VwGH 96/18/0249

VwGH96/18/024927.6.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Robl, Dr. Rigler und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. M. Fellner, über die Beschwerde des D in Wien, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. April 1996, Zl. SD 313/96, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §20 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z2 lita;
FrG 1993 §20 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z2 lita;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 10. April 1996 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Jugoslawischen Föderation, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Dem Beschwerdeführer, der sich seit ca. 18 Jahren im Bundesgebiet aufhalte, sei im April 1986 ein unbefristeter Sichtvermerk erteilt worden. Da der Beschwerdeführer jedoch am 14. April 1993 vom Jugendgerichtshof Wien wegen Einbruchsdiebstahls zu einer (bedingten) Freiheitsstrafe von sieben Monaten, und am 27. April 1993 vom Landesgericht für Strafsachen Wien, ebenfalls wegen Einbruchsdiebstahls bzw. Bandendiebstahls, zu einer Zusatzstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt worden sei, sei der Sichtvermerk mit Bescheid vom 10. Oktober 1993 gemäß § 11 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG für ungültig erklärt worden. Der Beschwerdeführer sei aber weiterhin im Bundesgebiet verblieben und am 24. Oktober 1995 vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels zu einer (bedingten) Freiheitsstrafe von 12 Monaten rechtskräftig verurteilt worden.

Es könne daher im vorliegenden Fall kein Zweifel bestehen, daß der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei. Das den gerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers sowie die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit rechtfertigten (auch) die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme. In einem solchen Fall sei gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn dem nicht die Bestimmungen der §§ 19 und 20 FrG entgegenstünden.

Aufgrund des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und im Hinblick auf seine familiären Bindungen (Mutter und Schwester) liege zweifellos ein mit dem Aufenthaltsverbot verbundener schwerwiegender Eingriff in sein Privat- und Familienleben vor. Dessen ungeachtet sei aber das Dringend-geboten-sein dieser Maßnahme im Grunde des § 19 FrG schon allein im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität zu bejahen. Immerhin seien dem Beschwerdeführer nicht nur schwerwiegende Eingriffe in fremdes Vermögen, sondern zuletzt das Handeln mit einer Übermenge, somit des 25-fachen einer großen Menge Suchtgift, die geeignet ist, eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen in großem Ausmaß herbeizuführen, zur Last gelegt worden. Angesichts der Schwere der diesen gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrundeliegenden Straftaten und der damit zum Ausdruck kommenden krassen Mißachtung der Gesundheit und des Eigentums anderer Menschen, sei das Aufenthaltsverbot gegen ihn zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer sowie zum Schutz der Rechte und der Gesundheit anderer (Art. 8 Abs. 2 MRK) als dringend geboten zu erachten.

Die vom Gericht zuletzt ausgesprochene bedingte Strafnachsicht ändere daran nichts. Denn abgesehen davon, daß dieser Umstand keinesfalls - wie der Beschwerdeführer offenbar meint - eine Garantie für künftiges Wohlverhalten des Beschwerdeführers sein könne, habe die Behörde die Frage der Erforderlichkeit des Aufenthaltsverbotes eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu beurteilen, ohne an die Erwägungen gebunden zu sein, die das Gericht veranlaßt hätten, die Strafe bedingt nachzusehen (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Mai 1994, Zl. 94/18/0031).

Im Lichte dieser Beurteilung habe auch die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausfallen müssen. Auch wenn dabei die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie in Anbetracht des hohen Grades an Integration, den er selbst wie auch seine Familie aufwiesen, als erheblich zu werten gewesen seien, sei die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, daß diese Umstände nicht schwerer wögen als die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechenden öffentlichen Interessen. In diesem Zusammenhang sei auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Falle von Suchtgiftdelikten auch bei ansonsten völliger sozialer Integration eines Fremden die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht rechtswidrig sei. Vorliegend komme hinzu, daß der Beschwerdeführer auch nicht davor zurückgeschreckt sei, sich an fremdem Eigentum zu vergreifen, sowie die Tatsache, daß er sich seit mehr als zwei Jahren unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.

Dem diesbezüglichen Hinweis in der Berufung, der unbefristete Sichtvermerk wäre "zu Unrecht entzogen" worden und der Bescheid vom 15. Oktober 1993 wäre von "Nullität" betroffen, stehe nicht nur die Rechtskraft dieses Bescheides, sondern auch der Wortlaut des § 11 Abs. 1 FrG ("... wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder EINTRETEN, ....") entgegen. Von einer "Nullität" (gemeint wohl: Nichtigkeit) des erwähnten Bescheides könne im übrigen keine Rede sein.

Unklar sei auch, was die Berufung mit der Frage der "Zuteilung einer eventuellen Staatsbürgerschaft" meine. Wenn der Beschwerdeführer damit die Verbotsnorm des § 20 Abs. 2 FrG ins Treffen führen wolle, so stehe auch diese Rechtsauffassung im Widerspruch zur ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Der für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 entscheidende Zeitpunkt sei der der Rechtskraft der vorletzten der obgenannten gerichtlichen Verurteilungen. Es sei daher zu beurteilen gewesen, ob der Beschwerdeführer vor der am 24. Oktober 1995 (rechtskräftig seit 27. Oktober 1995) erfolgten Verurteilung die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes erfüllt habe. Dies sei zu verneinen, weil im Hinblick auf die am 14. April 1993 sowie am 27. April 1994 erfolgten Verurteilungen "von insgesamt 25 Monaten, davon 19 Monate bedingt", die Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 2 lit. a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 nicht erfüllt gewesen sei. Somit erweise sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch im Grunde des § 20 FrG als zulässig.

