VwGH 95/01/0065

VwGH95/01/00659.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des S in N, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in A, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Februar 1995, Zl. 4.345.731/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation" albanischer Nationalität, der am 3. Dezember 1994 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 5. Dezember 1994 den Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 6. Dezember 1994 zu seinen Fluchtgründen im wesentlichen ausgeführt, daß er nie Mitglied einer politischen Partei oder einer bewaffneten Gruppierung gewesen sei. Am 14. November 1994 um 05.30 Uhr hätten zehn "serbische Polizisten" in einer zweistündigen Aktion sein Haus vom Dachboden bis zum Keller nach Waffen durchsucht. Dabei hätten sie sogar teilweise den Fußboden herausgerissen. Dem Beschwerdeführer sei dabei gesagt worden, daß er im Verdacht stehe, während seines Aufenthaltes in Kroatien im Jahre 1991 für die "Kroatische Garde" tätig gewesen zu sein, Waffen gekauft und in den Kosovo geschmuggelt zu haben. Die Hausdurchsuchung sei ergebnislos verlaufen. Im Anschluß daran sei der Beschwerdeführer zwei Stunden auf der Polizeistation in Mitrovica festgehalten worden. Dabei sei er immer wieder gefragt worden, ob er bei der "Kroatischen Garde" tätig gewesen sei und wo er seine Waffen versteckt habe. Dabei sei er einige Male geohrfeigt worden. Die Polizisten hätten ihm seinen Personalausweis weggenommen und gesagt, daß er ihn nur dann wieder bekomme, wenn er binnen drei Tagen seine Waffen abliefere. Nach diesem Vorfall habe er sich sofort gemeinsam mit seiner Gattin zu deren Onkel begeben, wo er sich bis zu seiner Flucht nach Österreich aufgehalten habe. Er habe Angst vor der Willkür der serbischen Polizei. Er habe schon gehört, daß Personen während der Haft derartig geschlagen worden seien, daß sie an den Folgen der dabei erlittenen Verletzungen gestorben seien. Er habe Angst, bei einer Rückkehr in den Kosovo unschuldig inhaftiert zu werden.

Mit Bescheid vom 2. Jänner 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab und führte dazu nach Wiedergabe der Aussage des Beschwerdeführers aus, Serbien versuche, die von den im Kosovo ansässigen Albanern (90 % der dortigen Bevölkerung) gewünschte Selbstbestimmung mit Macht zu verhindern. Die Menschenrechtssituation im Kosovo sei sehr bedenklich. Anfang 1993 habe eine Mission der KSZE und der UNO zur Beobachtung der Menschenrechtssituation stattgefunden. Den Beobachtern seien "von der serbischen Regierung nur Schwierigkeiten gemacht" worden. Bereits im Juli 1993 sei ihnen die Aufenthaltserlaubnis entzogen worden. Mehr als

30.000 Albaner seien wegen ihrer politischen Überzeugung zeitweise festgenommen worden. Die serbische Justiz wende nicht das Strafgesetzbuch für die "Autonome Region Kosovo", sondern entweder das Strafgesetz Serbiens oder jenes des nicht mehr bestehenden Staates Jugoslawien an. Die Verhältnisse in den Gefängnissen seien katastrophal und würden durch Brutalitäten noch verschlimmert. Das vom Beschwerdeführer erwähnte Verhör habe lediglich der Beweissicherung gedient und daher keinen "pönalen Charakter" gehabt. Die Befragung des Beschwerdeführers wegen des illegalen Waffenbesitzes sei keinesfalls ein "ungebührliches Verhalten der serbischen Polizei". Die Furcht des Beschwerdeführers vor einer Verurteilung wegen illegalen Waffenbesitzes könne nicht zur Asylgewährung führen, weil Verurteilungen wegen allgemein krimineller Handlungen, die auch in Österreich mit Strafe bedroht seien, keinen Grund für die Anerkennung als Flüchtling darstellten. Überdies sei der Beschwerdeführer in Ungarn, wo er sich nach seinem Vorbringen "zwei Nächte hindurch" aufgehalten habe, vor Verfolgung sicher gewesen. Ungarn sei Mitgliedstaat der EMRK und habe die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert. Dieser Staat verfüge über ein in der Praxis funktionierendes Asylwesen. Der Beschwerdeführer hätte daher bereits dort einen Asylantrag stellen können.

In seiner Berufung gegegen diesen Bescheid wiederholte der Beschwerdeführer im wesentlichen seine bereits in erster Instanz gemachten Angaben.

Mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Februar 1995 wurde diese Berufung abgewiesen. Die belangte Behörde führte dazu aus, daß das Bundesasylamt in der Begründung seines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefaßt habe. Die belangte Behörde als Berufungsbehörde schließe sich diesen Ausführungen an und erhebe diese zum Inhalt ihres Bescheides.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Erstbehörde - und damit auch die belangte Behörde (vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Übernahme der Begründung des Bescheides erster Instanz durch die Berufungsbehörde das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1995, Zl. 95/01/0045) - hat das wesentliche Vorbringen des Beschwerdeführers in ihrem Bescheid wiedergegeben und nicht ausgeführt, dem keinen Glauben zu schenken. Es steht somit fest, daß das Haus des Beschwerdeführers von einem größeren Polizeiaufgebot (10 Polizisten) überaus gründlich durchsucht wurde, weil der Beschwerdeführer verdächtigt wurde, aus Kroatien Waffen (wie sich aus dem Gesamtzusammenhalt der Aussage des Beschwerdeführers ergibt: für den Widerstand der albanischen Bevölkerungsgruppe) in den Kosovo geschmuggelt zu haben. Der Beschwerdeführer wurde eindringlich zu diesem Thema befragt und dabei mißhandelt. Aufgrund der Tatsache, daß die Polizei trotz des ergebnislosen Verlaufes dieser Aktion offensichtlich nach wie vor der Meinung war, der Beschwerdeführer besitze verbotene Waffen, und ihn aufforderte, binnen drei Tagen seine Waffen abzuliefern, konnte der (durch die Intensität dieser Polizeiaktionen bereits eingeschüchterte) Beschwerdeführer mit Recht befürchten, die Polizei werde mit noch härteren Maßnahmen - etwa mit der von ihm befürchteten Inhaftierung und Folterung - gegen ihn vorgehen. Daß es sich hiebei um die Gefahr einer Verfolgung mit der für die Gewährung von Asyl erforderlichen Intensität handelt, ergibt sich aus den Feststellungen der Behörde erster Instanz, daß die Verhältnisse in den Gefängnissen in der Heimat des Beschwerdeführers katastrophal seien und durch Brutalitäten noch verschlimmert würden. Vor dem Hintergrund der erstinstanzlichen Feststellungen über die bedenkliche Menschenrechtssituation (für ethnische Albaner) im Kosovo handelt es sich dabei nicht nur um die Furcht des Beschwerdeführers vor einer Bestrafung wegen ausschließlich krimineller Handlungen, sondern vor einer behördlichen Verfolgung, welche im Zusammenhang mit der ethnischen Zugehörigkeit des Beschwerdeführers steht.

Die Erstbehörde vertrat daher - ausgehend von den getroffenen Feststellungen - zu Unrecht die Ansicht, der Beschwerdeführer sei lediglich - in nicht ungebührlicher Weise - wegen des Verdachts des illegalen Waffenbesitzes befragt worden und habe nur die Bestrafung wegen eines kriminellen Delikts zu befürchten.

Aufgrund der Übernahme der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides durch die belangte Behörde haftet diese Rechtswidrigkeit auch dem angefochtenen Bescheid an.

Die Ansicht, der Beschwerdeführer sei in Ungarn vor Verfolgung sicher gewesen, hat die Erstbehörde - ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens - nur darauf gestützt, daß Ungarn Mitgliedstaat der EMRK und der Genfer Flüchtlingskonvention sei und ein in der Praxis funktionierendes Asylwesen habe. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die belangte Behörde auch diesen Teil der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides übernommen hat, zeigt der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen, es treffe nicht zu, daß er sich in einem sicheren Drittstaat befunden habe, diesbezüglich einen Verfahrensmangel (Verletzung der Ermittlungs- und Begründungspflicht) des erstinstanzlichen Verfahrens auf. Die Mitwirkungspflicht der Partei geht nicht soweit, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß §§ 11 und 16 Asylgesetz 1991 iVm §§ 39, 45 und 60 AVG) verpflichtet ist. Der Mitwirkungspflicht kommt dort Bedeutung zu, wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden. Dies trifft auf die allgemein in Ungarn beobachtete Vorgangsweise betreffend den Schutz von Flüchtlingen vor Rückschiebung in ihren Heimatstaat nicht zu (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413).

Da die belangte Behörde diesen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens nicht gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 zum Anlaß genommen hat, das Ermittlungsverfahren zu ergänzen oder zu wiederholen, belastete sie ihren Bescheid insofern mit einem Verfahrensmangel.

Am Vorliegen dieses Mangels ändert auch der Umstand nichts, daß der Beschwerdeführer in der Berufung Gelegenheit hatte, zur Frage der Verfolgungssicherheit in Ungarn Stellung zu nehmen und diese nicht genützt hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid wegen der pränotierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des die Stempelgebühren betreffenden Mehrbegehrens beruht darauf, daß die Beschwerde nur zweifach einzubringen und der angefochtene Bescheid nur in einfacher Ausfertigung vorzulegen war.

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