VwGH 95/01/0456

VwGH95/01/045619.3.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des V in B, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Jänner 1995, Zl. 4.345.606/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der

"Jugosl. Föderation" und reiste am 8. Dezember 1994 in das Bundesgebiet ein. Am 12. Dezember 1994 beantragte er die Gewährung von Asyl. Anläßlich seiner noch am selben Tage durchgeführten niederschriftlichen Befragung durch das Bundesasylamt gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, er sei moslemischen Glaubens und gehöre der albanischen Volksgruppe im Kosovo an. Seit 1991 sei er Mitglied der LDK. Bis zum 25. November 1994 habe er im Kosovo ohne jegliche Probleme gelebt. An jenem Tage aber seien, als er sich gerade außerhalb des Hauses bei der Feldarbeit befunden habe, Polizisten zu seinem Elternhaus gekommen und hätten nach ihm gesucht. Da er nicht zu Hause gewesen sei, sei sein Vater mitgenommen und bis 15 Uhr desselben Tages auf der Polizeistation in Kline festgehalten worden. Nach seiner Rückkehr nach Hause habe er dem Beschwerdeführer mitgeteilt, daß man als Grund für die Suche nach dem Beschwerdeführer angegeben habe, er habe in Albanien an "Militärübungen" teilgenommen. Hätte man ihn (den Beschwerdeführer) zu Hause angetroffen, hätte man ihn "kaputt" gemacht. Er habe dies von einem Verwandten erfahren, dem es ebenso ergangen sei. Dieser sei "ordinär" verprügelt worden. Man habe ihn auf sein Geschlechtsteil geschlagen. Nachdem sein Vater ihm nun mitgeteilt habe, daß er von der Polizei gesucht werde, habe er noch am selben Tag das Haus verlassen und sich zu seinem Onkel nach Kralan begeben, wo er bis zum 4. Dezember 1994 geblieben sei. Länger habe er jedoch nicht bleiben können, weil man ihn dort gefunden hätte. Er habe sich danach wieder nach Hause begeben, wo er bis zum 6. Dezember verblieben sei, um dann den Kosovo endgültig zu verlassen. Diese zwei Nächte habe er sich jedoch in der Nachbarschaft aufgehalten. Während dieser Zeit sei er keiner Beschäftigung nachgegangen. Der Sinn dieses (zweitägigen) Aufenthaltes zu Hause sei die Vorbereitung seiner Flucht gewesen. Während dieser Zeit seien seine Eltern zu Hause gewesen. Sein Vater habe ihm mitgeteilt, daß er "abhauen" und sich nicht bei der Polizei melden solle. Alle wichtigen Gespräche hätten sich lediglich um seine Flucht gedreht.

Mit Bescheid vom 19. Dezember 1994 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers infolge Verneinung der Flüchtlingseigenschaft sowie auf Grund der Annahme der Verfolgungssicherheit vor Einreise in das Bundesgebiet ab.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in welcher er unrichtige Beurteilung seiner Flüchtlingseigenschaft geltend machte. Er habe bereits in seinem "Erstinterview" dargestellt, daß ihm vorgeworfen worden sei, an militärischen Übungen in Albanien teilgenommen zu haben. Obwohl dies nicht zugetroffen habe, habe er begründete Furcht, daß ihm durch Mißhandlungen ein "Geständnis" abgerungen oder ihm nicht geglaubt werde, daß er beim Verhör schon mißhandelt werde oder in Haft komme. Die Zustände in den Gefängnissen würden selbst von der beurteilenden Behörde als katastrophal beschrieben, sie würden durch Brutalität noch verschlimmert. Die Menschenrechtslage im Kosovo sei sehr bedenklich. Diese Befürchtung sei auch in dem begründet, was er über das Geschick des Schwiegersohnes seines Nachbarn erfahren habe, gegen den dieselben Beschuldigungen erhoben worden seien und der durch Schläge im Bereich der Geschlechtsteile mißhandelt und unschuldig zu zwei Jahren Haft verurteilt worden sei. Im übrigen wendete er sich auch gegen die Annahme der Verfolgungssicherheit in Mazedonien.

