VwGH 96/21/0004

VwGH96/21/000422.5.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Rosenmayr, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über den Antrag der M in I, vertreten durch Dr. D, Rechtsanwalt in I, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 3. November 1995, Zl. III/254-1/95, betreffend Aufenthaltsverbot, beim Verwaltungsgerichtshof, den Beschluß gefaßt:

Normen

VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.

Begründung

Der Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 3. November 1995, Zl. III/254-1/95, mit welchem über die Beschwerdeführerin ein mit sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde, wurde dem Antragvorbringen zufolge am 9. November 1995 dem Vertreter der Antragstellerin eigenhändig zugestellt. Im Antrag wird weiters wie folgt ausgeführt:

In der Kanzlei des Vertreters der Antragstellerin wurde ausgehend vom 9. November 1995 seitens der Kanzleileiterin des Vertreters der Antragstellerin, Frau B, mit roter Schrift das Ende der Frist zur Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde am Bescheid vermerkt, dieser Endtermin im Fristenbuch eingetragen und sodann der Bescheid in der Postmappe dem Vertreter der Antragstellerin vorgelegt. Bei Vorlage der Postmappe, in welche die einlangenden Schriftstücke eingeordnet werden, habe der Vertreter der Antragstellerin mit dem ebenso vorgelegten Fristenbuch die Rechtsmittelfrist kontrolliert und für richtig befunden. Die Antragstellerin habe am 13. November 1995 jedoch gegenüber ihrem Vertreter erklärt, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien keine Beschwerde erheben, sondern vielmehr einen Antrag auf Gewährung eines Abschiebungsaufschubes stellen zu wollen. Der Vertreter der Antragstellerin habe daraufhin den Fristvermerk am 21. Dezember 1995 im Fristenbuch gestrichen.

Am 16. November 1995 habe die Antragstellerin gegenüber ihrem Vertreter telefonisch ihre Absicht geändert und nunmehr mitgeteilt, doch eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde erheben zu wollen. Der Vertreter der Antragstellerin habe sich gerade in einer Besprechung befunden und daher telefonisch seine Kanzleileiterin B angewiesen, neuerlich einen diesbezüglichen Fristenvermerk im Fristenbuch vorzunehmen. Die Kanzleileiterin habe gerade selbst an einer Berufung in einer Asylrechtssache gearbeitet, sie habe den Akt der Antragstellerin vom Arbeitstisch des Vertreters der Antragstellerin genommen, sich ins Sekretariat begeben und dort anstatt den seinerzeitigen Fristvermerk am 21. Dezember 1995 zu erneuern, am 28. Dezember 1995 das Ende der Beschwerdefrist eingetragen; sie habe die Beschwerdefrist irrtümlich, obwohl sie eine verläßliche und bewährte Kanzleikraft sei, vom 16. November 1995 berechnet. Entgegen der Gepflogenheit habe die Kanzleileiterin diese Fristeintragung nicht dem Vertreter der Antragstellerin zur Kontrolle vorgelegt.

Der Vertreter der Antragstellerin selbst kontrolliere täglich die eingehende Post. Von der Kanzleileiterin werde die Frist auf dem Poststück rot vorgemerkt, im Fristenbuch übertragen und sodann die Postmappe gemeinsam mit dem Fristenbuch dem Vertreter der Antragstellerin übergeben, der die Rechtsmittelfristen überprüfe. Bei jenen Stücken, die dem Vertreter der Antragstellerin übergeben würden, und bei welchen Fristen zu beachten seien, werde die Frist üblicherweise in Anwesenheit des Vertreters der Antragstellerin im Fristenbuch vermerkt. Abends kontrolliere die Kanzleileiterin, ob alle eingetragenen, nicht gestrichenen Fristvermerke erledigt worden seien und ob die Friststücke eingeschrieben aufgegeben würden. Aufgrund dieser Praxis sei es bis heute zu keinen Säumnissen gekommen.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf nicht auffallend sorglos gehandelt, somit nicht die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. etwa den hg. Beschluß vom 27. September 1995, Zl. 95/21/0889).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den Beschluß vom 9. September 1993, Zl. 93/01/0547) ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzurechnen ist, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht jenem gegenüber unterlassen hat.

Im vorliegenden Fall ist, ist ausgehend vom glaubhaft gemachten Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, dem Rechtsvertreter der Antragstellerin keine Verletzung der Überwachungspflicht anzulasten, die über einen minderen Grad des Versehens hinausginge. Überläßt der Rechtsanwalt die Eintragung in das Terminbuch in Fristensachen einer bis dahin fehlerfrei arbeitenden zuverlässigen und verläßlichen Kanzleikraft und unterläßt sie die ihr aufgetragene Vorlage an den Rechtsanwalt zur Kontrolle, so kann dem Rechtsanwalt eine Verletzung seiner Sorgfaltspflicht nicht zur Last gelegt werden, wenn seine Überwachungsmaßnahmen grundsätzlich als hinreichend anzusehen sind (vgl. das bereits genannte hg. Erkenntnis vom 9. September 1993, mwN). Dem Vertreter der Antragstellerin kann somit ein Sorgfaltsverstoß im Sinne einer mangelhaften Überwachung seines Kanzleibetriebes nicht angelastet werden, weshalb die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen war.

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