Zutreffend habe die Erstbehörde das Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit (unbefristet) ausgesprochen. Angesichts des aufgezeigten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und der gerade bei Suchtgiftdelikten gegebenen enormen Wiederholungsgefahr könne derzeit nicht vorhergesehen werden, wann die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgebenden Gründe weggefallen sein würden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die - zutreffende - Rechtsansicht der belangten Behörde, daß die - unter Punkt I. 1. genannten - rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers den Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 (dritter und vierter Fall) FrG verwirklichen, bleibt in der Beschwerde unbekämpft.

2. Der Beschwerdeführer kann weiters die - gleichfalls zutreffende - Auffassung der belangten Behörde, es sei im Hinblick auf das den Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrundeliegende Fehlverhalten auch die in § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, mit seinem Vorbringen nicht entkräften.

Auf dem Boden der (im angefochtenen Bescheid angesprochenen) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgegangen ist, daß sie - anders als die Beschwerde dies annimmt - die Frage der Erforderlichkeit eines Aufenthaltsverbotes eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes zu beurteilen habe, ohne an die Erwägungen gebunden zu sein, die für das Gericht ausschlaggebend gewesen seien, eine Strafe bedingt nachzusehen. Die belangte Behörde hat im Hinblick auf diese Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch zutreffend angenommen, daß eine von einem Gericht ausgesprochene bedingte Strafnachsicht keinefalls eine Garantie für künftiges Wohlverhalten des Beschwerdeführers sein könne.

Das erkennbar im Zusammenhang mit der Frage, ob die besagte Annahme gerechtfertigt sei oder nicht, stehende Beschwerdevorbringen, der Jugendgerichtshof Wien habe keine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt, "da offenbar die Lebensumstände des Beschwerdeführers, sowie seine familiären Bindungen (Mutter und Schwester in Österreich) Gewähr dafür gewesen sind, daß künftig ein Wohlverhalten vorliegt und keine Gesetzesverletzungen zu befürchten sind" und weiters die belangte Behörde an diese Beurteilung gebunden sei, geht somit - ungeachtet der Frage, ob die behaupteten Erwägungen für das Gericht tatsächlich ausschlaggebend gewesen sind - ins Leere. Von einer "Scheinbegründung", wie dies die Beschwerde dem angefochtenen Bescheid vorhält, kann demnach in dieser Hinsicht keine Rede sein.

3. Nach Auffassung des Beschwerdeführers habe die belangte Behörde die "Interessenabwägung" - damit spricht er erkennbar die Beurteilung der belangten Behörde nach §§ 19, 20 FrG an - völlig zu Unrecht zu seinen Lasten vorgenommen.

Dem ist entgegenzuhalten, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ein hohes Maß an Integration zugebilligt und die Tatsache, daß sich seine Mutter und seine Schwester in Österreich aufhalten, zu seinen Gunsten veranschlagt hat. Welche weiteren für seinen Verbleib in Österreich sprechenden Umstände zu berücksichtigen gewesen wären, bringt die Beschwerde nicht vor.

Ungeachtet des von der belangten Behörde zu Recht als "schwerwiegend" gewerteten Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch ein gegen ihn erlassenes Aufenthaltsverbot hat sie diese Maßnahme ebenso zutreffend als dringend geboten angesehen. Denn wie der Verwaltungsgerichtshof schon in zahlreichen Fällen zum Ausdruck gebracht hat, ist im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes aus im Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen (konkret: mit Rücksicht auf die Verhinderung von strafbaren Handlungen und den Schutz der Gesundheit) notwendig und demnach im Grunde des § 19 FrG zulässig (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. April 1996, Zl. 96/18/0121, mwH).

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG war zwar in erster Linie auf die aus dem etwa 18-jährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers resultierende Integration Bedacht zu nehmen; allerdings auch darauf, daß die für eine Integration wesentliche soziale Komponente durch die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten eine erhebliche Beeinträchtigung erfahren hat. Abgesehen davon, daß damit der Integration des Beschwerdeführers kein allzu großes Gewicht mehr zukommt, stünde aufgrund der im hohen Maß sozialschädlichen Suchtgiftdelikte selbst eine ansonsten völlige soziale Integration des Beschwerdeführers der Erlassung des Aufenthaltsverbotes aus der Sicht des § 20 Abs. 1 FrG nicht entgegen. Wenn die belangte Behörde daher zusammenfassend angesichts des sehr großen Gewichts der durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers (insbesondere des ihm zur Last liegenden Verbrechens des Suchtgifthandels) hervorgerufenen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation und die seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme, so ist dieses Abwägungsergebnis unbeschadet der beachtlichen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich nicht als rechtswidrig anzusehen. (Vgl. zum Ganzen das schon zitierte hg. Erkenntnis Zl. 96/18/0121.)

4. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen ist der Verfahrensrüge des Beschwerdeführers, daß das Überwiegen von öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit durch das Ermittlungsverfahren nicht habe erwiesen werden können, der Boden entzogen.

5. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beurteilung nach § 20 Abs. 2 FrG - das darauf gerichtet ist, daß diese "sicherlich nicht in den Zuständigkeitsbereich der Fremdenpolizei" falle - ist der Wortlaut des § 20 Abs. 2 FrG entgegenzuhalten, der im Zusammenhang mit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ausdrücklich auf die Frage der Möglichkeit der Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft abstellt und somit von den mit der Handhabung des FrG betrauten Behörden zu vollziehen ist. Im übrigen ist das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Ungültigerklärung seines Sichtvermerkes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes ohne Relevanz.

6. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

7. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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