VwGH 95/08/0321

VwGH95/08/032130.9.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des H in T, vertreten durch Dr. Othmar Pfeifer, Dr. Günther Keckeis, Rechtsanwälte in Feldkirch, Drevesstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 29. September 1995, Zl. MA 15-II-W 33/94, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wien X, Wienerbergstraße 15-19), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §67 Abs10;
BAO §9 Abs1;
KO §1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1;
ASVG §67 Abs10;
BAO §9 Abs1;
KO §1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 2. September 1994 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Beschwerdeführer als Geschäftsführer einer näher bezeichneten GmbH gemäß § 67 Abs. 10 ASVG im Zusammenhang mit § 83 ASVG, der Mitbeteiligten die auf dem Beitragskonto der GmbH rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren (Verzugszinsen berechnet bis 30. August 1994) im Betrage von S 1,214.279,83 zuzüglich Verzugszinsen (berechnet von S 1,095.607,86) zu zahlen. Begründend wurde u.a. ausgeführt, "aufgrund des derzeitigen Standes des Konkursverfahrens" über das Vermögen der GmbH habe "festgestellt werden" können, daß die Beiträge samt Nebengebühren "im Ausmaß von 90 % uneinbringlich" seien.

Im Einspruch gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer u.a. folgendes aus:

"Im übrigen ist noch nicht geklärt, wie weit die Beiträge vom Beitragsschuldner hereingebracht werden können. Eine Haftung des Dipl.Ing. Hermann W. wäre daher derzeit auch mangels Fälligkeit nicht gegeben."

In ihrer Stellungnahme zum Einspruch führte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu diesem Thema aus:

"Laut Mitteilung des Masseverwalters, Dr. Stefan M. wird die voraussichtliche Befriedigungsquote einen Betrag von 10 % nicht erreichen. Die im Bescheid angeführte Uneinbringlichkeit von 90 % steht somit eindeutig fest."

Mit dem Einspruch und dieser Stellungnahme legte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse auch ein Formblatt vor, in dem der Masseverwalter der GmbH am 11. August 1994 die Variante "in der gegenständlichen Konkurssache wird mitgeteilt, daß die Höhe der Befriedigungsquote noch nicht angegeben werden kann. Es steht aber fest, daß eine Quote von ... voraussichtlich nicht erreicht werden wird" angekreuzt und die voraussichtlich nicht zu erreichende Quote mit "8-10 %" eingetragen hatte.

In einer Stellungnahme vom 29. November 1994 zur Stellungnahme der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zum Einspruch führte der Beschwerdeführer u.a. folgendes aus:

"Die Befriedigungsquote im Konkurs der Firma ... GmbH steht noch keineswegs fest. Es mag sein, daß der Masseverwalter diese Quote mit nicht einmal 10 % schätzt. Diese grobe unverbindliche Einschätzung ist allerdings noch nicht ausreichend zur Feststellung, daß jedenfalls 90 % uneinbringlich sind. Eine Haftung des Dipl.Ing. W. liegt daher auch aus diesem Grund noch nicht vor, da bislang mangels Fälligkeit eine Haftung nicht gegeben ist."

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Einspruch abgewiesen und der Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse bestätigt. Zur Uneinbringlichkeit der Beiträge bei der GmbH wurde folgendes ausgeführt:

"Die Uneinbringlichkeit der dem Einspruchswerber vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge ist dadurch nachgewiesen, daß über das Vermögen der Beitragsschuldnerin Konkurs eröffnet wurde. Nach Mitteilung des Masseverwalters wird eine Quote von 8-10 % voraussichtlich nicht erreicht werden."

Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde u.a. mit dem Argument, eine ziffernmäßig bestimmbare Uneinbringlichkeit von Beiträgen der GmbH stehe noch nicht fest.

Die belangte Behörde hat die Akten des Einspruchsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet. Darin führt sie zur Frage der Uneinbringlichkeit aus:

"Zum Einwand, die Uneinbringlichkeit habe nicht zweifelsfrei festgestanden, ist zu bemerken, daß bereits im Haftungsbescheid der Wiener Gebietskrankenkasse von einer Uneinbringlichkeit im Ausmaß von 90 % ausgegangen und diese im Einspruch nicht bestritten wurde. Es wird dennoch darauf hingewiesen, daß es im Falle eines Konkursverfahrens nicht der vollständigen Abwicklung des Konkurses bedarf, um die Uneinbringlichkeit festzustellen. Diese ist vielmehr bereits anzunehmen, sobald im Laufe des Konkurses zweifelsfrei feststeht, daß die Beitragsforderung im Konkurs nicht befriedigt werden kann. Da der Masseverwalter auf Anfrage der Wiener Gebietskrankenkasse mit Schreiben vom 11.8.1994 mitgeteilt hat, daß im Konkursverfahren voraussichtlich eine Quote von 8-10 % nicht erreicht werden wird, konnte von einer Uneinbringlichkeit der Beiträge im Ausmaß von 90 % ausgegangen werden."

