VwGH 95/12/0346

VwGH95/12/034617.12.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des P in L, vertreten durch Dr. Hans Kortschak, Rechtsanwalt in Leibnitz, Hauptplatz 4, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 31. Oktober 1995, Zl. 13-368/I Je 24/18-1995, betreffend Witwerpension, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §177 impl;
BKUVG §92 impl;
PG 1965 §14 Abs2 Z1;
VwRallg;
ASVG §177 impl;
BKUVG §92 impl;
PG 1965 §14 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war Gatte einer am 8. Jänner 1995 infolge Selbstmordes verstorbenen Hauptschullehrerin.

Nach Meldung des Ablebens seiner Gattin durch den Beschwerdeführer wurde er mit Schreiben der Dienstbehörde I. Instanz vom 9. Februar 1995 aufgefordert "Todfallsbeitrag und Witwerversorgungsbezug" zu beantragen. Dies erfolgte mit dem bei der Behörde I. Instanz am 17. Februar 1995 eingelangten undatierten Schreiben des Beschwerdeführers.

Daraufhin stellte die Dienstbehörde erster Instanz mit Bescheid vom 9. Mai 1995 gemäß § 14 Abs. 2 des Pensionsgesetzes 1965 fest, daß dem Beschwerdeführer kein Witwerversorgungsgenuß gebührt.

Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß der Beschwerdeführer am Todestag seiner verstorbenen Gattin sein

35. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt habe und auf ihn auch die Ausnahmebestimmungen des § 14 Abs. 2 des Pensionsgesetzes 1965 nicht anzuwenden gewesen seien.

In der dagegen erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer, daß die Behörde ein Ermittlungsverfahren unterlassen habe. Die Tatsache des Selbstmordes sei als ausreichend dafür angesehen worden, daß keiner der Ausnahmetatbestände des § 14 Abs. 2 PG 1965 vorliege. Obwohl dem Landesschulrat hätte bekannt sein müssen, daß insbesondere Beamte im Lehrberuf einer erhöhten Gefahr psychischer Erkrankung ausgesetzt seien und die Suizidrate in diesem Berufsstand überdurchschnittlich hoch sei, seien seitens der Behörde die Hintergründe für den Selbstmord nicht erhoben worden. Hiezu sei auszuführen, daß die Verstorbene etwa eineinhalb Jahre vor ihrem Selbstmord psychisch schwer erkrankt sei. Ursache und Auslöser dieser schweren Erkrankung seien die ausgeprägten Konflikte und Streßsituationen im Berufsalltag gewesen. Die Verstorbene sei vollständig überlastet gewesen und habe versucht, dem beruflichen Druck dadurch zu entgehen, daß sie um eine halbe Lehrverpflichtung angesucht habe. Dieses Ansuchen sei aber vom Landesschulrat abgelehnt worden. Die darauf eingetretene psychische Erkrankung habe zu ausgeprägten psycho-somatischen Beschwerden geführt (wird näher ausgeführt).

Anläßlich eines Arztbesuches im November 1994 sei die Verstorbene zusammengebrochen und habe stationär behandelt werden müssen. Nach dem Krankenhausaufenthalt, dessen Ursache rein psycho-pathologischer Natur gewesen sei, hätte die Beschwerdeführerin ihren Dienst als Lehrerin in der Hauptschule mit 1. Jänner 1995 wieder antreten sollen. Diese Situation habe wiederum eine massive psychische Belastung für die Verstorbene dargestellt, weshalb sie sich zum Direktor der Hauptschule begeben habe. Dort sei ihr zugesagt worden, ihren Dienst erst mit 1. Februar 1995 antreten zu müssen. Am 8. Jänner 1995 habe sich die verstorbene Lehrerin das Leben genommen. Dieser Selbstmord stelle nichts anderes dar als ein Symptom ihrer beruflich ausgelösten schweren psychischen Erkankung. Die Selbstmordhandlung sei aufgrund der psychischen Beeinträchtigung mit Sicherheit nicht mehr vom freien Willen der Verstorbenen geleitet gewesen, sondern in einer Phase tiefer Depression, die das freie Entscheidungsvermögen ausgeschaltet habe, erfolgt. Diese letztlich zum Selbstmord führende Depression sei einzig auf die psychischen Belastungen im Lehrberuf zurückzuführen, was bei einem ordentlichen Ermittlungsverfahren hervorgekommen wäre. Der Selbstmord sei daher als eine Folge einer Berufskrankheit zu bewerten, weshalb der Ausnahmetatbestand des § 14 Abs. 2 Z. 1 PG 1965 vorliege.

Gemeinsam mit der Berufung legte der Beschwerdeführer einen "Befundbericht" eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie über eine wenige Tage vor dem Selbstmord erfolgte Konsultation vor.

Nach weiteren Erhebungen der belangten Behörde und Schriftwechsel mit dem Beschwerdeführer erging der angefochtene Bescheid, mit dem der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gegeben wurde.

Zur Begründung wurde nach Darstellung des erstinstanzlichen Verfahrens und der Rechtslage (§ 14 Abs. 2 PG 1965) im wesentlichen weiter ausgeführt, im Rahmen des Verfahrens sei der die Verstorbene untersucht habende Facharzt für Neurologie und Psychiatrie von der Behörde ersucht worden, eine neuropsychiatrische Stellungnahme abzugeben, die sich insbesondere mit der Frage zu befassen hätte, wie weit man auf Grundlage der Wissenschaft behaupten und beweisen könne, daß eine psychische Erkankung als Berufskrankheit anzusehen sei, welche zwangsweise zum Selbstmord führe. Das darauf erstellte Gutachten sei zu dem Schluß gekommen, daß eine Depression bei sensitiver Persönlichkeitsstruktur vorgelegen sei. Die innerhalb des Organismus entstandene Depression sei weder durch erkennbare körperliche Erkrankungen noch durch einen äußeren seelischen Anlaß begründbar. Konflikte am Arbeitsplatz könnten zwar eine psychogene Komponente darstellen, welche jedoch von durchschnittlich empfindsamen Bürgern kompensiert werden könne. Es sei also anzunehmen, daß die Erkrankung nicht ausschließlich oder überwiegend durch die ausgeübte berufliche Tätigkeit entstanden sei.

Der Beschwerdeführer sei abschließend zu einer Äußerung zum ärztlichen Gutachten aufgefordert worden; er habe dabei ausgeführt, daß die Stellungnahme des Facharztes unzureichend sei und man ein weiteres Sachverständigengutachten einholen möge. Diesem könne man zur Beurteilung des seelischen Zustandes der Verstorbenen Abschiedsbriefe vorlegen. Der die Verstorbene untersucht habende Facharzt habe diese nur einmal drei Tage vor ihrem Selbstmord gesehen, sodaß ihm kein tieferer Einblick in die depressionsauslösenden Faktoren möglich gewesen sei. Dazu bedürfe es einer Überprüfung der gesamten Krankengeschichte, unter Umständen auch einer Einvernahme des Beschwerdeführers. Abschließend sei verlangt worden, von einem medizinischen Sachverständigen die Frage klären zu lassen, inwieweit die berufliche Belastung eines Lehrers im allgemeinen und bei der Verstorbenen im besonderen das vorliegende Krankheitsbild habe auslösen können. Die Beiziehung eines unabhängigen und nicht von vornherein mit der Behandlung der Verstorbenen befaßt gewesenen Arztes sei dabei vorteilhaft.

Hiezu führte die belangte Behörde aus, daß der von ihr herangezogene Facharzt wohl als ein unabhängiger Arzt anzusehen sei. Warum ein anderer Sachverständige als der von der Behörde herangezogene Facharzt den seelisch-psychischen Zustand der Verstorbenen besser hätte beurteilen können, scheine wenig bis überhaupt nicht einsichtig zu sein, weil dieser, ohne die Verstorbene je gesehen zu haben, hätte urteilen müssen, der von der belangten Behörde herangezogene Facharzt sie aber wenigstens einmal drei Tage vor dem Tod gesehen habe. Letzterem spreche der Beschwerdeführer aber deshalb den tieferen Einblick in die depressionsauslösenden Faktoren ab, weil er die Verstorbene nur einmal gesehen habe. Hier scheine ein Widerspruch in der Argumentation des Beschwerdeführers vorzuliegen. Eine mögliche Einvernahme des Beschwerdeführers erscheine zur Klärung des objektiven Sachverhaltes wenig zielführend; auch die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen, der die Frage klären sollte, inwieweit die berufliche Belastung eines Lehrers im allgemeinen und bei der Verstorbenen im besonderen das vorliegende Krankheitsbild habe auslösen können, könne nicht als zielführend angesehen werden, weil es nicht um die Frage der Auslösung eines Krankheitsbildes gehe, sondern ob eine Berufungskrankheit die Todesursache gewesen sei.

Unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise - so die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - werde die Ansicht vertreten, daß die Verstorbene unter Depressionen gelitten habe, die aber nicht zwangsläufig einen Selbstmord nach sich hätten ziehen müssen. Die Verstorbene sei daher nicht infolge einer Berufskrankheit verstorben, weshalb auch § 14 Abs. 2 Z. 1 PG 1965 nicht zur Anwendung habe gelangen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Auf das Dienstverhältnis der verstorbenen Gattin des Beschwerdeführers als Landeslehrerin ist hinsichtlich des Pensionsrechtes nach § 106 Abs. 1 Z. 2 LDG 1984 das Pensionsgesetz 1965 in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Der Anspruch auf Witwen- und Witwerversorgungsgenuß ist im § 14 des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 340 (PG 1965), geregelt.

Die im Beschwerdefall maßgebende Bestimmung des § 14 Abs. 2 PG 1965 idF der 8. PG-Novelle BGBl. Nr. 426/1985 lautet:

"Der überlebende Ehegatte hat keinen Anspruch auf Versorgungsgenuß, wenn er am Sterbetag des Beamten das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Dies gilt nicht, wenn

1. der Beamte an den Folgen eines Dienstunfalles oder einer Berufskrankheit gestorben ist, ..."

Im Beschwerdefall ist allein strittig, ob die Verstorbene an den Folgen einer Berufskrankheit gestorben ist.

Das Pensionsgesetz selbst enthält keine Begriffsbestimmung hinsichtlich der "Berufskrankheit", sondern setzt den Begriffsinhalt voraus. Bei dem gegebenen sachlichen Zusammenhang, der hinsichtlich dieses Begriffes auch aus § 9 Abs. 4 PG 1965 abgeleitet werden kann, ist daher auf die Bestimmung des § 92 B-KUVG, BGBl. Nr. 200/1967, zurückzugreifen. Demnach gelten - in inhaltlicher Übereinstimmung mit § 177 ASVG - als Berufskrankheit nur die in der Anlage 1 des ASVG bezeichneten Krankheiten unter den dort angeführten Voraussetzungen. Auch diese Regelung enthält keine inhaltliche Umschreibung des Begriffes "Berufskrankheit", sondern verweist - ebenfalls - auf die Liste der Berufskrankheiten, Anlage 1 zum ASVG. Bei den in dieser Liste insgesamt unter 46 laufenden Nummern genannten taxativ aufgezählten Erkrankungen bzw. Leidenszuständen ist offensichtlich nur die somatische Komponente erfaßt. Psychische Erkrankungen scheinen in dieser Liste nicht auf.

Nach § 92 Abs. 3 B-KUVG - soweit diese Bestimmung für den Beschwerdefall in Betracht kommt - gilt auch eine Krankheit, die ihrer Art nach nicht in Anlage 1 zum ASVG enthalten ist, im Einzelfall als Berufskrankheit, wenn die Versicherungsanstalt aufgrund gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse feststellt, daß diese Krankheit ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung entstanden ist. Diese der 32. ASVG-Novelle nachgebildete Regelung setzt u.a. als Ursache für eine Berufskrankheit voraus, daß diese Krankheit ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei einer vom Versicherten ausgeübten Beschäftigung entstanden ist.

Zusammenfassend zeigt sich, daß der Gesetzgeber nicht jede Krankheit, die als Folge dienstlicher Einwirkungen auftreten kann, als Berufskrankheit gelten läßt, sondern sich im wesentlichen der Enumerationsmethode bedient. Auch die mit § 92 Abs. 3 B-KUVG erfolgte Erweiterungsmöglichkeit für konkrete Einzelfälle sieht als Tatbestandselement nur die Einwirkung von schädigenden Stoffen oder Strahlen vor, woraus der Schluß zu ziehen ist, daß psychische Faktoren von vornherein nicht als Berufskrankheit vom Gesetzgeber anerkannt sind. (Zu der Problematik des Begriffes "Berufskrankheit" nach § 177 ASVG vgl. auch Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechtes, Punkt 2.3.2., S. 271 ff).

Ausgehend von diesem aus zwingenden öffentlich-rechtlichen Normen abgeleiteten engen Begriff der Berufskrankheit findet darin die dem angefochtenen Bescheid und dem von der belangten Behörde angestellten Ermittlungsverfahren über den Zusammenhang zwischen der Depression der Verstorbenen und ihrem Selbstmord zugrundeliegende Rechtsauffassung, die von der Möglichkeit des Vorliegens einer Berufskrankheit bei der unstrittig gegebenen Sachlage (Depressionen mit nachfolgendem Selbstmord) ausgeht, von vornherein keine Deckung. An diesem zwingend aus dem Gesetz abgeleiteten Ergebnis kann auch der Hinweis auf die im Rechtsbereich des ASVG ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen, nach der Ansprüche auf Hinterbliebenenrenten, jeweils nach einem auf eine (iS des ASVG schon bestandene) Berufskrankheit zurückzuführenden, im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit vorgenommenen Selbstmord, bejaht würden (OLG Wien, JBl. 1975, 52, OGH SSV-NF 5/6), nichts ändern.

Da die Beschwerdeüberlegungen von einem unzutreffenden, zu weitem Begriff der Berufskrankheit ausgehen, kommt auch dem geltend gemachten Erhebungs- und Begründungsmängeln von vornherein keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu.

Die Beschwerde mußte daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich im Rahmen des Begehrens der belangten Behörde, die von der seinerzeit geltenden Pauschalierungsverordnung aus 1991 ausgegangen ist, auf die §§ 47 ff VwGG iVm der geltenden Pauschalierungsverordnung, BGBl. Nr. 416/1994.

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