Mit Bescheid vom 13. Jänner 1995 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Sie begründete dies nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage ausgehend vom Ermittlungsergebnis des Verfahrens erster Instanz gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 - einen der Fälle des § 20 Abs. 2 leg. cit. erachtete die belangte Behörde als nicht vorliegend - inhaltlich lediglich durch Verweis auf die Ausführungen des Bundesasylamts, denen sich die belangte Behörde als Berufungsbehörde "vollinhaltlich" anschloß und "diese zum Inhalt und Bestandteil des gegenständlichen Bescheides" erklärte.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete, nach Ablehnung deren Behandlung an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluß vom 21. Juni 1995, B 190/95-10, abgetretene, über Auftrag ergänzte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Das Bundesasylamt hat die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers darauf gestützt, daß er keine Umstände glaubhaft habe machen können, die objektiv die Annahme hätten rechtfertigen können, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde und deshalb nicht gewillt sei, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen. Allein auf Grund der Tatsache, daß er nach einem zehntägigen Aufenthalt bei seinem Onkel zu seinem Elternhaus zurückgekehrt sei, sei ersichtlich, daß er offensichtlich nicht wirklich Furcht vor Verfolgung gehabt habe. Auch sei dem weiteren Vorbringen, er sei lediglich einmal zu Hause gesucht worden, zu entnehmen, daß kein tatsächliches Interesse an der Verfolgung seiner Person bestanden haben könne. Hätte nämlich ein solches bestanden, wäre die Polizei mit Sicherheit ein weiteres Mal in seinem Elternhaus erschienen, vor allem in Anbetracht der üblichen und allgemein bekannten Vorgangsweise der dortigen Behörden und im Lichte des vom Beschwerdeführer behaupteten behördlichen Vorwurfes.

Zutreffend weist der Beschwerdeführer in der Beschwerde daraufhin, die von ihm als Fluchtgrund angegebene Befürchtung, unter dem Vorwurf der Teilnahme an Militärübungen in Albanien ungerechtfertigten Mißhandlungen und Bestrafungen ausgesetzt zu werden, müsse auch unter Zugrundelegung der allgemeinen Situation der albanischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo sowie der Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei der LDK beurteilt werden.

Die Behörden des Verwaltungsverfahrens haben die Glaubhaftmachung begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 mit dem Argument verneint, allein aus der Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Elternhaus könne entnommen werden, daß er (subjektiv) keine wirkliche Furcht vor Verfolgung gehabt haben könne und die lediglich einmal nach ihm suchende Polizei tatsächlich offenbar kein weitergehendes Interesse an seiner Verfolgung gehabt habe.