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hält den die Uneinbringlichkeit betreffenden Beschwerdeargumenten in ihrer Gegenschrift folgendes entgegen:

"Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß der Masseverwalter Dr. Stefan M. am 11.8.1994 mitgeteilt hat, daß feststeht, daß eine Quote von 8-10 % voraussichtlich nicht erreicht werden wird. Damit ist die Uneinbringlichkeit ausreichend nachgewiesen. Auch wenn voraussichtliche Erlöse aus Grundstücksverkäufen schwer zu veranschlagen sind, so ist es doch möglich, einen nach der Marktlage günstigenfalls zu erzielenden Preis zu ermitteln und so festzustellen, welche Befriedigungsquote im Konkurs auf keinen Fall zu erreichen sein wird. Die Auskunft des Masseverwalters ist daher durchaus glaubwürdig."

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Uneinbringlichkeit der Beiträge beim Beitragsschuldner ist (seit der 48. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 642/1989) die primäre Voraussetzung für die Haftung zur Vertretung des Beitragsschuldners berufener Personen gemäß § 67 Abs. 10 ASVG. Erst wenn sie (gänzlich oder teilweise) feststeht, ist auf die weiteren für eine Haftung nach dieser Bestimmung maßgebenden, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen. Zur Beurteilung der Uneinbringlichkeit können die zu vergleichbaren abgabenrechtlichen Haftungsnormen ergangenen Erkenntnisse herangezogen werden (vgl. zu all dem als Beispiel für viele das Erkenntnis vom 22. März 1994, Zlen. 93/08/0210, 0211, Slg. Nr. 14021/A). Danach bedarf es zwar nicht der vollständigen Abwicklung des Konkurses, um die Frage der Uneinbringlichkeit, wenn diese strittig ist, zu beantworten. Uneinbringlichkeit ist vielmehr schon dann anzunehmen, wenn im Laufe des Konkursverfahrens über das Vermögen des Beitragsschuldners feststeht, daß die Befriedigung der Forderungen mangels ausreichenden Vermögens nicht möglich sein wird. Allgemein und durch die Bezugnahme auf die "bisher überblickbare Situation" oder die Erwartungen nach dem "derzeitigen Stand" unbestimmt gehaltene Auskünfte des Masseverwalters sind dabei aber keine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Es bedarf konkreter, im einzelnen nachprüfbarer Feststellungen der Behörde über die Befriedigungsaussichten, insbesondere über das zur Befriedigung der Konkursforderungen verfügbare Massevermögen. Die Konkurseröffnung als solche reicht - anders als die Abweisung eines Konkursantrages mangels ausreichenden Vermögens - keinesfalls aus, um die Uneinbringlichkeit darzutun (vgl. grundlegend zu diesen Fragen aus abgabenrechtlicher Sicht das Erkenntnis vom 10. Juni 1980, Zl. 65/79; aus jüngster Zeit etwa das Erkenntnis vom 6. August 1996, Zl. 92/17/0186).

Im vorliegenden Fall lag eine inhaltlich in keiner Weise konkretisierte oder näher begründete und durch die Beifügung "voraussichtlich" zusätzlich relativierte Einschätzung der maximalen Konkursquote durch den Masseverwalter vor, die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides auch schon mehr als ein Jahr zurücklag. Die Feststellungen im angefochtenen Bescheid erschöpften sich in einem Verweis auf diese Mitteilung des Masseverwalters.

Mißt man dies an den oben dargestellten Kriterien, so kann von ausreichenden Feststellungen über die Befriedigungsaussichten weder im Sinne eines zweifelsfreien Feststehens, wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift hilfsweise meint, noch im Sinne eines ausreichenden Nachweises, wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in ihrer Gegenschrift ausführt, die Rede sein. Während die belangte Behörde ihren Standpunkt in der Gegenschrift nicht näher begründet, verweist die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse auf die Möglichkeit (gemeint: für den Masseverwalter), den für die vorhandenen Vermögenswerte "günstigenfalls zu erzielenden Preis" und damit auch eine maximale Konkursquote zu ermitteln. Dem steht entgegen, daß eine in dieser Form nachvollziehbar gestaltete, beweiskräftige Auskunft des Masseverwalters und darauf, sowie allenfalls auf weitere Ermittlungsergebnisse gegründete Feststellungen der belangten Behörde über die Befriedigungsaussichten nicht vorliegen. Die von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vorrangig erhobene Behauptung, die Uneinbringlichkeit sei vom Beschwerdeführer im Einspruchsverfahren nicht bestritten worden, ist aktenwidrig und vermag das Unterbleiben weiterer Ermittlungen und näherer Feststellungen daher ebenfalls nicht zu rechtfertigen.

Da zur Uneinbringlichkeit der Beitragsforderungen bei der GmbH und somit zur primären Voraussetzung einer Haftung des Beschwerdeführers als Geschäftsführer keine ausreichenden Feststellungen getroffen wurden, bedarf der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt jedenfalls der Ergänzung. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben, wobei die Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 gebildeten Senat ergehen konnte, weil die maßgeblichen Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung klargestellt sind.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das auf den Ersatz von Stempelmarken gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit (§ 110 Abs. 1 ASVG) abzuweisen.

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