VwGH 95/20/0353

VwGH95/20/035318.12.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des T, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Mai 1995, Zl. 4.311.008/9-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Mai 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Vietnam, der am 27. Jänner 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 28. Jänner 1991 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 11. März 1991, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen und ausgesprochen, daß Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.

Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am 28. Februar 1991 zu seinen Fluchtgründen angegeben:

"17. Fluchtgründe:

Die Stimmung in der Bevölkerung ist niedergeschlagen, da diese mit der Arbeit der kommunistischen Regierung unzufrieden ist. Ich finde es nicht richtig, wenn Wenige über die Mehrheit ohne Diskussion entscheiden und die Mehrheit keine Möglichkeit hat, am Entscheidungsprozeß mitzuwirken. Ich habe über die Vorgänge bei den Studentenunruhen in Bejing gehört und mir darüber Gedanken gemacht.

Ich war mit Studenten auf der Uni in Hanoi in Verbindung. Nach den Unruhen wurden einige der Bekannten verhaftet, einige davon waren nie mehr gesehen, so daß ich Angst bekam und ausreiste. Ich nutzte die Gelegenheit und reiste in die CSFR.

Ich möchte Deutsch-Sprachkurse besuchen und eine Arbeit aufnehmen, später möchte ich mich unter den hier möglichen Umständen in Freiheit und Frieden leben.

Ich komme aus einem Land, in dem ein eigenständiges Leben nicht möglich ist, das will ich nun ändern."

In seiner aufgrund der abweisenden Entscheidung der ersten Instanz erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer folgenden Sachverhalt vor:

"Von 1986 bis 1990 habe ich in einer Glasfabrik im Bezirk H gearbeitet. Von Jänner bis März 1990 kam es unter den Studenten der Universität in Hanoi immer wieder zu Unruhen und Demonstrationen, und haben wir Arbeiter mit den Studenten sympathisiert und sie unterstützt. Wir haben auch mehrmals Geld gespendet. Schließlich wurden die Studentenführer verhaftet und man fand die Listen mit den Namen der Geldspender und auch Unterschriftenlisten mit Forderungen an die Regierung. Auf beiden Arten von Listen ist mein Name aufgeschienen. Als in Folge Freunde von mir, die ebenfalls auf den Listen waren, spurlos verschwanden, bekam ich große Angst und beschloß, das Land zu verlassen.

Ich bin dann in die CSFR geflohen, wo ich im Juni 1990 ankam. Ich war dort 6 Monate bei Freunden.

Weil ich aber erfuhr, daß dort viele Spitzel der vietnamesischen Regierung tätig sind, fühlte ich mich nicht sicher genug und bin nach Österreich weitergeflüchtet.

Wenn ich nach Vietnam zurückmüßte, wäre ich und meine ganze Familie in Lebensgefahr. Solange sie nicht wissen, wo ich bin, kann man sie für meine Flucht nicht verantwortlich machen, weil man sie nicht beweisen kann. Deshalb darf auch die Botschaft nicht erfahren, wo ich mich aufhalte, sonst wäre meine Familie auf Grund der Sippenhaftung in großer Gefahr."

In einer Eingabe vom 16. August 1993 brachte der Beschwerdeführer folgenden Sachverhalt vor:

"Vietnam ist für mich LEBENSGEFÄHRLICHER Boden. Ich nahm an zahlreichen Demonstrationen gegen das kommunistische Regime teil. Mein Vater war früher an der franz. solid. gegen das kommunistische Regime beteiligt. Er wurde für 3 Jahre eingesperrt. Nach seiner Entlassung wurden unser Haus und Besitz beschlagnahmt, wir wurden gezwungen, in eine sogenannte "neue wirtschaftliche Zone" zu übersiedeln. Unter diesem grausamen Druck wagte ich am 14.6.1990 die Flucht aus Vietnam in die CSFR. Mein Vater kam inzwischen abermals ins Gefängnis und wurde dort so mißhandelt, daß er nach 3 Wochen Haft starb.

Nach meiner Flucht habe ich vom vietnamesischen Konsulat in der CSFR einen Verfolgungsschein bekommen. Um meine Familie in Vietnam mache ich mir große Sorgen, denn seitdem ich von dort geflüchtet bin, habe ich nichts mehr von meiner Mutter und meinen Geschwistern gehört."

Der Beschwerdeführer legte den genannten "Verfolgungsschein", ausgestellt von der Botschaft der sozialistischen Republik Vietnam in Prag am 7. Februar 1991, als Beweismittel bei.