Diese Schlußfolgerungen erweisen sich als nicht tragfähig. Zum letztgenannten Argument ist insbesondere hervorzuheben, daß sich aus der Einvernahme des Beschwerdeführers in keiner Weise ergibt, daß die Polizei tatsächlich "lediglich einmal" nach ihm gesucht habe, ist doch dem Protokoll eine Frage nach allfälligen weiteren polizeilichen Nachfragen (während seiner Abwesenheit) nicht zu entnehmen. Daß die Polizei nach dem Beschwerdeführer "lediglich einmal" gesucht habe, bleibt daher eine unbegründete Vermutung der Behörde. Im übrigen vermag auch nicht zu überzeugen, daß an der Anzahl der Nachfragen die Intensität des polizeilichen Interesses gemessen werden könnte, kann eine oftmalige Nachfrage doch auch einem psychologischen Terror dienen, ohne daß damit eine tatsächliche Verhaftung beabsichtigt wäre. Andererseits entspricht es auch ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, daß ein Asylwerber seine Verhaftung nicht abzuwarten braucht, wenn für deren unmittelbares Bevorstehen hinreichend triftige Gründe als vorliegend behauptet werden. Dies ist beim Beschwerdeführer unter Zugrundelegung seines politischen Umfeldes sowie der notorischen Verhältnisse in seinem Heimatland zu bejahen. Aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer für 2 Nächte geheim in sein Elternhaus zurückgekehrt ist, folgt entgegen der Meinung der belangten Behörde nicht, daß dem Beschwerdeführer die subjektive Furcht vor Verfolgung fehlt. Eine solche hätte erst dann ausgeschlossen werden können, wenn sich der Beschwerdeführer auf Dauer und nicht nur versteckt und zur Vorbereitung der Flucht wieder in sein Elternhaus zurückbegeben hätte, welches er ja unmittelbar nach dem auslösenden Ereignis am 25. November 1994 verlassen hatte. Dadurch, daß die belangte Behörde dieses Vorbringen ohne Vornahme einer Gesamtschau über die im Kosovo herrschenden allgemeinen Verhältnisse unrichtig bewertet hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Für den Beschwerdeführer wäre aber nichts gewonnen, hielte der ebenfalls von der belangten Behörde herangezogene Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 einer Überprüfung stand. In Anwendung dieser Bestimmung vertrat die belangte Behörde die Ansicht, der Beschwerdeführer habe vor seiner Einreise in das Bundesgebiet bereits in Mazedonien Verfolgungssicherheit erlangt. Bereits das Bundesasylamt hatte dem Beschwerdeführer diese Annahme in ihrem Bescheid entgegengehalten, ein Ermittlungsverfahren hat aber weder das Bundesasylamt noch die belangte Behörde hierüber durchgeführt. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits in zahlreichen Erkenntnissen ausgesprochen, die Mitwirkungspflicht einer Partei gehe nicht soweit, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß § 11 und § 16 Asylgesetz 1991 iVm den §§ 39, 40 und 60 AVG) verpflichtet ist. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens haben vielmehr von sich aus (und nicht nur aufgrund eines Verlangens des Asylwerbers) zum Vorliegen des Asylausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 Ermittlungen anzustellen, die im besonderen auch die Frage des Rückschiebungsschutzes zu umfassen haben. Die Frage, welche Vorgangsweise in bestimmten Drittstaaten in bezug auf den Schutz von Flüchtlingen vor einer Abschiebung in ihren Heimatstaat beobachtet wird, zählt nicht zu denen, bei deren Klärung der Mitwirkungspflicht des Asylwerbers Bedeutung zukäme (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179). Im angefochtenen Bescheid begründete die belangte Behörde durch Übernahme der diesbezüglichen Begründung des Bundesasylamtes ihre Annahme mit der nicht schlüssigen Folgerung, aus dem Beitritt Mazedoniens zur Genfer Flüchtlingskonvention sei auf die effektive Geltung des Refoulementverbotes zu schließen, sowie mit einer unzulässigen Verschiebung der Beweislast zum Nachteil des Beschwerdeführers, wonach dieser nicht darzutun vermocht habe, daß er in Mazedonien keinen dem Standard der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Rückschiebungsschutz in den Verfolgerstaat hätte erlangen können. Die Beschwerde, die ausdrücklich die Annahme der effektiven Geltung des Refoulementverbotes in Mazedonien für den Zeitpunkt der Durchreise des Beschwerdeführers bestreitet, zeigt auch die Relevanz des der belangten Behörde unterlaufenen Ermittlungsfehlers auf. Sie bringt nämlich vor, bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens hätte sich ergeben, daß der Beschwerdeführer keinen der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz vor Rückschiebung in den Verfolgerstaat hätte finden können. Damit verstößt die nunmehr in der Beschwerde ausdrücklich erhobene Bestreitung der Annahme der erlangten Verfolgungssicherheit in Mazedonien durch die belangte Behörde und die Behauptung, der Beschwerdeführer habe in Mazedonien während seiner Durchreise keinen ausreichenden Schutz vor ungeprüfter Rückschiebung in den Verfolgerstaat finden können, nicht gegen das Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG (vgl. dazu das zitierte hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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