VwGH 96/04/0106

VwGH96/04/010612.11.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde des Dr. H in W, vertreten durch Dr. N, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 22. November 1995, Zl. Ge-263141/3-1995/Kut/Bla, betreffend Verweigerung der Nachsicht vom Befähigungsnachweis, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §52;
BefNwV Masseure 1993 §5 Abs1 Z1 lita;
GewO 1994 §28 Abs1 Z2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §52;
BefNwV Masseure 1993 §5 Abs1 Z1 lita;
GewO 1994 §28 Abs1 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 22. November 1995 wurde der Berufung der Landesinnung Oberösterreich der Fußpfleger, Kosmetiker und Masseure gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen vom 2. August 1995 stattgegeben, der erstbehördliche Bescheid im Grunde des § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 behoben und dem Beschwerdeführer gemäß § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 die Nachsicht vom Befähigungsnachweis für das Masseurgewerbe nicht erteilt. Zur Begründung führte der Landeshauptmann im wesentlichen aus, nach dem Ergebnis des erstinstanzlichen Verfahrens sei unbestritten, daß der Beschwerdeführer als ausgebildeter Arzt für Allgemeinmedizin in W die Stelle eines Gemeindearztes bekleide, welche auch als Lehrpraxis geführt werde. Darüber hinaus sei er ausgebildeter Sportarzt, Umweltschutzarzt, Schularzt und stehe als Notarzt der örtlichen Feuerwehr sowie der Rot-Kreuz-Stelle zur Verfügung. Auf Grund dieses Ausbildungsstandes erfülle er jedoch nicht die Voraussetzungen für die Zulassung zur Befähigungsprüfung aus dem Gewerbe der Masseure, weil nach § 5 Abs. 1 Z. 1 lit. a der Befähigungsnachweisverordnung 1993, BGBl. Nr. 618, neben dem erfolgreichen Besuch der Studienrichtung Medizin an einer inländischen Hochschule eine mindestens zweijährige fachliche Tätigkeit erforderlich sei. In Übereinstimmung mit der berufungswerbenden Landesinnung fehlten dem Beschwerdeführer die fachlich-praktischen Kenntnisse im Masseurgewerbe. Dazu gehörten insbesondere die notwendigen praktischen Kenntnisse der klassischen Massage, der Reflexzonenmassage, Segmentmassage, Bindegewebsmassage, asiatische Massagetechniken sowie der Lymphdrainage. Es sei richtig, daß der Beschwerdeführer zwei Masseusen in seiner Arztpraxis beschäftigt habe. Dies ersetze jedoch nicht die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten beim Beschwerdeführer selbst. Es bleibe ihm nach wie vor unbenommen, auf Grund seiner bisherigen Ausbildung den Patienten entsprechende Massagen zu verordnen. Dasselbe gelte für die Physikotherapie und die in diesem Zusammenhang vorgelegten Unterlagen des Beschwerdeführers. Da er somit nicht über die hinreichende tatsächliche Befähigung zur Ausübung des Masseurgewerbes verfüge, sei die angestrebte Nachsicht nicht zu erteilen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluß vom 8. März 1996, Zl. B 52/96-3, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in dem Recht auf Erteilung der in Rede stehenden Nachsicht beschwert. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes macht er geltend, die belangte Behörde habe die Bestimmung des § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 insofern unrichtig angewendet, als sie zum unrichtigen Schluß gelangt sei, der Beschwerdeführer verfüge nicht über die hinreichenden tatsächlichen Befähigungen zur Ausübung des Masseurgewerbes. Sie übersehe in ihrer Begründung, daß nach dieser Gesetzesstelle unter den dort angeführten Voraussetzungen die Nachsicht von der Erbringung des formellen Befähigungsnachweises zu erteilen ist und hiefür nicht der Nachweis von Praxiszeiten, der für die Zulassung zur Befähigungsprüfung aus dem gegenständlichen Gewerbe erforderlich sei, notwendig sei. Er vertrete die Ansicht, daß er jedenfalls auf Grund seiner Ausbildung und seiner nachgewiesenen Tätigkeiten eine hinreichende tatsächliche Befähigung besitze. Die belangte Behörde habe auch den maßgeblichen Sachverhalt nur unzureichend festgestellt. Insbesondere habe sie sich überhaupt nicht mit der Argumentation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Er habe nämlich vorgebracht, daß er selbstverständlich praktische Massagetechniken erlernt habe und diverse Massagetechniken an seinen Patienten praktiziere.