Daraufhin erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 2. März 1994, welcher aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde mit dem hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0024, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" im § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, Zl. G 92, 93/94) aufgehoben wurde. Dadurch wurde das Berufungsverfahren wieder bei der belangten Behörde anhängig.

Mit Manuduktionsschreiben vom 29. März 1995 stellte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer frei, einfache Verfahrensmängel des Verfahrens erster Instanz geltend zu machen und daraus etwa folgende Sachverhaltsergänzungen der Behörde erster Instanz im Rahmen der Berufungsergänzung vorzutragen.

Darüber hinaus teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, daß sie folgenden Sachverhalt als notorische Tatsache ansehe:

"Aufgrund der Behörde vorliegenden Dokumentationsmaterials ist davon auszugehen, daß es zwar dem vietnam. Strafgesetz zufolge noch immer eine strafbare Gesetzesverletzung ist, Vietnam ohne gültige Genehmigung zu verlassen - unerlaubtes Verbleiben im Ausland erfüllt den Tatbestand des Art. 89 des vietnam. Strafgesetzbuches (VStGB) - eine Bestrafung hiernach ist jedoch keine politische Verfolgung, sondern stellt eine Ordnungsvorschrift ohne politische Tendenz dar.

Vietnam ist auch mit einer Anzahl von Ländern vertragliche Verpflichtungen eingegangen, wonach diesbezügliche Vorschriften des Strafgesetzbuches nicht mehr angewandt werden.

Es wurden auch keine strafrechtlichen Verfahren wegen illegaler Ausreise in Fällen bekannt, die nicht von internationalen Vereinbarungen umfaßt sind. Die im Rahmen der CPA (Umfassender Handlungsplan) Zurückgekehrten waren keiner Diskriminierung oder Verfolgung ausgesetzt. Die Zahl der bereits Zurückgekehrten und derer, die zurückkehren wollen, ist so groß, daß das vietnam. Rechtswesen schon allein aus Kapazitätsgründen keine strafrechtlichen Verfahren einleiten kann.

Es ist daher nicht wahrscheinlich, daß einem vietnam. Asylwerber im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland eine asylrelevante Verfolgung und Bestrafung wegen unerlaubten Verbleibens im Ausland droht."

Der Beschwerdeführer nutzte die gebotene Gelegenheit mit Schreiben vom 13. April 1995 nur insoferne, als er ein Schreiben vom 6. Jänner 1995 (das inhaltlich ident ist mit einem Schreiben vom 13. Jänner 1995, welches bereits am 17. Jänner 1995 bei der belangten Behörde eingelangt war) vorlegte. In diesem Schreiben rügte der Beschwerdeführer keinen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, sondern brachte eine Sachverhaltsdarstellung vor, welche der Kombination seiner Darstellung des Sachverhaltes aus der Berufung und der Eingabe vom 16. August 1993 entspricht.

Zum Vorhalt der "notorischen Tatsache" äußerte sich der Beschwerdeführer nicht.

Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie übernahm darin die Ausführungen des Bescheides vom 2. März 1994 mit der Maßgabe, daß nunmehr § 20 Asylgesetz 1991 in der Fassung BGBl. Nr. 610/1994, Anwendung finde. Zu den schriftlichen Stellungnahmen vom 16. Jänner 1995 und 13. April 1995 führte sie aus, daß der Beschwerdeführer die darin enthaltenen Darstellungen bereits im wesentlichen in seiner Berufung sowie in seiner Eingabe vom 16. August 1993 releviert habe und diese Schriftstücke im Lichte des § 20 Asylgesetz 1991 keine andere Entscheidung der Behörde herbeiführen könnten. Des weiteren legte die belangte Behörde die im Manuduktionsschreiben vom 29. März 1995 vorgehaltene "notorische Tatsache" ihrer Entscheidung zugrunde. Der Beschwerdeführer habe diesen zur Kenntnis gebrachten Sachverhalt nicht in Abrede gestellt.

Die belangte Behörde kam zum Ergebnis, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling iS. des Asylgesetzes 1991 sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer rügt die Nichtberücksichtigung seiner Sachverhaltsdarstellungen ab Berufungseinbringung. Die belangte Behörde ging von der Anwendung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 aus, weil keiner der Fälle des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 vorliege. Dazu ist festzuhalten, daß der Beschwerdeführer einen Mangel der erstinstanzlichen Niederschrift nicht gerügt hat, insbesondere hat er nicht vorgebracht, daß von ihm gemachte Angaben unvollständig aufgenommen worden seien oder es Verständigungsprobleme gegeben hätte, aufgrund derer seine Angaben unrichtig übersetzt worden wären. Die bloße - in einem Nebensatz vorgenommene - Bezeichnung der Vernehmung des Beschwerdeführers als "dürftig" ist auch im Lichte des § 16 Asylgesetz 1991 nicht geeignet, einen Mangel des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens darzulegen. Denn wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt (vgl. zB. die hg. Erkenntnisse vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800 bis 0803, und vom 25. April 1995, Zl. 95/20/0112) hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 nur im Falle hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gestzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln. Da der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme im wesentlichen nur seine Unzufriedenheit mit dem herrschenden Regime, wirtschaftliche Gründe und die Verhaftung und das Verschwinden von bekannten Studenten der Universität Hanoi nach den Studentenunruhen in Bejing vorgebracht hat und der Beschwerdeführer nur angab, mit den Studenten "in Verbindung" gestanden zu sein, ist eine asylrechtlich relevante, dem Beschwerdeführer individuell drohende Verfolgung nicht mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu erkennen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt hingegen nicht.

Ohne Einfluß auf die konkrete Entscheidung wird der Beschwerdeführer noch darauf hingewiesen, daß er im späteren Verfahren von Studentenunruhen auch in Hanoi gesprochen, seine eigene Rolle dabei jedoch teils mit Sympathie der Arbeiter mit den Studenten geschildert, andererseits aber auch - losgelöst von den Studentenunruhen - seine Teilnahme an zahlreichen Demonstrationen gegen das kommunistische Regime behauptet hat. Er hat sohin im Laufe des gesamten Verfahrens seine Rolle in wesentlichen Punkten unterschiedlich dargestellt.

Hinsichtlich des mit der Eingabe vom 16. August 1993 vorgelegten "Verfolgungsscheines" ist dem Beschwerdeführer zu entgegnen, daß es sich hiebei um ein Bescheinigungsmittel handelt, das dem Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben während seines Aufenthaltes in der CSFR vor seiner Einreise nach Österreich zugestellt wurde. Es war ihm sohin während des erstinstanzlichen Verfahrens bereits zugänglich, sodaß seine nunmehrige Vorlage nicht den zweiten Fall des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 darstellt. Der Beschwerdeführer hat auch nicht dargetan, daß ihm aus anderen Gründen eine Vorlage im erstinstanzlichen Verfahren nicht möglich gewesen ist.

Das vom Beschwerdeführer behauptete, seinen Eltern nach der Entscheidung der ersten Instanz widerfahrene Schicksal wird vom Beschwerdeführer selbst als Folge seines Verlassens der Heimat bezeichnet. Ein - auch nahen - Angehörigen widerfahrenes Schicksal ist zwar bei der Abrundung des Gesamtbildes als Indiz für eine drohende asylrechtlich relevante Verfolgung nicht außer acht zu lassen, reicht aber, wenn sich - wie im vorliegenden Fall - aus den zu berücksichtigenden Angaben des Asylwerbers keine diesem individuell drohende Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erkennen läßt, alleine nicht aus, asylrelevante Verfolgung darzulegen. Daher ist auch hinsichtlich des den Beschwerdeführer selbst betreffenden Sachverhaltes nach der Entscheidung erster Instanz keine Änderung eingetreten.

Die belangte Behörde konnte daher zu Recht davon ausgehen, daß keiner der Gründe des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 vorliege. Sie hat deshalb auch zu Recht nur die erstinstanzliche Einvernahme als Ermittlungsergebnis erster Instanz ihrer Entscheidung zugrundegelegt.

Ebenso zu Recht hat die Behörde aufgrund der obigen Ausführungen auch nicht auf die im "Verfolgungsschein" enthaltene behauptete politische Komponente Bedacht genommen.

Auch das Ergebnis der belangten Behörde, aus der - nach Verlassen des Heimatlandes entstandenen - allfälligen strafrechtlichen Verfolgung aufgrund des Verlassens des Heimatlandes resultiere keine asylrechtlich relevante Verfolgung, ist berechtigt. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, daß in der Befürchtung, wegen Übertretung den Aufenthalt vietnamesischer Staatsbürger im Ausland regelnder Vorschriften bestraft zu werden, kein Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention erblickt werden kann (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/19/0932, uva.).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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