein noch nicht die Annahme rechtfertigt, sein weiterer Aufenthalt aufgrund einer zu erteilenden Bewilligung gefährde die öffentliche Ordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1996, Zl. 95/19/0907). Dieser Grundsatz ist auch bei der Verletzung aufenthaltsrechtlicher, nicht jedoch ausländerbeschäftigungsrechtlicher Bestimmungen durch die Fortsetzung einer ausländerbeschäftigungsrechtlich erlaubten Arbeitstätigkeit nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes anzuwenden. Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor, denn die Beschwerdeführerin verfügte hinsichtlich ihrer seit dem 1. Jänner 1993 entfalteten Erwerbstätigkeit über einen bis zum 12. August 1997 gültigen Befreiungsschein, versäumte es allerdings, die seit dem Inkrafttreten des AufG mit 1. Juli 1993 infolge der Fortsetzung ihrer Erwerbstätigkeit erforderlich gewordene (weitere) Bewilligung nach diesem Gesetz einzuholen. Dieses Versäumnis allein vermag die Gefährdungsprognose nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG nicht zu begründen.

Aus diesen Erwägungen ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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