Gemäß § 28 Abs. 1 Z. 2 GewO 1994 ist - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - die Nachsicht vom vorgeschriebenen Befähigungsnachweis zu erteilen, wenn eine hinreichende tatsächliche Befähigung des Nachsichtswerbers angenommen werden kann, keine Ausschlußgründe gemäß § 13 vorliegen und

  1. a) dem Nachsichtswerber die Erbringung des vorgeschriebenen Befähigungsnachweises wegen seines Alters, seiner mangelnden Gesundheit oder aus sonstigen, in seiner Person gelegenen wichtigen Gründen nicht zuzumuten ist,

    oder

  1. b) wenn besondere örtliche Verhältnisse für die Erteilung der Nachsicht sprechen.

Eine hinreichende tatsächliche Befähigung liegt, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 28. Juni 1994, Zl. 94/04/0042, dargetan hat, dann vor, wenn auf Grund der vom Nachsichtswerber beigebrachten Unterlagen bzw. auf Grund des Ergebnisses des über sein Vorbringen bzw. sonst durchgeführten Ermittlungsverfahrens die Annahme gerechtfertigt erscheint, daß er immerhin über so viele Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, die als erforderlich erachtet werden, um Leistungen erbringen zu können, welche in der Regel von Inhabern des betreffenden Gewerbes verlangt werden. Nach dem offenkundigen Zweck der Bestimmung muß der Nachsichtswerber jedenfalls auch im Rahmen der nach § 28 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. geforderten hinreichenden tatsächlichen Befähigung in der Lage sein, nicht nur die Ausführung der in der Regel im Rahmen des Gewerbes zu erbringenden Leistungen durch andere Personen zu überwachen, sondern sie auch selbst zu verrichten. Dabei darf, wie im hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1995, Zl. 94/04/0195, ausgeführt, die hinreichende tatsächliche Befähigung eines Nachsichtswerbers nicht deshalb verneint werden, weil dieser nicht solche Verwendungszeiten nachgewiesen hat, wie sie als Voraussetzung für die Zulassung zur Meister- bzw. Befähigungsnachweisprüfung gefordert werden. Ob eine hinreichende tatsächliche Befähigung des Nachsichtswerbers im Einzelfall vorliegt, wird, wie der Verwaltungsgerichtshof in dem zuletzt zitierten Erkenntnis ausgesprochen hat, die Gewerbebehörde in der Regel vielmehr erst dann rechtsirrtumsfrei beurteilen können, wenn sie das Ermittlungsverfahren so gestaltet hat, daß sie auf Grund des Ergebnisses dieses Verfahrens in der Lage ist, folgende Fragen zu beantworten:

  1. 1. welche Leistungen im Rahmen des vom Nachsichtswerber angestrebten Gewerbes in der Regel zu erbringen sind,
  2. 2. welche Tätigkeiten beherrscht werden müssen, um solche Leistungen zufriedenstellend zu verrichten,
  3. 3. auf welche Weise der Nachsichtswerber die von ihm behaupteten Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat.

Zur Ermittlung des danach maßgeblichen Sachverhaltes hat die Behörde allenfalls auch einen Sachverständigenbeweis - etwa auch in Gestalt einer informativen Befragung des Nachsichtswerbers durch den Sachverständigen - aufzunehmen.

Von dieser Rechtslage ausgehend war es verfehlt, wenn die belangte Behörde schon allein deshalb zur Annahme gelangte, der Beschwerdeführer verfüge nicht über die hinreichende tatsächliche Befähigung für das Masseurgewerbe, weil er mangels entsprechender praktischer fachlicher Tätigkeit nicht über fachlich-praktische Kenntnisse in diesem Gewerbe verfüge. Dies umsomehr, als der Beschwerdeführer bereits im Verfahren erster Instanz und auch im Berufungsverfahren - durch entsprechende Zeugnisse belegt - auf praktische Erfahrungen hinwies, die er bei diversen Fortbildungskursen erworben habe. Der Verwaltungsgerichtshof vermag aus der dem angefochtenen Bescheid beigegebenen Begründung - im Gegensatz zum Vorbringen in der Gegenschrift - eine Auseinandersetzung der belangten Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers über die von ihm im Rahmen der erwähnten Fortbildungskurse erworbenen praktischen fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht zu erkennen.

Da es die belangte Behörde somit unterließ, die für eine abschließende Beurteilung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Beschwerdeführers auf dem Gebiet des in Rede stehenden Gewerbes erforderlichen Feststellungen zu treffen, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte